Die Nerven, eine Band, die im deutschen Indie-Rock-Olymp angekommen ist, hat mit ihrem vierten Album "Fake" für Aufsehen gesorgt. Die Stuttgarter Band, die zuvor für ihren Neopunkrock-Sound bekannt war, perfektioniert ihren Sound auf "Fake" und liefert ein Album ab, das sowohl Kritiker als auch Fans polarisiert.
Von "Out" zu "Fake": Eine Entwicklung
Nach den ersten beiden Alben des Trios war ein Vergleich von Die Nerven mit Bands wie Bilderbuch weniger naheliegend. Auch "Out" von 2015 wurde durch die lässige Art und den unperfekten Sound eher als Neopunkrock-Album gefeiert. Mit "Fake" scheint die Band jedoch einen Schritt in Richtung eines saubereren, durchdachteren und abgeschlosseneren Sounds gemacht zu haben. In 12 Liedern schrammeln Gitarren, poltern Drums, schreien und flüstern die Stimmen zweier Sänger.
Textliche Abstraktion und Gesellschaftspolitik
Textlich bleiben Die Nerven weiterhin abstrakt. "Immer nur dagegen, aber gegen was?" aus "Frei" ist noch eine der konkreteren Fragen, die gestellt werden. Gesellschaftspolitische Themen werden immer wieder angerissen, ohne eine bestimmte Meinung mitzuteilen. Der Vergleich zu den Indierockgöttern Tocotronic wird nun schwer zu umgehen sein. Gerade poppigere Lieder wie das starke "Roter Samt" oder der Titeltrack erinnern an die Hamburger Band.
Kontinuität und Hass: Die Essenz von "Fake"
Die Nerven geben alles: Wut, Fragen, Verzweiflung und die schlechteste Stimmung der Welt. Das nennt man konzeptionelle Kontinuität. Dabei hätte alles schön sein können. Selbst die Sonne in der Toskana, wo das Album aufgenommen wurde, konnte Max Rieger nicht befrieden. "Fake" wäre nicht halb so direkt, nicht so ehrlich brutal und angepisst, wenn auch nur ein Milligramm weniger Hass in der Band brodeln würde. Im Klanggewand zwischen Blumfeld, Wire und Minutemen hetzen Julian Knoth, Kevin Kuhn und Rieger durch zwölf Postulate zum Stand der Dinge.
Die Bedeutung des Titels "Fake"
Dass sie ihrem vierten Album den überangestrengtesten Begriff des Jahrzehnts gegeben haben, kann dabei nur Methode haben. Weitere aufladbare oder leere Begriffe halten als Titel her: "Niemals", "Frei", "Dunst" oder "Skandinavisches Design" versprechen nichts, aber halten alles. In simpelster Form sind Die Nerven aufbegehrender Post-Punk und düsterer Artrock. Der teilweise klinisch satten Produktion von "Out" wurde für "Fake" eine 80er-Ästhetik vorgezogen, die dem Trio eine unwirkliche Tiefe und Eigenheit verleiht.
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Resignation und Wut: Eine ambivalente Stimmung
Resignation und hier und da ein bisschen Wut: "Fake" ist ein müdes Schulterzucken in Form eines Albums. Die Vorabsongs "Frei" und "Niemals" machten neugierig, wo zwischen prickelnder Empörung und melancholischer Hoffnungslosigkeit die Stuttgarter ihren Post-Punk diesmal aufspannen. Die Antwort ist ernüchternd: gar nicht. Spannung ist abgesehen von den brachialen Gitarren im besagten "Frei" ein Fremdwort für diese Platte.
Kritik an Struktur und Deutlichkeit
Wie ein Gartenschlauch, auf dem zu wenig Druck ist, plätschern einem die Songs seicht und nichtssagend um die Knöchel, statt einen mitzureißen. So leiert sich "Roter Sand" fast tot bei dem Versuch, von der Stelle zu kommen, und Textzeilen wie "weiß leider nicht, wohin genau" lösen sich plötzlich von ihrer wahrscheinlich wichtigen Botschaft und werden zur musikalischen Selbstparodie, die einen gar nicht zum textlichen Inhalt vordringen lässt. In Songs wie "Aufgeflogen" und "Skandinavisches Design" gibt es zwar rasende Noise-Gitarren, jedoch finden die keinen Anschluss, und bei näherer Betrachtung wüsste man auch gar nicht so recht, woran eigentlich. Es fehlt den zwölf Songs an Struktur und Deutlichkeit. Die textliche Redundanz, die in "Der Einzige" und "Kann’s nicht gestern sein" auf die Spitze getrieben wird, hilft da wenig und sorgt nur dafür, dass man Die Nerven entgegenschreien möchte, es schon nach den ersten der gefühlt 15 Wiederholungen zur Kenntnis genommen zu haben.
Live-Performance: Ein Kontrast zum Album?
Gibt es eigentlich noch einen Bericht, in dem nicht erwähnt wird, dass Die Nerven eine der besten Livebands Deutschlands sind? Sei diese Offensichtlichkeit für den Rest des Berichts redundant. Die Nerven sind live lautstark und präsent. "Fake" ist diskussionswürdig, reflektiert und spontan. Wer überhaupt nimmt sich heraus hier Maßstäbe zu setzen? Kevin Kuhn, der Flummi mit Haaren, ist um nichts verlegen und spielt mal was Geiles. Verlangt wird viel, gegeben wird mehr. Eine der besten Livebands Deutschlands? Kein Fake.
"Fake" als Spiegelbild der Realität
2017 wird der Begriff „Alternative Fakten“ zum Unwort des Jahres gekürt. Als deutsche Post-Punk-Könige standen Die Nerven vor allem deswegen immer an der Speerspitze ihrer Szene, weil ihr Sound so herrlich unangepasst war. Indem sich das Trio in seinen Werken in eine krachende Dissonanz nach der nächsten stürzte und zwischen nölender Gleichgültigkeit und rohem Exzess umhertangierte, fand es immer den Geist der inneren Verstörtheit, von dem man vielleicht noch nicht einmal selbst wusste, dass er in einem lebt. Die Nerven waren immer schmerzhaft, weil sie Unbequemlichkeiten zum Vorschein brachten, boten damit aber gleichzeitig einen Katalysator für Selbstreflektion und Therapie.
Die Thematik von "Fake": Verwirrung und Manipulation
Und nun spricht diese Band über einen Themenkomplex, der sich durch Unsicherheit definiert und damit eigentlich kaum gefasst werden kann. „Fake“ thematisiert die Verwirrung zwischen Fake News und Lügenpresse, zwischen Wahrheit und Manipulation, zwischen Ehrlichkeit zu sich selbst und Realitätsverweigerung. In erster Linie schlägt das im Sturm kreisende Pendel von „Fake“ vor allem in die Richtung einer Menge an Songs, die zunehmend an Frontmann Max Riegers mehr als großartiges Nebenprojekt All Diese Gewalt erinnern.
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Musikalische Zerrissenheit und lyrische Botschaften
Mit dieser musikalischen Zerrissenheit transportieren Die Nerven lyrische Botschaften, die mit ebenjenen Komplikationen der Identitätsfindung und der Suche nach Gewissheit in einer Gesellschaft voller Widersprüche selbst mit dem Chaos zu kämpfen hat. „Wo gehst du hin, wenn dich überall was stört?“, fragt „Niemals“, und liefert die nihilistische Antwort gleich im Refrain: „Finde niemals zu dir selbst.“ In „Alles falsch“ spricht die Verwirrung aus dem Protagonisten, der zwischen Selbsthass und der eigenen Beweihräucherung nicht die Mitte finden kann: „Ich mache alles falsch/Ich mache alles richtig/Wir machen alles falsch/Wir machen alles richtig.“
Kapitulation und Hoffnungslosigkeit im Finale
Im Closer gibt man sich dann fast wie in Trance doch geschlagen: „Her mit euren Lügen, her mit eurem Neid.“ Das Finale von „Fake“ ist trotz seiner musikalischen Konsonanz deswegen so überwältigend bitter, weil es die Kapitulation vor all den Problematiken darstellt, die es zuvor hervorgebracht hatte. So muss dieses Album uns Anlass geben, eine bessere Kehrtwende zu finden, damit wir nicht ähnlich erschüttert enden. Das vierte Album von Die Nerven ist gerade durch sein letztes Nachbeben ein erschreckender Trip in die eigene Seele, der musikalisch so klar und perfektionistisch wie noch nie konzipiert ist und einen dabei gleichzeitig so verwirrt wie noch nie zurücklässt.
Kreativer Abrieb und die Hinterfragung der Bandexistenz
Nachdem jeder, der es wissen wollte, lesen konnte, dass Die Nerven die am miesesten gelaunte Rockband Deutschlands sind, konnten Max Rieger (Gesang, Gitarre), Julian Knoth (Gesang, Bass) und Kevin Kuhn (Schlagzeug) ja kaum etwas Besseres tun, als den scheinbar eingeschlagenen Pfad zu hinterfragen. Oder gleich die Existenz der Band? Die Textzeile „Finde niemals zu dir selbst“ ist so etwas wie das Credo des neuen Albums FAKE. Wie sehr hat die Band der kalte Ekel definiert, aus dem heraus sie ihre musikalischen Meißelarbeiten produzierten?
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