Einseitige Taubheit: Ursachen, Auswirkungen und Behandlungsmöglichkeiten

Taubheit, auch Surditas oder Gehörlosigkeit genannt, bezeichnet den vollständigen Verlust des Hörempfindens. Dabei kann entweder ein Ohr (einseitige Taubheit) oder beide Ohren (beidseitige Taubheit) betroffen sein. Es ist wichtig zu beachten, dass der Begriff "Gehörlosigkeit" oft auch als Synonym für hochgradige Schwerhörigkeit oder Resthörigkeit verwendet wird, da etwa 98 % der sogenannten tauben Menschen ein Restgehör haben. Im Falle absoluter Gehörlosigkeit kann der Betroffene jedoch keine Audiosignale mehr wahrnehmen.

Formen der Taubheit

Man unterscheidet zwischen prälingualer Taubheit, bei der der Hörverlust bereits bei der Geburt vorliegt, und postlingualer Taubheit, die erst im Laufe des Lebens erworben wird. Die Ursachen für Taubheit können vielfältig sein und auf dem gesamten Weg der Schallverarbeitung liegen, von der Schallaufnahme über die Schallumwandlung im Innenohr bis hin zur Verarbeitung der akustischen Reize im Gehirn.

Klinische und praktische Taubheit

Eine weitere Unterscheidung besteht zwischen klinischer und praktischer Taubheit. Bei praktischer Taubheit grenzt der Grad der Schwerhörigkeit zwar an Taubheit, es ist jedoch noch eine Teilfunktion des Innenohrs nachweisbar. Dies kann beispielsweise bei einer kombinierten Schwerhörigkeit der Fall sein.

Taubheit und Stummheit

Oft wird im Zusammenhang mit Taubheit der Begriff "taubstumm" verwendet. Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass Surditas nicht zwangsläufig Stummheit zur Folge hat. Taube Menschen können durchaus in der Lage sein, zu sprechen, sei es in Lautsprache oder in Gebärdensprache. Allerdings kann Taubheit in manchen Fällen in Kombination mit Stummheit und/oder Blindheit auftreten.

Ursachen von Taubheit

Die Ursachen für Taubheit sind vielfältig und können an verschiedenen Stellen des Hörsystems liegen:

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  • Einschränkungen in der Schallleitung: Der Schall kann nicht wie gewöhnlich über das Mittelohr zum Innenohr geleitet werden. Ursache dafür ist meist eine Schädigung der schallverstärkenden Gehörknöchelchen im Mittelohr.
  • Einschränkungen in der Schallempfindung: Die Weiterleitung des Schalls zum Innenohr ist nicht betroffen, jedoch die Weiterleitung der Signale an das Gehirn. Folglich findet keine Verarbeitung des Gehörten statt. Hierbei werden die ankommenden akustischen Signale in der Regel nicht registriert (sensorische Hörstörung). In selteneren Fällen werden die Signale zwar im Innenohr registriert, aber dann nicht an das Gehirn weitergeleitet und dort wahrgenommen - entweder aufgrund einer Störung des Hörnervs (neurale Hörstörung) oder der zentralen Hörbahn (zentrale Hörstörung).
  • Psychogene Hörstörung: In seltenen Fällen führt eine psychische Erkrankung zur Beeinflussung des Hörvermögens. Psychische Belastungen stören bei manchen Menschen die Hörempfindung - auch ohne nachweisbare Schäden der Ohren.

Angeborene Taubheit

Angeborene Taubheit kann verschiedene Ursachen haben:

  • Genetische Faktoren: Eine genetisch bedingte Hörstörung kann vorliegen, insbesondere wenn Taubheit in der Familie gehäuft auftritt. Auslöser sind Fehlbildungen des Innenohres oder des Gehirns. Die häufigsten Syndrome die eine Taubheit als Symptom haben sind das Usher-Syndrom oder das Waardenburg-Syndrom.
  • Infektionen während der Schwangerschaft: Infektionen der Mutter während der Schwangerschaft, wie beispielsweise Röteln oder Syphilis, können die Entwicklung des kindlichen Gehörs beeinträchtigen.
  • Einnahme bestimmter Medikamente oder Drogen während der Schwangerschaft: Die Einnahme von ohrschädigenden (ototoxischen) Arzneistoffen wie Thalidomid oder bestimmten Antibiotika (Aminoglykoside, Makrolide, Glykopeptide) sowie der Konsum von Drogen wie Alkohol oder Nikotin können das Risiko für eine Hörschädigung beim Kind erhöhen.
  • Komplikationen während der Geburt: Sauerstoffmangel oder Hirnblutungen während der Geburt können ebenfalls zu angeborener Taubheit führen, insbesondere bei Frühgeborenen.

Erworbene Taubheit

Erworbene Taubheit kann durch folgende Faktoren verursacht werden:

  • Infektionen: Längere Infektionen des Ohres oder Infektionen der Hirnhäute (Meningitis) oder des Gehirns (Enzephalitis) können in schweren Fällen zu Taubheit führen.
  • Medikamente: Einige Medikamente, wie bestimmte Krebsmedikamente (Chemo-Therapeutika), Entwässerungsmittel (Diuretika) und bestimmte Antibiotika, haben eine ohrschädigende Wirkung.
  • Lärmschäden: Lärmexposition kann das Gehör schädigen und zu Taubheit führen.
  • Durchblutungsstörungen: Durchblutungsstörungen im Innenohr können ebenfalls Taubheit verursachen.
  • Hörsturz: Ein plötzlicher Hörverlust (Hörsturz) kann in manchen Fällen zu Taubheit führen.
  • Chronische Erkrankungen des Ohres: Chronische Erkrankungen des Ohres wie beispielsweise die Otosklerose können Taubheit verursachen.
  • Tumore: Tumore am Hörnerv (z. B. Akustikusneurinom) können ebenfalls zu Taubheit führen.
  • Verletzungen: Verletzungen des Kopfes oder des Ohres können Taubheit verursachen.
  • Industrieschadstoffe: Seltener können auch Industrieschadstoffe wie Kohlenmonoxid zu Taubheit führen.

Diagnose von Taubheit

Zur Diagnose von Taubheit ist ein Besuch beim Hals-Nasen-Ohren-Arzt (HNO-Arzt) erforderlich. Dieser wird zunächst in einem Anamnesegespräch die Krankengeschichte erheben und nach Risikofaktoren für Hörstörungen und bisherigen Auffälligkeiten fragen.

Anamnese

Wichtige Fragen im Anamnesegespräch sind:

  • Besteht ein Verdacht auf Taubheit?
  • Gibt es Risikofaktoren für Hörstörungen?
  • Gab es bisherige Auffälligkeiten beim Hören?

Bei Kindern sind folgende Auffälligkeiten ernst zu nehmen, da sie auf eine Hörstörung oder Taubheit hinweisen können:

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  • Das Kind reagiert oft nicht auf Ansprache oder auf Rufen.
  • Anweisungen werden nicht korrekt befolgt.
  • Oft wird mit "Wie?" oder "Was?" nachgefragt.
  • Die Sprachentwicklung ist nicht altersgemäß.
  • Die Verständlichkeit der Sprache ist durch eine schlechte Artikulation erschwert.
  • Beim Fernsehen oder Musikhören stellt das Kind besonders hohe Lautstärken ein.

Untersuchungsmethoden

Nach der Anamnese folgen verschiedene Untersuchungen und Tests, um den Verdacht auf Taubheit abzuklären.

  • Ohrspiegelung (Otoskopie): Der Arzt untersucht das Ohr mit einem Otoskop, um den Zustand des Gehörgangs und des Trommelfells zu beurteilen. Diese Untersuchung liefert allerdings nur Aussagen über die Anatomie, nicht über die Hörleistung.
  • Weber- und Rinne-Test: Diese Stimmgabeltests geben wichtige Hinweise auf die Art und den Ort der Hörschädigung.
    • Weber-Test: Der Arzt setzt die schwingende Stimmgabel auf die Mitte des Kopfes des Patienten und fragt, ob der Ton auf einem Ohr besser gehört wird als auf dem anderen. Bei normalem Hörvermögen ist das Hören auf beiden Ohren gleich. Eine Lateralisation (Hören des Tons auf einer Seite lauter) weist auf eine Schallleitungs- oder Schallempfindungsstörung hin.
    • Rinne-Test: Die schwingende Stimmgabel wird auf den Knochen hinter dem Ohr aufgesetzt, bis der Ton nicht mehr hörbar ist. Anschließend wird die Stimmgabel vor das Ohr gehalten. Bei normalem Hörvermögen wird der Ton wieder wahrgenommen, da die Luftleitung besser als die Knochenleitung ist.
  • Tonschwellen-Audiometrie: Bei diesem klassischen Hörtest wird die Hörbarkeit von Tönen über Kopfhörer oder Knochenleitungs-Kopfhörer zur Bestimmung der frequenzabhängigen Hörschwelle genutzt. Die Hörschwelle wird in Dezibel angegeben.
  • Sprach-Audiometrie: Statt Tönen werden den Patienten Wörter oder Laute vorgespielt, die sie erkennen und nachsprechen müssen. Auf diese Weise wird auch das Verständnis von Sprache getestet.
  • Tympanometrie (Impedanz-Audiometrie): Der Arzt führt eine Sonde in das Ohr ein und schließt es damit luftdicht ab. Die Sonde sendet einen Ton aus und misst kontinuierlich den Widerstand des Trommelfells und damit den auch der nachgeschalteten Gehörknöchelchen. Das gibt Aufschlüsse über die Funktionalität des Mittelohrs.
  • Messung des Stapedius-Reflexes: Bei der Messung des Stapedius-Reflexes wird die Reflex-Schwelle bestimmt, also der Lautstärke-Wert, ab dem der Reflex ausgelöst wird. Durch diese Untersuchung lässt sich feststellen, ob die Gehörknöchelchen im Mittelohr normal beweglich sind.
  • Neugeborenen-Screening: Seit 2009 werden alle Neugeborenen auf Taubheit untersucht. Ziel ist es, Hörstörungen frühzeitig zu erkennen und zu behandeln. Im Rahmen des Screenings werden die otoakustischen Emissionen gemessen und die Hirnstamm-Audiometrie (BERA) durchgeführt.
  • Bildgebende Verfahren: In bestimmten Fällen, insbesondere bei Verdacht auf eine Krebserkrankung oder eine Fehlbildung, werden bildgebende Verfahren wie die Magnetresonanztomografie (MRT) oder die Computertomografie (CT) eingesetzt, um das Gehirn bzw. das Ohr detailliert abzubilden.
  • Blutuntersuchungen: Blutuntersuchungen sind meist nicht aufschlussreich bei Verdacht auf Taubheit. Sie sind nur in bestimmten Fällen hilfreich, etwa zur Abklärung von Infektionen oder bei Hinweisen auf eine Stoffwechselerkrankung.

Auswirkungen von einseitiger Taubheit

Einseitige Taubheit, auch Single-Sided Deafness (SSD) genannt, hat erhebliche Auswirkungen auf das Hörvermögen und die Lebensqualität der Betroffenen.

Beeinträchtigungen des Hörvermögens

  • Eingeschränktes Richtungshören: Die Lokalisation von Schallquellen ist erschwert oder unmöglich.
  • Schwierigkeiten beim Sprachverstehen in lauten Umgebungen: Hintergrundgeräusche können nur schwer herausgefiltert werden, was das Verstehen von Gesprächen erschwert.
  • Erhöhte Höranstrengung: Das Gehirn muss sich stärker anstrengen, um Geräusche zu verarbeiten, was zu Müdigkeit und Erschöpfung führen kann.
  • Verzögerte Reaktion auf Geräusche: Geräusche werden zu spät oder gar nicht gehört.

Auswirkungen auf den Alltag

  • Probleme im Straßenverkehr: Das Überqueren von Straßen kann gefährlich sein, da herannahende Fahrzeuge möglicherweise nicht rechtzeitig wahrgenommen werden.
  • Schwierigkeiten bei sozialen Interaktionen: Gespräche in lauten Umgebungen können anstrengend sein und zu sozialem Rückzug führen.
  • Beeinträchtigungen im Beruf oder in der Schule: Das Verstehen von Kollegen, Lehrern oder Mitschülern kann erschwert sein.
  • Psychische Belastung: Die Einschränkungen durch die einseitige Taubheit können zu Frustration, Unsicherheit und sozialer Isolation führen.

Auswirkungen auf Kinder

Bei Kindern mit einseitiger Taubheit kann die Sprachentwicklung beeinträchtigt sein. Es ist wichtig, Hörschwierigkeiten frühzeitig zu erkennen und zu behandeln, um negative Auswirkungen auf die Entwicklung zu vermeiden.

Behandlungsmöglichkeiten bei Taubheit

Taubheit ist in den meisten Fällen irreparabel, d.h. sie lässt sich nicht heilen. Es gibt jedoch verschiedene Möglichkeiten, Folgeschäden zu vermindern und den Alltag mit Höreinschränkung zu verbessern.

Hörgeräte

Bei Resthörigkeit können Hörgeräte zum Einsatz kommen, um das Hörvermögen zu verbessern. Bei einseitiger Taubheit können spezielle CROS- oder BiCROS-Hörgeräte eingesetzt werden.

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  • CROS-Hörgeräte (Contralateral Routing of Signal): Diese Geräte erfassen den Schall auf dem ertaubten Ohr und übertragen ihn auf das funktionsfähige Ohr. Dadurch entsteht eine verbesserte Hörwahrnehmung der Umgebung, insbesondere in lauten Situationen.
  • BiCROS-Hörgeräte: Diese Geräte werden eingesetzt, wenn auch das besser hörende Ohr eine Hörminderung aufweist. Sie übertragen den Schall vom tauben Ohr auf das bessere Ohr und verstärken gleichzeitig den Schall auf dem besseren Ohr.

Cochlea-Implantat (CI)

Bei kompletter Taubheit kann ein Cochlea-Implantat eine Option sein. Ein Cochlea-Implantat ist eine Innenohrprothese, die die Funktion der geschädigten Haarzellen in der Hörschnecke (Cochlea) ersetzt. Es wandelt Schallwellen in elektrische Impulse um, die direkt an den Hörnerv weitergeleitet werden.

  • Indikation: Ein Cochlea-Implantat kommt in Frage, wenn der Hörnerv noch intakt ist und eine flüssigkeitsgefüllte Hörschnecke vorliegt, die nicht verknöchert ist.
  • Operation: Bei der Operation wird ein Elektrodendraht in die Hörschnecke des Innenohrs eingeführt, der mit einem unter der Kopfhaut implantierten Empfänger verbunden wird.
  • Funktionsweise: Ein Soundprozessor, der wie ein Hörgerät hinter der Ohrmuschel sitzt, nimmt den Schall auf und wandelt diesen in ein digitales Signal um. Dieses wird dann an die Sendespule weitergeleitet, die die Signale induktiv an den implantierten Empfänger überträgt. Der Empfänger gibt die Signale über die Elektroden ab.
  • Ergebnisse: Durch ein CI verbessert sich die Lebensqualität bei einseitig Ertaubten deutlich. Durch das wieder ermöglichte beidseitige Hören finden diese Patienten leichter Zugang zu sozialer Interaktion. Weiterhin ist auch der subjektive Höreindruck deutlich verbessert, die Tinnitusbelastung reduziert, und Copingmechanismen werden gestärkt.

Knochenverankerte Hörsysteme (BAHA)

Eine weitere Option bei einseitiger Taubheit sind knochenverankerte Hörsysteme (Bone Anchored Hearing Aid, BAHA). Bei diesem System wird ein kleiner Soundprozessor an einem Implantat oder Magnet am Schädel befestigt, der die Schallschwingungen direkt über den Knochen an das besser hörende Ohr überträgt.

Weitere Therapieansätze

  • Hörtraining: Ein gezieltes Hörtraining kann helfen, die Hörverarbeitung zu verbessern und sich an neue Höreindrücke zu gewöhnen.
  • Psychologische Beratung: Eine psychologische Beratung kann bei der Bewältigung der psychischen Belastung durch die einseitige Taubheit helfen.
  • Gebärdensprache: Für Menschen mit beidseitiger Taubheit ist die Gebärdensprache eine wichtige Kommunikationsmöglichkeit.

Leben mit einseitiger Taubheit: Praktische Tipps für den Alltag

  • Kommunikation: Achten Sie auf eine ruhige Sitzposition, idealerweise mit der Wand im Rücken und möglichst wenig Nebengeräuschen. Setzen Sie sich so, dass Ihr gutes Ohr dem Gesprächspartner zugewandt ist. Teilen Sie Ihrem Umfeld mit, dass Sie auf einem Ohr schwer hören.
  • Straßenverkehr: Seien Sie besonders vorsichtig beim Überqueren von Straßen. Achten Sie aufmerksam auf herannahende Fahrzeuge.
  • Hörgeräte: Nutzen Sie die Möglichkeiten moderner Hörgeräte voll aus. Lassen Sie sich bei der Anpassung ausführlich beraten.
  • Selbsthilfe: Treten Sie einer Selbsthilfegruppe bei, um sich mit anderen Betroffenen auszutauschen.

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