Die Nerven "Fake" LP Review: Eine schonungslose Auseinandersetzung mit der Realität

Die Nerven, eine Band, die sich in der deutschen Indierock-Szene einen Namen gemacht hat, veröffentlichten mit "Fake" ihr viertes Album. Es ist ein Werk, das sich mit den Verwirrungen und Unsicherheiten der modernen Welt auseinandersetzt und dabei musikalisch neue Wege geht. Das Album ist ein erschreckender Trip in die eigene Seele, der musikalisch so klar und perfektionistisch wie noch nie konzipiert ist und einen dabei gleichzeitig so verwirrt wie noch nie zurücklässt.

Ein Album zwischen Dissonanz und Katharsis

"Fake" thematisiert die Verwirrung zwischen Fake News und Lügenpresse, zwischen Wahrheit und Manipulation, zwischen Ehrlichkeit zu sich selbst und Realitätsverweigerung. Die Nerven waren immer schmerzhaft, weil sie Unbequemlichkeiten zum Vorschein brachten, boten damit aber gleichzeitig einen Katalysator für Selbstreflektion und Therapie. Indem sich das Trio in seinen Werken in eine krachende Dissonanz nach der nächsten stürzte und zwischen nölender Gleichgültigkeit und rohem Exzess umhertangierte, fand es immer den Geist der inneren Verstörtheit.

Der Opener „Neue Wellen“ ist ein düsterer Brocken von Song, in dem Max Rieger die wenigen Worte langzieht und ausspuckt wie versehentlich verschluckte faule Nüsse. Zwischen die Strophen setzt das Trio mitreißende Instrumental-Passagen voller Akkord- und Rhythmuswechsel. Die Platte "Fake" ist von solch durchdringender Intensität, dass es einem mitunter die Sprache verschlägt. Jedes Stück trägt diese entwaffnende Aufrichtigkeit, vertont in einer Mischung aus Postpunk und Hardcore. Diese Band spielt gegen die Welt an, gegen ihren und den eigenen Verfall. Mutig, hässlich und mit umwerfenden Songs. „Fake“ tut weh und gut zugleich. Es ist der Soundtrack zum Hier und Jetzt.

Musikalische Zerrissenheit als Spiegel der Gesellschaft

Musikalisch bewegt sich "Fake" zwischen Himmel und Hölle. Einerseits gibt es schmerzhafte Scharfkanten-Tracks wie „Frei“ oder „Skandinavisches Design“, die mit ihren grummeligen Charakteristiken stärker an die alten Die-Nerven-Platten erinnern. Andererseits finden sich zunehmend psychedelische Momente, die an Max Riegers Nebenprojekt All Diese Gewalt erinnern. Gerade der Closer und Titeltrack weckt mit seiner minimalistischen Synthie-Grundlage und den säuselnd-repetitiven Vocals Assoziationen an die Electronic-Klanglandschaften von „Welt in Klammern“, aber auch Gitarren-lastigere Tracks wie „Neue Wellen“ oder „Explosionen“ befinden sich zunehmend in einer psychedelischen Schwebe und erschaffen so illusorische Scheinwelten.

In Perfektion geschieht das Wechselspiel zwischen Himmel und Hölle in „Dunst“, das zunächst zwischen zuckender Swans-Basslinie und rauschhafter Leichtigkeit changiert, schließlich aber in einer atemberaubenden Klimax ausbricht, die kaum merklich das Anfangsmotiv wieder aufgreift und so gleichzeitig raffiniert und gewaltig ist. Mit dieser musikalischen Zerrissenheit transportieren Die Nerven lyrische Botschaften, die mit ebenjenen Komplikationen der Identitätsfindung und der Suche nach Gewissheit in einer Gesellschaft voller Widersprüche selbst mit dem Chaos zu kämpfen hat.

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Lyrische Botschaften zwischen Nihilismus und Kapitulation

Auch textlich schlägt sich diese Zerrissenheit nieder. „Wo gehst du hin, wenn dich überall was stört?“, fragt „Niemals“, und liefert die nihilistische Antwort gleich im Refrain: „Finde niemals zu dir selbst.“ In „Alles falsch“ spricht die Verwirrung aus dem Protagonisten, der zwischen Selbsthass und der eigenen Beweihräucherung nicht die Mitte finden kann: „Ich mache alles falsch/Ich mache alles richtig/Wir machen alles falsch/Wir machen alles richtig.“

Im Closer gibt man sich dann fast wie in Trance doch geschlagen: „Her mit euren Lügen, her mit eurem Neid.“ Das Finale von „Fake“ ist trotz seiner musikalischen Konsonanz deswegen so überwältigend bitter, weil es die Kapitulation vor all den Problematiken darstellt, die es zuvor hervorgebracht hatte. So muss dieses Album uns Anlass geben, eine bessere Kehrtwende zu finden, damit wir nicht ähnlich erschüttert enden.

Produktion und Sound

Die Produktion von Ralv Milberg ist sehr transparent, räumlich und druckvoll, mit viel Platz für die Dynamik der Band, die von leisen, quasi akustischen Passagen binnen Sekunden zu ihrem Noiserock-Trademark beschleunigen kann, mit einem immer wieder faszinierenden Gitarrensound und brillantem Schlagzeugspiel. Die 80er-Ästhetik verleiht dem Trio eine unwirkliche Tiefe und Eigenheit.

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