Die deutsche Band Die Nerven hat sich einen Namen für ihre energiegeladenen Live-Auftritte und ihre einzigartige Mischung aus Noiserock, Postpunk und deutschen Texten gemacht. Dieser Artikel beleuchtet verschiedene Aspekte ihrer Konzerte, von der Setlist und der Performance bis hin zur Interaktion mit dem Publikum und der Einbeziehung von Support-Acts. Dabei werden sowohl Eindrücke von Konzerten als auch Analysen ihrer Musik und Texte berücksichtigt.
Annäherung an musikalische Titanen
Die Auseinandersetzung mit der Musik von Die Nerven kann eine Herausforderung darstellen, insbesondere wenn man sich gleichzeitig mit anderen musikalischen Größen wie den Einstürzenden Neubauten beschäftigt. Während das Frühwerk der Einstürzenden Neubauten in die musikalische Prägungsphase vieler fiel und ihre gewalttätigen Krachexperimente faszinierten, fanden Blixa Bargeld und seine Kollegen nicht immer einen festen Platz in der musikalischen Welt jedes Einzelnen. Erst Jahrzehnte später, mit dem Album „Alles in Allem“, näherte man sich ihrer Musik wieder an und besuchte ein Konzert im Rahmen der Ludwigsburger Schlossfestspiele.
Die Nerven als Vorband: Eine klinische Erfahrung
Die Nerven, bestehend aus Rieger, Knoth und Kuhn, betraten pünktlich um acht Uhr die Bühne und spielten ein ähnliches Set wie zuvor auf dem Maifeld Derby. Allerdings fand das Konzert hier unter ungewöhnlich klinischen Bedingungen statt. Die Luft war rein, die Sicht klar, und es gab keinen Nebel, um die Lichtshow zu unterstützen. Das Publikum saß fest auf seinen Plätzen. Der Sound war so klar, dass man sogar Verzerrungen aus Knoths Bassverstärker hören konnte. Als Kevin Kuhn das Publikum aufforderte, aufzustehen, kam etwas Bewegung in die Menge vor der Bühne. Die Intensität eines früheren Gigs in der Manufaktur konnte jedoch nicht erreicht werden, was aber vermutlich auch nicht beabsichtigt war, um dem Hauptact nicht die Show zu stehlen.
Einstürzende Neubauten: Ein getragener Chansonabend mit Performance-Charakter
Um neun Uhr betraten die Einstürzenden Neubauten die Bühne. Blixa Bargeld trug einen dezent glitzernden Nadelstreifen-Dreiteiler, raffiniertes Makeup und schulterlanges, offenes Haar. Der Abend begann getragen mit dem Song „Wedding“ vom aktuellen Album. Im Laufe des Abends wurden zehn Titel des Albums gespielt, während die restlichen acht Titel (mit einer Ausnahme) von Alben nach 2000 stammten. Während ein Neubauten-Frühwerk-Kenner dies enttäuscht als „alles nach ihrer relevanten Phase“ bezeichnete, gefiel das Dargebotene durchaus. Die Songs waren melodiös, eingängig und die Texte tiefgründig. Nach zehn Minuten ließ der sichtlich genervte Frontmann einen übereifrigen Fan vom Publikum entfernen. Danach wurde Bargeld gesprächiger und erläuterte Songs oder plauderte mit Bandmitgliedern und dem Publikum. Besonders bemerkenswert war der immense Materialeinsatz für die Klänge und Perkussionen. Die Neubauten sind bekannt dafür, mit einem kompletten Baumarkt anzureisen. In Zeiten, in denen vieles elektronisch produziert werden könnte, bleibt die Band ihrem Stil treu. Durch die Erweiterung um einen Keyboarder konnten fehlende Elemente ergänzt werden. Das Konzert war mehr als nur Musik, es war eine Kunst-Performance, ein Happening mit musealer Aura, ähnlich wie bei Kraftwerk-Konzerten. Trotz des möglicherweise prätentiösen Charakters waren die Songs von hoher Qualität. Insgesamt war es ein Abend mit einer mutigen Kombination aus zwei sehr unterschiedlichen Performances.
Die Nerven: Zwischen Punk, Postpunk und Realitätsflucht
Die Nerven lassen sich nicht eindeutig einem Genre zuordnen. Sind sie eine Punkband, Adepten eines Achtziger-Revivals oder die Hoffnung des Postpunk? Die Band selbst hat eine unaufgeregte Haltung zu ihrem Selbstverständnis und Werk. Es geht nicht darum, Teil einer Jugendbewegung zu sein. Ihre Musik ist schartig, laut und aufbegehrend. Sie drückt Haltung, Realitätsflucht, Wut und Ausbruch aus, aber auch Liebe auf eine unbequeme, widerborstige, intensive und bittere Weise. Live sind Die Nerven ein reinigendes Gewitter.
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"Wir waren hier": Eine apokalyptische Platte voller Angst und Fatalismus
Das sechste Album von Die Nerven, "Wir waren hier", treibt den Eskapismus voran. Die Angst ist allgegenwärtig und durchdringt jeden Aspekt der Platte. Max Riegers Gesang und Riffs, Julian Knoths prägnantes Bassspiel und Kevin Kuhns cholerische Drums tragen zur düsteren Atmosphäre bei. Trotzdem schaffen es Die Nerven, in fast jedem Song einen eingängigen Refrain unterzubringen. Die Lieder handeln vom Ende der Welt und der arroganten Selbstabschaffung der Menschheit. Der Titeltrack schließt mit einem verhallten Lärm ab, der Staunen hervorruft. "Wir nehmen die letzten Stunden fette Jahre gerne mit." Die Stücke sind oft von Fatalismus geprägt: "Ein Hoch auf die Jugend / Zum Glück ist sie vorbei." Die Platte behält die großen Gesten von "Die Nerven" bei und kann sich noch mehr leisten. Obwohl die Band nach sechs Songs nicht den Faden verliert, vermitteln sie nicht mehr den Eindruck, um Leben und Tod zu spielen. "Ich will nicht mehr funktionieren" funktioniert als eine der energischen Hymnen, die sie mühelos aus dem Ärmel schütteln können. Der Closer "Disruption" holt das Feuer aus den Kohlen und lässt den Sound voller und voller werden, bis die beschriebene Lockerung durch verglühendes Feedback eintritt. Die folgende Stille macht deutlich: Sie waren hier.
Live im Kulturzentrum Faust: Energie, Melancholie und Spielfreude
Das Publikum im gut gefüllten Kulturzentrum Faust zeigte sich begeistert und textsicher. Die ersten sechs Songs der Setlist waren identisch mit den ersten sechs Songs von "Wir waren hier". Kevin Kuhn, Max Rieger und Julian Knoth waren bestens eingespielt und nutzten die Möglichkeit, die Energie der neuen Stücke live zu potenzieren oder sie auszudehnen. Auch die melancholische Erhabenheit von "Achtzehn" stand dem Noise-Post-Punk-Trio ausgezeichnet. Die Nerven widmeten sich auch ihren vorherigen Veröffentlichungen, verzichteten jedoch auf Songs von "Asoziale Medien" (2012), "Fluidium" (2012) und "Out" (2015). Dafür feierte "Dunst" seine Live-Premiere und "Angst" zeigte, dass Die Nerven schon 2014 zu den besten deutschsprachigen Bands gehörten.
Zweilaster als Support: Dadaismus, Minimalismus und Humor
Als Support trat das Punk-Duo Zweilaster aus Stuttgart auf. Sie setzen auf Dadaismus und musikalischen Minimalismus, nutzen die Pause zwischen den Songs für Comedy-Einlagen ohne gewollte Pointe und zeigen mit Texten über Urin und Tauben, dass alles mit einem Augenzwinkern zu verstehen ist. Ihr Debütalbum "Scheiblettenkäse & Sehnsucht" wurde von Julian Knoth produziert.
Die Nerven in der Zeche Carl: Ein Jahresabo und ein Scream-Duell
Die Nerven traten erneut in der Zeche Carl auf und präsentierten Songs ihres Albums "Wir waren hier". Zuvor gab es mit Zweilaster etwas Besonderes auf die Ohren. Zweilaster beinhaltet einen gewaltigen Schuss Dadaismus und (gewollten?) Dilettantismus. Die Songs sind kompakt gehalten und die Texte bewegen sich zwischen Sozialkritik, Wut und Dada. Die Publikumsreaktionen fielen eher verhalten aus, aber kreativ und erfrischend war es allemal. Die Nerven verzichteten in den ersten 30 Minuten komplett auf gesprochene Worte und spielten die ersten sechs Songs des neuen Albums hintereinander weg. "Grosse Taten" wurde mit einem Improvisationspart auf die dreifache Länge gestreckt. Nach der Ballade "Achtzehn" gab es die ersten Anflüge von Kommunikation. Kevin Kuhn merkte an, dass sie ja ein Jahresabo hier in der Zeche Carl hätten, "einen kultigeren Club gibt es nicht". Im Mittelteil begann die "Klassiker"-Rutsche. Beim eingängigen "Niemals" kreierten die Anhänger die ersten kleinen Pogo-Pits. Ein kleines Missgeschick gab es, als sich die Bassdrum im temporeichen End-Part löste. Max Rieger kommentierte lakonisch: „Das ist bei uns normal. Immer geht was kaputt. Wo gehobelt wird, fallen eben Späne.“ Während der Reparatur des Drum-Sets eröffnete Rieger eine kleine Fan-Frage-Antwort-Runde. Es entstand ein herrlicher Moment der Improvisation. Vereinzelt kommt es bei Die Nerven-Konzerten zu kurzen Black-Metal-Lärmorkanen, die Kevin Kuhn mit Fauchen und Kreischen garniert. Nachdem sich ein Zuschauer ebenfalls lautstark kreischend bemerkbar machte, entstand ein kleines „Scream-Duell“ zwischen Fan und Schlagzeuger. Am Ende verbeugte sich Kuhn als Zeichen des Respekts.
Shitney Beers als Support: Melancholischer Lo-Fi-Songwriter-Pop
Shitney Beers, bürgerlich Maxi Haug, passte stilistisch gut zur Hauptband des Abends. Sie stand allein mit ihrer Gitarre auf der Bühne und präsentierte acht Stücke in reduziertester Version. Sie begrüßte die Zuschauer selbstironisch und zog die meisten Anwesenden auf ihre Seite.
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