Chronische Schmerzen stellen in Deutschland die häufigste Indikation für Behandlungen mit Cannabis-Präparaten dar, die von den gesetzlichen Krankenkassen genehmigt werden. Diese Präparate umfassen medizinisches Cannabis und Cannabis-Extrakte sowie Cannabis-basierte Rezeptur- und Fertigarzneimittel. Die Bewertung ihrer Wirksamkeit und Sicherheit bei chronischen Schmerzen ist jedoch Gegenstand aktueller Diskussionen, da randomisierte kontrollierte Studien (RCTs) zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen gelangen. Je umfangreicher die Literatursuche, je höher die Kriterien für den Einschluss von Studien und einer klinischen Relevanz der Studienergebnisse, umso ernüchternder sind die Schlussfolgerungen bezüglich der Wirksamkeit und Sicherheit von Cannabis-Präparaten.
Es besteht eine mäßige Qualität der Evidenz für eine moderate Schmerzreduktion bei chronischen neuropathischen Schmerzen. Cannabis-Präparate können daher als eine Drittlinientherapie bei chronischen neuropathischen Schmerzen erwogen werden.
Rechtlicher Hintergrund in Deutschland
Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur „Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften“ im März 2017 wurde es Ärzten in Deutschland ermöglicht, Patienten mit schwerwiegenden Erkrankungen und fehlenden Therapiealternativen Cannabis-Präparate zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen zu verordnen. Dies umfasst getrocknete Blüten oder Cannabis-Extrakte (sog. Medizinalhanf oder medizinisches Cannabis), standardisierte Extrakte (z. B. Fertigarzneimittel Nabiximols, Vollspektrum-Cannabis-Extrakte als Rezepturarzneimittel), Dronabinol als Rezepturarzneimittel bzw. synthetisch hergestellte Cannabisanaloga (z. B. Nabilon).
Das Gesetz umging das übliche System aus Zulassungsverfahren, Nutzenbewertung und Preisverhandlung, das für neue Arzneimittel gilt, und führte einen schwer überprüfbaren Wirksamkeitsbegriff ein („nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbar positive Einwirkung“). Auf dieser Basis erhielten die Krankenkassen einen Genehmigungsvorbehalt, dessen Definition in Bezug auf die Indikationen einer Verschreibung unklar ist. Die Bundesärztekammer hatte sich im Vorfeld des Gesetzes aufgrund der unzureichenden Datenlage zur Wirksamkeit und Risiken gegen die Verschreibungsfähigkeit von Cannabis-Blüten ausgesprochen. Die Umgehung der Standards der Arzneimittelzulassung für Cannabis-Blüten geschah auch in anderen Ländern und hat kritische Äußerungen der wissenschaftlichen Fachgesellschaften hervorgerufen.
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) wurde mit dem Gesetz beauftragt, eine nichtinterventionelle Begleiterhebung zur Anwendung von Cannabis-Arzneimitteln durchzuführen. Eine Zwischenauswertung im Jahr 2019 ergab, dass chronische Schmerzen mit 69 % die häufigste Indikation für die Verschreibung von Cannabis-Präparaten waren.
Lesen Sie auch: Behandlungsmöglichkeiten bei alkoholischer Polyneuropathie
Methodische Herausforderungen bei der Bewertung von Cannabis-Präparaten
Die Überprüfung der Wirksamkeit, Verträglichkeit und Sicherheit von Cannabis-Präparaten bei chronischen Schmerzen anhand von RCTs und systematischen Übersichtsarbeiten stellt ein methodisches Minenfeld dar. Die in systematischen Übersichtsarbeiten beschriebenen (statistischen) Effekte der Cannabis-Präparate zur Schmerzreduktion variieren von „nicht vorhanden“ bis „stark“, und die Einschätzung der Qualität der festgestellten Evidenz reicht von „gering“ bis „mäßig“. Befürworter einer Therapie mit Cannabis-Präparaten zitieren oft Übersichtsarbeiten mit positiven Schlussfolgerungen, während Skeptiker eher vorsichtige oder negative Schlussfolgerungen hervorheben.
Ziel dieses Artikels ist es, einen Überblick über aktuelle systematische Übersichtsarbeiten zu geben und die Gründe für deren unterschiedliche Ergebnisse und Schlussfolgerungen darzustellen, um den Leser für eine kritische Auseinandersetzung mit Original- und Übersichtsarbeiten zu sensibilisieren.
"Cannabis" als Arznei: unterschiedliche Präparate
Der Begriff „Cannabis“ wird in den Medien und der Politik oft für alle auf der Cannabis-Pflanze beruhenden oder von ihr abgeleiteten Arzneimitteln wie Cannabis-Blüten mit Hunderten von variablen Inhaltsstoffen, Rezeptur- und Fertigarzneimitteln mit aus der Hanfpflanze extrahiertem/synthetisiertem Tetrahydrocannabinol (THC) und/oder Cannabidiol (CBD) und synthetischen THC-Analoga gebraucht.
Aktuell sind 21 Sorten von Cannabis-Blüten rezeptierbar, deren THC-Konzentrationen zwischen 1 % und 23,5 % und CBD-Konzentrationen zwischen 0,05 % und 9 % liegen. Dosierungsangaben für einzelne Indikationen fehlen. Das THC/CBD-haltige Mundspray (Sativex®) ist als Fertigarzneimittel seit 2011 zugelassen für die Indikation mittelschwere und schwere Spastik bei multipler Sklerose, die nicht angemessen auf eine andere antispastische Therapie angesprochen hat und klinisch erhebliche Verbesserung bei einem Therapieversuch gezeigt hat. THC-haltige Kapseln und Öl (Dronabinol oder (-)-Δ9-trans-Tetrahydrocannabinol [THC]) sind arzneimittelrechtlich nicht zugelassen. Sie können als Rezepturarzneimittel in Form von Tropfen, Kapsel und Inhalationslösung im Rahmen eines individuellen Heilversuchs verschrieben und von Apotheken entsprechend NRF-Rezeptur nach DAC hergestellt werden. Der Ursprung ist je nach Hersteller natürlich oder synthetisch. Spezifische Indikationen sind nicht genannt. Sogenannte standardisierte Vollspektrum-Cannabis-Extrakte sind arzneimittelrechtlich nicht zugelassen. Sie liegen als Rezepturarzneimittel vor und werden als THC10/CBD10 (jeweils 10 mg/ml THC und CBD), THC25 (mit 25 mg/ml THC und < 0,5 mg/ml CBD) und THC/CBD 50 (jeweils 12 mg/ml THC und CBD), THC 50 (12 mg/ml THC) und CBD 50 (12 mg/ml CBD) vertrieben. Nabilon (Canemes®), ein vollsynthetisches Cannabinoid, eng verwandt mit THC, ist als Fertigarzneimittel seit Dezember 2016 in Deutschland bei der Indikation Übelkeit und Erbrechen bei Patienten unter Chemotherapie, wenn andere Arzneimittel nicht entsprechend wirken, zugelassen.
Cannabis (lateinisch: Hanf) ist ein Sammelbegriff für Stoffe aus der weiblichen Hanfpflanze der Gattung Cannabis sativa. Cannabinoide sind ein Sammelbegriff für Substanzen aus dem Harz der Hanfpflanze. Die weibliche Hanfpflanze enthält mehr als 100 Phytocannabinoide. Am besten charakterisiert sind das psychotrope Tetrahydrocannabinol (THC) und das überwiegend antiinflammatorisch wirksame Cannabidiol (CBD). Die Ansatzpunkte der Cannabis-Präparate am Endocannabinoid-System können unterschiedlich sein, beispielsweise von Monopräparaten mit Tetrahydrocannabinol versus Kombinationspräparate mit Cannabidiol (das nicht an Cannabinoid-Rezeptoren bindet). Es ist methodisch nicht korrekt, von der Wirksamkeit einer Gruppe von Cannabis-Präparaten (z. B. synthetisches THC-Analogon) auf eine andere (z. B. Cannabis-Blüten) zu schließen.
Lesen Sie auch: Aktuelle Forschung zu Polyneuropathie und psychosomatischen Ursachen
Heterogenität chronischer Schmerzsyndrome
Einige Übersichtsarbeiten fassen alle kontrollierten Studien zu verschiedenen Formen von chronischem Schmerz (tumor- und nichttumorbedingt) in quantitativen Analysen zusammen. Dies ist jedoch problematisch, da sich chronische Schmerzsyndrome (nozizeptiv, neuropathisch, noziplastisch und Mischformen) in ihren pathophysiologischen Mechanismen und ihrer Symptomatik erheblich unterscheiden können. Beispielsweise lassen sich bei neuropathischen Schmerzen unterschiedliche sensorische Profile durch quantitative sensorische Testung identifizieren.
Eine gepoolte Analyse aller Schmerzsyndrome ohne Subgruppenanalyse nach Schmerzsyndromen/-mechanismen gibt dem Kliniker wenig Orientierung, mit welchem Präparat er einen Patienten mit einem klinisch definierten Schmerzsyndrom (z. B. Fibromyalgie), mit einem definierten Schmerzphänotyp (z. B. nozizeptiver Schmerzcharakter) und einem definierten sensorischen Phänotyp (z. B. bei neuropathischen Schmerzen) behandeln soll.
Von einer gepoolten Analyse von sieben Studien mit neuropathischen Schmerzen und einer Studie mit Tumorschmerzen auf die Wirksamkeit von Cannabis-Präparaten auf alle chronischen Schmerzen zu schließen, ist methodisch nicht korrekt. Andererseits wird durch gepoolte Analysen die Wirksamkeit in Subgruppen womöglich unterschätzt.
Überblick über systematische Übersichtsarbeiten
Die Ergebnisse aktueller systematischer Übersichtsarbeiten mit Metaanalysen zur Wirksamkeit von Cannabis-Arzneimitteln bei chronischen Schmerzen sind divergent und reichen von einer mäßigen Effektstärke einer durchschnittlichen Schmerzreduktion bis zu einer fehlenden statistischen Signifikanz des Odds-Ratios für eine Schmerzreduktion um mindestens 30 %.
Neuropathische Schmerzen
In systematischen Reviews wurden bis zu 25 RCTs mit 1837 Teilnehmern und einer Studiendauer von fünf Stunden bis 15 Wochen analysiert.
Lesen Sie auch: Polyneuropathie und Demenz: Was Sie wissen sollten
In einer Metaanalyse zur Anwendung von Medizinalhanf wurde eine klinisch relevante Number needed to treat for an additional benefit (NNTB) von 6 für eine mindestens 30%ige Schmerzreduktion errechnet. Die Autoren schlussfolgerten, dass Medizinalhanf kurzfristig (Dauer der analysierten Studien ein bis 14 Tage) bei neuropathischen Schmerzen zur Schmerzreduktion wirksam ist. Ein systematischer Review mit allen Cannabis-Präparaten bei neuropathischen Schmerzen mit einer Studiendauer von mindestens zwei Wochen und unter Einschluss „grauer Literatur“ fand für dieses Ergebnismaß bei einer gepoolten Analyse eine NNTB von 14. In der Subgruppenanalyse war Medizinalhanf Placebo in der durchschnittlichen Schmerzreduktion statistisch signifikant, jedoch nicht klinisch relevant überlegen. THC/CBD-Spray war Placebo in der durchschnittlichen Schmerzreduktion und einer mindestens 30%igen Schmerzreduktion statistisch signifikant überlegen. Die standardisierte Mittelwertdifferenz für die durchschnittliche Schmerzreduktion war klinisch relevant, nicht jedoch die NNTB für mindestens 30 % Schmerzreduktion. Bei der gepoolten Analyse aller Cannabis-Präparate war die NNTH (Number needed to treat for additional harm) von 19 für einen Abbruch wegen Nebenwirkungen klinisch nicht relevant. Es fanden sich keine signifikanten Unterschiede zu Placebo in der Rate der schwerwiegenden Nebenwirkungen. Die Autoren folgerten, dass Cannabis-Präparate allenfalls als Drittlinientherapie bei sorgfältig ausgewählten Patienten eingesetzt werden sollen.
Schmerzen bei rheumatischen Erkrankungen
In systematischen Reviews wurden insgesamt vier RCTs analysiert, davon eine RCT mit THC/CBD-Spray bei 58 Patienten mit rheumatoider Arthritis, zwei RCTs mit 72 Patienten mit Fibromyalgiesyndrom und eine RCT mit 30 Patienten mit muskuloskelettalen Schmerzen. Die Schlussfolgerung war, dass die Evidenz aktuell nicht ausreichend ist, Cannabis-Präparate zur Behandlung von Schmerzen bei rheumatischen Erkrankungen zu empfehlen.
Viszerale Schmerzen
Ein systematischer Review schloss drei RCTs mit insgesamt 93 Patienten mit aktivem Morbus Crohn ein. Die Autoren kamen zu dem Ergebnis, dass aufgrund der Studien keine Schlussfolgerungen bezüglich der Wirksamkeit und Sicherheit von Cannabis-basierten medizinischen Produkten beim Morbus Crohn gezogen werden können. Die Autoren zogen dieselben Schlussfolgerungen für zwei RCTs mit 92 Patienten mit Colitis ulcerosa.
In einer 3-monatigen Studie mit 65 Patienten mit Schmerzen bei chronischer Pankreatitis war orales THC Placebo in der Schmerzreduktion nicht überlegen.
Tumorbedingte Schmerzen
Die aktuellste verfügbare Übersichtsarbeit berücksichtigt Ergebnisse einer Literatursuche bis Dezember 2018. Fünf RCTs mit bukkalem Nabiximols oder Tetrahydrocannabinol (THC) und 1534 Teilnehmern mit mäßigen oder starken tumorbedingten Schmerzen trotz Opioid-Therapie wurden gefunden. Die Doppelblindperiode der RCTs dauerte zwischen zwei und fünf Wochen. Vier RCTs mit einem Parallel-Design und 1333 Patienten wurden in die Metaanalyse eingeschlossen. Die Qualität der Evidenz war sehr gering für alle Vergleiche. Nabiximols und THC unterschieden sich von Placebo weder in der Reduktion von Schmerzen, Schlafstörungen und Opioid-Dosierungen noch in der Häufigkeit von kombinierten Ansprechraten sowie schwerer bzw. psychiatrischer Nebenwirkungen. Die Zahl der Patienten, die eine starke oder sehr starke globale Besserung berichteten, war mit Nabiximols und THC höher als mit Placebo (NNTB 16). Negative Effekte waren höher unter Nabiximols und THC als mit Placebo.
Dronabinol als therapeutische Option
Etwa acht Millionen Menschen in Deutschland gelten als chronisch schmerzkrank; zwei Millionen ist mit den bekannten Therapieregimen nicht ausreichend zu helfen. Dazu zählen Patienten mit fortgeschrittenen onkologischen Erkrankungen, multipler Sklerose (MS) und Aids. Die schmerzlindernde Wirkung von Cannabinoiden und Opioiden, zum Beispiel Dronabinol, kann in diesen Fällen eine therapeutische Perspektive bieten.
Dronabinol ist der internationale Name für Delta-9-trans-Tetrahydrocannabinol (DELTA 9 THC), dem medizinisch wirksamen Bestandteil der Hanfpflanze. Dronabinol wirkt antiphlogistisch, analgetisch, anxiolytisch, antiemetisch, muskelrelaxierend, sedierend und appetitanregend. Anders als Opiate oder Kokain sind das Suchtpotenzial und die Gesamttoxizität sehr gering.
Die analgetische Wirkung beim Akutschmerz wurde am Tiermodell geprüft. Hier zeigte sich beim - von vielen Schmerzmitteln schlecht beeinflussbaren - neuropathischen Schmerz eine besondere Wirkung. Bestimmte Interaktionen zwischen Cannabinoiden und Opioiden sind belegbar, so erfolgt zum Beispiel eine Vermittlung der Wirkungsweise von Dronabinol zum Teil über Opioid-Rezeptoren. Ernst hielt daher die Komedikation von Opioiden und niedrig dosierten Cannabinoiden für eine durchaus sinnvolle Strategie.
Auch antispastische Wirkungen bei MS oder Rückenmarkverletzungen und bei opioid-resistenten zentralen Schmerzen sind belegbar, ebenso wie Palliativeffekte, wie zum Beispiel Stimmungsaufhellung, antiemetische Wirkung oder Appetitanregung. An unerwünschten Wirkungen zeigten sich Tachykardie und orthostatische Hypotonie sowie eine erhöhte Rate an Ischämien, sodass die Medikation bei Patienten mit koronarer Herzerkrankung kontraindiziert ist.
Die Dronabinolbehandlung sei keine Monotherapie, sondern immer ein (additiver) Baustein im Gesamtgefüge der Behandlung chronischer, multimorbider Schmerzkranker. Schmerzlinderung und Erhöhung der Lebensqualität durch das Verdrängen der Schmerzen aus dem Wahrnehmungszentrum und Besetzung dieses Zentrums mit anderen Lebensinhalten seien anzustreben. Eine totale Schmerzbeseitigung zu erhoffen sei in vielen Fällen unrealistisch und sollte nicht zum erklärten Ziel der Behandlung gemacht werden.
Die Einsatzgebiete von Dronabinol sind vielfältig: Von Spastiken bei MS oder Schlaganfall über neuropathische Schmerzen bei Polyneuropathie, Rückenmarktrauma, Gürtelrose oder bei Phantomschmerzen, Arthrose- oder Osteoporose-Schmerzen oder Fibrose, zum Beispiel nach Radiotherapie. Die Dosierung sollte einschleichend mit 2,5 mg im acht- bis zwölfstündigen Intervall einsetzen und vorsichtig bis zur erwünschten Wirkung erhöht werden.
Teillegalisierung von Cannabis in Deutschland seit 2024
Seit dem 1. April ist Cannabis teilweise legal. Lange waren Cannabis-Medikamente in Deutschland nur bei Spastiken und Multipler Sklerose zugelassen. Als Wirkstoffe gibt es zum Beispiel Dronabinol - auch Tetrahydrocannabinol (THC) genannt. Weitere Wirkstoffe sind Nabilon, eine synthetische Variante von THC, und Nabiximols, eine Mischung aus Blatt- und Blütenextrakt von Cannabis. Diese gibt es als Fertig-Medikamente in der Apotheke, als Kapseln oder als Mund-Spray. Medizinal-Hanf in Form von getrockneten Blüten oder Pflanzen-Extrakt muss erhitzt werden, damit die Inhaltsstoffe wirken. Laut einer Studie wirkt Cannabis noch am besten bei Nervenschmerzen (Neuropathie). Auch bei Multipler Sklerose, starkem Gewichtsverlust durch eine Tumorerkrankung (Tumorkachexie) und in der Palliativmedizin scheinen Cannabis-Arzneimittel wirksam zu sein.
Wem sie hilft und wem nicht, ist auch für Mediziner nicht immer vorherzusehen. Hinzu kommt: Mehr als jede dritte Behandlung wird wegen der Nebenwirkungen abgebrochen. Bei älteren Menschen mit chronischen Schmerzen können laut Experten zum Beispiel Dronabinol-Tropfen in niedriger Dosis sinnvoll sein. Denn die enthaltenen Cannabinoide wirken auf den Körper und die Psyche. Sie lindern Schmerzen, hellen die Stimmung auf, sorgen für einen besseren Schlaf und erhöhen so die Lebensqualität. Eine berauschende oder abhängig machende Wirkung erzielen die Mittel aufgrund der niedrigen Dosierung nicht. Sie haben bei Älteren auch noch einen anderen Vorteil: Sie schädigen Leber und Nieren nicht so stark wie andere Medikamente.
Cannabis enthält mehr als 100 Wirkstoffe. Cannabis hat Vorteile, die andere Wirkstoffe nicht haben: Der Körper produziert selbst ganz ähnliche Stoffe, die sogenannten Endocannabinoide. Sie entfalten ihre Wirkung über verschiedene Rezeptoren, die auch für eingenommene Cannabis-Wirkstoffe empfänglich sind. Der Rezeptor CB1 kommt im zentralen Nervensystem und vielen anderen Organen vor, lindert Angst, Stress, Unruhe und Schmerzen. Zu hoch dosiert, kann zum Beispiel Cannabis-Spray das Kurzzeitgedächtnis einschränken und unerwünschte Wirkungen auf die Geschmacksnerven haben. Die häufigsten Nebenwirkungen von Cannabis-Medizin sind Müdigkeit und Konzentrationsschwäche.
Die Studienlage zur Wirkung von Cannabis-Medikamenten für Patienten mit depressiven Störungen oder anderen psychiatrischen Erkrankungen ist noch sehr dünn. Es gibt aber durchaus Behandlungsversuche. Seit dem 1. April 2024 ist Cannabis in Deutschland teilweise legal. So will die Bundesregierung den unkontrollierten Handel und Konsum über den Schwarzmarkt und damit die organisierte Kriminalität eindämmen.
Hinweise der Deutschen Schmerzgesellschaft e.V.
Viele Schmerzpatienten haben hohe Erwartungen und große Hoffnung auf cannabishaltige Medikamente. Die Deutsche Schmerzgesellschaft e.V. weist darauf hin, dass lediglich bei einem Bruchteil der Erkrankungen mit speziellen chronischen Schmerzen erwiesen ist, dass cannabisbasierte Arzneimittel helfen.
Ärzte dürfen Extrakte, künstliche Cannabinoide oder getrocknete Cannabisblüten (Medizinal-Hanf) verordnen. Cannabisblüten haben sehr unterschiedliche Wirkstoffzusammensetzungen und es Bedarf zum Inhalieren einen Verdampfer. Werden Cannabisblüten geraucht oder inhaliert, flutet die Wirkung schnell an, lässt aber auch schnell wieder nach, was in der Schmerzbehandlung nicht erwünscht ist. Von einer Eigentherapie mit Cannabisblüten raten Experten ausdrücklich ab, da die Dosierungen ungenau seien und es zu unerwünschten, gesundheitsschädlichen Nebenwirkungen kommen kann. Bei Schmerzpatienten wird aufgrund der derzeitigen Studienlage zur Wirksamkeit, als auch der Ergebnisse der Begleiterhebung, zunächst die Anwendung eines oral wirksamen Cannabispräparats (Dronabinoltropfen, Nabiximols-Spray oder ölige Vollextrakte) bevorzugt.
Cannabinoide können meist keine Schmerzfreiheit herstellen, die Schmerzen werden aber unter Umständen vermindert wahrgenommen und schmerzbedingte Schlafstörungen können sich verbessern. Für eine deutliche Schmerzreduktion um mind. 50% liegt kein Beweis vor.
Als mögliche Einsatzgebiete für cannabisbasierte Medikamente gelten derzeit insbesondere chronische Nervenschmerzen (neuropathische Schmerzen), Spastik (langandauernde Muskelverkrampfung) bei Multipler Sklerose sowie Appetitlosigkeit, Übelkeit und Erbrechen bei Krebserkrankungen unter Chemotherapie.
Akutschmerzen und Gewebeschmerzen wie z.B. muskuläre Schmerzen scheinen weniger auf Cannabinoide anzusprechen. Bei Rückenschmerzen, Kopfschmerzen, rheumatoider Arthritis, chronischer Bauchspeicheldrüsenentzündung, Morbus Crohn, Schiefhals und Reizdarmsyndrom konnten keine eindeutigen Verbesserungen erzielt werden.
Unter einer Therapie mit Cannabinoiden kann es zu Nebenwirkungen im Gehirn kommen, die sich z. B. in Form von Übelkeit, Müdigkeit, Benommenheit, Schwindel, Mundtrockenheit, Störungen der Aufmerksamkeit, der Wahrnehmung und des Denkens sowie Stimmungsschwankungen zeigen können. Weitere Nebenwirkungen sind Suchtentwicklung, Beeinflussung von Gedächtnisfunktionen, Verwirrtheit, Gewichtszunahme, Bewegungsbeeinträchtigungen, Nebenwirkungen auf das Herz- und Kreislaufsystem und Lustlosigkeit. Die bisherigen Untersuchungen beziehen sich auf kurze Behandlungszeiträume von wenigen Wochen bis Monaten, die besonderen Risiken einer Langzeitbehandlung sind weitestgehend unklar.
Unter medizinischer Anwendung ist das Lenken von Fahrzeugen und Bedienen von Maschinen vorrübergehend eingeschränkt. Diese Einschränkungen treten besonders bei Ersteinnahme, Entzug und je nach Dosishöhe auf. Die kontinuierliche Verfügbarkeit der Arznei ist z.B. bei Auslandsreisen zu gewährleisten, sonst kann es zu Entzugssymptomen kommen.
In der Schmerztherapie kann es derzeit nur bei Patienten mit nicht anders behandelbaren schwersten chronischen Nervenschmerzen eingesetzt werden. Sie sollten nicht als einzige Maßnahme gesehen werden, sondern nur in Kombination mit physiotherapeutischen und psychotherapeutischen Verfahren. Eine langfristige Therapie ist nur bei einer anhaltenden positiven Wirkung sinnvoll. Allerdings gibt es noch keine ausreichenden Erfahrungen zu Erfolg und Sicherheit in der Langzeitbehandlung.
tags: #dronabinol #polyneuropathie #studien