Embryonaler Tumor im Gehirn: Definition, Ursachen, Symptome und Behandlung

Embryonale Tumoren des Gehirns sind eine Gruppe seltener, aggressiver Tumoren, die vor allem bei Säuglingen und Kleinkindern auftreten. Diese Tumoren entwickeln sich aus unreifen (undifferenzierten) Zellen und können in verschiedenen Bereichen des Gehirns und Rückenmarks entstehen.

Definition und Klassifikation

Ein embryonaler Tumor des Gehirns ist eine Art Tumor, der aus embryonalen Zellen entsteht, die im Gehirn vorhanden sind. Diese Tumoren sind in der Regel bösartig und wachsen schnell. Die aktuelle Klassifikation der ZNS-Tumoren erfolgt entsprechend der 2016 überarbeiteten Fassung der WHO-Klassifikation der Tumoren des Nervensystems. In diesem System erfolgt die Einteilung nach histologischen, immunhistologischen und unter Einbeziehung bisher bekannter molekular-neuropathologischer und molekulargenetischer Befunde. Insgesamt werden 4 histologische Malignitätsgrade unterschieden, die mehrheitlich mit dem biologischen Verhalten und der klinischen Prognose korrelieren:

  • WHO-Grad I: niedriggradiger, benigner, hochdifferenzierter Tumor mit langsamer Wachstumstendenz
  • WHO-Grad II: bedingt benigner, langsam proliferierender, häufig infiltrativ wachsender Tumor
  • WHO-Grad III: maligner, schnell proliferierender Tumor
  • WHO-Grad IV: hochmaligner, undifferenzierter Tumor mit hoher Proliferationsrate

Zu den wichtigsten embryonalen Tumoren zählen:

  • Medulloblastom (MB): Der häufigste bösartige Hirntumor im Kindesalter, der sich im Kleinhirn bildet. Genetisch definiert werden folgende Subtypen unterschieden: WNT-aktiviert, SHH-aktiviert (TP53-mutiert oder -Wildtyp), Gruppe 3 und Gruppe 4. Histologisch werden klassische, desmoplastisch/noduläre, extensiv noduläre und großzellig/anaplastische Varianten unterschieden.
  • Embryonaler Tumor mit mehrschichtigen Rosetten (ETMR): Früher zu ZNS-PNET gezählt, C19MC-alteriert.
  • Embryonaler Tumor des ZNS, nicht näher spezifiziert: Früher ebenfalls zu ZNS-PNET gezählt.
  • Atypischer teratoider Rhabdoidtumor (AT/RT): Ein sehr aggressiver Tumor, der häufig bei Säuglingen und Kleinkindern auftritt.

Ursachen und Risikofaktoren

Die genauen Ursachen für die Entstehung embryonaler Tumoren sind noch nicht vollständig geklärt. Es gibt jedoch einige bekannte Risikofaktoren:

  • Genetische Faktoren: Bei einigen Patienten liegt eine genetische Veranlagung vor, wie z.B. bei erblichen Krankheiten wie tuberöse Sklerose, Neurofibromatose Typ 1 und 2, von-Hippel-Lindau-Syndrom, Li-Fraumeni-Syndrom oder Rhabdoid-Tumor-Prädispositionssyndrom. Mutationen im SMARCB1- oder SMARCA4-Gen können ebenfalls eine Rolle spielen.
  • Ionisierende Strahlen: Eine frühere Strahlentherapie des Gehirns kann das Risiko erhöhen.
  • Weitere mögliche Risikofaktoren: Elterliches Rauchen in der Schwangerschaft, niedriges Geburtsgewicht und die Exposition gegenüber kanzerogenen chemischen Stoffen werden diskutiert. Ein Zusammenhang mit Virusinfektionen, Traumen oder der Exposition mit elektromagnetischen Feldern konnte bisher nicht sicher bewiesen werden.

Symptome

Die Symptome eines embryonalen Tumors hängen von der Lage, Größe und Wachstumsgeschwindigkeit des Tumors ab. Im Allgemeinen können folgende Symptome auftreten:

Lesen Sie auch: Leben mit Glioblastom Stadium 4: Perspektiven für Betroffene

  • Allgemeine Symptome:
    • Kopfschmerzen, besonders morgens oder bei Lagewechsel
    • Übelkeit und Erbrechen, oft morgens und schwallartig
    • Müdigkeit und Abgeschlagenheit
    • Verhaltensänderungen
    • Appetitlosigkeit
    • Gewichtsstagnation oder -rückgang
  • Spezifische Symptome:
    • Sehstörungen (Doppelbilder, Gesichtsfeldausfälle)
    • Gleichgewichtsstörungen und Koordinationsprobleme
    • Krampfanfälle
    • Lähmungen oder Schwäche in Armen oder Beinen
    • Sprachstörungen
    • Hormonelle Störungen (z.B. Diabetes insipidus)
    • Bei Säuglingen: gespannte Fontanelle, dehiszente Schädelnähte, unphysiologische Zunahme des Kopfumfangs

Diagnose

Die Diagnose eines embryonalen Tumors umfasst in der Regel folgende Schritte:

  • Anamnese und körperliche Untersuchung: Der Arzt erfasst die Krankengeschichte und führt eine neurologische Untersuchung durch, um die Hirnfunktionen zu überprüfen.
  • Bildgebende Verfahren:
    • Magnetresonanztomographie (MRT): Das wichtigste bildgebende Verfahren zur Darstellung des Gehirns und des Rückenmarks.
    • Computertomographie (CT): Kann in Notfallsituationen oder zur Beurteilung von Verkalkungen eingesetzt werden.
  • Biopsie: Entnahme einer Gewebeprobe zur feingeweblichen Untersuchung. Die Biopsie kann offen chirurgisch oder stereotaktisch erfolgen.
  • Liquoruntersuchung: Untersuchung der Gehirn-Rückenmark-Flüssigkeit auf Tumorzellen.
  • Molekulargenetische Untersuchungen: Analyse des Tumorgewebes auf genetische Veränderungen, die für die Diagnose und Therapieplanung wichtig sind.
  • Blutuntersuchungen: Zur Bestimmung von Tumormarkern und zur Überprüfung der Organfunktionen.

Behandlung

Die Behandlung embryonaler Tumoren ist komplex und erfordert ein multidisziplinäres Team von Spezialisten. Die Therapiemethoden sind vom Gewebetyp des Tumors, vom Alter und Allgemeinzustand des Patienten und von der Größe und Lage des Tumors im Gehirn abhängig. Ziel der Behandlung ist es, den Tumor möglichst vollständig zu entfernen oder zu zerstören und das Überleben des Patienten zu verlängern. Die wichtigsten Behandlungsoptionen sind:

  • Operation: Im Idealfall kann der Tumor vollständig operativ entfernt werden, ohne Tumorzellen zurückzulassen. Häufig gelingt es jedoch nur, einen Grossteil des Tumors zu entfernen. In manchen Fällen, z.B. bei schlechtem Allgemeinzustand des Patienten oder ungünstiger Tumorlage, kann auch nur die Entnahme einer kleinen Gewebeprobe (Biopsie) zur Diagnosesicherung möglich sein.
  • Strahlentherapie: Die Strahlentherapie hat, wie auch die Chemotherapie, die Vernichtung der Krebszellen zum Ziel. Durch eine gezielte Strahlenkonzentration sollen die Krebszellen geschädigt, das gesunde Gewebe aber verschont werden. Da bei den Tumoren des Gehirns operativ meist keine komplette Entfernung des Tumors möglich ist, sollen durch eine Bestrahlung im Anschluss an eine operative Tumorentfernung oder Biopsie die restlichen noch verbliebenen Tumorzellen zerstört werden. Somit soll ein erneutes lokales Tumorwachstum bzw. eine weitere Tumorausbreitung mit Wiederauftreten von Beschwerden verhindert werden. Aus diesem Grund erfolgt meist nach der Operation von Gehirntumoren eine Strahlentherapie, die häufig ambulant durchgeführt werden kann. Durch eine Bestrahlung kann das Risiko eines erneuten Tumorwachstums vermindert werden. Auch bei weit fortgeschrittenen Tumorerkrankungen mit großen Tumoren oder Metastasen kann die Strahlentherapie eingesetzt werden, in diesem Fall insbesondere zur Kontrolle der Beschwerden und zur Schmerzlinderung.
  • Chemotherapie: Eine Chemotherapie alleine, ohne Operation und Strahlentherapie, zeigt bei den meisten Gehirntumoren eine nur geringe Wirkung. Jedoch kann eine Chemotherapie bei kombiniertem Einsatz mit der Strahlentherapie die Wirkung der Strahlentherapie verbessern. Die Chemotherapie kann nach Ende der Bestrahlung bei nachgewiesener Wirksamkeit fortgesetzt werden, um die bis dahin erreichte Wirkung (Symptomkontrolle, Größenstabilisierung oder Größenreduktion) aufrecht zu erhalten und weiter zu verbessern. Auch bei Einsatz einer Chemotherapie nach einer Strahlentherapie, wenn diese nicht mehr möglich ist, z.B. im Falle eines erneuten Auftretens eines Tumors, kann durch verschiedene Substanzen und durch verschiedene Kombinationen eine Symptomkontrolle ggf. mit Ansprechen des Tumors (Größenstabilisierung oder Größenreduktion) erreicht werden.
  • Hochdosis-Chemotherapie mit autologer Stammzelltransplantation: Wird bei einigen Hochrisiko-Tumoren eingesetzt.
  • Zielgerichtete Therapien: Medikamente, die spezifische Eigenschaften der Tumorzellen angreifen.
  • Kortikosteroide: Können zur Reduktion von Hirnödemen und zur Linderung von Symptomen eingesetzt werden.

Prognose

Die Prognose embryonaler Tumoren ist sehr unterschiedlich und hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie z.B. dem Tumortyp, dem Alter des Patienten, dem Ausmaß der Tumorentfernung und dem Ansprechen auf die Therapie. Grundsätzlich gilt auch hier, je früher ein Gehirntumor erkannt wird, umso günstiger ist die Prognose für den Patienten. In Abhängigkeit von der WHO-Klassifikation des Tumors ist meist jedoch keine Heilung, sondern eine Symptomkontrolle ggf. mit Verlängerung des Überlebens und Stabilisierung bzw. Reduktion der Tumorgröße möglich.

Spezielle Aspekte im Kindesalter

Im Kindes- und Jugendalter (<15 Jahre) stehen die Tumoren des zentralen Nervensystems (ZNS) mit einem Anteil von ca. 25 % an 2. Stelle aller onkologischen Erkrankungen. Insgesamt erkranken in Deutschland jährlich ca. 430 Kinder an einem ZNS-Tumor. Die ZNS-Tumoren treten mit einer leicht abnehmenden altersabhängigen Inzidenz auf. Die häufigsten ZNS-Tumoren sind Astrozytome (46 %), gefolgt von Medulloblastomen (12 %), Ependymomen (10 %), Kraniopharyngeomen (4 %) und die anderen embryonalen Tumoren des ZNS (ehemals stPNETs; 2 %). Bei Kindern mit Medulloblastom wird bis zum 4.

Kraniopharyngeom

Das Kraniopharyngeom ist ein spezieller Tumor, der im Bereich der Hirnanhangdrüse (Hypophyse) entsteht. Es handelt sich um eine Fehlbildung, bei der Zellüberreste des Ductus craniopharyngeus zu wuchern beginnen. Mit zunehmender Größe bedrängt das Kraniopharyngeom die benachbarten Strukturen: Es kann auf die Sehnerven, die Hirnanhangdrüse und den Hypothalamus drücken. Symptome können Kopfschmerzen, Erbrechen, Sehstörungen, hormonelle Störungen und Verhaltensauffälligkeiten sein. Die optimale Therapie besteht darin, den Hirntumor in einer Operation vollständig zu entfernen, ohne die Funktionen der benachbarten Strukturen zu beeinträchtigen. Da es selten möglich ist, den Gehirntumor ganz rauszuoperieren, kann anschließend eine Strahlentherapie zum Einsatz kommen, um die Heilungschancen zu erhöhen.

Lesen Sie auch: Behandlungsmöglichkeiten bei Hirntumoren im Sehzentrum

Atypischer teratoider/rhabdoider Tumor (AT/RT)

Rhabdoide Tumoren sind sehr aggressiv wachsende embryonale Tumoren, die unter anderem im Zentralnervensystem entstehen können und dann AT/RT genannt werden. Sie treten vor allem bei Säuglingen und Kleinkindern auf. Ursache ist meist eine Veränderung im SMARCB1-Gen. Symptome sind unspezifisch und hängen von der Lage des Tumors ab. Die Behandlung umfasst Operation, Chemotherapie und Strahlentherapie. Die Prognose ist ungünstig.

Neuropsychologische Aspekte

Bei Kindern mit Hirntumoren können neuropsychologische Beeinträchtigungen auftreten, die sich auf die kognitiven Fähigkeiten, das Verhalten und die emotionale Entwicklung auswirken. Eine neuropsychologische Untersuchung kann helfen, diese Beeinträchtigungen zu erkennen und geeignete Fördermaßnahmen einzuleiten.

Lesen Sie auch: Mehr über Hirntumorursachen

tags: #embryonaler #tumor #gehirn #definition #ursachen #symptome