Die diabetische Polyneuropathie (DPN) ist eine häufige und potenziell schwerwiegende Komplikation des Diabetes mellitus. Sie entsteht durch Schädigung der peripheren Nerven infolge eines dauerhaft erhöhten Blutzuckerspiegels. Ungefähr jeder zweite bis dritte Mensch mit Diabetes Typ 1 oder Typ 2 entwickelt im Laufe der Zeit eine diabetische Polyneuropathie. Die DPN kann verschiedene Nerven im Körper betreffen und sich in vielfältigen Symptomen äußern.
Was ist diabetische Polyneuropathie?
Diabetische Neuropathien sind Nervenschädigungen, die verschiedene Regionen des peripheren Nervensystems betreffen können. Sie treten als Spätfolge eines Diabetes mellitus auf. Die diabetische Polyneuropathie ist eine Erkrankung des peripheren Nervensystems infolge eines Diabetes mellitus. Durch permanent erhöhte Blutzuckerwerte werden die peripheren Nerven geschädigt und verlieren ihre Funktion. Zum peripheren Nervensystem gehören alle außerhalb des zentralen Nervensystems liegenden Teile der motorischen, sensiblen und autonomen Nerven.
Funktionell wird das periphere Nervensystem in zwei Systeme unterteilt:
- Somatisches Nervensystem: Steuert willentlich beeinflussbare Körpervorgänge, z.B. Ansteuerung der Skelettmuskeln und sensorische Wahrnehmung. Erkrankungen motorischer und sensorischer Nerven werden als sensomotorische, motorische oder sensible Neuropathien bezeichnet.
- Autonomes (vegetatives) Nervensystem: Steuert lebensnotwendige, automatisch ablaufende Grundfunktionen wie Herzschlag, Atmung, Verdauung, Schweißbildung und Blutdruckregulation. Erkrankungen autonomer Nerven werden als autonome Neuropathien bezeichnet. Das autonome Nervensystem setzt sich aus zwei Anteilen zusammen, dem Sympathikus und Parasympathikus.
Formen der diabetischen Polyneuropathie
Fachleute unterscheiden die sensomotorische und die autonome oder vegetative Polyneuropathie. Die Beschwerden der diabetischen Polyneuropathie können unterschiedliche Formen annehmen, je nachdem, welche Nerven im Körper geschädigt sind:
- Sensorisch: Betrifft die Empfindungsnerven und äußert sich beispielsweise durch Kribbeln, Taubheitsgefühl oder Missempfindungen (Dysästhesien).
- Motorisch: Beeinträchtigt die Nerven des Bewegungssystems, was zu Störungen verschiedener motorischer Abläufe führen kann.
- Autonom: Befällt das autonome periphere Nervensystem, auch als vegetatives Nervensystem bezeichnet. Dies regelt unbewusste Körperfunktionen, die wir also nicht selbst steuern können, beispielsweise in Magen, Darm und im Herzen.
Symptome der diabetischen Polyneuropathie
Am häufigsten sind die langen Nerven in den Beinen und Armen betroffen. Meist machen sich dort die ersten Krankheitszeichen bemerkbar, beispielsweise durch Kribbeln, Brennen oder Taubheitsgefühl in den Füßen. Die Symptome entwickeln sich in der Regel schleichend und über Jahre; oft werden sie von den Betroffenen anfangs nicht ernst- oder wahrgenommen. Das verzögert die Diagnose und auch die Behandlung.
Lesen Sie auch: Einblick in die Pathophysiologie der diabetischen Polyneuropathie
Typische sensomotorische Anzeichen sind:
- Kribbeln oder „Ameisenlaufen“ an Händen und Füßen
- Brennende oder stechende Schmerzen an den Füßen oder Waden
- Krämpfe
- Taubheitsgefühle, fehlendes Schmerzempfinden oder Unempfindlichkeit gegenüber Temperaturunterschieden, vor allem an den Füßen
- Überempfindlichkeit bei Berührungen
- Muskelschwäche an Füßen, Händen oder Unterschenkeln
Hinzu kommen können Beschwerden, die durch Schäden am autonomen peripheren Nervensystem entstehen:
- Herz-Kreislauf-Probleme
- Schwindel und Ohnmacht beim Aufstehen
- Probleme mit der Verdauung (Verstopfung, Durchfall)
- Inkontinenz oder Schwierigkeiten, die Blase zu leeren
- Erektionsprobleme
- Heftiges Schwitzen
- Sehstörungen
Circa die Hälfte der Erkrankten hat zwar keine Beschwerden, es kann aber trotzdem zu gesundheitlichen Komplikationen kommen.
Verlauf und Stadien der diabetischen Polyneuropathie
Der Verlauf einer diabetischen Polyneuropathie ist individuell unterschiedlich und hängt stark von der Blutzuckereinstellung, Begleiterkrankungen und dem Lebensstil ab, denn auch Rauchen, ungesunde Ernährung und Bewegungsmangel erhöhen das Risiko für Folgeerkrankungen. Eine konsequente Therapie kann das Fortschreiten der Erkrankung jedoch deutlich verlangsamen und sogar zum Stillstand bringen.
Menschen mit diabetischer Polyneuropathie bemerken in der Anfangsphase meist nur leichte Missempfindungen wie Kribbeln oder Taubheitsgefühle in den Füßen. Im weiteren Verlauf können Schmerzen, Muskelschwäche oder eine eingeschränkte Beweglichkeit hinzukommen. In vielen Fällen verstärken sich die Schmerzen in nächtlichen Ruhephasen.
Lesen Sie auch: Therapieansätze bei diabetischer Polyneuropathie
Aufgrund der Taubheitsgefühle und Muskelschwäche in den Füßen haben Betroffene oft auch Probleme beim Gehen, besonders bei Dunkelheit, viele stürzen häufiger. Die Empfindung für Temperatur, Berührung oder Schmerz an den Füßen kann stark nachlassen - was das Risiko für Verletzungen und Druckgeschwüre erhöht. Bei einer gestörten Schmerzwahrnehmung spüren die Betroffenen oft Wunden oder Blasen an den Füßen schlechter oder gar nicht. Bleiben diese Verletzungen unbehandelt, kann es zu Infektionen kommen, die schwer abheilen und chronisch werden können. Ungefähr ein Drittel aller Diabetikerinnen und Diabetiker leidet unter diesem sogenannten diabetischen Fußsyndrom, bei dem im schlimmsten (aber seltenen) Fall sogar eine Amputation erforderlich ist.
Wegen der schwächer werdenden Muskeln fehlt den Gliedmaßen der Halt und es kann zu Fehlstellungen, beispielsweise des Fußgewölbes, kommen. Da Betroffene auch diese Fehlstellungen nicht als schmerzhaft empfinden, sind bei dauerhaft falscher Belastung des Fußes oft unbemerkte Stressfrakturen, auch Ermüdungsbrüche genannt, die Folge.
Wegen der Beschwerden und der eingeschränkten Lebensqualität leiden Betroffene als indirekte Folge oft auch an Depressionen und Gewichtsverlust.
Man unterscheidet verschiedene Verlaufsformen der sensomotorischen diabetischen Neuropathie.
- Stadium 1: Keine Beschwerden, aber eingeschränkte Oberflächenqualitäten (z. B. Vibrationsempfinden, Wärme- und Kälteempfindungen). Die klinische neurologische Untersuchung ist unauffällig. Allerdings ist die Nervenleitgeschwindigkeit (gemessen mittels Elektroneurographie) pathologisch verlangsamt.
- Stadium 2: Akute Schmerzerlebnisse mit plötzlich einschießenden Schmerzen in den Beinen, am Körperstamm oder im Gesicht können im weiteren Verlauf der diabetischen Neuropathie auftreten. Langanhaltenden Beschwerden wie Brennen, Kribbeln in den Beinen (Parästhesien), einschießende oder stechende Schmerzen kommt bei der diabetischen Neuropathie sehr häufig vor. Besonders in Ruhephasen (nachts zunehmend)treten diese Symptome auf. Bei der klinischen Untersuchung werden Empfindungsstörungen unterschiedlicher Qualität und Ausprägung, sowie abgeschwächte Muskeleigenreflexe (z. B. Achillessehnenreflex, Patellarsehnenreflex) festgestellt.
- Stadium 3: Schreiten die Schäden an den Nerven weiter fort, etwa durch einen schlecht eingestellten Blutzucker, so kommt es schließlich zum Untergang der Schmerzfasern in den Nerven und zum kompletten Gefühlsverlust. Reflexe sind zunehmend schwerer auszulösen.
- Stadium 4: Zum Untergang von Muskelzellen (Atrophie der Muskulatur) kommt es im weiteren Verlauf der diabetischen Neuropathie vor und ist mit Schmerzen und Lähmungserscheinungen verbunden. Meist sind davon Oberschenkel- und Beckenmuskulatur betroffen. Zu den Langzeitkomplikationen der diabetischen Neuropathie zählen der diabetische Fuß mit Druckgeschwüren, die sich infizieren können und sehr schlecht abheilen und ein durch den Untergang der Muskulatur und der Blutversorgung hervorgerufener Befall der Knochen und Gelenke, besonders an den Beinen und Füßen. Diese führen nicht selten zur Amputation der entsprechenden Gliedmaßen.
Diagnose der diabetischen Polyneuropathie
Je früher eine diabetische Polyneuropathie erkannt wird, desto besser kann man einen schweren Verlauf vermeiden. Der Hausarzt oder die Hausärztin ist in der Regel die erste Anlaufstelle, wenn Beschwerden neu auftreten. Bei Auffälligkeiten erfolgt eine Überweisung an eine Praxis für Neurologie oder Diabetologie.
Lesen Sie auch: Symptome & Behandlung
Für Menschen mit einem diagnostizierten Diabetes ohne bekannte Folge- oder Begleiterkrankungen sind regelmäßige Kontrolluntersuchungen vorgesehen. Diese erfolgen alle ein bis zwei Jahre, bei erhöhtem Risiko jährlich oder auch öfter. Die Ärztin oder der Arzt untersucht auf mögliche Symptome einer diabetischen Polyneuropathie und fragt nach typischen Beschwerden. Er oder sie fragt auch gezielt nach solchen Krankheitszeichen, die Patientinnen oder Patienten vielleicht aus Scham nicht selbstständig erwähnen würden, beispielsweise Inkontinenz oder Erektionsstörungen.
Bei konkretem Verdacht auf diabetische Polyneuropathie erfolgt die Diagnose in der Regel durch eine gründliche klinische Untersuchung. Zu den möglichen Methoden gehören:
- Untersuchung beider Beine und Füße
- Test der Berührungsempfindlichkeit (zum Beispiel mit einem Nylonfaden)
- Vibrationswahrnehmung mit einer Stimmgabel
- Test des Temperatur- und Schmerzempfindens
- Reflexprüfung der Achillessehne
- Messung der Nervenleitgeschwindigkeit
- EKG (Elektrokardiogramm) zur Messung der elektrischen Herzströme
- Ultraschalluntersuchung der Harnblase
- Blutuntersuchungen zum Ausschluss anderer Krankheiten
Da eine diabetische Neuropathie keineswegs eine Spätkomplikation des Diabetes mellitus ist, sollte das Screening frühzeitig erfolgen. Zum Zeitpunkt der Diabetesdiagnose besteht bei einigen Typ-2-Diabetes-Patient:innen schon jahrelang eine Hyperglykämie und/oder gestörte Glukosetoleranz. Daher kann eine diabetische Neuropathie bereits zum Zeitpunkt der Diabetesdiagnose präsent sein. In einer Studie wurde bei jeder vierten älteren Person mit Prädiabetes eine diabetische Neuropathie (DSPN) nachgewiesen.
Zum Screening auf DSPN gehören eine Anamnese, Inspektion und klinische Untersuchung der Füße, Erfassung der neuropathischen Symptome und Defizite sowie einfache neurologische Tests. Als einfaches Screeningtool zur Erstabklärung neuropathischer Schmerzen wird im Konsensuspapier der DN4-Fragebogen (Douleur Neuropathique en 4 Questions) empfohlen. Neuropathische Schmerzen nehmen typischerweise während der Nacht zu und können sowohl den Schlaf als auch die Tagesaktivitäten beeinträchtigen. Zur Beurteilung der Intensität neuropathischer Schmerzen kann die numerische 11-Punkt-Likert-Skala oder eine visuelle Analogskala eingesetzt werden.
Als Minimalkriterium für die Diagnose einer DSPN in der klinischen Praxis einigte sich die Expertengruppe auf den Nachweis einer beidseitigen Verschlechterung des Vibrationsempfindens der unteren Extremitäten, z. B. beurteilt mit der RydelSeiffer-Stimmgabel (große Nervenfasern), und/oder des Schmerzempfindens (kleine Nervenfasern). Empfohlen wird die Messung des Vibrationsempfindens dorsal auf der Großzehe. Für die Beurteilung des Druck- und Berührungsempfindens wird ein Test mit dem 10 g Monofilament empfohlen, alternativ kann z. B. ein Q-Tip verwendet werden. Ein auffälliger Test auf dem Rücken der Großzehe liefert Hinweise für eine DSPN, ein auffälliges Ergebnis an der Fußsohle weist zudem auf ein erhöhtes Risiko einer Fußulzeration hin. Zur Beurteilung der Funktion der kleinen Nervenfasern werden primär Testungen des Schmerzempfindens des Fußes (mit NeurotipsTM/Neuropen®, Pinprick oder Ähnlichem) sowie des Temperaturempfindens (mit Tip Therm®, einer kalten Stimmgabel oder Ähnlichem) empfohlen. Wer über entsprechende Geräte verfügt, kann zusätzlich zur Beurteilung der autonomen Nervenfunktion die Schweißproduktion oder die elektrochemische Leitfähigkeit der Haut messen.
Zur Erfassung einer KAN sind laut Praxisempfehlungen der DDG mindestens zwei autonome Reflextests erforderlich: die Herzfrequenzvariabilität sowie der Orthostase-Test. Bei allen Patient:innen mit pathologischen Testergebnissen, auffälligen anamnestischen Befunden oder klinischen Symptomen werden weiterführende Untersuchungen empfohlen. Ergibt sich kein Verdacht auf eine Neuropathie, sollte das Screening einmal jährlich wiederholt werden. Die diabetische Neuropathie ist eine Ausschlussdiagnose, da es sich um eine Schädigung der peripheren Nerven handelt, die infolge eines Diabetes mellitus ohne andere Ursachen auftritt. Aber: Nicht jede Neuropathie bei Diabetespatient:innen ist zwingend eine diabetische Neuropathie. Bei vielen Diabetiker:innen mit Nervenfunktionsstörungen liegt eine gemischte Pathogenese vor, z. B. mit einem Vitamin-B1-Mangel, der bei Diabetespatient:innen aufgrund der erhöhten Ausscheidung von Vitamin B1 im Urin ebenfalls häufig ist. In einer retrospektiven Studie bei 103 Diabetiker:innen mit DSPN wurden bei mehr als der Hälfte zusätzliche Neuropathie-Ursachen gefunden, am häufigsten Nieren- und chronische Darmerkrankungen.
Therapie der diabetischen Polyneuropathie
Wichtig ist, ein Fortschreiten der diabetischen Polyneuropathie zu verhindern. Ein optimal eingestellter Blutzucker durch sogenannte Antidiabetika oder Insulin kann helfen, weitere neurologische Schäden zu vermeiden. Bluthochdruck, Übergewicht und Störungen im Fettstoffwechsel sind ebenfalls Risikofaktoren für Folgeerkrankungen bei Diabetes. Deswegen sprechen die Ärztinnen und Ärzte mit den Betroffenen auch über ihren Lebensstil, wie etwa Ernährung, Alkoholkonsum oder Bewegungsgewohnheiten.
Die wichtigsten Ziele der Therapie sind die Linderung der oft stark lebensqualitätsmindernden Symptome, die Zurückbildung der Nervenschäden bzw. zumindest das Aufhalten der Progression der Erkrankung sowie die Prävention eines diabetischen Fußsyndroms. Da die Pathomechanismen einer diabetischen Neuropathie komplex sind, ist eine multifaktorielle Therapie notwendig. Ist die Intervention nicht erfolgreich, schreitet eine DSPN fort. Zu den wichtigsten Risikofaktoren für eine DSPN zählen neben Diabetesdauer die Ausprägung der Hyperglykämie, arterielle Hypertonie und Hyperlipidämie.
Die Therapie sollte auf drei Säulen ruhen:
- Kausale Behandlung: Optimierung der Blutzuckereinstellung. Es gibt großen Konsens, dass sowohl bei Typ-1- als auch Typ-2-Diabetiker:innen die Blutzuckerkontrolle optimiert werden sollte, um einer DSPN vorzubeugen bzw. die Progression einer bereits bestehenden DSPN zu verlangsamen. Gute Evidenz dafür gibt es bisher aber nur bei Typ-1-Diabetiker:innen. In der DCCT-Studie wurde durch eine intensivierte Insulintherapie das Auftreten einer DSPN um 69 % (p=0,006) nach fünf Jahren im Vergleich zur Kontrollgruppe reduziert. Die Progression der DSPN konnte um 57 % gebremst werden. Bei Typ-2-Diabetiker:innen schützt eine intensivierte Diabetestherapie nach bisherigen Studien weniger eindeutig vor einer Neuropathie, umso wichtiger scheint eine multifaktorielle Lebensstilintervention zu sein. In der Look AHEAD-Studie konnte eine mehrjährige Lebensstilintervention bei Typ-2-Diabetiker:innen mit einer Reduktion neuropathischer Symptome assoziiert werden. In einer weiteren Studie bei Personen mit gestörter Glukosetoleranz und Neuropathie konnte nach einjähriger Lebensstilintervention mittels Hautbiopsie eine Zunahme der Nervenfaserdichte nachgewiesen werden.
- Pathogenetisch orientierte Pharmakotherapie: Einsatz von Medikamenten, die in die komplexen Stoffwechselwege eingreifen, die durch Hyperglykämien aktiviert werden. Für die klinische Anwendung stehen in Deutschland das Antioxidans Alpha-Liponsäure (ALA) und das fettlösliche Benfotiamin, ein Vitamin-B1-Prodrug, zur Verfügung. Beide Substanzen konnten in klinischen Studien Symptome der DSPN verbessern und haben auch in der Langzeittherapie ein gutes Sicherheitsprofil. Benfotiamin, das circa 5-fach höher bioverfügbar als herkömmliches Thiamin ist, kann den bei Diabetiker:innen häufigen Vitamin-B1-Mangel ausgleichen und so pathogene Stoffwechselwege hemmen. In einer sechs-wöchigen placebokontrollierten Studie bei 165 Patient:innen mit DSPN wurde mit hochdosiertem Benfotiamin (600 mg täglich) in der Per-Protokoll-Analyse der Neuropathie-Symptomen-Score signifikant verringert. Die Effekte waren bei hochdosierter Therapie ausgeprägter als bei einer niedrigeren Dosis (300 mg täglich) und nahmen mit zunehmender Studiendauer zu. Ähnliche Ergebnisse wurden in einer weiteren placebokontrollierten Studie über drei Wochen bei insgesamt 40 Diabetiker:innen mit DSPN erzielt, die mit täglich 400 mg Benfotiamin behandelt wurden. In einer weiteren Studie mit einer Behandlungszeit von bis zu zwölf Monaten (600 mg/Tag über drei Monate, gefolgt von 300 mg/Tag) wurde eine kontinuierliche Verringerung neuropathischer Symptome beobachtet. Mit ALA, intravenös oder oral verabreicht, können sowohl neurologische Symptome als auch Defizite verbessert werden. Für eine i.v. Therapie über drei Wochen wurde dies in einer Metaanalyse mit insgesamt 1.258 Personen mit DSPN belegt, für die orale Therapie (600 mg, 1.200 mg oder 1.800 mg/Tag) in einer fünfwöchigen Studie. Die pathogenetisch orientierte Pharmakotherapie, zusätzlich zu Lebensstilinterventionen und Optimierung der Blutzuckereinstellung, wird bei Patient:innen mit asymptomatischer DSPN, mit symptomatischer nichtschmerzhafter DSPN und bei schmerzhafter DSPN empfohlen und sollte bei Patient:innen mit ausgeprägten neuropathischen Schmerzen durch eine symptomatische Behandlung ergänzt werden.
- Symptomatische Therapie: Linderung der Beschwerden wie Schmerzen, Kribbeln oder Taubheit. Medikamente zur Behandlung neuropathischer Schmerzen - Antidepressiva, Antikonvulsiva, Opioide, Capsaicin-Pflaster - werden zum Teil unterschiedlich bewertet. Abhängig von der Intensität der Schmerzen und vom individuellen Risikoprofil der Patient:in sollte das am besten geeignete Medikament ausgewählt werden. Im Expertenkonsensus werden als Analgetika der ersten Wahl die Antikonvulsiva Gabapentin und Pregabalin und die Antidepressiva Duloxetin und Amitriptylin genannt; als Medikamente der zweiten Wahl werden Tramadol und der dritten Wahl stärkere Opioide empfohlen. Zusätzlich können topische Analgetika wie Capsaicin-Salbe oder -Pflaster (dritte Wahl) eingesetzt werden. Mit jeder Monotherapie wird laut klinischen Studien nur eine Ansprechrate von maximal 50 % erreicht. Deshalb ist häufig eine Kombination mehrerer Analgetika erforderlich, wobei sorgfältig auf das Risiko für Arzneimittelinteraktionen geachtet werden sollte. Eine ungenügende Wirksamkeit der Schmerztherapie sollte erst nach zwei- bis vierwöchiger Behandlungsdauer in adäquater Dosis festgestellt werden. Auch nichtpharmakologische Optionen, wie psychologische Unterstützung, Physiotherapie, transkutane, elektrische Nervenstimulation und Akupunktur, sollten trotz der relativ geringen Evidenzlage in Betracht gezogen werden, so die Empfehlung des Expertengremiums. Gedacht werden sollte bei Diabetiker:innen außerdem an häufige Mangelerscheinungen wie Vitamin-B12- oder Magnesiummangel, die ggf. ausgeglichen werden sollten. Es gibt Hinweise dafür, dass durch eine Vitamin-B12- bzw. Magnesiumsubstitution Symptome einer DSPN verringert werden können. So zeigte sich in einer aktuellen placebokontrollierten klinischen Studie, dass bei Typ-2-Diabetes-Patient:innen mit DSPN und leicht erniedrigten Vitamin-B12-Spiegeln durch eine hochdosierte orale Vitamin-B12-Supplementation (1.000 g/d) die neurophysiologischen Parameter und der Schmerz-Score gegenüber der Kontrollgruppe signifikant gebessert werden konnten.
Eine Behandlung mit Medikamenten kann bei verschiedenen Beschwerden wie Kribbeln, Schmerzen oder Taubheit die Symptome in den Füßen verringern. Bei Schmerzen kommen oft Medikamente zum Einsatz, die auch bei Depressionen und Epilepsie genutzt werden. Diese verhindern, dass der Schmerzreiz an das Gehirn weitergeleitet wird. Physio- und Bewegungstherapien fördern die Durchblutung, stärken die Muskeln und können helfen, Stürzen vorzubeugen.
Bei Schmerzen dient eine Therapie nicht allein der Schmerzlinderung, sondern auch der Verbesserung der allgemeinen Lebensqualität durch besseren Schlaf und bessere Beweglichkeit.
Neben diesen symptomatischen Therapien gibt es auch Ansätze, die Nervenschäden verursachenden Mechanismen durch Medikamente zu beeinflussen. Alpha-Liponsäure, ein frei verkäufliches und gut verträgliches Medikament, zeigte in diversen Studien einen günstigen Einfluss auf die Nervenfunktion und Symptome der peripheren diabetischen Polyneuropathie. Einige Studien berichten von einer recht früh eintretenden Verbesserung. Laut einer anderen Studie ist eher von einem langfristigen günstigen Effekt auszugehen. Der individuelle Behandlungserfolg ist deshalb weniger leicht feststellbar.
Ebenso wird vermutet, dass Benfotiamin, eine Vorstufe von Vitamin B1, günstige Effekte auf diese Mechanismen ausübt, die vermutlich an der Entstehung diabetischer Nervenschäden beteiligt sind. Es wird bereits bei nicht diabetischen Polyneuropathien eingesetzt. Bei diabetischen Nervenschäden gibt es bisher nur wenige Studien, die einen günstigen Einfluss nach mehreren Wochen Einnahme belegen. Da Benfotiamin und Alpha-Liponsäure beide in Apotheken frei verkäuflich sind, werden diese in Deutschland nicht von den Krankenkassen bezahlt.
Neben regelmäßig einzunehmenden Medikamenten gibt es noch weitere Behandlungsansätze. Manchen Betroffenen hilft eine Psychotherapie, die durch chronische Missempfindungen oder Bewegungseinschränkungen eingeschränkte Lebensqualität zu verbessern. Eventuell kann eine elektrische Stimulation mit speziellen Geräten die Beschwerden lindern. Fachleute nennen diese Behandlung TENS (Transkutane elektrische Nervenstimulation). Bei schwer zu behandelnden neuropathischen Schmerzen kann auch die lokale Anwendung von Capsaicin-Pflastern ausprobiert werden. Capsaicin wird aus Chili-Schoten gewonnen und ist dafür verantwortlich, dass wir deren Geschmack als scharf wahrnehmen. Bei Muskelschwäche, Bewegungsstörungen oder Lähmungen hilft regelmäßige Krankengymnastik oder Physiotherapie. Sehr wichtig ist es, ein bestimmtes Grundmaß an körperlicher Aktivität aufrechtzuerhalten, da sonst Bewegungsabläufe vom Körper verlernt und Muskeln übermäßig abgebaut werden.
Was Patientinnen und Patienten selbst tun können
- Regelmäßige Blutzuckerkontrollen und ärztliche Check-ups
- Strikte Einhaltung der Diabetestherapie
- Gesunde Ernährung und ausreichend Bewegung
- Rauchstopp und Verzicht auf Alkohol
- Tägliche Kontrolle der Füße auf Verletzungen, etwa mit einem Spiegel
- Gutsitzendes, bequemes Schuhwerk tragen
- Tragen von komfortablen, nicht zu engen Schuhen. Bei Bedarf sind die Patient:innen mit Diabetesschutzschuhen mit Weichpolstersohle, ggf.
Menschen, die durch die Polyneuropathie ein eingeschränktes Berührungs- und Schmerzempfinden in den Füßen haben, sollten auf jeden Fall ihre Füße und Schuhe häufig auf Druck- und Scheuerstellen kontrollieren.
Regelmäßige Kontrolluntersuchungen
Wichtig ist darüber hinaus die regelmäßige Kontrolle der Symptome einer diabetischen Polyneuropathie. Je nachdem, wie weit die Erkrankung vorangeschritten ist, sind Kontrolluntersuchungen im Abstand von drei Monaten bis zu einem Jahr vorgesehen. Bei allen Patient:innen mit diabetischer Neuropathie sollten, abhängig von der individuellen Krankheitssituation, zumindest halbjährliche Verlaufskontrollen erfolgen. Liegen zusätzlich eine pAVK und/oder Fußdeformitäten vor, werden alle drei Monate Kontrollen empfohlen. Während der COVID-19-Pandemie gewinnen laut Expertenkonsensus auch telemedizinische Arzt-Patienten-Kontakte an Bedeutung, die z. B.
Prävention
Bis zu 50% der Menschen mit Diabetes haben eine Neuropathie. Damit ist diese die häufigste diabetesassoziierte Folgeerkrankung. Um weitere Probleme wie das diabetische Fussulkus, den Charcot-Fuss oder eine Amputation zu vermeiden, spielt die Prävention eine grosse Rolle. Gefordert sind vor allem die Grundversorger:innen.
tags: #diabetische #neuropathie #verlauf #stadien