Die Nerven, bekannt für ihren düsteren Post-Punk und ihre unerbittliche Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Zuständen, legen mit "Wir Waren Hier" ein Album vor, das die existenzielle Angst und den Eskapismus unserer Zeit in den Fokus rückt. Das Album, das am 13. September über Glitterhouse/Indigo veröffentlicht wurde, ist ein vielschichtiges Werk, das sowohl musikalisch als auch textlich neue Wege beschreitet.
Einleitung: Auf der Flucht vor der Realität
"Auf der Flucht vor der Wirklichkeit ist mir kein Weg zu weit" - diese Zeile aus dem Opener "Als ich davon lief" umreißt treffend das zentrale Thema des Albums. "Wir Waren Hier" ist ein Album über Eskapismus, über die Flucht vor einer Realität, die zunehmend unerträglich erscheint. Die Nerven waren noch nie eine Band für Optimisten, aber auf diesem Album scheinen sie den Pessimismus noch einmal zu steigern.
Der Sound der Apokalypse
Musikalisch bewegt sich "Wir Waren Hier" zwischen Doom-Anleihen, Post-Punk-Elementen und Einflüssen von The Cure. Die Songs sind von einer düsteren, apokalyptischen Atmosphäre geprägt, die durch das prägnante Bassspiel von Julian Knoth, Kevin Kuhns cholerische Drums und Max Riegers aggressive Riffs und Gesang verstärkt wird. Die Produktion von Max Rieger fängt den Sound der Band perfekt ein und verleiht dem Album eine rohe, ungeschliffene Energie.
"Europa" und die Krise einer Idee
Bereits der Opener "Europa" verdeutlicht die thematische Ausrichtung des Albums. Der Song, der bereits vor der Pandemie entstanden ist, thematisiert die bröckelnde Idee Europas und die damit verbundene Angst vor einem möglichen Ende. Die Nerven erteilen Nationalstaaten eine Absage und artikulieren ihr Erstaunen darüber, dass es Menschen gibt, die an dieser einst "grandiosen Idee" zweifeln.
"Ich sterbe jeden Tag in Deutschland" - Eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit
"Ich sterbe jeden Tag in Deutschland" reiht sich ein in die lange Liste von Auseinandersetzungen mit der deutschen Geschichte und der Verantwortung für die dunkelste Stunde der Menschheit. Der Song ist musikalisch vielfältig und endet mit einem Feuerwerk, während Kevin Kuhn anscheinend das aktuelle Kvelertak-Album in Dauerrotation gehört hat.
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Experimentelle Klänge und unerwartete Einflüsse
"Wir Waren Hier" zeichnet sich durch eine große musikalische Vielfalt aus. "Der Erde gleich" überrascht mit Tempowechseln, während "Ein Influencer weint sich in den Schlaf" und "180º" Streicher einsetzen. Kuhn klingt in seinen Fills, als hätte er das aktuelle Kvelertak-Album in Dauerrotation gehört und wäre nicht Drummer einer Post-Punk-Band, die den Noise-Anteil in ihrer Musik deutlich reduziert hat.
Die Texte: Zwischen Verzweiflung und Hoffnung
Auch textlich haben sich Die Nerven auf "Wir Waren Hier" weiterentwickelt. Die Texte sind direkter, prägnanter und oft von einer tiefen Verzweiflung geprägt. Dennoch blitzt immer wieder ein Funken Hoffnung auf, ein Glaube an die umstürzlerische Kraft von Gitarre, Bass und Schlagzeug.
"Das Glas zerbricht und ich gleich mit" - Shoegaze-Paranoia und Fluchtreflexe
In "Das Glas zerbricht und ich gleich mit" thematisieren Die Nerven die Paranoia und die Fluchtreflexe, die in einer zunehmend komplexen und unübersichtlichen Welt entstehen. Der Song ist musikalisch von Shoegaze-Elementen geprägt und verdeutlicht die Ohnmacht des Einzelnen angesichts der großen Herausforderungen unserer Zeit.
"Grosse Taten" - Eine bassbetonte Hasstirade
"Grosse Taten" ist eine kurze, bassbetonte Hasstirade, die die Ablehnung gegenüber einer Gesellschaft zum Ausdruck bringt, die auf falschen Werten basiert. Die Nerven sparen nicht mit Kritik und stellen die Frage, ob es überhaupt noch möglich ist, in dieser Welt позитив zu leben.
"Bis ans Meer" - Ein Funken Hoffnung inmitten der Verzweiflung
"Bis ans Meer" stellt einen der wenigen Hoffnungsschimmer auf dem Album dar. Der Song handelt von der Sehnsucht nach einem Ort der Ruhe und des Friedens, einem Ort, an dem man ganz bei sich sein kann. "Irgendwo zwischen jetzt und hier / Bin ich ganz bei mir", singt Rieger und vermittelt damit ein Gefühl von Geborgenheit und Selbstfindung.
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"Disruption" - Das Feuer aus der Asche holen
Der Closer "Disruption" holt noch einmal das Feuer aus der Asche. Der Song beginnt ruhig und melancholisch, steigert sich aber im Laufe der Zeit zu einem gewaltigen Crescendo, das in einem verglühenden Feedback endet. "Ich steige aus der Unterwelt / Lockere den Druck, der mich zu ersticken droht / Frei sein ist so ungewohnt", singt Rieger und deutet damit eine mögliche Befreiung aus der Umklammerung der Angst und Verzweiflung an.
Die Vielschichtigkeit von Max Rieger
Neben seiner Arbeit mit Die Nerven ist Max Rieger auch als Solokünstler unter dem Namen All Diese Gewalt aktiv. Seine Soloprojekte zeichnen sich durch eine größere Introspektion und eine vielschichtigere Klangwelt aus.
"ALLES IST NUR ÜBERGANG" - Eine spirituelle Reise
Auf seinem Album "ALLES IST NUR ÜBERGANG" begibt sich Rieger auf eine spirituelle Reise, die von Droneflächen, Ambient-Teppichen, Gitarren, Chören und fliehenden Keyboard- und Synthiemelodien begleitet wird. Die Texte sind von spirituellen Bildern durchzogen und thematisieren die Suche nach dem Sinn des Lebens.
Der Produktionsprozess: Zufall und Intuition
Der Entstehungsprozess von "ALLES IST NUR ÜBERGANG" war von Zufall und Intuition geprägt. Die Songs entstanden schnell und natürlich, ohne ein stringentes Konzept. Rieger ließ sich von seinen Emotionen leiten und schuf so ein Album, das von einer tiefen Ehrlichkeit und Verletzlichkeit zeugt.
Samples als Texturfrage
Auf "ALLES IST NUR ÜBERGANG" setzt Rieger Samples nicht als musikalische Elemente ein, sondern als Textur. Er verwendet Knistern, Stimmen und Grundrauschen, um eine spukhafte Atmosphäre zu erzeugen, die durch das Vinylformat noch verstärkt wird.
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Das Cover: Ein Kinderbild als Spiegel der Seele
Das Cover von "ALLES IST NUR ÜBERGANG" zeigt ein Kinderbild von Max Rieger, das von seinem Opa aufgenommen wurde. Das Bild, das Rieger zufällig entdeckte, passte perfekt zur Stimmung des Albums und symbolisiert die Suche nach den eigenen Wurzeln und der eigenen Identität.