Das Rückenmark, oft als "langweiliges Anhängsel des Gehirns" abgetan, ist ein essenzieller Bestandteil des zentralen Nervensystems. Es fungiert als Brücke zwischen Gehirn und Körper, vermittelt Signale und steuert gleichzeitig bestimmte Funktionen autonom, also unabhängig vom Gehirn.
Aufbau des Rückenmarks
Das Rückenmark, geschützt durch die Wirbelsäule und Hirnhäute, erstreckt sich vom Hinterkopf bis zur Lendenwirbelsäule. Es ist ein runder Strang, der sich nach unten hin verjüngt und schließlich im Steißbein als dünner Faden endet. Entlang des Rückenmarks treten 31 Spinalnervenpaare aus, die an einen "Riesentausendfüßer" erinnern. Im unteren Bereich formen die Wurzeln der Spinalnervenpaare den "Pferdeschweif".
Graue und weiße Substanz
Ein Querschnitt des Rückenmarks offenbart im Zentrum eine schmetterlingsförmige Struktur: die graue Substanz. Diese besteht hauptsächlich aus Zellkörpern von Neuronen. Um die graue Substanz herum befindet sich die weiße Substanz, die aus myelinisierten Axonen besteht.
Hinter-, Vorder- und Seitenhörner
Die "Flügel" des Schmetterlings sind die Hörner:
- Hinterhörner: Sie beherbergen sensorische Neuronen, die Sinnesinformationen aus der Peripherie empfangen. Die Zellkörper dieser Neuronen liegen in den Spinalganglien außerhalb des Rückenmarks.
- Vorderhörner: Hier befinden sich motorische Neuronen, die Handlungsbefehle aus dem Gehirn und von peripheren Sinneszellen empfangen und an die Muskeln weiterleiten.
- Seitenhörner: Sie sind vor allem im Brustbereich zu finden und enthalten Zellkörper des vegetativen Nervensystems, das die Funktion innerer Organe steuert.
Laminae und Nuclei
Die graue Substanz ist in zehn Schichten (Laminae) unterteilt, die funktionell unterschiedliche Nervenkerne (Nuclei) beinhalten. Diese Einteilung ist teilweise überlappend. Die ersten sieben Schichten gehören zum Hinter- und Seitenhorn, die achte und neunte zum Vorderhorn, und die zehnte umschließt den Zentralkanal.
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Funktion des Eigenapparats
Nicht alle Zellen des Rückenmarks sind direkt mit dem Gehirn oder dem Körper verbunden. Binnenzellen, deren Axone das Rückenmark nicht verlassen, sind an Schaltkreisen innerhalb des Rückenmarks beteiligt. Diese Zellen des Eigenapparats ermöglichen dem Rückenmark, auch ohne Beteiligung des Gehirns komplexe Aufgaben zu erfüllen.
Reflexe
Ein wichtiger Teil der autonomen Funktion des Rückenmarks sind Reflexe. Bekannte Beispiele sind der Kniesehnenreflex und der Rückziehreflex bei Berührung einer heißen Oberfläche. Diese Reflexe laufen ab, bevor die Information das Gehirn erreicht, was eine schnelle Reaktion ermöglicht.
Motorische Funktionen
Die Motorik, also die willkürlichen und kontrollierten Muskelbewegungen, wird auch auf Rückenmarksebene koordiniert. Die einfachste Form der Bewegungsantwort ist der Reflex. Motoneurone im Vorderhorn des Rückenmarks steuern die Muskeln.
Sensorische Funktionen
Das Rückenmark spielt eine wichtige Rolle bei der Aufnahme von Reizen aus dem Körperinneren. Mechanorezeptoren, Muskelspindeln (Dehnungssensoren) und Sehnenorgane (Spannungssensoren) liefern Informationen über Muskellänge, Dehnungsgeschwindigkeit und Spannungszustand. Gelenksensoren erfassen die Bewegungsmöglichkeiten in den Gelenken.
Faserbahnen des Rückenmarks
Das Rückenmark enthält aufsteigende (afferente) und absteigende (efferente) Faserbahnen, die Informationen zwischen Gehirn und Körper austauschen.
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Aufsteigende Bahnen (sensorisch)
- Hinterstrangbahnen (Fasciculus gracilis und cuneatus): Sie leiten feine Mechanosensorik und Propriozeption (Lagesinn) von den unteren bzw. oberen Extremitäten und dem Rumpf zum Thalamus und schließlich zum somatosensorischen Kortex. Im Nucleus gracilis (Goll) bzw. cuneatus (Burdach) in der Medulla oblongata erfolgt die Umschaltung auf das zweite Neuron.
- Anterolaterales System (Tractus spinothalamicus anterior und lateralis): Es leitet protopathische Sensibilität (Schmerz, Temperatur, grobe Berührung) zum Thalamus, zur Formatio reticularis und zur Substantia grisea centralis. Die Umschaltung erfolgt im Nucleus proprius.
- Kleinhirnbahnen (Tractus spinocerebellaris anterior und posterior, Tractus cuneocerebellaris): Diese Bahnen vermitteln Propriozeption zum Kleinhirn und sind an der Koordination von Bewegungen beteiligt.
Absteigende Bahnen (motorisch)
- Pyramidenbahn (Tractus corticospinalis lateralis und anterior, Tractus corticonuclearis): Sie steuert die Willkürmotorik. Der Tractus corticospinalis lateralis kreuzt in der Medulla oblongata und verläuft kontralateral im Rückenmark. Der Tractus corticospinalis anterior verbleibt ipsilateral und kreuzt erst auf Segmenthöhe. Der Tractus corticonuclearis steuert die Willkürmotorik für Kopf und Hals.
- Extrapyramidales System: Dieses System umfasst verschiedene Bahnen, die die unwillkürlichen Bewegungen und den Muskeltonus beeinflussen. Dazu gehören der Tractus vestibulospinalis lateralis (Aktivierung der Extensoren), der Tractus vestibulospinalis medialis (Hemmung von Motoneuronen), der Tractus reticulospinalis medialis (Aktivierung der Extensoren) und der Tractus rubrospinalis (Aktivierung der Flexoren).
Funktionelle Organisation des Rückenmarks
Die Segmente des Rückenmarks sind für unterschiedliche Körperregionen zuständig:
- Halsmark (C1-C8): Bewegung von Kopf, Hals, Schultern und Armen, Atmung, Herzschlag.
- Brustmark (Th1-Th12): Teile der Handbewegungen, Rumpfmuskulatur, sympathischer Teil des vegetativen Nervensystems.
- Lendenmark (L1-L5), Kreuzmark (S1-S5), Schwanzmark (Co1): Funktionen unterhalb der Gürtellinie, Hüft-, Bein- und Fußbewegungen, Unterleibsfunktionen, Blasen- und Darmtätigkeit.
Klinische Bedeutung
Schädigungen des Rückenmarks können je nach Höhe der Schädigung zu unterschiedlichen neurologischen Problemen führen, von der Paraplegie (Lähmung der unteren Gliedmaßen) bis zur Tetraplegie (Lähmung aller vier Gliedmaßen und des Rumpfes).
Formatio Reticularis und Rückenmark
Die Formatio Reticularis (FOR), ein Netzwerk von Neuronen im Hirnstamm, hat Verbindungen zum Rückenmark und beeinflusst dessen Funktion. Sie ist an der Steuerung der Motorik, der Beeinflussung des Muskeltonus und der Reflexaktivität sowie der Kontrolle somatischer und viszeraler Wahrnehmung beteiligt. Die FOR integriert Impulse aus allen Sinnessystemen und trägt zur Aufrechterhaltung des Wachheitszustands bei.
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