Epilepsie und Depressionen sind zwei Erkrankungen, die häufig gemeinsam auftreten. Dieser Artikel beleuchtet die komplexen Zusammenhänge zwischen Epilepsie und Depressionen, geht auf mögliche Ursachen ein und stellt Behandlungsansätze vor.
Einführung
Sowohl bei Menschen mit Epilepsie treten Depressionen gehäuft auf, als auch depressive Menschen entwickeln ungewöhnlich häufig eine Epilepsie. Dieser Artikel untersucht diesen Zusammenhang genauer und zeigt auf, wie Betroffene und ihre Angehörigen damit umgehen können.
Die Häufigkeit von Depressionen bei Epilepsiepatienten
Patienten mit Epilepsie leiden häufiger unter depressiven Symptomen als gesunde Menschen. Studien zeigen, dass etwa 30 % der stationären Patienten mit Epilepsie Anzeichen einer depressiven Stimmungslage aufweisen. Schätzungsweise die Hälfte dieser Menschen benötigt eine entsprechende Behandlung.
Ursachen des Zusammenhangs
Die Ursachen für den Zusammenhang zwischen Epilepsie und Depressionen sind vielfältig und komplex.
Neurobiologische Ursachen
In vielen Fällen liegt die Ursache in der Erkrankung des Gehirns selbst. Die Funktionsstörung bedingt also nicht nur die epileptischen Anfälle, sondern kann auch erheblich zu psychischen Symptomen beitragen. Nicht alle Epilepsieformen tragen das gleiche Risiko für die Entwicklung depressiver Symptome.
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Schon der griechische Arzt Hippokrates hatte einen Zusammenhang zwischen Depressionen und Epilepsie vermutet. Einer der Schlüsselfaktoren bei diesem Zusammenhang könnte eine Veränderung der Gehirnchemie sein. So zeigen beispielsweise Studien an genetisch veränderten Ratten, die zu epileptischen Anfällen neigen, ungewöhnliche Serotonin-, Noradrenalin- und Dopaminspiegel im Gehirn der Tiere. Eine solche Störung im Neurotransmitter-Gleichgewicht könnte auch erklären, warum viele depressive Epileptiker nicht so gut auf Medikamente oder chirurgische Eingriffe reagieren wie Epilepsiepatienten ohne Depressionen, erklärte Kanner. Das hatten der Wissenschaftler und seine Kollegen bei einer Studie mit 90 Epileptikern beobachtet, bei denen ein Teil der Gehirnmasse entfernt worden war. Diejenigen, die bereits seit Jahren unter Depressionen litten, waren nach der Operation deutlich seltener symptomfrei als die anderen Probanden.
Psychosoziale Faktoren
Meistens jedoch entstehen Depressionen durch das Zusammenspiel zwischen der Persönlichkeit, der Stimmungsveränderung vor oder nach Anfällen und den Folgen der Epilepsie in der jeweiligen Lebenssituation, z.B. bei Arbeitsplatzverlust und Existenzsorgen, Problemen in der Partnerschaft, fehlendem Führerschein usw. Insbesondere bei Personen, bei denen keine vollständige Anfallskontrolle erreicht werden kann, sollten die Lebensqualität und die emotionale Befindlichkeit sorgfältig im Blick behalten und bei der Therapieplanung berücksichtigt werden.
Medikamentöse Therapie
Auch manche Epilepsiemedikamente können die Stimmung spürbar verändern. Angehörigen fällt dies oft eher auf als den Betroffenen selbst, z.B. wenn ein neues Medikament eindosiert wurde. Es ist wichtig, dies mit dem behandelnden Arzt zu besprechen.
Auswirkungen auf die Lebensqualität
Nichts beeinträchtigt die Lebensqualität so sehr wie eine über Tage und Wochen anhaltende, bedrückte Stimmungslage. Die Betroffenen fühlen sich bedrückt und hoffnungslos, sie verlieren die Lust an Dingen, die ihnen früher Freude gemacht haben. Sie haben keine Energie für positive Aktivitäten, sie ziehen sich von Aktivitäten zurück. Die Lebensqualität der Betroffenen und ihrer Familien wird durch eine Depression stark beeinträchtigt.
Erhöhtes Suizidrisiko
Patienten mit psychiatrischen Störungen, insbesondere mit affektiven Störungen, haben gegenüber der Durchschnittsbevölkerung ein höheres Suizidrisiko. Bei Patienten, die an psychiatrischen Erkrankungen leiden, ist das Risiko für einen Suizid noch stärker erhöht, wenn außerdem eine Epilepsie vorliegt. Zugleich ist eine Epilepsie ein Risikofaktor für die Entwicklung einer psychiatrischen Erkrankung (vor allem Depressionen kommen bei Epileptikern häufig vor), und auch bei Epileptikern ohne komorbide psychiatrische Erkrankung kann das Suizidrisiko erhöht sein.
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Diagnose einer Depression
Mit dem folgenden Kurzfragebogen können Sie abschätzen, ob bei Ihnen eine klinische Depression vorliegen könnte.
Wie geht es Ihnen - bezogen auf die letzten zwei Wochen?
| Aussage | oft oder ständig | manchmal | selten | nie |
|---|---|---|---|---|
| Das Leben ist ein einziger Kampf. | 4 | 3 | 2 | 1 |
| Alles, was ich mache, ist falsch. | 4 | 3 | 2 | 1 |
| Ich fühle mich schuldig. | 4 | 3 | 2 | 1 |
| Ich wäre besser tot. | 4 | 3 | 2 | 1 |
| Ich bin frustriert. | 4 | 3 | 2 | 1 |
| Es fällt mir schwer, an etwas Freude zu haben. | 4 | 3 | 2 | 1 |
Addieren Sie bitte die Punktwerte: ____
Ein Gesamtwert über 15 ist ein Hinweis auf das mögliche Vorliegen einer Depression. Bitte sprechen Sie mit Ihrem Arzt!
Quelle: NDDI-E, Gilliam et al. (2006)
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Behandlungsmöglichkeiten
Demzufolge sollte auch die Therapie der Depressionen den verschiedenen Einflussfaktoren gerecht werden. Vor jeder Behandlung müssen die vielfältigen depressiven Symptome sorgfältig erhoben werden. Zu Ihnen zählen zum Beispiel melancholische Verstimmungen, Mangel an Energie, Gereiztheit, diffuse Schmerzzustände, unruhiger Schlaf, Ängste aber auch Zustände feierlicher Gehobenheit.
Psychotherapie
Psychotherapie ist heute die Therapieempfehlung der ersten Wahl. Infrage kommt insbesondere die kognitiv-behaviorale Therapie, in der viele approbierte psychologische Psychotherapeuten geschult sind. Psychotherapie ist eine Leistung der gesetzlichen Krankenkasse. Informationen zu Psychotherapeuten in Ihrer Nähe erhalten Sie über die Kassenärztliche Vereinigung (Tel. 030 209166330) oder die Psychotherapeutenkammer Ihres Bundeslandes (www.bptk.de).
Medikamentöse Behandlung
Ärztinnen und Ärzte mit sowohl neurologischer als auch psychiatrischer Spezialisierung können Ihnen, vor allem bei schweren Depressionen, eine medikamentöse Behandlung der Depression vorschlagen. Die Behandlung mit Antidepressiva hat sich auch bei Epilepsiepatienten gut bewährt und ist bei anhaltenden Beschwerden angebracht, denn:
- Antidepressiva machen nicht süchtig.
- Der Therapieerfolg kann bereits nach ca. 4 Wochen beurteilt werden, d.h. ein Versuch kann jederzeit problemlos durchgeführt werden.
- Bei Epilepsiepatienten wurde kein erhöhtes Anfallsrisiko durch die Einnahme von Antidepressiva festgestellt.
Eine antidepressive Therapie mit noradrenergen spezifisch serotonergen Antidepressiva (NaSSA) oder selektiven Serotonin-Reuptake-Inhibitoren (SSRI) hat im therapeutischen Dosisbereich kein klinisch relevantes epileptogenes Potenzial. Sie steigert jedoch häufig die Lebensqualität und könnte zudem antikonvulsive Effekte bei Patienten mit Epilepsie zu haben.
Weitere Therapieansätze
- Anpassung der Epilepsie-Medikation: den Wechsel von Antiepileptika, die ein höheres Risiko für das Aufkommen depressiver Symptome haben, hin zu solchen, die sich stabilisierend oder positiv auf die Stimmung auswirken. Der behandelnde Arzt wird Sie hierzu beraten.
- Vagusnervstimulation: Nach der genauen Überprüfung der Antiepileptika, einer zusätzlichen Einleitung von Antidepressiva oder der Vagusnervstimulation stellt die psychotherapeutische Behandlung der Beschwerden einen wichtigen Baustein dar.
- Körperliche Aktivität: bei milden Formen kann körperliche Aktivität sich gut auf die Stimmung auswirken.
Fallbeispiel
Bei Frau S. einer 61jährigen Hausfrau, die seit vielen Jahren unter therapieresistenten Anfällen ohne Vorwarnzeichen litt, führte die Erkrankung zu einem verstärkten sozialen Rückzug und einer Reduktion angenehmer Erfahrungen und Erfolgserlebnissen. Die depressiven Stimmungseinbrüche von Frau S. waren vor dem Hintergrund der Erkrankung sehr gut nachvollziehbar. Im Rahmen der Verhaltenstherapie wurde zunächst versucht eine Alltagsstrukturierung aufzubauen sowie Freizeitaktivitäten und soziale Kontakte zu reaktivieren. Im nächsten Schritt wurde Vermeidungsverhalten (z. B. nicht mehr Einkaufen gehen) abgebaut, indem Frau S. in Rollenspielen übte, über ihre Erkrankung zu sprechen und Andere besser hierüber zu informieren. Ebenfalls wichtig war eine Veränderung der selbstabwertenden Gedanken („Ich fühle mich schuldig an dieser Erkrankung!“). Durch die genannten Therapieschritte gelang es Frau S.
Was Angehörige tun können
Auch (hirngesunde!) Eltern von Kindern mit Epilepsie leiden infolge der hohen Belastung durch die Erkrankung des Kindes deutlich häufiger an Depressionen als die Normalbevölkerung. Dies ist ein Phänomen, das sich generell bei Angehörigen von chronisch Erkrankten feststellen lässt. Auch die Unterstützung durch die Familie sowie durch Freunde, Nachbarn und Kollegen spielt eine enorme Rolle.
Sprechen Sie unbedingt mit Ihrem Arzt, wenn Sie ungewöhnliche Veränderungen Ihrer Stimmung feststellen. Eventuell kann bzw. muss die medikamentöse Epilepsietherapie im Hinblick auf Ihr psychisches Befinden verbessert werden.
Antiepileptika und Suizidalität
Im Januar 2008 ordnete die amerikanische Food and Drug Administration (FDA) an, dass Hersteller von Antiepileptika vor einem erhöhten Risiko suizidaler Gedanken und Handlungen unter der Therapie warnen müssen. Vorausgegangen war eine Metaanalyse von Plazebo-kontrollierten Studien zu elf Antiepileptika: Patienten, die mit Antiepileptika behandelt wurden, hatten in diesen Studien ein fast doppelt so hohes Risiko für suizidale Ereignisse wie Patienten, die ein Plazebo erhielten. Das Risiko stieg dabei kurz nach Beginn der Therapie und blieb unabhängig vom Typ des Antiepileptikums und der Indikation erhöht. Die absolute Zahl suizidaler Ereignisse war in diesen Studien allerdings sehr gering, weshalb zwischen den einzelnen Wirkstoffen und den zugrunde liegenden Erkrankungen kein Unterschied festgestellt wurde.
In einer retrospektiven Kohortenstudie, in der die Daten von mehr als fünf Millionen Patienten aus Allgemeinarztpraxen in Großbritannien ausgewertet wurden, wurde bei Epilepsie-Patienten kein Zusammenhang zwischen der Einnahme von Antiepileptika und suizidalen Handlungen gefunden. Dagegen wurde bei Patienten mit Depression und bei Patienten ohne Epilepsie, Depression oder bipolare Störung eine Verbindung zwischen der Einnahme von antiepileptischen Wirkstoffen und dem Auftreten suizidaler Ereignisse beobachtet.
Angesichts des geringen absoluten Risikos besteht jedoch kein Anlass, aus Angst vor Suizidalität ganz auf die Einnahme von Antiepileptika zu verzichten. Vielmehr sollten der Nutzen und die Risiken wie bei anderen medikamentösen Therapien sorgfältig gegeneinander abgewogen werden.
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