Die Darm-Hirn-Achse: Definition, Funktion und Bedeutung für die Gesundheit

Lange Zeit wurde der Darm lediglich als Verdauungsschlauch betrachtet, ohne weitere Bedeutung für den Organismus. Heute wissen wir jedoch, dass dieses Organ massiv unterschätzt wurde. Der Darm ist nicht nur für die Verarbeitung von etwa 30 Tonnen Nahrung im Laufe unseres Lebens zuständig, sondern schützt uns auch vor Krankheiten. Die Darm-Hirn-Achse, wissenschaftlich genauer als Bauch-Hirn-Achse bezeichnet, beschreibt die enge Verbindung und den intensiven Informationsaustausch zwischen Darm und Gehirn, und zwar in beiden Richtungen. Sowohl der Darm als auch das Gehirn sind lebenswichtige Organe. Damit unser Organismus gut funktioniert und wir uns gesund und wohl fühlen, müssen die Aktivitäten von Darm und Gehirn gut aufeinander abgestimmt sein. Probleme in einem der Organe können daher oft auch das jeweils andere Organ betreffen.

Was ist die Darm-Hirn-Achse?

Die Darm-Hirn-Achse ist die Verbindung zwischen Darm und Gehirn. Beide Organe existieren nicht isoliert voneinander, sondern tauschen sich direkt miteinander aus. Möglich macht das der sogenannte Vagusnerv. Die Darm-Hirn-Achse nutzt diesen Hirnnerv, der vom Bauchraum bis hin zum Hirnstamm reicht, um ihre wichtigen Botschaften zu übermitteln. Der Darm nimmt eine Schlüsselrolle bei der Kommunikation im Körper ein. Dies zeigt ein Blick auf die neuronalen Fähigkeiten. Allein im Darm befinden sich 100 Millionen Nervenzellen, die das sogenannte enterische Nervensystem bilden. Daher trägt der Verdauungstrakt auch den Namen „zweites Gehirn“ oder „Bauchhirn“. Diese Nervenzellen ermöglichen gemeinsam mit dem Vagusnerv die Kommunikation zwischen dem zentralen Nervensystem und dem Magen-Darm-Trakt.

Der Darm besteht aus Millionen kleinster Mikroorganismen, den Darmbakterien, die gemeinsam das Mikrobiom bilden. Diese Darmbakterien regen die Darmschleimhaut zur Produktion von Hormonen und Neurotransmittern wie Serotonin an, welches erstaunlicherweise zu einem wesentlichen Teil im Darm produziert wird. Serotonin und andere Signalstoffe werden dann über die Darm-Hirn-Achse an das zentrale Nervensystem (ZNS) weitergegeben, welches aus dem Gehirn und dem Rückenmark besteht.

Die neuronale Verbindung: Der Vagusnerv

Der Vagusnerv, der zehnte von zwölf Hirnnerven, erstreckt sich vom Gehirn bis in den Darm und stellt so eine direkte neuronale Verbindung zwischen den beiden Organen her. Es wird angenommen, dass sich hier die Darm-Hirn-Achse befindet, auf der die beiden - erstaunlich ähnlich funktionierenden - Organe kommunizieren. Damit sie sich verständigen können, senden Darm und Gehirn Signale mithilfe der Neurotransmitter, die beide Organe kennen und verarbeiten können. Darunter fallen die „Glückshormone“ Serotonin und Dopamin sowie der Botenstoff GABA (Gamma-Aminobuttersäure), der eine beruhigende Wirkung auf die Nerven hat.

Die Rolle des Mikrobioms

Neben dem ENS spielt das Darmmikrobiom - also die Gemeinschaft der im Darm lebenden Mikroorganismen - eine Schlüsselrolle in der Darm-Hirn-Achse. Bakterien, Viren und Pilze, die im Darm wohnen, sind für weitaus mehr zuständig als nur für die Verdauung von Nahrung. Sie produzieren Vitamine, unterstützen das Immunsystem und bilden Botenstoffe, die direkt oder indirekt das Gehirn erreichen können. Wenn es dem Mikrobiom gut geht, profitiert in der Regel der gesamte Organismus.

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Mikroorganismen befinden sich überall im Gastrointestinaltrakt, wobei ihre Anzahl vom Mund bis zum Dickdarm zunimmt. Ihre Zusammensetzung ist allerdings sehr variabel und interindividuell. Die Forschung dazu ist extrem komplex, und es ist aktuell nicht genau bekannt, was als „normales“ Mikrobiom zu bezeichnen ist. Dies macht die Bewertung der Studienergebnisse so schwer. Es ist zudem aktuell zu wenig über die Auswirkungen einer Veränderung des Mikrobioms bekannt. Es müsste mehr quantifiziert werden, was einen gesunden Darm ausmacht. Die technischen Möglichkeiten verbessern sich gerade erst nach und nach.

Wie funktioniert der Austausch über die Darm-Hirn-Achse?

Der Darm besteht aus Millionen kleinster Mikroorganismen - den Darmbakterien - die gemeinsam das Mikrobiom bilden. Diese Darmbakterien regen die Darmschleimhaut zur Produktion von Hormonen und Neurotransmittern wie Serotonin an, welches erstaunlicherweise zu einem wesentlichen Teil im Darm produziert wird. Serotonin und andere Signalstoffe werden dann über die Darm-Hirn-Achse an das zentrale Nervensystem (ZNS) weitergegeben.

Im Wesentlichen gibt es zwei Wege des Austauschs:

  1. Der Nervus vagus: Der Gastrointestinaltrakt und das Gehirn sind über den Nervus vagus miteinander verknüpft. Dieser zieht durch den halben Körper und bringt viele Fasern aus dem Magen-Darm-Trakt mit. Im Hirnstamm werden Hirnnervenkerne aktiviert, die einerseits den Gastrointestinaltrakt regulieren, andererseits aber mit Hirnregionen zusammenarbeiten, die für Emotionen, Erfahrungen oder auch Stress zuständig sind.
  2. Das Mikrobiom: Das Mikrobiom verstoffwechselt Nährstoffe zu „Botenstoffen“, die einerseits vor Ort Nervenfasern erregen, andererseits aber auch in die Blutbahn abgegeben werden können.

Die Bedeutung der Darm-Hirn-Achse für die Gesundheit

Die Darm-Hirn-Achse spielt eine wesentliche Rolle bei der Entstehung oder dem Verlauf verschiedener Krankheiten:

  • Psychische Erkrankungen: Ernährung ist eng mit der Entstehung und Aufrechterhaltung von psychischen Erkrankungen verknüpft und beeinflusst das Mikrobiom maßgeblich. Die Mikrobiota-Darm-Gehirn-Achse ist ein bidirektionales Kommunikationssystem und fungiert als essenzielles Bindeglied zwischen Körper und Psyche. Eine moderne, ganzheitliche psychiatrische Diagnostik und Therapie sollten zukünftig systemisch wirksame Interventionen, welche auf die Darm-Gehirn-Achse abzielen (Ernährungstherapie, Psychobiotika und FMT), miteinschließen.
  • Reizdarmsyndrom: Das Reizdarmsyndrom ist gekennzeichnet durch chronische Verdauungsbeschwerden wie Durchfall, Verstopfung, Blähungen oder Schmerzen. Viele Betroffene berichten zudem von Angstgefühlen, Depressionen oder allgemeiner Erschöpfung. Aktuelle Forschungsergebnisse legen nahe, dass Veränderungen im Mikrobiom und eine gestörte Darm-Hirn-Kommunikation eine große Rolle spielen.
  • Depressionen: Lange Zeit wurde Depression ausschließlich als hirnzentrierte Erkrankung betrachtet. Mittlerweile ist klar, dass das Darmmikrobiom und Entzündungsprozesse erheblich zur Entwicklung dieser Krankheit beitragen können. Eine gestörte Darm-Hirn-Achse kann dazu führen, dass weniger Serotonin und andere positive Botenstoffe verfügbar sind.
  • Neurologische Erkrankungen: Erkrankungen wie Parkinson oder Alzheimer werden oft mit Entzündungsprozessen im Gehirn in Verbindung gebracht. Erste Forschungsergebnisse zeigen, dass auch das Darmmikrobiom bei der Entstehung solcher Erkrankungen eine Rolle spielen kann, etwa durch chronische systemische Entzündungen oder durch die Bildung bestimmter proteinartiger Ablagerungen, die vom Darm ins Gehirn gelangen können.

Wie Darm, Gehirn und Gesundheit zusammenhängen

Fit im Darm, fit im Kopf - hinter diesem Satz steckt viel Wahrheit. Dadurch, dass der Darm in der Lage ist, über die Darm-Hirn-Achse unser Gemüt zu beeinflussen, ist er nicht nur an der körperlichen Gesundheit beteiligt. Dass ein gesunder Darm wichtig ist, um die Verdauung zu regulieren und Beschwerden wie Verstopfung oder Verdauungsschmerzen zu vermeiden, ist allgemein bekannt. Doch auch zur psychischen Gesundheit kann der Darm durch das Senden von Botenstoffen über die Darm-Hirn-Achse beitragen. Tatsächlich ist die Gesundheit und Funktion der Darmflora für die Hirngesundheit wichtig, denn sie beheimatet ca. 70 % unserer Immunzellen. Einige dieser Immunzellen sind für die Kommunikation von Darm und Gehirn notwendig. Ist das Immunsystem geschwächt, kann also auch die kognitive und Gedächtnisleistung darunter leiden.

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Wie kann man die Darm-Hirn-Achse positiv beeinflussen?

Glücklicherweise hat man es zu einem großen Teil selbst in der Hand, ob der Darm und das Gehirn harmonisch miteinander kooperieren.

  • Ernährung: Eine bewährte Strategie ist der regelmäßige Verzehr von probiotischen und präbiotischen Lebensmitteln.
    • Probiotika sind Lebensmittel, die lebende Mikroorganismen (meist Bakterien) enthalten, die die Darmflora unterstützen. Dazu gehören fermentierte Produkte wie Joghurt, Kefir, Sauerkraut oder Kombucha. Ein Probiotikum, dessen Dosierung eine tatsächlich durch Studien belegte Wirksamkeit bei verschiedenen Krankheitsbildern hat, wird als evidenzbasiert bezeichnet (auch: Innobioticum).
    • Präbiotika sind Ballaststoffe, die als „Nahrung“ für die Darmbakterien dienen. Zu finden sind sie unter anderem in Haferflocken, Leinsamen, Zwiebeln, Lauch, Knoblauch oder Chicorée.
  • Stressmanagement: Da Stress eine der Hauptursachen für eine gestörte Darm-Hirn-Achse ist, lohnt es sich, Entspannungstechniken in den Alltag einzubauen. Meditation, Yoga, autogenes Training oder einfach ein ausgedehnter Spaziergang in der Natur wirken oft Wunder. Schon wenige Minuten pro Tag können helfen, das Stresslevel zu senken und damit auch den Darm zu entlasten. Der Vagusnerv lässt sich durch Atemübungen und Achtsamkeitspraktiken aktivieren, was die Herzfrequenzvariabilität erhöht und einen insgesamt resilienter gegenüber Stress macht.
  • Schlaf: Schlaf ist weit mehr als „Nichtstun“. In der Nacht finden zahlreiche Reparatur- und Regenerationsprozesse im Körper statt, die auch dem Verdauungstrakt nutzen. Eine regelmäßige Schlafroutine - also möglichst immer zur gleichen Zeit ins Bett zu gehen und aufzustehen - kann dabei helfen, den Biorhythmus zu stabilisieren.
  • Bewegung: Zu einer gesunden Lebensführung gehört neben ausgewogener Ernährung und Entspannung auch ausreichend Bewegung. Bereits 30 Minuten moderate Aktivität am Tag (wie zügiges Spazierengehen, Radfahren oder Schwimmen) können die Darmaktivität und damit die Mikrobiom-Gesundheit fördern.

Psychobiotika: Interventionen zur Modifizierung der Mikrobiota-Darm-Hirn-Achse

Alle Interventionen, die die Mikrobiota-Darm-Hirn-Achse modifizieren (wie z.B. Ernährungsmodifikation, spezifische Präbiotika [Ballaststoffe], Probiotika [lebende Darmbakterien], Antibiotika, Synbiotika [Mischung aus Prä- und Probiotika], Postbiotika [bakterielle Stoffwechselprodukte wie Butyrat] und fäkale Mikrobiota-Transplantation [FMT]), können als Psychobiotika betrachtet werden, da angenommen wird, dass sie die psychische Gesundheit durch ihre Mikrobiota-modifizierenden Eigenschaften verbessern. Kurzkettige Fettsäuren wie Butyrat stärken die Darmbarriere, beeinflussen die Serotoninfreisetzung und stimulieren den Vagusnerv, welcher als bedeutende neuronale Verbindung der Darm-Gehirn-Achse gilt. Das Wirkspektrum von Psychobiotika ist breit und erstreckt sich über mehrere pathophysiologische Prozesse wie z.B. auf epigenetische Modulation, Immunprozesse, Inflammation und Signaltransduktion.

Neurotransmitter und die Darm-Hirn-Achse

Manche Darmbakterien sind in der Lage, Neurotransmitter wie Serotonin, Dopamin oder GABA herzustellen.

  • Serotonin: Wenn man Serotonin hört, denkt man meist an Glück und Zufriedenheit. Etwa 90 Prozent des Serotonins in dem Körper werden jedoch im Darm gebildet, was einmal mehr die Relevanz der Darmgesundheit unterstreicht. Ein Mangel an Serotonin kann zu depressiver Verstimmung, Schlafproblemen und einem generellen Ungleichgewicht führen.
  • Dopamin: Dopamin ist der Neurotransmitter, der für Antrieb, Motivation und Belohnungsempfinden zuständig ist. Wenn man sich nach einer getanen Aufgabe gut fühlt, ist meistens Dopamin im Spiel. Bestimmte Darmbakterien können auch an der Dopaminproduktion beteiligt sein.
  • GABA (Gamma-Aminobuttersäure): GABA ist ein hemmender Neurotransmitter, der uns hilft, Stress und innere Unruhe zu dämpfen. Ein Mangel an GABA wird mit Angstzuständen und Schlafproblemen in Verbindung gebracht. Einige Studien deuten darauf hin, dass bestimmte probiotische Stämme die GABA-Konzentration beeinflussen können.

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