Die Interpretation von "Der Mann ohne Eigenschaften" von Robert Musil

Robert Musils Roman "Der Mann ohne Eigenschaften" gilt als eines der bedeutendsten Werke des 20. Jahrhunderts. Er stellt einen kühnen Versuch dar, die Moderne und ihre Bewusstseinsbrüche in eine literarische Form zu bringen. Der Roman, der mit den Worten "Am 26. beginnt ein unabgeschlossener Roman-Koloss von beinahe zweitausend Seiten, zu denen sich im Nachlass noch weitere tausend Seiten finden", ist bis heute ein Faszinosum und ein ungeklärtes Geheimnis.

Robert Musil: Ein Intellektueller der Moderne

Musil, der als einer der intellektuellsten Autoren des letzten Jahrhunderts gilt, stellte in seinem Werk die Frage, wie sich ein geistiger Mensch zur gegenwärtigen Wirklichkeit verhalten solle. Er war zu diesem Zeitpunkt 50 Jahre alt und hatte bereits mit formal raffinierten Novellen Aufsehen erregt. Der meteorologisch aufgeladene Romanbeginn deutet darauf hin, wie weit der Autor auszuholen gedachte, ihm schwebte ein großes Zeit- und Bewusstseinspanorama vor.

Ulrich, der Mann ohne Eigenschaften

Im Zentrum des Romans steht ein Held namens Ulrich, der feststellt, dass ihm in seinem Leben jede Richtung abhandengekommen ist. Musil prägt den Begriff des "Möglichkeitssinns" und stellt ihn dem "Wirklichkeitssinn" gegenüber. "Wenn es aber Wirklichkeitssinn gibt, und niemand wird bezweifeln, daß er seine Daseinsberechtigung hat, dann muß es auch etwas geben, das man Möglichkeitssinn nennen kann."

Die Parallelaktion und der Wirklichkeitssinn

Der große Erfolg, den die erste Teilveröffentlichung des "Mannes ohne Eigenschaften" hatte, verdankte sich dem satirischen Einfall einer sogenannten Parallelaktion: am Wiener Hof arbeitet man daran, dem 30. Thronjubiläum des preußischen Kaisers Wilhelm II. eine große Feier zum 70. Regierungsjahr Kaiser Franz Josephs entgegenzusetzen. In raffiniert ausbalancierten Szenen wird deutlich, wie inhaltsleer diese "vaterländische Aktion", dieser Auswuchs eines prekären "Wirklichkeitssinns" ist.

Neurasthenie als Symptom der Moderne

Um 1900 litten berühmte Künstler und Schriftsteller wie Kafka oder Musil unter "Neurasthenie". "Neurasthenie war akzeptiert in der Gesellschaft als Leiden für besonders empfindliche Nerven", so Autor Florian Illies im Dlf. Es geht dabei um Grenzüberschreitungen, etwa um das Dreiecksverhältnis zwischen Ulrich, seinem Freund und dessen Frau Clarisse, die in ihrer Nietzsche-Begeisterung immer mehr dem Wahnsinn verfällt.

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Die Form des Romans als Spiegel der Moderne

Musil versucht in essayistischen Passagen, den wissenschaftlichen Erklärungsmodellen seiner Zeit eine Spur voraus zu sein und das Irrationale, die Leerstellen zu erkunden. Das führt zu der innovativen, die Moderne von innen her aufsprengenden Form des Romans. Das Leben, so heißt es einmal, folge keinem Faden der Erzählung mehr, sondern breite sich in einer unendlich verwobenen Fläche aus.

Das Fragmentarische Ende und die "taghelle Mystik"

Die Machtübergabe an Hitler 1933 führte auch zu einer Zäsur in Musils Arbeit: die letzten Jahre seines Lebens verbrachte er isoliert in der Schweiz, er starb 1942. In vielen Anläufen versuchte er ein Ende für seinen Roman zu finden, und das Kapitel "Atemzüge eines Sommertags" war das gewagteste Vorhaben. Da geht es um die nicht nur geistige Vereinigung Ulrichs mit seiner Schwester Agathe, einem alle Gegensätze aufhebenden Inzest - um zu dem vorzudringen, was Musil den "anderen Zustand" nannte oder auch "taghelle Mystik".

Fazit: Ein Versuch, die Moderne zu fassen

"Der Mann ohne Eigenschaften" ist ein großer Versuch, die zerfransende Welt der Moderne und ihre Bewusstseinsbrüche in eine Form zu bringen. Als der erste Teil erschienen war, erkannte Musil: Die Geschichte dieses Romans lief darauf hinaus, dass die Geschichte, die in ihm erzählt werden sollte, nicht erzählt wird.

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