Die Behandlung von Depressionen hat sich in den letzten Jahrzehnten erheblich weiterentwickelt. Neben traditionellen Methoden wie Psychotherapie und Medikamenten spielen moderne Hirnstimulationsverfahren eine immer größere Rolle. Dieser Artikel bietet einen umfassenden Überblick über die verschiedenen Formen der Elektrostimulation des Gehirns, die in der Depressionsbehandlung eingesetzt werden, einschließlich ihrer Wirkungsweise, Anwendung, Risiken und aktueller Forschungsergebnisse.
Elektrokonvulsionstherapie (EKT): Der Goldstandard bei schweren Depressionen
Die Elektrokonvulsionstherapie (EKT) ist das älteste und eine der wirksamsten Hirnstimulationsmethoden zur Behandlung schwerer affektiver Erkrankungen. Sie zeichnet sich durch einen schnellen Wirkungseintritt aus, insbesondere bei therapieresistenten Depressionen (TRD) und anderen schweren psychiatrischen Krankheitsbildern wie Katatonie, bipolaren Störungen, Clozapin-resistenter Schizophrenie und schizoaffektiven Störungen.
Wirkungsweise der EKT
Die EKT wirkt antidepressiv, antimanisch und kann bei Katatonie eingesetzt werden. Bei TRD ist die EKT bis heute das wirksamste antidepressive Behandlungsverfahren mit Wirkungsraten von 50-70%. Bei zusätzlichem Vorliegen von Wahnideen, Halluzinationen oder depressivem Stupor kann die Erfolgsrate sogar bis zu 82% betragen.
Der gezielt und kontrolliert ausgelöste Krampfanfall wird als entscheidend für die Wirkung angesehen ("Heilkrampf"). Ein solcher Anfall ruft zahlreiche funktionelle Veränderungen im Gehirn hervor, die denen einer dauerhaften Antidepressiva-Medikation ähneln. So werden beispielsweise die Konzentrationen von Hormonen und Botenstoffen im Gehirn günstig beeinflusst und regenerative Prozesse im Zentralnervensystem angeregt. Im Gegensatz zu älteren Vorstellungen führt die EKT nicht zu einem Nervenzelluntergang, sondern kann im Gegenteil das Wachstum grauer Substanz und die Bildung neuer neuronaler Verknüpfungen fördern.
Durchführung der EKT
Vor der Durchführung einer EKT wird der Patient umfassend aufgeklärt und untersucht. Dies umfasst eine internistische, neurologische und anästhesiologische Voruntersuchung. Ein Anästhesist klärt gesondert über die Kurznarkose auf, die im Rahmen einer Behandlungsserie mehrfach durchgeführt wird.
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Jede Behandlung wird von einem speziell geschulten Team durchgeführt, bestehend aus einem Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie einem Anästhesisten. Die Behandlungen finden in einem speziell dafür ausgestatteten Behandlungsraum statt.
Nach Einleitung der Narkose schläft der Patient für ca. 10 Minuten. In dieser Zeit erfolgt eine kurzzeitige medikamentöse Muskelentspannung, während die Atmung durch den Anästhesisten überwacht und unterstützt wird. Anschließend wird durch elektrische Stimulation im Bereich des Kopfes über wenige Sekunden ein therapeutischer Krampfanfall ausgelöst. Die Dauer des Krampfanfalls wird kontinuierlich durch eine EEG-Aufzeichnung (Elektroenzephalogramm) überwacht und beträgt üblicherweise ca. 20-30 Sekunden.
Nach dem Aufwachen folgt eine kurze Überwachungsphase im Behandlungsraum sowie eine weitere Überwachung auf der Krankenstation. Da die Behandlungen meist morgens durchgeführt werden, können die Patienten in der Regel zum Mittag aufstehen und an ihrem üblichen Therapieprogramm teilnehmen.
Risiken und Nebenwirkungen der EKT
Die EKT ist heutzutage ein sicheres Verfahren, bei dem Risiken und Nebenwirkungen durch verbesserte Vorbereitung, Durchführung und Nachbetreuung der Patienten minimiert wurden. Das Risiko für eine schwere Komplikation wird mit 1:50.000 Behandlungen angegeben und ist damit nicht höher als das allgemeine Narkoserisiko bei kleineren operativen Eingriffen.
Unerwünschte Nebenwirkungen können vorübergehende Kopfschmerzen und Übelkeit sein, die bei Bedarf symptomatisch behandelt werden können. Kognitive Nebenwirkungen wie Orientierungs-, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen können ebenfalls auftreten, sind aber meist nach Ende der Behandlung rückläufig. Während sich anterograde Gedächtnisstörungen (eingeschränkte Merkfähigkeit für neue Gedächtnisinhalte) in der Regel rasch zurückbilden, können retrograde Gedächtnisstörungen (Gedächtnisinhalte vor der EKT sind nicht erinnerlich) länger persistieren.
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Transkranielle Magnetstimulation (TMS): Eine nicht-invasive Alternative
Die transkranielle Magnetstimulation (TMS) ist eine weitere Form der Hirnstimulation, die in der Depressionsbehandlung eingesetzt wird. Im Gegensatz zur EKT ist die TMS eine nicht-invasive Methode, bei der Magnetimpulse verwendet werden, um die Nervenzellen im Gehirn zu stimulieren.
Wirkungsweise der TMS
Bei der TMS werden die Nervenzellen des Gehirns durch Magnetimpulse stimuliert. Die Impulsserien führen zu einer anhaltenden Anregung der Nervenzellaktivität. Umgekehrt kann eine Überaktivität normalisiert werden. Bei der Depressionsbehandlung wird der Bereich des Gehirns direkt hinter der Stirn äußerlich behandelt.
Die TMS bewirkt gezielt den Ausgleich der aus der Balance geratenen Hirnaktivität. Häufig kommt es zu einer spürbaren Verbesserung von Stimmung, Leistungsfähigkeit und der Kontrolle von negativen Gedanken und Gefühlen. Die tägliche Stimulation soll dabei helfen, wieder Kontrolle über die bei einer Depression im Vordergrund stehenden negativen Gedanken, Gefühlen und Handlungen zu bekommen.
Durchführung der TMS
Die Behandlung kann unterschiedlich lang sein. In Tübingen wird meistens die sogenannte Theta-Burst-Stimulation angewandt, die nur wenige Minuten dauert und so eine beidseitige Behandlung ermöglicht.
Die reguläre Behandlungssitzung dauert normalerweise nicht länger als 15 Minuten. Da die Stimulationsstärke individuell angepasst wird, dauert die erste Sitzung etwa 45 Minuten. Die Behandlungen werden in der Regel einmal täglich von Montag bis Freitag durchgeführt. Üblicherweise beginnt man mit einer dreiwöchigen Behandlungsserie. In wöchentlichen Therapiegesprächen wird die Wirkung der Behandlung überwacht und optimiert. In vielen Fällen entscheiden sich die Patienten für eine Weiterführung der Therapie, um Behandlungserfolge zu stärken und zu stabilisieren. Bei Patienten, die eine gute Besserung erfahren haben, kann eine Erhaltungstherapie sinnvoll sein.
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TMS bei therapieresistenten Depressionen
Die Tübinger Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie bietet eine individuelle Behandlung der Depression auf der Grundlage von 20 Jahren wissenschaftlicher Arbeit mit der TMS. Neue Stimulationsmethoden oder die Anwendung bei anderen Erkrankungen werden im Rahmen von klinischen Studien untersucht, z.B. für auditorische Halluzinationen (Stimmenhören). Aktuelle Erkenntnisse und Entwicklungen werden für die kontinuierliche Verbesserung der individuellen Behandlung genutzt.
Die bisherigen Studien wurden an Patienten durchgeführt, bei denen andere Therapieverfahren bereits versagt haben. Bei einem früheren Beginn der Behandlung ist eher sogar mit einer besseren Wirkung zu rechnen. Die Anzeichen für eine Besserung sind sehr unterschiedlich. Viele Patienten berichten über mehr Klarheit im Kopf, bessere Kontrolle über „Grübelgedanken“, Vermeidung und Rückzug im Alltag, andere über mehr Aktivität, wieder andere über eine Besserung des Appetits. Insgesamt erleben die meisten Patienten im Verlauf der drei bis sechswöchigen Behandlung eine Besserung einzelner Symptome oder der Depression insgesamt.
Mit der TMS kann in vielen Fällen die schlechte Stimmung, das negative Selbstbild, Antriebslosigkeit und das Gefühl, geistig nicht mehr leistungsfähig zu sein, wesentlich gebessert werden. Nach einer überstandenen Depression muss immer für eine Rückfallverhütung gesorgt werden.
Risiken und Nebenwirkungen der TMS
Viele Patienten berichten, dass am Anfang die Muskelzuckungen und die Impulse ein wenig stören. Die TMS wird aber von fast allen Patienten problemlos vertragen. Dauerhafte Nebenwirkungen oder gar Veränderungen an der Hirnsubstanz sind nicht zu befürchten. Es ist also ein risikoarmes, aber gut wirksames Verfahren.
Es gibt mehrere größere klinische, placebo-kontrollierte Studien, die die Wirksamkeit der TMS in der Depressionsbehandlung belegen. Meta-Analysen, die die Ergebnisse der vorhandenen klinischen Studien zusammenfassen, kommen zu dem Schluss, dass damit die Wirksamkeit nachgewiesen ist. Das entspricht dem Standard bei medikamentöser und verhaltenstherapeutischer Behandlung.
Abgrenzung zur Magnetfeldtherapie
Der Begriff "Magnetfeldtherapie" wird für alternativmedizinische Behandlungsmethoden verwendet, bei denen konstanten Magnetfeldern eine heilsame Wirkung zugeschrieben wird. Im Unterschied dazu werden bei der Transkraniellen Magnetstimulation (TMS) Magnetimpulse eingesetzt, die zu einer zuverlässig nachweisbaren elektrischen Aktivierung von Nervenzellen führen.
Transkranielle Gleichstromstimulation (tDCS): Ein vielversprechender Ansatz mit gemischten Ergebnissen
Die transkranielle Gleichstromstimulation (tDCS) ist eine weitere nicht-invasive Hirnstimulationsintervention bei MDD. Bei der Depressionsbehandlung mit tDCS wird ein schwacher, konstanter Gleichstrom eingesetzt, der über Elektroden auf die Kopfhaut aufgetragen wird. Dies soll die Gehirnaktivität im sogenannten Stirnhirn, auch bekannt als Frontallappen, gezielt beeinflussen und so die Symptome einer schweren Depression lindern.
Diese Behandlung ist weniger kostspielig als die rTMS und möglicherweise für mehrere Situationen, einschließlich der Behandlung im eigenen Zuhause der Patient*innen, geeignet. Vorangegangene Studien haben darauf hingedeutet, dass die über mehrere Wochen durchgeführte tägliche tDCS geringe bis mäßige antidepressive Wirkungen hervorruft.
Aktuelle Forschungsergebnisse zur tDCS
Eine aktuelle Studie, die von Prof. Dr. Frank Padberg, LMU München, und Dr. Gerrit Burkhardt vom Center for Non-Invasive Brain Stimulation Munich-Augsburg geleitet wurde, untersuchte die Wirksamkeit von tDCS bei 160 Patientinnen an acht deutschen Kliniken. Die Patientinnen waren bereits auf ein antidepressives Medikament eingestellt, das jedoch zu keiner ausreichenden Verbesserung ihrer Symptome geführt hatte.
Über einen Zeitraum von sechs Wochen erhielt die eine Hälfte der Patientinnen tatsächlich die tDCS-Behandlung. Die andere Hälfte erhielt währenddessen eine Scheinbehandlung, die den Ablauf und die Begleiterscheinungen der tDCS-Behandlung nachahmte. Anschließend wurden die Patientinnen bis zu sechs Monate lang beobachtet, um den Langzeitverlauf nach einer akuten tDCS-Behandlung zu untersuchen.
Die Studie zeigte keinen Vorteil der aktiven tDCS im Vergleich zur Placebo-Stimulation. Somit scheint die tDCS bei einer streng kontrollierten Studie die positiven Ergebnisse anderer kleinen Studien nicht zu unterstützen.
Folgerungen aus den Studienergebnissen
"Wir setzen tDCS in der Behandlung der Depression nicht mehr ein. Auch wenn die rTMS aufwendiger ist, werden wir dieses Verfahren vermehrt anwenden. Zur Zeit läuft die klinische Studie TBS-D, bei der wir die Wirkung eines neuen Stimulationsprotokolls im Vergleich zu einer Scheinbehandlung bei Depression erforschen."
Die Veröffentlichung der Negativergebnisse in einer hochrangigen Fachzeitschrift wie The Lancet wird als eine Stärkung von transparenter, unabhängiger Forschung gesehen. Der Ansatz der tDCS ist damit nicht vom Tisch, sondern muss zunächst vor einer breiteren klinischen Anwendung weiterentwickelt und verfeinert werden.
Tiefe Hirnstimulation (DBS): Ein Hoffnungsschimmer für schwerste Depressionen
Die tiefe Hirnstimulation (DBS) ist ein invasiveres Verfahren, bei dem Elektroden in bestimmte Bereiche des Gehirns implantiert werden, um diese zu stimulieren. Sie wird vor allem bei Patienten mit schwersten Depressionen eingesetzt, bei denen andere Therapien versagt haben.
Wirkungsweise der DBS
Eine zentrale Symptomatik der Depression ist, dass das Gehirn Belohnungen nicht mehr richtig verarbeiten kann. Die Forscher glauben, dass bei Depressionen die Funktion des Belohnungssystems gestört ist. Das System ist hirnanatomisch sehr gut erforscht. Für eine tiefe Hirnstimulation werden in einer Operation Elektroden ins Gehirn gelegt, genau dorthin, wo die Hirnfunktion gestört ist. Ein Kabel führt dann von den Elektroden unter der Haut zum Brustkorb, wo ein Stimulator angeschlossen wird. Der ist programmierbar und sendet Stromimpulse genau ins Zentrum der Erkrankung.
Studienergebnisse zur DBS
Eine Studie unter der Leitung von Prof. Dr. Thomas Schläpfer am Universitätsklinikum Freiburg zeigte vielversprechende Ergebnisse bei Patienten mit schwersten Depressionen, die zuvor auf zahlreiche andere Therapien nicht angesprochen hatten. Die Stimulation des medialen Vorderhirnbündels, einem Hirnbereich, der an der Regulation der Wahrnehmung von Freude und Belohnung beteiligt ist, führte bei den meisten Patienten innerhalb von Tagen zu einer deutlichen Linderung der Symptome.
In der FORSEE-II-Studie litten die 16 Studienteilnehmer zwischen 8 und 22 Jahren an einer schwersten Depression und hatten zuvor im Schnitt 18 medikamentöse Therapien, 20 Elektrokrampftherapien und 70 Stunden Psychotherapie durchlitten - ohne Erfolg. Acht der 16 Patienten hatten zu Studienende einen MADRS-Wert von unter 10 Punkten und galten damit als nicht depressiv.
DBS als letzte Chance
Für Menschen, die unter schwersten Depressionen leiden, könnte die tiefe Hirnstimulation in Zukunft den Weg zurück zu mehr Lebensfreude bedeuten: Ist der Eingriff erfolgreich, sind sie wieder in der Lage Pläne zu machen und können wieder Gefühle wie Freude oder Trauer empfinden.
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