Gehirnerschütterungen im Leistungssport, insbesondere im Boxen, stehen seit einigen Jahren im Fokus der Forschung im Zusammenhang mit einer besonderen Form von Demenz, der chronisch-traumatischen Enzephalopathie (CTE), auch bekannt als "Boxerdemenz". Die Forschung konzentriert sich zunehmend auf die Auswirkungen leichterer Erschütterungen des Kopfes auf die geistige Leistungsfähigkeit und die Lebensqualität, insbesondere bei Sportlern wie Fußballspielern und Boxern.
Chronisch-traumatische Enzephalopathie (CTE): Eine degenerative Hirnerkrankung
Die CTE ist eine degenerative Hirnerkrankung, die ursprünglich unter dem Namen Dementia pugilistica oder "Boxerdemenz" bekannt war. Sie wird mit wiederholten oder schlecht behandelten Gehirnerschütterungen in Verbindung gebracht. Im Gehirn der Betroffenen zeigen sich Veränderungen in der weißen Substanz, die an die Alzheimer-Krankheit erinnern. Es kommt zu schädlichen Ablagerungen des Proteins Tau und einer Abnahme des Hirnvolumens. Die Symptome von CTE sind vielfältig und dramatisch: Gedächtnisstörungen, verminderte Impulskontrolle, Aggressivität und Selbstmordtendenzen sind typisch.
Der Fall Owen Thomas, eines 21-jährigen American-Football-Kapitäns, der sich selbst umbrachte, markierte einen Wendepunkt in der CTE-Forschung. Nach seinem Tod wurde bei ihm CTE diagnostiziert, obwohl er offiziell keine schwere Gehirnerschütterung erlitten hatte. Dies führte zu der Annahme, dass auch leichtere Schläge gegen den Kopf CTE verursachen können.
Fußball im Fokus der Forschung
Im Jahr 2012 zeigte eine Studie, dass Profifußballer im Vergleich zu anderen Leistungssportlern Veränderungen in der weißen Substanz ihrer Gehirne aufweisen, selbst ohne vorherige Gehirnerschütterungen. Prof. Dr. Inga Katharina Koerte von der Harvard Medical School und der Ludwig-Maximilians-Universität München konzentriert sich in ihrer Forschung auf jüngere Spieler, die aufgrund der Empfindlichkeit ihres Gehirns besonders gefährdet sind. Im Rahmen der "Repimpact"-Studie werden jugendliche Fußballer im Alter von 14 bis 15 Jahren über einen längeren Zeitraum untersucht, um den Einfluss leichterer Erschütterungen auf die Struktur und Funktion des Gehirns zu verstehen.
Eine Studie von Koerte aus dem Jahr 2017 ergab, dass junge Fußballer in kognitiven Tests schlechter abschneiden als andere Sportler. Während sich die Leistung der Vergleichsgruppe im Laufe der Studie verbesserte, blieben die Fußballer nahe an ihrem kognitiven Ausgangsniveau.
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Die Problematik von Kopfbällen und Zusammenstößen
Im Fußball kommt es häufig zu leichteren Erschütterungen des Gehirns, etwa durch Kopfbälle oder Zusammenstöße mit anderen Spielern. Diese wiederholten, leichteren Erschütterungen könnten langfristig zu Problemen führen. Die Forschung steht hier noch am Anfang, und es gibt bisher nur wenige abgeschlossene Studien mit kleinen, nicht-repräsentativen Stichproben.
Die potenziellen Folgen für das Lebensglück des Einzelnen
Die Folgen leichterer Erschütterungen sind möglicherweise weniger greifbar als extreme Phänomene wie Demenz oder Suizid. Sie können sich aber dennoch negativ auf das Lebensglück des Einzelnen auswirken, indem sie zu schlechteren Schulnoten, Problemen im Kontakt mit anderen oder einem Verlust von Potenzial führen.
Die Notwendigkeit, die Spielregeln zu ändern
Wenn sich herausstellt, dass Fußball oder Boxen für das menschliche Gehirn schädlich ist, könnte man die Art verändern, wie diese Sportarten gespielt werden. Eine Abschaffung des Kopfballs im Fußball wäre eine Möglichkeit, würde aber wahrscheinlich einen Aufschrei unter Liga-Vertretern und Fans auslösen. Die USA zeigen, wie schwer es ist, sportliche Traditionen zu verändern. Die American-Football-Ligen haben CTE jahrelang bagatellisiert, bevor sie Maßnahmen ergriffen, um das Spiel sicherer zu gestalten.
Genetische Voraussetzungen und Risikofaktoren
Es gibt keinen einzelnen Gentest, der Demenz vorhersagen kann. Allerdings spielt eine genetische Veranlagung innerhalb der Familie eine gewisse Rolle. Wenn ein erstgradiger Angehöriger an Demenz, z.B. Alzheimer, erkrankt ist, hat man selbst ein 1,5- bis 2-fach erhöhtes Risiko. Den nicht genetisch bedingten Risiko-Anteil, an Demenz zu erkranken, können wir durch einen gesunden Lebensstil aktiv beeinflussen.
Prof. Frank Jessen, Leiter des Kölner Alzheimer Präventionszentrums, betont, dass schlechtes Hören und Sehen Risikofaktoren für Demenz sind. Die Korrektur der eingeschränkten Sinne sei entscheidend. Rotes Fleisch und tierische Fette seien nicht gut, aber alles sei eine Frage der Menge.
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Fortschritte in der Alzheimer-Forschung
Bislang gibt es keine Heilung für Alzheimer, aber es gibt einen großen wissenschaftlichen Durchbruch: Erstmals wurde eine Immuntherapie (Antikörper-Therapie) entwickelt, die die für Alzheimer typischen Eiweißablagerungen im Gehirn wieder auflösen kann. Die Medikamente sind in den USA und vielen anderen Ländern bereits zugelassen, und Prof. Frank Jessen hofft auf eine baldige Zulassung für Europa. Alzheimer könne heutzutage sehr früh festgestellt werden, oft noch bevor ein Demenz-Stadium erreicht ist.
Todesfälle im Boxsport: Eine düstere Realität
Vitali Klitschko schlug Shannon Briggs im Jahr 2010 so heftig, dass dieser auf der Intensivstation landete. Solche Ereignisse verdeutlichen die Gefahren des Boxsports. Walter Wagner, Chirurg und Arzt des Bundes Deutscher Berufsboxer, betonte, dass der Ringrichter den Kampf hätte abbrechen müssen, um Schlimmeres zu verhindern.
In der Welt des Boxsports hat man sich an einige Tote pro Jahr gewöhnt. Die Boxing Fatality Collection listet seit 1890 1355 Todesfälle von Boxern auf, wobei die meisten Opfer Berufsboxer waren. Konservativen Schätzungen zufolge starben seit den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts im Durchschnitt sieben bis acht Boxer pro Jahr entweder im Ring oder kurz nach Ende des Wettkampfs, meist nach einem Knock-out.
Die ethische Frage der vorsätzlichen Körperverletzung
Eine Gruppe von Neurologen und Sportmedizinern um den Psychiatrieprofessor Hans Förstl (München) fragt im Deutschen Ärzteblatt, ob eine vorsätzliche Körperverletzung wie der gezielte, regelkonforme K.o. straffrei gestellt und als sportlich vorbildlich präsentiert werden darf. Sie zweifeln, ob öffentlich-rechtliche Sendeanstalten mit Gewalt verherrlichenden Darbietungen ihrem Auftrag gerecht würden.
Akute Komplikationen und Spätfolgen des Boxens
Eine Studie an 427 australischen Berufsboxern ergab, dass sich ein Boxprofi bei jedem vierten Kampf verletzt. Am häufigsten sind Kopf-, Gesichts-, Nacken- und Handverletzungen. Die physikalischen Kräfte einer Faust können gewaltig sein. Rotationsbeschleunigungen des Kopfes können das 50-Fache der Erdbeschleunigung erreichen und zu Stauchungen und Schädigungen von Nervengewebe und Blutgefäßen führen.
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Das Risiko für tödliche Verletzungen erhöhe sich mit der Zahl der Kopftreffer, sei aber auch bei unvollständiger Erholung von kurz zurückliegenden Schädigungen erhöht, ebenso bei starkem Gewichtsverlust und Wassermangel sowie bei Einnahme von Medikamenten wie Blutdrucksenkern, Steroiden und Erythropoietin.
Neuropsychiatrische Erkrankungen bei Profiboxern
Zwanzig bis fünfzig Prozent der Profiboxer haben verschiedenen Studien zufolge anhaltende neuropsychiatrische Erkrankungen wie Gedächtnisstörungen, Demenz, Depression, Reizbarkeit, Aggressivität, Suchtverhalten, aber auch Bewegungsstörungen wie Spastiken, Zittern und Parkinson. Innerhalb von 24 Stunden nach einer Schädelhirnverletzung durch einen Boxkampf ließ sich bei 14 schwedischen Amateurboxern anomal viel Beta-Amyloid, der Grundbaustein der Alzheimer-Plaques, in der Nervenflüssigkeit nachweisen.
Die Rolle der Genetik
Eine Studie von 2009 hat ergeben, dass sich das Risiko für die sogenannte Boxer-Demenz durch bestimmte genetische Varianten des Apolipoproteins E4, das am Cholesterintransport beteiligt ist, erhöht - sowie für die Alzheimer-Demenz.
Forderungen nach wirksameren Schutzmaßnahmen
Hans Förstl und seine Kollegen plädieren für wirksamere Schutzmaßnahmen und Früherkennungsuntersuchungen auf Boxerdemenz. Auch eine genetische Analyse auf Apolipoprotein-Varianten könnte zu den Maßnahmen gehören, die das Risiko senken.
Die ethische Verantwortung der Medien
Das ZDF verzichtet bereits seit Sommer 2010 auf die Übertragung von Wettkämpfen. Die ARD bot in der Nacht vom 14. auf den 15. Mai den Boxfans dagegen eine stundenlange Übertragung des Super-Six-Turniers aus Los Angeles.
Chronisch Traumatische Enzephalopathie (CTE): Eine fortschreitende Erkrankung
Wiederholte Schläge und Stöße gegen den Kopf oder Stürze auf den Kopf, wie sie bei Kontaktsportarten häufiger passieren, können eine neurodegenerative Erkrankung auslösen. Typischerweise tritt die chronische traumatische Enzephalopathie (CTE), auch Dementia pugilistica genannt, erst Jahre oder Jahrzehnte nach Ende einer Sportkarriere auf, manchmal aber schon bei jüngeren Athleten. Die Traumata führten zu einer zunehmenden Zerstörung von Neuronen sowie der Freisetzung und abnormen Anhäufung des Tau-Proteins.
Symptome und Verlauf der CTE
Bei der ersten Variante stehen primär Veränderungen kognitiver Fähigkeiten im Vordergrund. Sie betreffen das Erinnern von Ereignissen und Funktionen wie Planen, Organisieren, Problemlösen und Selbstkontrolle. Im weiteren Verlauf kommt es zu auffälligem Verhalten. Die zweite Variante ist anfangs durch Verhaltensauffälligkeiten wie Gefühlsausbrüche, Impulsivität und Gewalttätigkeit sowie Veränderung der Stimmung mit Depressivität und Hoffnungslosigkeit gekennzeichnet. Später kann es zu kognitiven Störungen kommen.
Therapie und Prävention
Wie bei den meisten Demenzformen gibt es keine spezifische Therapie für eine vermutete CTE. Die Alzheimer Gesellschaft empfiehlt Lebensstilmaßnahmen wie körperliches Training, ausreichend Schlaf und Verhaltenstherapie. Psychoedukation könne Betroffenen und ihren Angehörigen helfen, mit den krankheitsbedingten Veränderungen besser zurecht zu kommen. Medikamente können Symptome nur lindern.
Die Auswirkungen von Gehirnerschütterungen
Durch die schnelle Beschleunigung des Kopfes wird das Gehirn gegen die Schädelknochen gepresst. Schwerkräfte führen zu einer Stauchung oder Dehnung zentraler Nervenbahnen. Die Kommunikation zwischen den Nervenzellen kann kurzzeitig zusammenbrechen. Wenn auf eine nicht abgeklungene Erschütterung eine weitere trifft, drohen oft bleibende Schäden (Second-Impact-Syndrom).
Die Rolle des Tau-Proteins
Alle Patient:innen dieser neurodegenerativen Erkrankung haben eines gemein: Ein bestimmtes Protein namens Tau lagert sich im Gehirn dauerhaft an den falschen Stellen ein. In ungebundener Form verkleben die feinen Mikrostrukturen zu Klumpen und können nicht mehr abtransportiert werden. Diese Verklumpungen verhindern die Kommunikation zwischen Nervenzellen, Zellen sterben ab, die weiße Hirnsubstanz schrumpft.
Langzeitfolgen von Kopfverletzungen
Viele Boxerinnen und Boxer entwickeln bereits während ihrer aktiven Zeit zumindest leichte kognitive Störungen. Zehn bis 20 Prozent der Profiboxer:innen leiden ihr Leben lang unter anhaltenden neuropsychiatrischen Erkrankungen. Ihre motorischen Fähigkeiten lassen nach und sie haben ein erhöhtes Risiko, am Parkinson-Syndrom sowie an Alzheimer zu erkranken.
Kopfverletzungen und Demenz: Ein wachsendes Problem
Kopfverletzungen, insbesondere solche, die durch wiederholte Schläge auf den Kopf verursacht werden, können das Risiko erhöhen, später im Leben eine Demenz zu entwickeln. Sportarten wie Boxen, Football, Rugby oder auch Fußball - vor allem durch häufige Kopfbälle - können das Risiko erhöhen. Aber auch regelmäßige Stürze auf den Kopf, die bei neurologischen oder orthopädischen Erkrankungen auftreten, können ebenfalls problematisch sein.
Wie Stürze und Verletzungen das Gehirn schädigen
Bei einem Sturz auf den Kopf prallt das Gehirn gegen den Schädel, was zu Verletzungen der Nervenzellen führen kann. Besonders gefährlich sind dabei sogenannte axonale Schädigungen. Eine Folge davon ist die Freisetzung des Tau-Proteins. Dieses Protein kann sich in Nervenzellen ablagern und verklumpen, was den Informationsaustausch im Gehirn weiter behindert. Das betrifft vor allem Bereiche des Gehirns, die für Gedächtnis und Orientierung zuständig sind. Dieser Prozess kann im Verlauf zur Entwicklung einer chronisch-traumatischen Enzephalopathie (CTE) und schlussendlich auch zu Demenz führen.
Symptome der CTE
Die Symptome der CTE können sehr unterschiedlich sein. Im frühen Stadium treten oft Gedächtnisstörungen, Kopfschmerzen und depressive Verstimmungen auf. Im weiteren Verlauf können sich Stimmungsschwankungen, Aggressivität oder Apathie zeigen. In späteren Stadien kommt es zu schwerwiegenderen kognitiven Beeinträchtigungen, Halluzinationen, Wahnvorstellungen aber auch Gang- oder Koordinationsstörungen.
Präventionsmaßnahmen
Der beste Schutz besteht darin, Kopfverletzungen zu vermeiden. Bei Menschen, die aufgrund von Erkrankungen häufiger stürzen, ist eine frühzeitige physiotherapeutische Behandlung wichtig, um Stürze zu reduzieren. Außerdem sollten für Risikosportarten wie Football oder Boxen bessere Schutzmaßnahmen eingeführt werden.
Alzheimer-Vorbeugung: Risikofaktoren reduzieren
Studien zeigen, dass Prävention möglich ist. Eine internationale Forschergruppe ("The Lancet Commission on Dementia and Prevention") hat 2020 zwölf Risikofaktoren aufgelistet, die das Alzheimer-Risiko erhöhen. Dazu zählen schlechte Bildung, Hörverlust, Bluthochdruck, Schädel-Hirn-Verletzungen, schädlicher Alkoholkonsum und Übergewicht.
Gesunde Ernährung, Bewegung, kein Übergewicht, Nichtrauchen, kognitive Stimulierung und soziale Aktivität sind wichtige Faktoren, um das Risiko einer Erkrankung mit Alzheimer zu verhindern. Gutes Hören und guter Schlaf sind ebenfalls entscheidend.
Die Heidelberger Boxerstudie: Keine klaren Risiken durch Amateursport?
Die Heidelberger Boxerstudie fand keine signifikanten Unterschiede bei Hirnveränderungen zwischen Amateurboxern und einer nicht boxenden Vergleichsgruppe. Abschließende Aussagen zur Gefährdung sind derzeit jedoch noch nicht möglich. Eine Folgestudie sollte Boxer einschließen, die den Sport professionell betreiben, um auch eine intensive Belastung des Gehirns beurteilen zu können.
Historische Entwicklung des Boxsports
Boxwettkämpfe wurden 688 vor Christus zu einer olympischen Disziplin. Im römischen Reich wurden seit etwa 150 vor Christus Handschuhe mit Eisen und Blei verstärkt. Die 1867 vereinbarten Queensberry-Regeln umfassten das Tragen von Boxhandschuhen, eine dreiminütige Rundenzeit mit einminütiger Pause und das Anzählen bis zehn nach einem Niederschlag.
Schutzmaßnahmen im Amateurboxen
Im Amateurbereich werden seit 1946 die Maßnahmen zum Schutz der Boxer zunehmend vereinheitlicht. Dazu zählen unter anderem das Tragen eines Kopfschutzes, stärker gepolsterte Handschuhe, eine verkürzte Rundendauer und -zahl, ein Abbruch nach der „outclassed rule“ und die Möglichkeit für den Ringarzt, einzuschreiten.
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