Siri Hustvedts "Die zitternde Frau. Eine Geschichte meiner Nerven", aus dem Amerikanischen von Uli Aumüller und Grete Osterwald übersetzt, ist ein Werk, das Autobiographie, wissenschaftliche Recherche und philosophische Reflexion miteinander verbindet. Im Zentrum steht ein mysteriöses Zittern, das die New Yorker Schriftstellerin während einer Gedenkrede für ihren verstorbenen Vater befällt. Dieser Vorfall markiert den Beginn einer intensiven Auseinandersetzung mit ihrem Körper, ihrem Geist und den Grenzen der medizinischen und psychologischen Erklärungskraft.
Der Auslöser: Eine Rede und ein Zittern
Der Ausgangspunkt von Hustvedts Erzählung ist ein konkretes Ereignis im Jahr 2006: eine Rede zu Ehren ihres Vaters, eines Universitätsprofessors, an dessen Alma Mater. Fast drei Jahre nach seinem Tod erlebt sie mitten in ihrer Ansprache einen unkontrollierbaren Zitteranfall. Beschreibt Siri Hustvedt, wie sie im Jahr 2006, rund drei Jahre nach dem Tod ihres Vaters, eine Rede über ihn an dessen Universität hielt. "Selbstsicher und mit Karteikarten versehen", schreibt Siri Hustvedt, "blickte ich über die etwa fünfzig Freunde und Kollegen, die sich rund um die Fichte versammelt hatten, öffnete den Mund zu meinem ersten Satz und begann vom Hals an abwärts zu zittern. Meine Arme zuckten. Die Knie knickten ein. Ich zitterte so stark, als hätte ich einen Krampfanfall." Dieses unerklärliche Zittern, das sich in der Folge bei weiteren öffentlichen Auftritten wiederholt, wird zum Anstoß für ihre Spurensuche.
Die Suche nach Antworten: Medizin, Psychoanalyse und Philosophie
Konfrontiert mit der Ratlosigkeit der Ärzte, die keine eindeutige Diagnose stellen können, nimmt Hustvedt die Rolle der Ermittlerin ein. Sie versenkt sich in die Welt der Medizin, Psychoanalyse und Philosophie, um die Ursachen ihres Leidens zu ergründen. Sie liest wie eine Besessene psychiatrische, neurologische und philosophische Fachliteratur, um der eigenen rätselhaften Krankheit selbst auf die Spur zu kommen. Dabei greift sie auf Werke von Freud, Lacan, Husserl und Wittgenstein zurück, um nur einige zu nennen.
Hustvedt schildert psychiatrische Fallstudien, erläutert die Geschichte der Psychoanalyse, erklärt neue Ergebnisse aus der Hirnforschung und diskutiert philosophische Fragestellungen wie das Leib-Seele-Problem. Sie scheut sich nicht, komplexe wissenschaftliche und philosophische Erkenntnisse in ihre persönliche Erzählung einzuflechten, was dem Buch eine intellektuelle Tiefe verleiht.
Autobiographische Elemente und wissenschaftliche Reflexion
"Die zitternde Frau" ist jedoch mehr als nur ein Bericht über eine Krankheit. Es ist zugleich eine autobiographische Auseinandersetzung mit Hustvedts eigener Lebensgeschichte, ihrer Kindheit, ihrer Beziehung zum Vater und ihrem Schreiben. Hustvedt verwebt persönliche Erfahrungen mit wissenschaftlichen Erkenntnissen und philosophischen Überlegungen zu einem vielschichtigen Text.
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Die autobiographischen Passagen, die etwa ein Viertel des Buches ausmachen, gewähren dem Leser Einblicke in Hustvedts Innenleben und machen die Auseinandersetzung mit ihrem Zittern nachvollziehbar. Sie erzählt, wie ihr Mann sie zum ersten Mal miterlebte und am liebsten mit Gewalt das Treppchen hinuntergetragen hätte.
Die Rolle des Körpers und des Geistes
Ein zentrales Thema des Buches ist das Verhältnis von Körper und Geist. Hustvedt untersucht, wie sich psychische Belastungen und traumatische Erfahrungen in körperlichen Symptomen manifestieren können. Sie hinterfragt die traditionelle Dichotomie von Körper und Geist und plädiert für ein ganzheitliches Verständnis des Menschen.
Hustvedt stellt fest, dass es klare Gesetze von Ursache und Wirkung im komplexen Wechselspiel von Geist, Psyche und Körper nicht gibt oder dass wir sie nicht kennen. Sie betont die Mehrdeutigkeit von Diagnosen und Krankheiten und die damit verbundenen philosophischen Grundlagen.
Kritik und Rezeption
"Die zitternde Frau" hat unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen. Einige Kritiker loben Hustvedts Fähigkeit, persönliche Erfahrungen mit wissenschaftlicher Reflexion zu verbinden und ein komplexes Thema auf zugängliche Weise zu präsentieren. Elisabeth von Thadden lobt die Hochkonzentration, mit der Hustvedt ihre Motive entwickele und ihren radikalen Willen, Subjekt und nicht Objekt der Auseinandersetzung zu sein.
Andere bemängeln die fehlende Stringenz der Argumentation und die stellenweise zu detaillierte Wiedergabe wissenschaftlicher Erkenntnisse. Stefana Sabin kritisiert, dass die minutiöse Wiedergabe wissenschaftlicher und philosophischer Erkenntnisse zu diesem Symptom sehr an eine universitäre Seminararbeit erinnere. Kristina Maidt-Zinke bemängelt, dass die Recherche der Autorin in Sachen Hirnforschung und Neurobiologie so unergiebig, ja "irrlichternd" bleibe.
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