Ein Hörverlust, insbesondere eine einseitige Taubheit, kann die Lebensqualität von Kindern erheblich beeinträchtigen. Eine frühzeitige Diagnose und Intervention sind entscheidend, um eine angemessene Therapie einzuleiten und die bestmögliche Unterstützung zu gewährleisten. Dieser Artikel beleuchtet die Ursachen, Diagnoseverfahren und Therapiemöglichkeiten bei einseitiger Taubheit bei Kindern.
Definition und Formen der Gehörlosigkeit
Medizinisch wird von Gehörlosigkeit oder Taubheit gesprochen, wenn eine Person Töne und Geräusche nur stark eingeschränkt oder gar nicht mehr wahrnehmen kann. Einseitige Taubheit bezieht sich auf den Hörverlust auf nur einem Ohr, was die Fähigkeit, die Richtung und Entfernung von Schallquellen zu bestimmen, beeinträchtigt.
Es werden zwei wesentliche Formen der Gehörlosigkeit unterschieden:
- Prälinguale Gehörlosigkeit: Hörverlust im frühen Kindesalter, bevor das Sprechen erlernt wurde.
- Postlinguale Gehörlosigkeit: Hörverlust nach dem Erlernen des Sprechens.
Häufigkeit von Hörstörungen bei Kindern
Zwei bis drei von 1000 Kindern kommen mit einer Hörstörung auf die Welt. Schätzungsweise 80.000 Kinder in Deutschland leben mit stark eingeschränktem Gehör. Weltweit sind etwa 32 Millionen Kinder von Hörproblemen betroffen.
Ursachen der einseitigen Taubheit bei Kindern
Die Ursachen für einseitige Taubheit bei Kindern können vielfältig sein und lassen sich in angeborene und erworbene Ursachen unterteilen.
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Angeborene Ursachen
Etwa eines von 1000 Neugeborenen kommt bereits mit einer ausgeprägten Schwerhörigkeit oder Gehörlosigkeit zur Welt. Nur etwa 15 Prozent der Gehörlosigkeit sind ererbt. Angeborene Ursachen können sein:
- Erbliche Faktoren: Genetisch bedingte Fehlbildungen von Mittelohr, Innenohr und/oder Hörnerv. Kinder gehörloser Eltern kommen dann meist ebenfalls gehörlos zur Welt. Oft sind bei erblich bedingter Gehörlosigkeit auch andere Organe wie Augen, Nieren, Knochen und Haut geschädigt. Mit 50 % stellen hereditäre Innenohrerkrankungen den größten Teil aller frühkindlichen Hörstörungen dar.
- Schädigende Einflüsse während der Schwangerschaft: Viruserkrankungen wie Röteln, Zytomegalie, Toxoplasmose oder Syphilis der Mutter, Medikamenteneinnahme (Antibiotika), Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes mellitus, Alkohol- und Nikotinkonsum.
- Komplikationen während der Geburt: Sauerstoffmangel oder mechanische Geburtstraumen. Risikofaktoren sind Frühgeburten, Kernikterus oder Atemstillstand mit Sauerstoffmangel (Neugeborenen-Asphyxie).
Erworbene Ursachen
Gründe für einen späteren Hörverlust können sein:
- Infektionen: Gehirnhautentzündungen (Meningitis), Virusinfektionen wie Mumps oder Masern, chronische Mittelohrentzündungen oder Komplikationen einer Otitis media oder Cholesteatom (Labyrinthitis). Bei bakterieller Meningitis ist das Risiko einer Innenohrschädigung relativ hoch (20 %). Bei verschiedenen Infektionskrankheiten wie Masern, Scharlach, Diphtherie, Typhus und Fleckfieber ist eine toxische Innenohrschädigung möglich. Bei Mumps und Zoster oticus kann es zu einem neuralen Hörverlust kommen, ferner nach Meningitis oder Enzephalitis.
- Verletzungen: Schädelbrüche oder traumatische Schädigungen des Innenohrs durch Felsenbeinfrakturen oder durch die Einwirkung in Form von hohen Schalldrucken und Lautstärken bedingt. Rupturen der Membran im runden Fenster sind nach Traumen, nach Tauchen und nach plötzlicher Unterdrucksituation im Mittelohr, z. B. beim Landeanflug, beschrieben. Rupturen im Bereich des ovalen Fensters sind als Folge von Schädeltraumen oder eines Barotraumas beschrieben.
- Medikamente: Nebenwirkungen von Medikamenten wie Aminoglykosiden, Zytostatika oder Chininen u. a. Toxische Schäden der Kochlea sind gefürchtete Nebenwirkungen von Aminoglykosiden und Chemotherapeutika, wie z. B. Cisplatin.
- Lärmbelastung: Akutes Lärmtrauma durch Knall oder Explosion und eine chronische Lärmbelastung. Bei Kindern und Jugendlichen kommt es nicht selten zu einer Innenohrschädigung durch Lärmeinflüsse. Bei Kleinkindern können durch Spielzeug (Pistolen, Knallfrösche u. a.) bereits Lärmschäden auftreten. Bei Jugendlichen sind es meist Walkman, MP3-Player und laute Musik in Diskotheken und auf Rockkonzerten.
- Tumore: Akustikusneurinom, eine seltene Ursache für eine Schallempfindungsschwerhörigkeit beim Jugendlichen. Grundsätzlich sollte eine Neurofibromatosis Typ1 (NF1) Morbus Recklinghausen ausgeschlossen werden.
- Hörsturz: Ein plötzlicher Hörverlust unterschiedlichen Ausmaßes, wird in letzter Zeit vermehrt auch bei Jugendlichen und Heranwachsenden beobachtet.
Symptome der einseitigen Taubheit bei Kindern
Im Vergleich zur Gehörlosigkeit zeigen sich bei einer einseitigen Taubheit nur Symptome einer leichteren Hörbehinderung:
- Schwierigkeiten, einem Gespräch zu folgen, das auf der Seite mit dem tauben Ohr stattfindet.
- Unfähigkeit, Hintergrundlärm auszublenden.
- Unfähigkeit, die Richtung und Entfernung einer Schallquelle festzustellen. Dies kann zum Beispiel Schulprobleme oder eine Gefährdung im Straßenverkehr mit sich bringen.
- Verzögerte oder ausbleibende Reaktion auf Geräusche von der betroffenen Seite.
- Häufiges Nachfragen oder Missverstehen von Gesprochenem, insbesondere in lauten Umgebungen.
- Schwierigkeiten beim Richtungshören, was zu Problemen bei der Lokalisation von Geräuschen führen kann.
- Erhöhte Höranstrengung, die zu Müdigkeit und Konzentrationsschwierigkeiten führen kann.
Bei angeborener Gehörlosigkeit reagieren Säuglinge (etwa ab der 4. bis 6. Lebenswoche) nicht auf akustische Reize wie plötzliche, laute Geräusche. Auch drehen sie erst spät (ab dem 6. Lebensmonat) den Kopf in Richtung der Quelle plötzlicher Geräusche oder Stimmen. Ein anderes Symptom von angeborener Gehörlosigkeit: Die Kinder lautieren und sprechen sehr verzögert, eingeschränkt oder gar nicht.
Diagnoseverfahren bei einseitiger Taubheit
Um bei einseitiger Taubheit, Gehörlosigkeit oder beginnendem Hörverlust die Diagnose so früh wie möglich zu stellen, findet heute bei jedem Kind nach der Geburt ein Hörtest statt. Auch bei den nachfolgenden Früherkennungs-Untersuchungen ist es üblich, das Gehör zu testen. Bei Verdacht auf eingeschränktes Hörvermögen werden Ohren und Gehör prinzipiell vom Kinderarzt untersucht. Bei entsprechendem Befund erfolgt die Überweisung zum Spezialisten (meist einem Arzt für Hals- Nasen- und Ohrenheilkunde).
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Dieser wird untersuchen, wo genau der Hörschaden liegt. Dazu sind verschiedene Untersuchungen möglich:
- Objektiver Hörtest (BERA) zur Untersuchung des Hörnervs: Dieser kommt vor allem bei Kindern zum Einsatz, da er das Hörvermögen objektiv widerspiegelt.
- Messung otoakustischer Emissionen (OAE) zum Nachweis einer Schädigung der äußeren Haarzellen des Innenohrs: Ist auch bei Kindern zur Diagnose geeignet, da dieser Test ebenfalls objektiv ist.
- Gleichgewichtsprüfung zum Ausschluss einer Mitbeteiligung des Gleichgewichtsorgans.
- Computertomographie (CT) oder Magnetresonanztomographie (MRT) zum Nachweis, ob anatomische Veränderungen im Bereich der Hörschnecke (Cochlea) oder des Hörnervs vorliegen.
- Promontorialtest zur Überprüfung der Funktionsfähigkeit des Hörnervs, wenn zur Behandlung eine Innenohrprothese (sog. Cochlea-Implantat) vorgesehen ist.
- Neurologische Untersuchungen, um andere Ursachen für die Symptome von Gehörlosigkeit auszuschließen (wie Wahrnehmungsstörungen oder Intelligenzminderung).
Vor allem bei gehörlosen Kindern ist es immer ratsam, auch andere Ursachen für die Symptome der Taubheit oder Gehörlosigkeit (wie eine gestörte Wahrnehmung oder stark geminderte Intelligenz) bei der Diagnose auszuschließen. Dazu sind entsprechend körperliche Untersuchungen notwendig, um die Funktionen des Nervensystems zu prüfen (sog. neurologische Untersuchungen).
Therapiemöglichkeiten bei einseitiger Taubheit
Bei einer Taubheit oder Gehörlosigkeit hängt die Therapie von Ausmaß und Ursache des Hörverlusts ab: Um eine starke ein- oder beidseitige Schwerhörigkeit zu behandeln, ist unter Umständen ein Hörgerät geeignet. Wenn die Hörschädigung zu stark ausgeprägt ist, erzielen Sie mit einem Hörgerät jedoch keine Verbesserung. In dem Fall ist zur Behandlung womöglich ein Implantat (sog. Innenohrprothese oder Cochlea-Implantat: Cochlea = Hörschnecke im Innenohr) geeignet, um das Hörvermögen wiederherzustellen.
Eine einseitige Taubheit scheint - anders als eine völlige Gehörlosigkeit - gar keine Therapie erforderlich zu machen: Man kann ja schließlich noch mit dem anderen Ohr hören. Zwar durchlaufen Kinder, die früh auf einem Ohr stark hörbehindert sind, in der Regel eine ungestörte Sprachentwicklung. Doch spätestens in der Schule treten oft Probleme auf, weil die einseitige Taubheit es zum Beispiel unmöglich macht, Hintergrundgeräusche auszublenden.
Cochlea-Implantat (CI)
Zum einen kann eine Innenohrprothese die verloren gegangene Fähigkeit zum räumlichen Hören (d.h. die Richtung und Entfernung einer Schallquelle festzustellen) wiederherstellen. Seit 2008 wurden erstmalig auch einseitig taube Patienten zur Behandlung eines stark belastenden Tinnitus mit einem Cochlea Implantat (CI) versorgt. Dabei stellte man fest, dass das Sprachverstehen im Störgeräusch mit CI deutlich verbessert und der störende Tinnitus verringert werden konnte.
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Voraussetzung für die Cochlea-Implantation ist ein vorhandener und stimulierbarer Hörnerv und eine flüssigkeitsgefüllte Hörschnecke, die nicht verknöchert ist. Bei Erwachsenen mit erworbener einseitiger Taubheit und stimulierbarem Hörnerv und einer nicht zu langen Taubheitsdauer (Ertaubung im Kindesalter) ist eine Cochlea-Implantation nach ausführlicher Diagnostik indiziert.
Bei Kindern müssen wir zwischen Kindern mit angeborener einseitiger Ertaubung und Kindern mit erworbener einseitiger Ertaubung unterscheiden. Wie bereits erwähnt, ist die häufigste Ursache bei Kindern mit angeborener einseitiger Ertaubung eine Hörnerv-Dysplasie, bzw. Hörnerv-Aplasie. In diesen Fällen ist eine Cochlea-Implantation nicht indiziert. Weiterhin zeigen unsere Ergebnisse, dass eine frühe Implantation von Kindern mit angeborener einseitiger Ertaubung bis zum vierten Lebensjahr sehr gute Ergebnisse bringen. Sofern die Kinder mit erworbener einseitiger Taubheit nach dem Erwerb der Sprachfähigkeit, also über einem Alter von zwei bis vier Jahren ertaubt sind, ist eine Cochlea-Implantation bei intaktem und stimulierbarem Hörnerv empfehlenswert.
Die Operation erfolgt in der Regel unter Vollnarkose und dauert zwei bis drei Stunden. Das Cochlea-Implantat besteht aus einem zu implantierenden Teil und aus einem äußeren Teil (dem Sprachprozessor). Der zu implantierende Teil verfügt über Elektroden, die der Operateur mithilfe eines sehr dünnen Kabels in die Hörschnecke (Cochlea) einführt. Dort erregen beziehungsweise reizen sie anstelle der geschädigten Sinneszellen den Hörnerv direkt.
Durch ein CI verbessert sich die Lebensqualität bei einseitig Ertaubten deutlich. Durch das wieder ermöglichte beidseitige Hören finden diese Patienten leichter Zugang zu sozialer Interaktion. Weiterhin ist auch der subjektive Höreindruck, also das subjektive Empfinden des Hörens deutlich verbessert, die Tinnitusbelastung reduziert, und Copingmechanismen werden gestärkt.
Entscheidend dafür, dass bei beidseitiger Taubheit eine Implantation erfolgreich ist, ist eine anschließende Rehabilitation: Diese ist sehr umfangreich und langwierig und erfolgt in speziellen Zentren. Zunächst ist es notwendig, das Hören und Sprechen neu zu erlernen. Nur ein ständiges Training und eine entsprechende Motivation führen zu guten Erfolgen. Wenn die Gehörlosigkeit von Geburt an besteht, erhält das betroffene Kind die Implantate in der Regel zwischen dem zweiten und vierten Lebensjahr, damit sich seine Sprechfähigkeit herausbilden kann.
Alternative Hörhilfen
Es gibt verschiedene Möglichkeiten der Hör-Rehabilitation, sollte ein CI entweder nicht indiziert oder von dem Patienten nicht gewünscht sein.
- CROS-Versorgung (Contralateral Routing of Signal): Hierbei werden beidseitig Hörgeräte getragen und der Schall vom tauben Ohr auf den Empfänger am normal hörenden Ohr übertragen. Ein Vorteil der CROS-Versorgung ist, dass kein operativer Eingriff notwendig ist und der Patient ohne Probleme ein MRT erhalten kann. Weiterhin ist der Patient von der tauben Seite ansprechbar.
- Knochenverankerte Hörsysteme: Sind eine andere Möglichkeit der Versorgung, jedoch ebenfalls invasiv und mit mehr oder weniger großen Artefakten im MRT behaftet. Hierbei zeigen die perkutanen Systeme die kleinsten Artefakte.
Weitere unterstützende Maßnahmen
Bei früher Gehörlosigkeit ist es - neben der Therapie durch Implantate und lautsprachliche Förderung - jedoch auch zu empfehlen, die Gebärdensprache zum festen Teil der Frühförderung zu machen. Zusätzlich können Signalanlagen für Gehörlose den Alltag erleichtern, indem sie akustische Geräusche in Licht- oder Vibrationssignale umwandeln.
Vorbeugung von Hörverlust
Einer erblich bedingten angeborenen Taubheit oder Gehörlosigkeit können Sie nicht vorbeugen. Auch einige Erkrankungen oder Geburtstraumata, die zu Taubheit führen können, sind nur schwer zu verhindern. Das Risiko erworbener Gehörlosigkeit kann aber sehr wohl verringert werden. Schwangere sollte sich etwa durch entsprechende Impfungen vor Virus-Infektionen (wie Röteln) schützen, nicht rauchen, keinen Alkohol trinken und Medikamente nur nach Rücksprache mit dem Arzt einnehmen. Nach der Geburt des Kindes ist es sinnvoll, das Angebot des Neugeborenen-Hörscreenings wahrzunehmen. Eltern, denen eine mangelnde Reaktion ihrer Kinder auf akustische Reize auffällt, sollten umgehend das Hörvermögen ihrer Kinder testen lassen. Lärm und laute Geräusche können das Gehör schädigen. Fachleute raten dazu, Musik über Kopfhörer pro Tag nicht länger als eine Stunde mit mehr als der Hälfte der maximal einstellbaren Lautstärke zu hören.
Umgang mit gehörlosen Kindern
Wenn Eltern feststellen, dass ihr Kind hörbehindert ist, sind sie meist bestürzt und sorgen sich um die Entwicklung und Zukunft ihres Kindes. Es ist wichtig, gehörlose Menschen wie jeden anderen Menschen auch zu behandeln und ihnen die gleichen Chancen und Möglichkeiten zu bieten.
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