Demenzerkrankungen stellen eine der größten medizinischen Herausforderungen unserer Zeit dar. Weltweit leben mehr als 55 Millionen Menschen mit Demenz, wobei über 60 % davon in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen leben. Die Behandlung von Demenz erfordert einen ganzheitlichen Ansatz, der sowohl medikamentöse als auch nicht-medikamentöse Therapien umfasst. Neue Forschungsergebnisse eröffnen zusätzliche Perspektiven und machen Hoffnung auf eine verbesserte Lebensqualität für Betroffene und ihre Angehörigen. Eine dieser Perspektiven ist der Einsatz von Dronabinol, einer synthetischen Form von THC, dem psychoaktiven Hauptinhaltsstoff von Cannabis.
Demenz: Eine komplexe Herausforderung
In Deutschland leben laut Deutscher Alzheimer Gesellschaft rund 1,8 Millionen Menschen mit Demenz, die meisten von ihnen leiden an Alzheimer. Als "Demenz" bezeichnet man verschiedene Symptome wie Gedächtnisverlust, kognitive Beeinträchtigungen und Persönlichkeitsveränderungen. Die bekannteste und häufigste Form von Demenz ist die Alzheimer-Erkrankung. Im Gehirn von Alzheimer-Patienten gehen zunehmend Nervenzellen und die Übertragungsstellen dazwischen zugrunde. Verantwortlich sind wachsende Eiweißablagerungen zwischen den Neuronen, die sogenannten Amyloid-Plaques. Außerdem bündeln sich im Zellinneren Tau-Proteine zu den sogenannten Neurofibrillen. Diese „Vermüllung“ des Gehirns führt zu den bekannten Symptomen von Gedächtnislücken bis zum Verlust aller kognitiver Fähigkeiten und der Persönlichkeit.
Eine Heilung der Demenz ist nach aktuellem Forschungsstand nicht möglich. Die Behandlung zielt darauf ab, die Lebensqualität zu verbessern und den Krankheitsverlauf zu verlangsamen. Die Behandlung von Demenz stützt sich auf mehrere Säulen:
- Medikamentöse Therapie: Cholinesterase-Hemmer wie Donepezil, Galantamin und Rivastigmin verlangsamen den Abbau von Acetylcholin im Gehirn. Memantin, ein NMDA-Antagonist, reguliert die Glutamat-Aktivität im Gehirn und kann nervenschützend wirken.
- Nicht-medikamentöse Therapie: Gedächtnistraining und geistige Aktivierung helfen, vorhandene Fähigkeiten länger zu erhalten. Dazu gehören angepasste Übungen, Spiele und kreative Tätigkeiten. Regelmäßige Bewegung fördert die Durchblutung des Gehirns und kann den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen. Der Kontakt zu Familie und Freunden sowie die Teilnahme am sozialen Leben stärken das Wohlbefinden. Die Beratung und Schulung von Angehörigen bildet einen wichtigen Teil der Therapie.
Dronabinol: Ein Hoffnungsträger bei Demenz?
Medizinisches Cannabis, einschließlich Dronabinol, rückt zunehmend in den Fokus der Demenzbehandlung, insbesondere zur Linderung neuropsychiatrischer Symptome. Viele Demenzkranke leiden unter Angstzuständen und heftigen Gefühlsausbrüchen. Die Forschung belegt positive Effekte auf Unruhe, Schlafstörungen und Verhaltensauffälligkeiten. Cannabis verbessert die Lebensqualität von Menschen mit Demenz und entlastet gleichzeitig die Arbeit von Pflegefachkräften.
Wirkungsweise von Dronabinol
Das menschliche Gehirn verfügt über ein komplexes Endocannabinoid-System, das die Aktivität von Nervenzellen steuert. Dieses System schützt Nervenzellen vor Schäden und beeinflusst viele Gehirnfunktionen. Der Wirkstoff THC bindet an Rezeptoren in Gehirnregionen, die für die Gedächtnisbildung zentral sind - im Hippocampus, in der Amygdala und in der Großhirnrinde.
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Dronabinol hat einen Effekt auf zwei verschiedene Rezeptoren: Durch seine Wirkung auf den CB1-Rezeptor löst es Angstzustände und Depressionen. Durch seine Wirkung auf den CB2-Rezeptor wirkt es antientzündlich, was das Verhalten positiv verändert.
Studienlage zu Dronabinol bei Demenz
Eine Studie mit 19 Demenzpatienten zeigte vielversprechende Ergebnisse. Die Teilnehmer erhielten eine Kombination aus THC und CBD über einen Zeitraum von bis zu 13 Monaten.
Eine randomisierte kontrollierte Studie untersuchte die Wirkung eines Cannabis-Öls mit hohem CBD-Anteil (30 % CBD, 1 % THC) bei Demenzpatienten. Die Behandlung über 16 Wochen zeigte spannende Ergebnisse: Die Unruhe der Patienten nahm im Vergleich zur Placebo-Gruppe deutlich ab. Die Nebenwirkungen blieben dabei gering.
Eine aktuelle Studie aus den USA liefert neue Erkenntnisse zur Behandlung von Alzheimer-Patienten. Im Fokus steht besonders das Symptom Agitation, das als "eines der belastenden Symptome der Alzheimer-Demenz" beschrieben wird. Die Studienautoren der Johns-Hopkins-Universität in den USA fanden heraus, dass eine Pillenform von Dronabinol die Unruhe bei Patienten mit Alzheimer um durchschnittlich 30 Prozent reduziert. Im Vergleich zu aktuell üblichen Behandlungsformen für Unruhezustände (etwa durch Antipsychotika) habe Dronabinol eine ähnlich beruhigende Wirkung. Der große Vorteil: unerwünschte Nebenwirkungen wie Delirium oder Krampfanfälle würden nicht entstehen.
An der Studie nahmen 75 Patienten mit starker Alzheimer-bedingter Unruhe teil. Die Probanden wurden anhand der Pittsburgh Agitation Scale (PAS) sowie der Agitations-/Aggressions-Subskala des Neuropsychiatric Inventory (NPI-C) bewertet. Anschließend erhielten die Probanden entweder zweimal täglich eine Tablette mit fünf Milligramm Dronabinol oder ein Placebo über einen Zeitraum von drei Wochen. In der Dronabinol-Gruppe sank der durchschnittliche Ausgangswert auf der PAS-Skala von 9,68 auf 7,26 (- 30 %), während sich der Wert in der Placebogruppe nicht verändert hat.
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Anwendungsgebiete von medizinischem Cannabis bei Demenz
- Unruhe und Agitation: THC reduziert Unruhe und Angst ohne schwere Nebenwirkungen, wie sie bei Antipsychotika auftreten.
- Schlafstörungen: Schlafstörungen gehören zu den häufigsten Beschwerden, bei denen Cannabis eingesetzt wird.
- Appetitlosigkeit: Cannabis kann auch gegen Appetit- und Schlaflosigkeit wirken.
- Verhaltensauffälligkeiten: Die Forschung belegt positive Effekte auf Verhaltensauffälligkeiten.
Mögliche Nebenwirkungen und Risiken
Es gibt Risiken: Marihuana kann das Gleichgewichtsgefühl beeinträchtigen und dadurch vor allem das Sturzrisiko unter älteren Demenzkranken erhöhen. Schwindelgefühle könnten die kognitiven Funktionen von Alzheimer-Patienten noch weiter schwächen.
Ein Problem stelle aber eine chronische Niereninsuffizienz dar, die zu einer Akkumulation der Wirkstoffe führe. Hier sei es wichtig, die Therapie mit einer niedrigen Dosis zu beginnen und langsam aufzutitrieren.
Rechtliche Situation in Deutschland
Mit der Legalisierung von Cannabis am 1. April 2024 hat sich der Zugang zu medizinischem Cannabis in Deutschland verändert. Die neue Gesetzgebung hat die Akzeptanz in der Ärzteschaft erhöht und den Zugang zu spezialisierten Ärzten vereinfacht.
Seit dem 2017 neu in Kraft getretenen Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften können Cannabisblüten, Cannabisextrakte bzw. synthetische Cannabinoide zulasten der Krankenkasse durch Ärzte verordnet werden. Demnach kann Cannabis jedem Patienten verschrieben werden, unabhängig von der Grunderkrankung, unter der Voraussetzung, dass keine andere geeignete Therapie zur Verfügung steht oder „unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes […] nicht zur Anwendung kommen kann“ [33]. Als Einschränkung wurde formuliert, dass „eine nicht ganz entfernte Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf schwerwiegende Symptome“ bestehen soll [33].
Verschreibung: Bei positiver Bewertung erfolgt die Verschreibung auf einem Betäubungsmittelrezept.
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Genehmigung: Die Krankenkasse muss die Kostenübernahme vorab genehmigen.
Versuche der Selbstmedikation oder der Einsatz von nicht-medizinischem Cannabis können gefährlich sein und das Krankheitsbild verschlechtern.
Auswahl der geeigneten Darreichungsform
Auch wenn CBD viele Vorteile für Demenzpatienten bietet: Die Einnahme kann teilweise herausfordernd für die Betroffenen und Angehörige sein. Die Auswahl einer geeigneten Darreichungsform von CBD ist daher besonders wichtig, um die Einnahme so einfach und angenehm wie möglich zu gestalten.
- CBD-Öle und -Tropfen: Üblicherweise werden CBD-Öle für eine schnelle Wirkung unter die Zunge getropft. Sie können aber auch bequem in Speisen oder Getränke gemischt werden, um die Einnahme zu erleichtern. Da der typische Hanf-Geschmack nicht jedem behagt, bieten sich Öle mit zusätzlichen Geschmäckern an.
- CBD-Kapseln oder -Tabletten: Diese Darreichungsform ist geschmacklos und kann durch die einfache Einnahme mit Wasser besonders leicht für ältere oder demenzkranke Menschen angepasst werden.
- CBD-Sprays: Ein CBD-Spray ist besonders praktisch, da es direkt unter die Zunge gesprüht wird und eine schnelle Wirkung bietet.
- CBD in Speisen und Getränken: Eine ansprechende Variante ist Möglichkeit, CBD-Öl in Nahrungsmittel oder Getränke wie Smoothies, Tee oder Süßigkeiten zu mischen.
- CBD-Topika (Auftragen auf die Haut): Für Demenzpatienten, die z. B. Schmerzen oder Hautprobleme haben, bieten sich CBD-Salben und -Cremes an.
Wichtig ist generell, den Erkrankten die Einnahme so einfach wie möglich zu machen und gleichzeitig sicherzustellen, dass das CBD wirkt wie gewünscht.
Medizinalcannabis bei geriatrischen Patienten mit chronischen Schmerzen
Medizinalcannabis ist auch bei geriatrischen Patienten mit chronischen Schmerzen eine Therapieoption. Bei solchen Symptomen sei Medizinalcannabis wirksam: »Cannabinoide verbessern den Schlaf, die Stimmung und wirkten anxiolytisch«, sagte der Pharmakologe bei einem von Stadapharm unterstützen Symposium. Dabei sei aber auch mit unerwünschten Arzneimittelwirkungen zu rechnen. Die Appetitsteigerung helfe dabei, der Frailty entgegenzuwirken. Der Blutdruck nehme leicht ab und die Zahl der nächtlichen Dipper zu. Unter Dipping wird der physiologische Blutdruckabfall in der Nacht bezeichnet, dessen Ausbleiben das Herz-Kreislauf-Risiko steigert. Die Verträglichkeit sei auch bei geriatrischen Patienten gut. So seien in Studien keine Einschränkung der Alltagsaktivität oder ein vermindertes Überleben festgestellt worden. Auch eine Toleranzentwicklung oder Dosiserhöhung mit der Zeit wurde nicht beobachtet.
Grenzen und Perspektiven
Dennoch bleibt Cannabis nur ein Baustein im Gesamtkonzept der Demenzbehandlung. CBD kann eine sinnvolle Ergänzung sein, sollte aber in ein umfassendes Behandlungskonzept eingebettet werden. Begleitend zu CBD sollten ärztlich verordnete Medikamente nicht vernachlässigt werden.
Die Studienautoren beschreiben die Ergebnisse als „ermutigend“. Die Forschenden streben nun eine weitere Studie an, in der die Anzahl an ProbandInnen erhöht werden und Dronabinol über einen längeren Zeitraum verabreicht werden soll. Nach Abschluss der nächsten, größeren Studie lassen sich noch klarere Aussagen zur Wirksamkeit und Anwendbarkeit treffen. Die Ergebnisse der aktuellen Studie seien „sehr vielversprechend“. Es bleibt zu hoffen, dass die Daten mindestens reproduziert werden können, um Menschen mit Alzheimer und dem neuropsychiatrischen Symptom der Agitiertheit, sowie ihren Angehörigen in Zukunft besser helfen zu können.
Fazit
CBD-Öl bietet ein sehr großes Potenzial, das Leben von Menschen mit Demenz zu verbessern und möglicherweise sogar den Krankheitsverlauf zu verlangsamen - insbesondere durch seine entzündungshemmenden, neuroprotektiven und angstlösenden Eigenschaften. Trotzdem kann CBD bereits heute einen großen Beitrag dazu leisten, die Lebensqualität von Menschen mit Demenz/Alzheimer zu verbessern und auch den Angehörigen das gute Gefühl geben, ihre Lieben bestmöglich zu unterstützen. Es ist wichtig, sich von einem Arzt oder Apotheker beraten zu lassen, um die richtige Dosierung und Darreichungsform zu finden.
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