Einen Nerv treffen: Herkunft, Bedeutung und Verwendung einer vielseitigen Redensart

Die Redensart „einen Nerv treffen“ ist im deutschen Sprachraum weit verbreitet und findet in unterschiedlichen Kontexten Anwendung. Sie beschreibt, dass etwas eine starke emotionale Reaktion auslöst oder ein Thema anspricht, das von großer aktueller Bedeutung ist. Dieser Artikel beleuchtet die Herkunft, die verschiedenen Bedeutungsnuancen und die Verwendung der Redensart anhand von Beispielen aus Literatur, Medien und Alltag.

Ursprung und Entwicklung des Begriffs „Nerv“

Um die Bedeutung der Redensart vollständig zu erfassen, ist es hilfreich, die Entwicklung des Begriffs „Nerv“ selbst zu betrachten. Das Wort „Nerv“ wurde im frühen 16. Jahrhundert aus dem Lateinischen nervus entlehnt, was ursprünglich „Sehne, Flechse, Muskel“ bedeutete. Diese ursprüngliche Bedeutung bezog sich auf Tiersehnen und Därme, aus denen Saiten, Bogensehnen und Fußfesseln gefertigt wurden. Im Altgriechischen findet sich das verwandte Wort néuron (νεῦρον) mit ähnlichen Bedeutungen.

In der antiken Medizin wurden Sehnen und Nerven oft als identisch oder zumindest wesensverwandt angesehen und daher mit demselben Begriff bezeichnet. Erst im 16. Jahrhundert erfolgte in der medizinischen Fachsprache eine begriffliche Eingrenzung des Wortes auf „Nerv“. Diese Differenzierung setzte sich jedoch in der Allgemeinsprache erst im 19. Jahrhundert durch. Bis ins 18. Jahrhundert behielt das Wort „Nerv“ im Deutschen die Bedeutungen „Band, Sehne, Muskel“ und bis ins 19. Jahrhundert „Bogensehne, Saite“.

Ab dem frühen 18. Jahrhundert entwickelte sich unter dem Einfluss der Lehre des schottischen Arztes R. Wytt und der sich entwickelnden Psychiatrie die Bedeutung „Leiter von Empfindungen und Bewegungen, Sinnesleiter“. In diesem Zusammenhang wurden Nervenkrankheiten zu einer Modeerscheinung. Im übertragenen Sinne erhielt das Wort „Nerv“ im 17. Jahrhundert die Bedeutung „innere Kraft, Wesen, Gehalt“. Die Redewendung „auf die Nerven fallen“ entstand in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts und bedeutet „nervös machen“.

Die Adjektive „nervig“ (sehnig, muskulös, kraftvoll) und „nervös“ (die Nerven betreffend, an schwachen Nerven leidend, reizbar, erregt) entwickelten sich ebenfalls im Laufe der Zeit. Das Wort „Nervosität“ erhielt im frühen 19. Jahrhundert die Bedeutung „Nervenschwäche, Empfindlichkeit, Reizbarkeit, krankhafter Zustand der Nerven“. Das Verb „entnerven“ (entkräften, der Nervenkraft berauben, nervlich erschöpfen) entstand Ende des 17. Jahrhunderts.

Lesen Sie auch: TIA: Ursachen, Symptome und Behandlung

Entstehung und frühe Verwendung der Redensart

Die Redensart „einen Nerv treffen“ in ihrer übertragenen Bedeutung ist seit den 1830er Jahren schriftlich belegt. Leopold von Ranke verwendete sie in seinem Werk „Die römischen Päpste“ (1834). Auch im „Berliner politischen Wochenblatt“ (1835) und in der „Isis oder Encyclopädischen Zeitung“ (1839) findet sich die Redensart.

Eine frühe Verwendung des metaphorischen Bildes des „Nervs der Zeit“ als empfindlicher Sensor der aktuellen Verhältnisse findet sich bereits 1842 in einem Artikel über die Schriftstellerin Rahel Varnhagen von Ense: "Rahel war, wie wenige, durchaus ein mitempfindender Nerv der Zeit; Alles zitterte in ihr und nach, und erlebte in ihr, wie der Griff auf der Saite, tausend Schwingungen; sie war, könnte man sagen, das Alles am feinsten durchfühlende Nervensystem ihrer Zeit".

Im Laufe des 20. Jahrhunderts etablierte sich die Redensart weiter. So hieß es beispielsweise 1951 im Magazin „Die Zeit“: „Die Berliner nahmen die Filme mit größter Aufmerksamkeit auf, die den nackten Nerv der Zeit trafen“.

Zwei Hauptbedeutungen der Redensart

Die Redensart „einen Nerv treffen“ hat zwei Hauptbedeutungen, die sich in ihrer Konnotation unterscheiden:

  1. Negative Bedeutung: Etwas löst eine negative Reaktion aus, wie z. B. Irritation, Ärger oder Unbehagen. Dies kann durch eine Aussage, eine Handlung oder eine Situation geschehen, die eine sensible Stelle berührt oder ein unangenehmes Gefühl hervorruft.
  2. Neutrale bis positive Bedeutung: Etwas findet große Beachtung oder Zustimmung, weil es ein relevantes Thema anspricht oder eine aktuelle Stimmungslage widerspiegelt. In dieser Bedeutung ist die negative Nebenbedeutung aufgehoben, und der Fokus liegt auf der deutlichen Wirkung, die ein Ereignis oder eine Handlung auslöst.

Beispiele für die Verwendung der Redensart

Literatur und Kultur

  • Klassismus in der Literatur: Werke, die Klassismus thematisieren, treffen oft einen Nerv, da sie Diskriminierung aufgrund sozialer Herkunft ansprechen und Hierarchieverhältnisse problematisieren. Autoren wie Didier Eribon, Annie Ernaux und Édouard Louis haben sich in ihren Werken intensiv mit diesem Thema auseinandergesetzt. Im deutschsprachigen Raum gilt Karin Struck mit ihrem Roman „Klassenliebe“ als Vorreiterin, da sie die Erfahrungen einer Klassenübergängerin aus einer Arbeiterfamilie in der akademischen Welt thematisiert.
  • Linke Stimmen in der Literatur: In Zeiten des erstarkenden Rechtsextremismus treffen dezidiert linke Stimmen in der Literatur einen Nerv, da sie wichtige gesellschaftliche Fragen aufwerfen und zum Nachdenken anregen. Olivier David ist ein Beispiel für einen Autor, der mit seinem Schreiben eine große Lücke füllt und wichtige Überlegungen darüber anstellt, wie man über Klasse schreiben kann.
  • Autosoziobiografische Romane: Romane, die autobiografische Elemente mit einer soziologischen Analyse verbinden, treffen oft einen Nerv, da sie persönliche Erfahrungen in einen größeren gesellschaftlichen Kontext einordnen. Der Roman „Was ich zurückließ“ von Marco Ott ist ein Beispiel dafür, wie ein Autor seine eigene Entfremdung von seinen Eltern und seinem Herkunftsmilieu literarisch verarbeitet.
  • Film und Gesellschaftskritik: Der Film „Hass - La Haine“ (1995) von Mathieu Kassovitz traf in den 1990er Jahren einen Nerv, da er die Erfahrung von Polizeigewalt und Marginalisierung in den französischen Banlieues thematisierte. Nach dem Tod von George Floyd erlangte der Film erneut eine besondere Relevanz.

Politik und Gesellschaft

  • Wahlverhalten: In politischen Diskussionen trifft es oft einen Nerv, wenn über die Zukunftsperspektiven verschiedener Bevölkerungsgruppen gesprochen wird. Die Frage, wie eine enkeltaugliche Welt gestaltet werden kann, ist ein wichtiges Wahlkriterium für viele Menschen.
  • Technologie und Innovation: Unternehmen, die innovative Technologien entwickeln und damit aktuelle Bedürfnisse befriedigen, treffen oft einen Nerv. Ein Beispiel dafür ist fruitcore robotics, ein Unternehmen, das intelligente Industrieroboter herstellt, die einfach zu bedienen sind und die Automatisierung von Produktionsprozessen erleichtern.

Alltagssprache

  • Persönliche Beziehungen: In persönlichen Gesprächen kann es vorkommen, dass jemand unbeabsichtigt einen Nerv trifft, indem er ein sensibles Thema anspricht oder eine verletzende Bemerkung macht.
  • Medien und Unterhaltung: In den Medien und in der Unterhaltungsindustrie wird die Redensart oft verwendet, um auszudrücken, dass ein bestimmtes Produkt oder eine bestimmte Kampagne besonders erfolgreich ist, weil sie ein aktuelles Bedürfnis befriedigt oder eine weit verbreitete Stimmung aufgreift.

Lesen Sie auch: Risikofaktoren für Schlaganfall in jungen Jahren

Lesen Sie auch: Die Symptome eines Schlaganfalls verstehen und Leben retten

tags: #einen #nerv #treffen #herkunft