Multiple Sklerose und Persönlichkeitsveränderungen: Ein umfassender Überblick

Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, die unvorhersehbare Verläufe und vielfältige Beschwerden mit sich bringen kann. Neben den körperlichen Symptomen sind psychische Störungen bei MS-Patienten weit verbreitet und können die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen. Dieser Artikel beleuchtet den Zusammenhang zwischen MS und Persönlichkeitsveränderungen, wobei verschiedene psychische Störungen, ihre Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten detailliert betrachtet werden.

Psychische Störungen bei Multipler Sklerose

Psychische Störungen, insbesondere Depressionen und Angstzustände, sind bei Menschen mit Multipler Sklerose häufig anzutreffen. Diese Störungen sind oft unterdiagnostiziert und unterbehandelt, was zu einer Verschlechterung der Beeinträchtigung, der Lebensqualität und der Therapietreue führen kann.

Häufige psychische Störungen

Drei wichtige psychische Störungen treten bei Menschen mit Multipler Sklerose häufig auf:

  • Depressionen
  • Angstzustände
  • Emotionale Überexpressivität

Im Laufe der Erkrankung treten diese Störungen viel häufiger auf als in der Allgemeinbevölkerung.

Depressionen

Etwa 30 % der Menschen mit Multipler Sklerose sind irgendwann in ihrem Leben von Depressionen betroffen. In der Regel handelt es sich dabei nicht um schwere Depressionen, sondern um depressive Episoden von mäßiger Intensität. Die Symptome können vielfältig sein und reichen von seelischem Schmerz über Gefühle von Scham, Schuld oder Selbstverurteilung bis hin zu Traurigkeit und/oder Wut.

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Depressionen bei MS können verschiedene Ursachen haben:

  • Psychosoziale Ursachen: Hierbei sind die Depressionen reaktiv, d. h. sie treten als Reaktion auf ein Ereignis oder eine Situation auf. Sie können auch mit dem Verlust des Kontakts zu Familie oder Freunden zusammenhängen, die eine wichtige Stütze darstellen.
  • Neurologische Ursachen: Die durch die Erkrankung verursachten Hirnschäden können eine depressive Episode auslösen.

Angstzustände

Angststörungen treten bei etwa 22 % der Menschen mit Multipler Sklerose auf, wobei die Häufigkeit stark variiert. Frauen sind häufiger betroffen als Männer. Die Angstzustände können durch verschiedene Stressfaktoren verursacht oder verstärkt werden, wie z. B. die Diagnose, die Unvorhersehbarkeit der Erkrankung oder die Angst vor Behinderung oder Verlust der Selbstständigkeit.

Die Symptome von Angstzuständen sind von Person zu Person unterschiedlich. Auf körperlicher Ebene können sie sich durch Herzklopfen, Engegefühl in der Brust, Atem- oder Schluckbeschwerden und manchmal sogar durch das Gefühl, ohnmächtig zu werden, äußern. Auf emotionaler Ebene kann Angst z. B. dazu führen, dass man häufiger oder schneller nervös wird und die Geduld verliert.

Emotionale Überexpressivität

Emotionale Überexpressivität betrifft etwa 30 % der Menschen mit Multipler Sklerose. Diese Störung ist durch einen Verlust der emotionalen Kontrolle gekennzeichnet und weist zwei Hauptmerkmale auf:

  • Emotionale Instabilität: Der schnelle Wechsel von einer Emotion zur anderen.
  • Affektinkontinenz: Ein übermäßiger und unkontrollierbarer Ausdruck von Emotionen.

Dies kann dazu führen, dass der Patient im einen Moment glücklich ist und im nächsten Moment aus einem harmlosen Grund ausrastet und seine Mitmenschen mit Worten angreift, die viel heftiger sind, als er eigentlich will.

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Bipolare Störungen

Bipolare Störungen, die durch manische oder depressive Episoden gekennzeichnet sind, betreffen 13 % der MS-Patienten. Man unterscheidet zwei Haupttypen:

  • Bipolare Störungen Typ I: Definiert durch das Auftreten von mindestens einer manischen Episode.
  • Bipolare Störungen Typ II: Definiert durch das Auftreten von mindestens einer hypomanischen Episode und mindestens einer schweren depressiven Episode.

Bipolare Störungen sind in der Allgemeinbevölkerung oft unterdiagnostiziert und schwer von Depressionen zu unterscheiden, insbesondere wenn manische oder hypomanische Episoden nicht erkannt werden. Alkohol- und Drogenmissbrauch kann die Behandlung zusätzlich erschweren.

Psychotische Störungen

Psychotische Störungen werden durch Halluzinationen, Wahnvorstellungen, Sprachstörungen und unorganisiertes Sprechen identifiziert. Zu den psychischen Störungen gehören Schizophrenie, schizoaffektive Störungen, kurzzeitige psychotische Störungen, geteilte psychotische Störungen, psychotische Störungen aufgrund eines allgemeinen medizinischen Zustands und durch Substanzen hervorgerufene psychotische Störungen.

Persönlichkeitsstörungen und Verhaltensstörungen

Persönlichkeitsstörungen umfassen paranoide, schizotype, antisoziale, Borderline-, histrionische (übermäßige Emotionalität und Suche nach Aufmerksamkeit) und narzisstische Störungen sowie vermeidende, abhängige und zwanghafte Persönlichkeitsstörungen. Die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung erfordert ein Verständnis der langfristigen Funktionsweisen des Individuums.

Es ist wichtig zu beachten, dass psychische Veränderungen bei MS-Patienten nicht immer direkt auf die Krankheit zurückzuführen sind, sondern Begleiterscheinungen sein können. Depressionen und Angstzustände können beispielsweise als Reaktion auf die Diagnose, dieUnvorhersehbarkeit der Erkrankung und die damit verbundenen Einschränkungen auftreten.

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Kasuistiken

Einige Fallbeispiele verdeutlichen die Komplexität psychischer Störungen bei MS:

  • Kasuistik 1: Eine Patientin entwickelte eine medikamentös nicht beeinflussbare Zwangssymptomatik, die im Kontext der MS eingeordnet wurde.
  • Kasuistik 2: Ein Patient mit Depressionen und Suizidalität unterzog sich einer Psychotherapie mit gutem Erfolg, obwohl sich sein Zustand aufgrund der MS bis zur Rollstuhlpflichtigkeit verschlechterte.
  • Kasuistik 3: Eine Patientin entwickelte nach Kortisontherapie Symptome innerer Leere, Agitiertheit mit Suizidalität und artifiziellen Verletzungen, was zur Diagnose einer Borderline-Persönlichkeitsstörung führte.

Ursachen von Persönlichkeitsveränderungen bei MS

Die Ursachen für Persönlichkeitsveränderungen bei MS sind vielfältig und komplex. Neben den direkten Auswirkungen der neurologischen Schädigung spielen auch psychosoziale Faktoren eine wichtige Rolle.

Neurologische Faktoren

Entzündliche Läsionen im Gehirn, insbesondere im frontotemporalen Bereich und periventrikulär, können die funktionelle Konnektivität beeinträchtigen und zu psychotischen Symptomen führen. Kognitive Defizite, die durch die Läsionen verursacht werden, können ebenfalls zu psychischen Belastungen und Veränderungen im Verhalten führen.

Psychosoziale Faktoren

Die Diagnose MS stellt für die meisten Betroffenen einen Schock dar. Die Einschränkungen im gewohnten Lebensalltag, in Partnerschaft, Familie und Beruf werden als schwierig und bedrohlich erlebt. Die Anpassung an die Krankheit und das Leben mit MS erfordern erhebliche psychische Anstrengungen.

Viele MS-Patienten erleben im Laufe der Erkrankung Verlusterfahrungen, die zu Gefühlen von Hilflosigkeit und Kontrollverlust führen können. Die Unsicherheit über den Verlauf der Erkrankung und die Art der Symptome verstärkt diese Gefühle.

Medikamentöse Behandlung

Einige Medikamente zur Behandlung der MS können sich auf die Psyche der Betroffenen auswirken. Es ist daher wichtig, psychische Veränderungen mit dem behandelnden Arzt zu besprechen.

Diagnose und Behandlung

Eine umfassende Betreuung von MS-Patienten sollte sowohl medizinische als auch psychologische Aspekte berücksichtigen.

Psychiatrische Diagnostik

Eine sorgfältige psychiatrische Diagnostik ist entscheidend, um die Ursachen der psychischen Beschwerden zu klären. Dabei werden sowohl neurologische, psychische als auch soziale Faktoren berücksichtigt. Erprobte Instrumente der psychiatrischen Diagnostik, der klinischen Psychologie und Neuropsychologie (z. B. Fragebögen) werden eingesetzt.

Therapieansätze

Die Behandlung psychischer Störungen bei MS sollte individuell auf die Bedürfnisse des Patienten abgestimmt sein. Mögliche Therapieansätze sind:

  • Psychotherapie: Zielorientierte psychotherapeutische Kurzinterventionen können helfen, die Krankheitsbewältigung zu verbessern, den Umgang mit Emotionen zu erlernen und familiäre Konflikte zu bewältigen. Tiefenpsychologische und verhaltenstherapeutische Verfahren sowie Entspannungsmethoden können eingesetzt werden.
  • Medikamentöse Behandlung: Das gesamte Spektrum der modernen Psychopharmakotherapie steht zur Verfügung, wobei die immunologische oder symptomatische Medikation des Patienten berücksichtigt wird.
  • Soziale Unterstützung: Die Einbeziehung des sozialen Umfelds in die Behandlung kann hilfreich sein. Paar-, Familien- und Angehörigengespräche können ein wichtiger Bestandteil der Therapie sein.

Paroxysmale Symptome

Paroxysmale Symptome sind Beschwerden, die überfallartig, kurz (maximal wenige Minuten), aber wiederkehrend auftreten. Sie können durch verschiedene Reize ausgelöst werden oder spontan entstehen. Die Therapie zielt auf die Vermeidung der Symptome ohne Beeinträchtigung des Patienten. Medikamentös werden Antiepileptika eingesetzt.

Ataxie und Tremor

Ataxie und Tremor sind Koordinations- und Gleichgewichtsstörungen, die bei MS-Patienten auftreten können. Die Behandlung umfasst intensive Physiotherapie, Ergotherapie und Entspannungstechniken. Medikamente sind wenig hilfreich und werden erst bei Versagen nicht-medikamentöser Therapien eingesetzt.

Blasenstörungen

Neurogene Blasenstörungen sind häufige Begleiterscheinungen der MS. Die Behandlung zielt auf die Verbesserung der Speicherfunktion der Blase, ihre vollständige Entleerung und die Normalisierung des Harndrangs. Nicht-medikamentöse Maßnahmen umfassen regelmäßiges Trinken, Toilettengänge und Beckenbodengymnastik. Medikamentös werden Anticholinergika, Alphablocker und Desmopressin eingesetzt.

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