Die Diagnose Multiple Sklerose (MS) ist für die meisten Menschen zunächst ein großer Schock. Die Krankheit ist derzeit unheilbar, der Verlauf schwer vorherzusagen und die Symptome sind nicht nur vielfältig, sondern auch belastend. Aber ist MS wirklich eine tödliche Krankheit? Dieser Artikel untersucht die Auswirkungen von MS auf die Lebenserwartung, häufige Todesursachen und wie moderne Behandlungen und unterstützende Maßnahmen die Lebensqualität und -dauer von MS-Patienten verbessern können.
Was ist Multiple Sklerose?
Multiple Sklerose ist eine chronisch-entzündliche, nicht ansteckende Erkrankung des zentralen Nervensystems. Dies kann das gesamte Gehirn und Rückenmark betreffen. Das Immunsystem des Körpers greift Teile der Nervenfasern und -zellen an, die für die Signalübertragung unerlässlich sind. Dies führt zu Symptomen wie spastischen Lähmungen, Koordinationsstörungen, sensorischen Störungen (Taubheitsgefühl, Kribbeln) und Sehstörungen. Müdigkeit, Erschöpfung und Konzentrationsschwierigkeiten können ebenfalls frühe Symptome sein. Grundsätzlich kann jede Funktion, die vom zentralen Nervensystem gesteuert wird, beeinträchtigt sein.
Verlaufsformen der MS
Die MS beginnt bei über 90 % der Betroffenen in Schüben, die unregelmäßig auftreten. Ein Schub ist das Auftreten bekannter oder neuer Symptome, die mindestens 24 Stunden andauern. Der Abstand zwischen zwei Schüben beträgt mindestens 30 Tage. Die Symptome sind weder auf eine Infektion noch auf eine Veränderung der Körpertemperatur zurückzuführen. Jeder Schub führt zu einem mehr oder weniger großen Funktionsverlust.
Es gibt auch eine primär chronisch-progressive (schleichend-progressive) Form, bei der die Funktionseinschränkungen zunehmen, ohne dass es zu klar definierten Schüben kommt. Diese Form tritt häufiger bei älteren Menschen auf, die über 40 Jahre alt sind, wenn sie zum ersten Mal betroffen sind.
Lebenserwartung bei Multipler Sklerose
Entgegen der landläufigen Meinung ist Multiple Sklerose nicht unbedingt eine tödliche Krankheit. Die Lebenserwartung von Menschen mit MS ist nur geringfügig geringer als die von gesunden Menschen. Studien zeigen, dass die Lebenserwartung von MS-Patienten im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung um etwa 7 bis 14 Jahre verkürzt sein kann. Eine norwegische Studie über einen Zeitraum von 60 Jahren ergab, dass MS-Patienten im Durchschnitt 74,7 Jahre alt wurden, verglichen mit 81,8 Jahren in der Allgemeinbevölkerung.
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Faktoren, die die Lebenserwartung beeinflussen
Mehrere Faktoren können die Lebenserwartung von MS-Patienten beeinflussen:
- Verlaufsform: Patienten mit schubförmig remittierender MS (RRMS) haben tendenziell eine höhere Lebenserwartung als Patienten mit primär progredienter MS (PPMS). Eine Studie ergab, dass RRMS-Patienten im Durchschnitt 77,8 Jahre alt wurden, während PPMS-Patienten im Durchschnitt 71,4 Jahre alt wurden.
- Krankheitsbeginn: Ein früher Krankheitsbeginn (vor dem 35. Lebensjahr) wird oft mit einem günstigeren Verlauf in Verbindung gebracht.
- Behandlung: Moderne Therapien, insbesondere krankheitsmodifizierende Medikamente wie Interferone und Glatirameracetat, können den Krankheitsverlauf verlangsamen und die Zunahme von Behinderungen reduzieren.
- Komplikationen: MS selbst ist selten eine direkte Todesursache. Häufiger sterben Menschen mit MS an Komplikationen wie Lungenentzündung, Harnwegsinfektionen oder Blutvergiftung (Urosepsis).
- Psychische Gesundheit: Depressionen und chronische Erschöpfungszustände können die Lebensqualität und möglicherweise auch die Lebenserwartung beeinträchtigen. Eine konsequente Behandlung dieser Begleiterkrankungen ist daher entscheidend.
- Lebensstil: Faktoren wie Rauchen, Alkoholkonsum, Bildungsniveau sowie soziale und psychische Belastungen können ebenfalls die Lebenserwartung beeinflussen.
Todesursachen bei Multipler Sklerose
Obwohl MS selbst selten direkt zum Tod führt, gibt es bestimmte Komplikationen und Begleiterkrankungen, die die Lebenserwartung von MS-Patienten verkürzen können. Zu den häufigsten Todesursachen gehören:
- Atemwegserkrankungen: Lungenentzündung ist eine häufige Komplikation bei MS-Patienten, insbesondere bei solchen mit schweren Behinderungen. Aspirationspneumonie, die durch das Einatmen von Nahrung oder Flüssigkeit in die Lunge verursacht wird, ist ebenfalls ein Risiko.
- Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Obwohl Studien keine signifikanten Unterschiede in der Häufigkeit von Herz-Kreislauf-Erkrankungen zwischen MS-Patienten und der Allgemeinbevölkerung festgestellt haben, können diese Erkrankungen dennoch eine bedeutende Todesursache sein.
- Bösartige Neubildungen (Krebs): Ähnlich wie bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen gibt es keine eindeutigen Beweise dafür, dass MS-Patienten ein höheres Krebsrisiko haben. Krebs bleibt jedoch eine der häufigsten Todesursachen in dieser Gruppe.
- Suizid: Studien haben gezeigt, dass Suizid bei MS-Patienten häufiger vorkommt als in der Allgemeinbevölkerung. Dies unterstreicht die Bedeutung der psychischen Betreuung und Behandlung von Depressionen und anderen psychischen Gesundheitsproblemen bei MS-Patienten.
- Infektionen der ableitenden Harnwege: Harnwegsinfektionen können bei MS-Patienten zu schwerwiegenden Komplikationen führen, einschließlich Urosepsis, einer lebensbedrohlichen Blutvergiftung.
- Dekubitus: Bei bettlägerigen Patienten können Druckgeschwüre (Dekubitus) entstehen, die sich infizieren und zu weiteren Komplikationen führen können.
Fortschritte in der Behandlung und ihre Auswirkungen
In den letzten Jahrzehnten gab es erhebliche Fortschritte in der Behandlung von Multipler Sklerose. Diese Fortschritte haben dazu beigetragen, die Lebensqualität von MS-Patienten zu verbessern und möglicherweise auch ihre Lebenserwartung zu verlängern. Zu den wichtigsten Behandlungsansätzen gehören:
- Schubtherapie: Entzündungshemmende Medikamente wie Kortison werden eingesetzt, um akute Schübe zu behandeln und die Entzündung im zentralen Nervensystem zu reduzieren.
- Verlaufsmodifizierende Therapie: Medikamente wie Beta-Interferone, Glatirameracetat, Natalizumab, Fingolimod und andere neuere Therapien zielen darauf ab, den Krankheitsverlauf zu verlangsamen, die Häufigkeit von Schüben zu reduzieren und die Zunahme von Behinderungen zu verhindern.
- Symptomatische Therapie: Verschiedene Medikamente und Therapien können eingesetzt werden, um spezifische MS-Symptome wie Spastik, Schmerzen, Müdigkeit, Blasenstörungen und Depressionen zu lindern.
- Rehabilitation: Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie können MS-Patienten helfen, ihreFunktionen zu verbessern, ihre Selbstständigkeit zu erhalten und ihre Lebensqualität zu steigern.
- Psychologische Unterstützung: Psychotherapie und Selbsthilfegruppen können MS-Patienten helfen, mit den emotionalen und psychischen Herausforderungen der Krankheit umzugehen.
Die Bedeutung von Vitamin D
Studien haben gezeigt, dass Vitamin D eine wichtige Rolle bei der Modulation des Immunsystems spielen und das Risiko von MS-Schüben verringern kann. Es wird empfohlen, dass MS-Patienten ihren Vitamin-D-Spiegel überprüfen lassen und gegebenenfalls Vitamin-D-Präparate einnehmen. Vitamin D wird auch vom Körper selbst gebildet, wenn er Sonnenlicht ausgesetzt ist. Daher sind Bewegung im Freien und Outdoor-Sportarten doppelt gesund.
Sport und Ernährung
Mit MS hat man keine Einschränkungen bei der Ernährung oder beim Sport. Es gibt keine spezielle Diät, sondern nur die Empfehlung, sich gesund und ausgewogen zu ernähren. Beim Sport ist Betroffenen keine Grenze gesetzt. Schwimmen und Gymnastik sind gut geeignet, aber generell ist jede Sportart möglich. Durch die Körpererhitzung bei der sportlichen Betätigung kann es zu einer temporären Verschlimmerung der Symptome kommen, die Krankheit selbst verschlimmert sich aber nicht.
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Leben mit Multipler Sklerose
Leben mit Multipler Sklerose ist nicht einfach. Die Ungewissheit, ob und wann erneut ein Schub auftritt, ist sehr verunsichernd und kann Angst machen. Es ist wichtig, Strategien zu entwickeln, um mit diesen Herausforderungen umzugehen und die Lebensqualität so gut wie möglich zu erhalten. Hier sind einige Tipps:
- Barrierefreiheit: Um so lange wie möglich selbstständig zu bleiben, können Sie Ihr Zuhause barrierearm umbauen und erhalten dafür, wenn Sie einen Pflegegrad haben, Zuschüsse von der Pflegekasse. Ein Treppenlift oder die Badewanne zur barrierefreien Dusche umzubauen sind tolle Möglichkeiten, das Leben bei körperlicher Beeinträchtigung zu erleichtern.
- Soziale Unterstützung: Der Austausch mit anderen Betroffenen in Selbsthilfegruppen kann sehr hilfreich sein. Die Gruppen geben den Betroffenen Halt und ermöglichen den Austausch untereinander.
- Impfungen: Virale Infektionen, speziell die Grippe, kann MS-Schübe auslösen, Fieber diese verstärken. Impfungen sind daher ratsam. Allerdings sollten Impfungen nicht während eines Schubes, einer Kortison-Behandlung oder einer Therapie mit Immunsuppressiva erfolgen.
- Schwangerschaft: MS hat nach aktuellem Wissensstand keine negativen Auswirkungen auf die Schwangerschaft und Geburt. Im zweiten und dritten Drittel ist die werdende Mutter sogar etwas vor Schüben geschützt.
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