Demenzforschung im Fokus: Ein umfassender Überblick mit Norbert Rose

Die Demenzforschung ist ein zentrales Feld, das angesichts der alternden Bevölkerung immer mehr an Bedeutung gewinnt. Aktuell leiden in Deutschland zwischen 1,5 und 1,8 Millionen Menschen an Demenz, und die Tendenz ist steigend. Dieser Artikel beleuchtet die verschiedenen Aspekte der Demenzforschung, insbesondere im Kontext des christlichen Glaubens und der seelsorgerischen Begleitung, unter Einbeziehung der Expertise von Norbert Rose, Pastor und Seelsorgeleiter.

Die Bedeutung der Demenzforschung

Das Thema Demenz wird in unserer Gesellschaft immer wichtiger, da auch unsere Gemeinden älter werden. Es ist essenziell, über die Krankheit und ihre Symptomatik zu informieren, um eine breitere Akzeptanz zu schaffen. Demente Menschen dürfen nicht als Störenfriede gesehen werden, sondern als Menschen, die noch da sind, aber nur noch sehr verlangsamt denken können.

Die Logik der Demenz verstehen

Demente Menschen haben eine völlig andere Logik, die wir verstehen lernen müssen. Das Perfide an der Krankheit ist, dass Betroffene immer mehr in der Vergangenheit und in einem völlig anderen Bewusstsein landen als wir. Aus dieser Perspektive reagieren sie auf Aktuelles, was uns als Gesunde wiederum irritiert. Es ist wichtig, sich in ihre rätselhafte Welt zu bewegen und sich dafür zu interessieren, was in dieser Welt passiert.

Glaubenserinnerungen reaktivieren

Viele demente Menschen haben in ihren Gemeinden eigene Glaubenserfahrungen gemacht und ihren Glauben gelebt. Dies ist ein gutes Fundament, auch wenn dieses verschwimmt oder von älteren Verhaltensmustern überdeckt wird. Ihre Glaubenserinnerungen behalten sie aber. Daran sollten wir anknüpfen und diese Erfahrungen erhalten und reaktivieren. Es geht nicht darum, mit Patienten zu diskutieren oder ihnen neue Erkenntnisse zu vermitteln. Selbst wer ein Leben lang nicht geglaubt hat, kennt biblische Texte oder alte Kirchenlieder, zum Beispiel aus dem Religionsunterricht.

Sinnliche Erfahrungen nutzen

Es ist sinnvoll, die Menschen mit möglichst vielen Sinnen anzusprechen. Die sinnliche Erfahrung ist sehr wichtig. Vieles, was wir sinnlich erfasst haben, können wir auch dann abrufen, wenn wir manche Dinge rational nicht mehr verstehen können. Hände spüren, ob etwas angenehm ist oder nicht. Alleine das kann etwas Positives bewirken. Auch angenehme Gerüche oder Klänge, die ja auch in der Pflege gezielt eingesetzt werden, sorgen für Wohlbefinden.

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Die Rolle der Gemeinde

In den Freikirchen ist es meistens so, dass die Menschen sehr lange in der Gemeinde aktiv waren und sie finanziell mitgetragen haben. Deswegen sollte die Gemeinde bereit sein, so lange wie möglich mit ihnen gemeinsam Gottesdienste zu feiern. Gemeinde muss aber auch die Angehörigen im Blick haben. Sie sind Mitgefangene der Krankheit und werden mit der Zeit isoliert. In Gemeinden könnten Netzwerke entstehen, die die Angehörigen unterstützen - sowohl in der alltäglichen Betreuung durch Besuchsdienste als auch bei der einfachen Unterstützung bei alltäglichen Aufgaben und dem Verständnis für die enorme psychische und oft auch körperliche Belastung der Angehörigen.

Trost und Gewissheit aus dem Glauben

Die Bibel hat ganz viele tröstende Passagen für kranke Menschen. Die Gewissheit aus Römer 8, dass mich nichts von der Liebe Gottes scheiden kann, ist gewaltig. Diese Gewissheit gilt es zu aktivieren. Auch Menschen, die nicht mehr viel von ihrem Glauben „wissen“, befinden sich immer noch in Gottes Hand. Meine Beziehung zu ihm hängt nicht davon ab, ob ich meinen Glauben noch bewusst formulieren kann. Nicht ich halte Gott, sondern er hält mich. Dies gilt auch für den Zustand, wenn mein Verstand nicht mehr mitmacht.

Emotionale und impulsive Reaktionen

Wir dürfen nicht nur auf das Rationale schauen, sondern auch das Emotionale und Impulsive. Auch das anscheinend irrationale Verhalten hat eine Bedeutung. Was der Kranke sagt und möchte, ist wichtig für ihn und das sollten wir ihm nicht ausreden. Gesunde Menschen müssen das erst lernen. Das Rationale wird unwichtiger.

Herausforderungen und Chancen im Umgang mit Demenz

Die Demenzforschung steht vor der Herausforderung, die Ursachen der Demenz bald zu verstehen, damit wir sie auch bekämpfen können. Natürlich wäre es genial, wenn wir Demenz bald behandeln können. Bisher können die Krankheit nur begleiten. Die Forschung beschäftigt sich damit, wie Menschen den Krankheitsverlauf durch ihre Lebensweise beeinflussen können.

Akzeptanz und Teilhabe

Als Gesellschaft müssen wir Formen finden, um demente Menschen so lange wie möglich an unserem Leben teilhaben zu lassen. In Restaurants, Theatern oder in Gottesdiensten sollen sie, solange es geht, anwesend sein.

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Angst überwinden und Verständnis entwickeln

Wir müssen zunächst einmal die Angst vor der Begegnung mit dementen Menschen überwinden und uns mit ihrem befremdlichen Verhalten beschäftigen. Wir können verstehen lernen, woher es kommt. Dabei lernen wir nicht nur viel über die kranken Menschen, sondern auch über uns und unser Gehirn. Außerdem brauchen wir eine höhere Akzeptanz dafür, dass Menschen sich nicht so klar äußern können, wie wir es gewohnt waren. Trotzdem sollten wir „in den Schuhen der Betroffenen tanzen“ und uns in ihrer rätselhaften Welt bewegen lernen. Dann merken wir, dass es eine erstaunlich klare Welt sein kann, die nur anders strukturiert ist als unsere.

Norbert Rose: Ein Leben im Dienst der Seelsorge und Demenzbegleitung

Norbert Rose war lange Pastor der Evangelisch-methodistischen Kirche. Dort hat er unter anderem in einem Seniorenzentrum seine ersten Erfahrungen mit dem Thema Demenz gemacht. Rose ist Vater von sechs Kindern, Pastor und Seelsorgeleiter der Langensteinbacher Höhe und dort vor allem im Bereich Seelsorge und Seminare tätig.

Erfahrungen und Erkenntnisse

Rose betont, dass es wichtig ist, die Menschen mit Demenz nicht zu belehren, ihr Tun und Denken nicht zu bewerten und ihnen nichts zu befehlen. Er hat im Laufe seiner Arbeit viele Erfahrungen gesammelt, sowohl positive als auch negative.

Ein Beispiel aus der Praxis

Im Seniorenzentrum lebte einmal eine ältere Dame mit starker nationalsozialistischer Prägung. Durch ihre Demenz war sie wieder in der damaligen Zeit gelandet. Dann kam eine andere demenzkranke Frau mit russischem Akzent auf die Station. Es ging ein Raunen durch die Räume, als sie rief: „Die Russen sind da.“ Wir mussten dann tatsächlich neue Wege finden, dass sich beide nicht mehr über den Weg liefen.

Die Verunsicherung der Betroffenen

Rose erzählt von einer älteren Frau, die er aus früheren Jahren noch als gesunden Menschen kannte. An ihrem Geburtstag habe ich sie dummerweise gefragt, wie alt sie geworden ist. Sie wusste es nicht mehr. Ich konnte ihre Verunsicherung förmlich spüren. Nach langem Überlegen hat sie mir dann geantwortet: „Das verrate ich Ihnen doch nicht!“. Sie hat es geschafft sich herauszuwinden: das war aber nicht nur lustig, sondern auch ein Stück Verzweiflung. Sie hat offensichtlich noch registriert: „Ich weiß etwas nicht, was jeder Mensch eigentlich wissen müsste“.

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"Fremd und doch vertraut": Ein Buch als Hilfe für Betroffene und Angehörige

Das Buch „Fremd und doch vertraut“ von Norbert Rose ist bei Gerth Medien erschienen und bietet Hilfen für Betroffene und Angehörige der Krankheit an. Es richtet sich vor allem an Angehörige, aber auch an Fachpersonal, Mitarbeiter in Sozialdiensten, Ehrenamtliche sowie Pfarrer und Pastoren.

Inhalte des Buches

Im ersten Teil werden Informationen über das Krankheitsbild sowie bewährte Hilfen für den Umgang mit dem Betroffenen vermittelt. Der zweite Teil beschäftigt sich mit den Auswirkungen einer Demenz auf den persönlichen christlichen Glauben. Er bietet außerdem Hilfen, dem Dementen das "innere Zuhause", seine geistliche Heimat zu erhalten - mit bekannten Formen, Ritualen, Texten und tröstenden Liedern. Anregungen für gottesdienstliche Feiern sowie Andachten zu bekannten christlichen Liedern runden das Ganze ab.

Die CD "Vertraut - Lieder, die mein Herz berühren"

Separat zum Buch ist ebenfalls bei Gerth Medien eine CD (Produzent Lars Peter) erschienen. Sie trägt den Titel „Vertraut - Lieder, die mein Herz berühren: Musik für Menschen mit Demenz“. Das Album enthält Chor-Aufnahmen bekannter Lieder und Choräle (wie Lobe den Herren, Geh aus, mein Herz, So nimm denn meine Hände), die Norbert Rose aussuchte und die zum Mitsingen geeignet sind. Außerdem sind als Texte Psalm 23 und das Vaterunser zu hören.

Die Woche der Demenz

Die Woche der Demenz ist eine große Chance, um das Thema ins Bewusstsein zu bringen. Es gibt diese Krankheit und sie kann schneller als gedacht das eigene Umfeld erreichen. Wenn Menschen erste Anzeichen erkennen können und sich gegebenenfalls darauf vorbereiten, ist das wertvoll. Wir haben heute schon mindestens 1,5 Millionen Betroffene. Die Alterspyramide zeigt, dass in 20 Jahren für Betroffenen immer weniger Menschen zur Verfügung stehen, die sich um diese kümmern. Die Krankheit kann jeden treffen. Je mehr wir darüber wissen, desto mehr können wir den Verlauf erleichtern und mit einer guten Begleitung hinauszögern.

Glaube und Demenz: Eine besondere Perspektive

Die Frage, was im Falle einer Demenz von unserer Gottesbeziehung übrig bleibt, beschäftigt viele Christen. Werde ich überhaupt noch wissen, dass es Gott gibt? Werde ich vielleicht eines Tages meine Lieblingsgebete genauso vergessen wie die Namen meiner Kinder?

Kindschaft Gottes

Nobert Rose betont die Kindschaft Gottes in besonderer Weise. Im Gegensatz zu allen anderen Beziehungen sei eine Eltern-Kind-Beziehung eine absolut verbindliche Beziehung. So ist Nobert Rose überzeugt: „Ich kann es nicht anders verstehen, als dass die Kindschaft im Glauben tatsächlich eine verbindliche, unauflösbare Verbindung zu meinem Gott schafft.

Nicht unser Gefühl, sondern das Kreuz Jesu

Die Grundlage des Glaubens ist nicht das, was der Mensch tut, sondern was Jesus getan hat. Daher betont Nobert Rose: „Ich weiß, dass ich nicht nur solange in der Hand meines Gottes bin, wie ich das formulieren oder fühlen kann. Auch, wenn ich gar nichts mehr kann, bin ich immer noch in seiner Hand. Denn nicht unser Gefühl oder unsere Haltung hat uns erlöst, sondern das Kreuz Jesu.

Praktische Tipps für den Umgang mit Demenzkranken

Nobert Rose gibt praktische Tipps für den Umgang mit Demenzkranken, basierend auf seiner langjährigen Erfahrung als Seelsorger:

  • Nicht korrigieren oder kritisieren: Sätze wie „Das ist doch ganz einfach“ oder „Das musst du doch wissen“ treiben den Betroffenen nur weiter in die Enge.
  • Die Realität des Betroffenen akzeptieren: Demente Menschen leben oft in einer anderen Realität. Es ist wichtig, diese Realität zu akzeptieren und nicht zu versuchen, sie zu verändern.
  • Sinnliche Erfahrungen nutzen: Sprechen Sie die Menschen mit möglichst vielen Sinnen an. Angenehme Gerüche, Klänge und Berührungen können Wohlbefinden bewirken.
  • Glaubenserinnerungen aktivieren: Knüpfen Sie an die Glaubenserinnerungen der Betroffenen an. Bekannte Lieder, Gebete und biblische Texte können Trost und Geborgenheit spenden.
  • Emotionale und impulsive Reaktionen akzeptieren: Akzeptieren Sie auch das anscheinend irrationale Verhalten der Betroffenen. Was der Kranke sagt und möchte, ist wichtig für ihn.

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