Depression im Gehirn sichtbar machen: Neue Wege zu Diagnose und Therapie

Depressionen gehören zu den häufigsten psychischen Erkrankungen weltweit. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) waren im Jahr 2015 rund 322 Millionen Menschen betroffen, was 4,4 Prozent der Weltbevölkerung entspricht. Obwohl die Erkrankung weit verbreitet ist, sind die Ursachen noch immer nicht vollständig geklärt. Die Diagnose und Behandlung von Depressionen stellen oft eine Herausforderung dar, da es keine verlässlichen biologischen Kennwerte gibt, die das Vorliegen einer Depression objektiv bestätigen und die Abgrenzung zu anderen Erkrankungen wie Demenz erleichtern könnten.

Wie Depressionen im Gehirn entstehen

Neben psychosozialen Auslösern spielen auch körperliche Ursachen bei der Entstehung einer Depression eine Rolle. Dazu gehören neurobiologische Veränderungen im Gehirn und vererbte Faktoren, die das Risiko zu erkranken beeinflussen. Medikamentöse Behandlungen mit Antidepressiva können direkt auf diese neurobiologischen Ungleichgewichte einwirken.

Jedes Gefühl, jede Stimmung, jeder Gedanke, jede Wahrnehmung und jedes Verhalten gehen mit einem besonderen Aktivitätsmuster der Nervenzellen im Gehirn einher. Die Aktivität innerhalb einer Nervenzelle wird über Axone zu vielen anderen Nervenzellen weitergeleitet. Um den Reiz zur nächsten Nervenzelle weiterzuleiten, werden über Synapsen Botenstoffe (Neurotransmitter) in den synaptischen Spalt ausgeschüttet. Diese Botenstoffe aktivieren Kontaktstellen (Rezeptoren) an den nachgeschalteten Zellen.

Es gibt viele verschiedene Botenstoffe, die Hirnfunktionen beeinflussen. Einer davon, der mit Depression in Verbindung gebracht wird, ist Serotonin. Da die meisten Antidepressiva die Wirkung von Serotonin beeinflussen, wird angenommen, dass eine Störung im Serotoninsystem eine Rolle bei der Depressionsentstehung spielt. Die Vorstellung, es würde schlicht ein Mangel an Serotonin vorliegen, ist jedoch zu simpel.

Die Rolle der Vererbung

Im Zusammenhang mit den Ursachen einer Depression stellt sich oft die Frage nach der Vererbbarkeit der Erkrankung. Es gibt jedoch kein einzelnes "Depressionsgen", das hauptverantwortlich für die Erkrankung ist. Bei eineiigen Zwillingen, d.h. bei Personen mit gleicher genetischer Ausstattung, leiden in circa 50 % der Fälle beide Zwillinge an einer depressiven Erkrankung. Das bedeutet aber auch, dass die Gene nicht alles erklären können.

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Neue Erkenntnisse durch bildgebende Verfahren

Moderne bildgebende Verfahren wie die Magnetresonanztomographie (MRT) und die Positronen-Emissions-Tomografie (PET) ermöglichen es, das Gehirn von Menschen mit Depressionen genauer zu untersuchen und Veränderungen in der Hirnstruktur und -funktion sichtbar zu machen.

Vergrößerter Hypothalamus bei Depressionen

Eine aktuelle Studie des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig und der Abteilung Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Leipzig hat herausgefunden, dass bei Betroffenen der Hypothalamus vergrößert ist. Der Hypothalamus ist eine Hirnregion, die eine wichtige Rolle bei der Steuerung von Körperfunktionen wie Schlaf, Appetit und Stressreaktion spielt.

Die Wissenschaftler untersuchten insgesamt 84 Probanden mithilfe der hochaufgelösten 7-Tesla-Magnetresonanztomographie und stellten fest, dass bei Personen mit einer affektiven Störung der linke Hypothalamus um durchschnittlich fünf Prozent größer ist als bei Gesunden. Dabei zeigte sich in einer der depressiven Patientengruppen, dass diese Hirnregion umso größer war, je schwerer die Krankheit war.

Frühere Studien haben bereits gezeigt, dass der Hypothalamus bei Betroffenen aktiver ist. Die aktuelle Studie liefert nun weitere Hinweise darauf, dass diese Hirnregion eine wichtige Rolle bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von Depressionen spielen könnte.

Aktivität in der Inselrinde als Therapieprädiktor

Eine nuklearmedizinische Untersuchung könnte Psychiatern künftig helfen, die richtige Entscheidung zur Behandlung einer schweren Depression zu treffen. US-Mediziner konnten anhand der Aktivität in einer bestimmten Hirnregion vorhersagen, ob Medikamente oder eine Psychotherapie (kognitive Verhaltenstherapie) besser wirken.

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Die Forscher nutzten die Möglichkeiten der Positronen-Emissions-Tomografie (PET), um den Glukoseverbrauch und damit die Aktivität in den einzelnen Hirnregionen zu messen. Dabei achteten sie auf die Aktivität in der sogenannten Inselrinde oder Insellappen - einer Hirnregion, die über dem Ohr liegt und zu den Schaltstellen des Gehirns gehört, die das Gefühlsleben beeinflussen.

Ergebnis der US-Studie: Ein verminderter Glukoseverbrauch in der Insula im Vergleich zum restlichen Großhirn ist mit guten Behandlungschancen einer kognitiven Verhaltenstherapie verbunden. Sollten sich die Ergebnisse in weiteren Studien bestätigen, wären sie von großer Bedeutung nicht nur für die Therapie, sondern auch für das Verständnis der Depression.

Pupillometrie als ergänzende Methode

Forschende des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München haben herausgefunden, dass die Erweiterung der Pupille als Reaktion auf eine erwartete Belohnung davon abhängt, ob ein Mensch Freude empfinden kann. Bei gesunden Menschen erweiterten sich die Pupillen bei der Erwartung auf eine Belohnung während der Aufgabe, wohingegen diese Reaktion bei Personen mit Depressionen weniger ausgeprägt war. Besonders deutlich war die geringere Pupillenreaktion bei Patienten und Patientinnen, die keine Freude mehr empfinden konnten und von einem Mangel an Energie berichteten.

Die Pupillenreaktion ist unter anderem ein Marker für die Aktivität im Locus Coeruleus, einer Gehirnstruktur mit der größten Ansammlung noradrenerger Neuronen im zentralen Nervensystem. Die geringere Pupillenreaktion bei Menschen, die unter höherer Antriebslosigkeit leiden, weist darauf hin, dass eine mangelnde Aktivierung des Locus Coeruleus einen entscheidenden physiologischen Prozess darstellt, der dem Gefühl der Antriebslosigkeit unterliegt.

Die Pupillometrie könnte als ergänzende Methode zur Diagnosestellung eingesetzt werden und dazu beitragen, individualisierte Behandlungsstrategien für Depression zu entwickeln. Wenn beispielsweise ein/e PatientIn starke Beeinträchtigungen in der Pupillenreaktion zeigt, könnten Antidepressiva, die auf das noradrenerge System wirken, effektiver als andere Medikamente sein. Auch könnte die Medikamentendosierung anhand der Pupillenreaktion optimiert werden.

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Biotypen der Depression

Psychiatrie-Professorin Leanne Williams erforscht Depressionen mit bildgebenden Verfahren und künstlicher Intelligenz. Sie hat herausgefunden, dass es sechs verschiedene Arten von Depressionen gibt, die sich in ihren MRT-Bildern unterscheiden. Je nach Typ haben verschiedene Behandlungsformen - wie Antidepressiva oder Gesprächstherapien - mehr oder weniger Aussicht auf Erfolg.

In einer aufwendigen Studie wurden 801 Probanden mit Depression unter Magnetresonanztomografie (MRT) sowohl im Ruhezustand als auch beim Lösen von Aufgaben getestet. Die Wissenschaftler konzentrierten sich bei der Auswertung auf Hirnregionen und Verbindungen dazwischen, von denen bereits bekannt war, dass sie bei Depressionen eine Rolle spielten. Mithilfe der sogenannten Clusteranalyse gruppierten sie die Hirnbilder der Patienten und sortierten sie in sechs verschiedene Aktivitätsmuster.

Patienten mit einem Subtyp, der durch eine Überaktivität in den kognitiven Hirnregionen gekennzeichnet war, sprachen am besten auf das Antidepressivum Venlafaxin an. Für eine zweite Gruppe wiederum, deren Gehirne im Ruhezustand höhere Aktivitätswerte in typischen Bereichen für Depression und Problemlösung zeigten, brachten therapeutische Gespräche eindeutig am meisten Linderung. Bei den Menschen mit drittem Subtyp weist der Hirnschaltkreis, der die Aufmerksamkeit steuert, im Ruhezustand niedrigere Aktivitätswerte auf.

Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass Depressionen durch verschiedene Störungen der Gehirnfunktion erklärt werden können. Es ist eine Demonstration eines personalisierten medizinischen Ansatzes für die psychische Gesundheit, der auf objektiven Messungen der Gehirnfunktion basiert.

Neurofeedback als neue Therapiemöglichkeit

Neurofeedback (NF) ist eine weitere vielversprechende Therapiemöglichkeit zur Behandlung von Depressionen. Dabei werden Patient*innen durchgehend über ihre aktuelle Gehirnaktivität informiert, damit sie bestimmte neuronale Aktivitäten selbst regulieren lernen. Der klinische Schwerpunkt liegt insbesondere auf der Behandlung der ungewollten Verhaltensmuster bei psychischen Störungen.

In einem aktuellen Projekt wird untersucht, welche Parameter die Wirksamkeit und Akzeptanz von Neurofeedback als eine Therapiemöglichkeit gegen Grübeln (Rumination) in Form von Zwangsgedanken, die sich im Zuge einer Depression im Kreis drehen, verbessern. Grübeln hat eine zentrale Bedeutung in der Psychopathologie der Depression und spielt eine entscheidende Rolle beim Einstieg in die Depression, bei ihrer Aufrechterhaltung und beim Rückfall.

Es wird eine komplexe Technik des Echtzeit-fMRTs für das Neurofeedback eingesetzt, da MRT eine präzise Lokalisation ermöglicht und funktionelles MRT (fMRT) eine optimale Abbildung der lokalen Gehirnaktivität sowie die Korrelationen innerhalb der Gehirnregionen liefert.

Wachheitsregulation und Depression

Depressive Menschen berichten meist von Einschlafproblemen und kommen trotz Müdigkeit nur schwer zur Ruhe. Bei einer Messung der Hirnströme (EEG) unter Ruhebedingungen lässt sich dementsprechend bei vielen depressiv Erkankten feststellen, dass ihre Wachheitregulation verändert ist: Sie sind häufig von einer chronisch erhöhten Wachheit betroffen und können nicht entspannen.

Ziel aktueller Forschungsbemühungen ist es, Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der Wachheitsregulation bei verschiedenen Erkrankungen (Depression, Manie oder ADHS) zu erforschen. Dies soll dazu beitragen, deren Ursachen besser zu verstehen und zu prüfen, ob die mittels EEG gemessene Wachheitsregulation für die Diagnosestellung der Depression hilfreich ist und ob man anhand der Wachheitsregulation das Ansprechen auf antidepressive Behandlungen voraussagen kann.

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