Demenz ist eine der größten gesundheitspolitischen und ethischen Herausforderungen unserer Zeit. In Deutschland leben derzeit etwa 1,2 Millionen Menschen mit mittlerer bis schwerer Demenz, Tendenz steigend. Prognosen zufolge könnten bis 2030 bis zu 1,7 Millionen Menschen betroffen sein. Angesichts dieser Zahlen ist es von entscheidender Bedeutung, die Selbstbestimmung und Würde von Menschen mit Demenz anzuerkennen und zu fördern. Der Deutsche Ethikrat hat sich intensiv mit diesem Thema auseinandergesetzt und eine Stellungnahme mit dem Titel "Demenz und Selbstbestimmung" veröffentlicht, die einen menschlicheren Umgang mit Demenzkranken fordert.
Die Bedeutung der Selbstbestimmung
Die Selbstbestimmung gehört wesentlich zum Selbstverständnis des Menschen und ist ein zentraler Bezugspunkt ethischer Diskurse. Lange Zeit standen jedoch nur die mit Demenz verbundenen Defizite im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Dies führte dazu, dass viele Menschen mit Demenz sich nach der Diagnose einer unangemessenen Bevormundung ausgesetzt fühlten. Es wurde häufig über sie und selten mit ihnen gesprochen. Der Deutsche Ethikrat betont, dass es ethisch geboten ist, den Betroffenen selbst zu begegnen und ihre Selbstbestimmung auch dann zu achten, wenn sie eingeschränkt ist.
Ein veränderter Blick auf Demenz
Inzwischen gibt es zunehmend Bemühungen, den Blick darauf zu richten, welche Fähigkeiten Menschen mit Demenz haben. Es werden die Möglichkeiten untersucht, ihren Willen besser wahrzunehmen sowie sie in ihrer Selbstbestimmung und Äußerungsfähigkeit zu unterstützen und zu respektieren. Der Ethikrat betont, dass Demenz nicht nur mit der Zerstörung der geistigen Leistung gleichgesetzt werden darf. Demenzkranke sind empfindende, emotionale und soziale Menschen. Wenn man den Menschen nicht nur als denkendes, sondern auch als empfindendes, emotionales und soziales Wesen versteht, kann sich der Blick leichter auf die jeweils noch vorhandenen Ressourcen richten.
Forschung und Versorgung
Forschung in Medizin und Pflege sowie die zugehörige Praxis sind überwiegend auf Früherkennung und Symptomlinderung ausgerichtet, weniger auf den langen Weg der Erkrankung und die dabei erforderliche Begleitung. Bislang kann die Krankheit jedoch nur verzögert, nicht aber dauerhaft aufgehalten werden, sodass eine an Demenz erkrankte Person mit der fortschreitenden Abnahme ihrer Selbstständigkeit und zunehmender Hilfsbedürftigkeit konfrontiert ist. Umso wichtiger ist es daher, Möglichkeiten zur Wahrnehmung, Achtung und Förderung der Selbstbestimmung bei Menschen mit Demenz zu entdecken und zu fördern.
Empfehlungen des Deutschen Ethikrates
Um die Situation von Menschen mit Demenz zu verbessern und ihre Selbstbestimmung zu wahren, hat der Deutsche Ethikrat 16 Empfehlungen erarbeitet. Einige der wichtigsten Empfehlungen sind:
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- Nationaler Aktionsplan Demenz: Der Ethikrat bestärkt die Bundesregierung in der Absicht, einen Nationalen Aktionsplan Demenz zu entwickeln, um das Vorgehen aller Akteure zur flächendeckenden Verbesserung der medizinischen, pflegerischen und sozialen Versorgung Demenzbetroffener zu koordinieren. Dadurch soll die gesellschaftliche Inklusion von Menschen mit Demenz verstärkt und ihr Anspruch auf Selbstbestimmung anerkannt werden.
- Neufassung des Begriffs der Pflegebedürftigkeit: Bei einer Neufassung des Begriffs der Pflegebedürftigkeit sollten die Selbstbestimmungsmöglichkeiten von Menschen mit Demenz und die daraus folgenden Aufgaben der Pflege ausreichend berücksichtigt werden.
- Unterstützung pflegender Angehöriger: Die Arbeit pflegender Angehöriger bedarf wirksamer Unterstützung und finanzieller Anerkennung. Es sollte geprüft werden, ob die aus der häuslichen Pflege vertrauten Personen einen Dementen auch im Krankenhaus betreuen können. Pflegezeiten müssten sich bei der Rente genauso auswirken wie Kindererziehungszeiten.
- Förderung ambulanter Betreuungsformen: Ambulant betreute Haus- und Wohngemeinschaften für Menschen mit Demenz sollten finanziell stärker gefördert werden. Dazu zählen insbesondere wohnortnahe Wohn-Pflege-Gemeinschaften, die einen die Selbstbestimmung ermöglichenden Rahmen schaffen und in denen professionell Pflegende und Angehörige zusammenarbeiten.
- Forschungsförderung: Die Forschungsförderung im Bereich der Demenz sollte sich bei der Grundlagenforschung im Sinne translationaler Forschung auf die klinische Anwendung hin orientieren. Darüber hinaus sollte sie klinisch-medizinische, psychosoziale und pflegewissenschaftliche Aspekte sowie die ethisch-rechtliche Begleitforschung und die Versorgungsforschung umfassen.
- UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen: Um die Selbstbestimmungsmöglichkeiten demenzbetroffener Menschen zu wahren und zu schützen, sollten die Grundsätze der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, die auch für Demenzbetroffene gelten, konsequent zur Anwendung kommen.
- Vorsorgevollmachten und Patientenverfügungen: Als Alternative zur gesetzlichen Betreuung nennt der Ethikrat Vorsorgevollmachten für Angehörige. Bei der Prüfung der aktuellen Anwendbarkeit einer Patientenverfügung sind Äußerungen des Lebenswillens entscheidungsunfähiger Patienten einzubeziehen. In Fällen, in denen die Entscheidungsfähigkeit nicht sicher ausgeschlossen werden kann, ist wegen der Unumkehrbarkeit lebensbeendender Maßnahmen lebensbejahenden Bekundungen stets der Vorrang vor einer anders lautenden Patientenverfügung zu geben.
Assistierte Selbstbestimmung
Der Deutsche Ethikrat bringt das ethische Gebot der nächsten Jahre mit einem Begriff gut auf den Punkt: dem der assistierten Selbstbestimmung. Betreuende und Versorgende sollten sich bemühen, sich stärker an den konkreten Bedürfnissen der Demenzkranken auszurichten. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen zudem, dass dies nicht nur zu mehr Lebensqualität für die Betroffenen beiträgt, sondern auch den Verlauf der Erkrankung positiv beeinflusst. Dies erfordert eine Haltung der Achtsamkeit, die sich an den konkreten Bedürfnissen des Betroffenen orientiert und das Konzept einer assistierten Selbstbestimmung verwirklicht.
Herausforderungen und Kontroversen
Trotz der Fortschritte in der Versorgung und im Umgang mit Menschen mit Demenz gibt es weiterhin Herausforderungen und Kontroversen. Ein Kritikpunkt ist, dass die Forschung in Medizin und Pflege sowie die zugehörige Praxis überwiegend auf die Früherkennung der Demenz und die Symptomlinderung ausgerichtet seien. Künftig müssten jedoch der lange Weg der Erkrankung und die dabei erforderliche Begleitung der Patienten stärker in den Blick genommen werden.
In einem Sondervotum hat Ratsmitglied Volker Gerhardt seine Bedenken bezüglich zweier Aspekte dargelegt. Dies betrifft zum einen den mit dem zunehmenden Verlust der Selbstbestimmung einhergehenden unwiderruflichen Verlust der Persönlichkeit, der nicht verharmlost werden darf. Er wirft dem Ethikrat vor, in der Stellungsnahme zentrale ethische Fragen umgangen zu haben. Angesichts dieser Dramatik hätte sich der Ethikrat dazu äußern müssen, ob Menschen das Recht haben, im Falle einer Demenz aus dem Leben zu scheiden, schreibt Gerhardt im Sondervotum. Angehörige und Ärzte müssten im Zweifel mit diesem Wunsch umgehen, etwa wenn er in einer Patientenverfügung niedergelegt sei.
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