Epilepsie und Herzerkrankung: Eine komplexe Beziehung

Kardiale Erkrankungen wie Herzinsuffizienz und koronare Herzkrankheit sind eng mit dem Auftreten von Komorbiditäten verbunden, was ihre Prävalenz, Prognose und Lebensqualität betrifft. In den letzten Jahren hat sich die Forschung zunehmend auf die Beziehung zwischen Herz und Gehirn konzentriert. Neue Erkenntnisse deuten darauf hin, dass neben Schlaganfällen auch andere zerebrale Erkrankungen mit kardialen Problemen in Verbindung stehen könnten. In diesem Zusammenhang wurde der Begriff des "epileptischen Herzens" geprägt. Weltweit sind über 50 Millionen Menschen von Epilepsie betroffen. In den Industrieländern liegt die Gesamtprävalenz zwischen 5 und 8 Promille. Die Erkrankung äußert sich durch wiederkehrende Anfälle, die durch eine synchrone, abnorme oder übermäßige neuronale Aktivität im Gehirn verursacht werden. Epilepsie stellt in vielerlei Hinsicht ein ungelöstes Problem dar, da Patienten nicht nur unter den Anfällen selbst leiden, sondern auch unter den damit verbundenen Einschränkungen und der sozialen Stigmatisierung. Aus Public-Health-Perspektive hat das Problem erhebliche medizinische, soziologische, kulturelle und wirtschaftliche Folgen. Die Inzidenz von Epilepsie erreicht in der Kindheit und im höheren Erwachsenenalter ihren Höhepunkt. Während im Kindesalter oft genetische Veranlagung, genetische Erkrankungen oder geburtstraumatische Schädigungen die Ursache sind, ist die Ursachenvielfalt bei Erwachsenen größer, insbesondere Hirnschädigungen.

Das "epileptische Herz"

Der Begriff "epileptisches Herz" deutet auf eine erhöhte Rate kardialer Erkrankungen bei Epilepsiepatienten hin. In diesem Artikel wird untersucht, ob Epilepsiepatienten ein erhöhtes Risiko haben, im Laufe ihrer Erkrankung eine Herzinsuffizienz zu entwickeln. Eine retrospektive Studie mit der IQVIA Disease Analyzer®-Datenbank analysierte eine Kohorte von 9.646 ambulanten Patienten mit Late-Onset-Epilepsie und eine gleich große Kontrollgruppe ohne Epilepsie, die zwischen 2005 und 2018 beobachtet wurden. Epilepsiepatienten wurden individuell 1:1 mit Nicht-Epilepsiepatienten nach Geschlecht, Alter, Indexjahr, Adipositas, Diabetes, Bluthochdruck, ischämischer Herzkrankheit und jährlicher Konsultationshäufigkeit abgeglichen. Innerhalb von 10 Jahren nach dem Indexdatum wurde bei 28,5 % der Patienten mit Epilepsie und bei 20,5 % der Patienten ohne Epilepsie eine Herzinsuffizienz diagnostiziert (log-rank p < 0,001).

Mögliche Mechanismen

Verschiedene Mechanismen könnten die erhöhte Herzinsuffizienz-Rate bei Epilepsiepatienten erklären. Eine durch (wiederholte) epileptische Anfälle verursachte Hypoxie könnte ein möglicher Auslöser sein. Es wird vermutet, dass eine autonome Dysregulation aufgrund intermittierender zerebraler Hypoxie die Verbindung zwischen zerebraler Hypoxie und kardialer Dysfunktion vermittelt.

Arterielle Hypertonie und Epilepsie

Arterielle Hypertonie (aHTN) ist eine nicht-zerebrale Komorbidität, die mit dem Auftreten von Epilepsie in Verbindung gebracht wird. Tatsächlich wurden bei 62 % bis 82 % der Epilepsiepatienten kardiovaskuläre Komorbiditäten festgestellt. Durch seine kardiovaskulären Endpunkte wie Schlaganfall, Herzinfarkt und Herzinsuffizienz ist der arterielle Hypertonus (aHTN) einer der wichtigsten Morbiditäts- und Mortalitätsfaktoren in der westlichen Welt. Es wurde kürzlich gezeigt, dass aHTN auch ein Risikofaktor für das Auftreten von Epilepsien ist.

Einfluss von Antihypertensiva

Eine Studie mit 168.612 ambulanten Patienten mit arteriellem Hypertonus untersuchte, ob bestimmte blutdrucksenkende Medikamente mit Klasse-I-Empfehlung zur Behandlung des aHTN das Risiko für die Inzidenz einer Epilepsie verringern können. Patienten, die mit einer der vier blutdrucksenkenden Medikamentenklassen (Betablocker [BB], Angiotensin-Rezeptorblocker [ARB], ACE-Hemmer oder Kalziumkanalblocker [CCB]) behandelt wurden, wurden anhand von Propensity-Scores einander zugeordnet. Die Inzidenz von Epilepsie innerhalb von fünf Jahren war am niedrigsten bei Patienten, die mit ARB behandelt wurden (0,27 % nach 1 Jahr, 0,63 % nach 3 Jahren, 0,99 % nach 5 Jahren), und am höchsten bei BB- und CCB-Patienten (0,38 % nach 1 Jahr, 0,91/0,93 % nach 3 Jahren, 1,47/1,48 % nach 5 Jahren). Die ARB-Therapie ging mit einer signifikant niedrigeren Inzidenz von Epilepsie einher als die anderen Medikamentenklassen (HR: 0,77; 95%-KI: 0,65-0,90). Beim Vergleich der verschiedenen ARBs zeigte Losartan den deutlichsten präventiven Effekt. Die Modulation des RAS-Systems bei kardialen Patienten könnte deshalb ein neuer Therapieansatz zur Primärprävention von Epilepsien sein. Zur weiteren Exploration dieses Therapieprinzips müssten prospektive randomisierte Studien folgen.

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Herzrhythmusstörungen und SUDEP

Das Konzept möglicher kardialer Nebenwirkungen einer repetitiven Hypoxie und vermehrter Katecholaminausschüttung als Folge einer Epilepsie legt nahe, dass auch Herzrhythmusstörungen mit Epilepsie assoziiert sein können. Auch eine Verbindung zwischen Epilepsien und ventrikulären Herzrhythmusstörungen/plötzlichem Herztod wird diskutiert, nicht zuletzt, da die fatale Komplikation eines plötzlichen Todes sowohl bei Epilepsie als auch bei Herzerkrankungen vorkommen kann. Ein erheblicher Anteil der Todesfälle bei Epilepsie tritt plötzlich auf. Wenn Trauma, Ertrinken und ein dokumentierter Status epilepticus ausgeschlossen werden und die Autopsie keine anatomische oder toxikologische Todesursache ergibt, werden solche Todesfälle als plötzlicher unerwarteter Tod bei Epilepsie (SUDEP) klassifiziert. Während bei plötzlichem Herztod zumindest teilweise die zugrunde liegende Herzrhythmusstörung dokumentiert werden kann, ist der Pathomechanismus bei SUDEP häufig nicht klar nachvollziehbar. Mögliche Herzrhythmusstörungen als Mitursache werden von der Definition des SUDEP prinzipiell ausgeschlossen. Trotzdem ergibt die nicht ausreichende wissenschaftliche Erschließung des Themas zumindest Raum für Spekulationen diesbezüglich.

Fallbeispiele und interdisziplinäre Zusammenarbeit

Epileptische Anfälle können ganz verschiedene Ursachen haben. Neben Hirnverletzungen, Hirntumoren, Schlaganfällen, Blutungen oder Stoffwechselstörungen können dies auch angeborene Gehirnveränderungen, Sauerstoffmangel oder Geburtsschäden sein. In interdisziplinärer Zusammenarbeit haben Neurologen und Kardiologen des Uniklinikums Jena gemeinsam mit der Klinik für Kardiologie des Universitätsklinikums Münster bei einer Patientin eine erbliche Herzerkrankung als Ursache wiederkehrender generalisierter Krampfanfälle identifizieren können. "Im dargestellten Fall einer Patientin, die nach einem schweren Krampfanfall wiederbelebt werden musste, haben wir bei den Untersuchungen eine erbliche Herzerkrankung festgestellt", erläutert der Jenaer Neurologe Prof. Dr. Stefan Isenmann. Diese verursachte wiederholt Kreislaufstillstände, die wiederum zu den Krampfanfällen führten. "Faktisch waren in diesem Fall die Krampfanfälle also eine Folge der familiären Herzerkrankung", so Isenmann. Dank der guten Zusammenarbeit von Herz- und Hirnspezialisten konnte festgestellt werden, wer von den Familienangehörigen der Patientin durch die erbliche Herzerkrankung ebenfalls ein Risiko trägt. "Dank der Entdeckung der Krankheitsursache können die Betroffenen jetzt vorbeugend behandelt werden, um das Auftreten ähnlicher schwerer Ereignisse bei ihnen zu verhindern", so der Kardiologe Dr.

Ein weiterer Fallbericht schildert einen 36-jährigen Mann, der über wiederholte Episoden von "Neben-sich-Stehen" klagte, die sich im video-unterstützten Langzeit-EEG als temporale Epilepsie bestätigten. Während eines nächtlichen Anfalls erlitt der Mann eine iktal ausgelöste Asystolie, die er jedoch nur als schlechten Schlaf wahrnahm. Derartige selbstlimitierende Herzstillstände treten meist bei fokalen, v.a. temporalen Epilepsien auf.

ARB-Therapie und Epilepsieprävention

Studien zufolge scheint auch Bluthochdruck das Risiko zu erhöhen, im höheren Lebensalter an Epilepsie zu erkranken. Möglicherweise lässt sich dieses Risiko durch eine bestimmte Form der medikamentösen Blutdrucksenkung verringern.„Ergebnisse aus Tierversuchen deuten darauf hin, dass eine Therapie mit Angiotensin-Rezeptor-Blockern (ARB) epileptische Anfälle verhindern könnte“, erklärt Dr. Mark Lüdde von der kardiologischen Gemeinschaftspraxis Bremerhaven, der einen Lehrauftrag an der Medizinischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) hat und eine wissenschaftliche Arbeitsgruppe betreut.

Für eine Kohortenstudie wurden Daten aus der Disease-Analyzer-Datenbank zu Patientinnen und Patienten ab 18 Jahren mit Bluthochdruck und mindestens einer Verschreibung eines blutdrucksenkenden Mittels herangezogen. In die Auswertung wurden Daten von 168.612 Personen einbezogen. Untersucht wurde die Epilepsie-Häufigkeit bei Patientinnen und Patienten, die mit einer von vier blutdrucksenkenden Medikamentenklassen (Beta-Blocker, ACE-Hemmer, Kalziumkanalblocker und Angiotensin-Rezeptor-Blocker) behandelt wurden. Innerhalb von fünf Jahren traten bei Personen, die mit ARB behandelt wurden, die wenigsten Epilepsien auf. Hier betrug die Inzidenz 0,99 Prozent nach fünf Jahren. Bei den anderen Therapien lag die Inzidenz nach fünf Jahren bei bis zu 1,48 Prozent.

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Die Studie weist nur einen statistischen Zusammenhang zwischen der geringeren Epilepsie-Häufigkeit und der Behandlung mit Angiotensin-Rezeptor-Blockern nach. Ob diese Art von Blutdruckmittel die Ursache von Epilepsien bekämpft, ist weiterhin unklar. Möglicherweise haben ARB auch neuroprotektive (also nervenschützende) Eigenschaften. Dies könnte die positive Wirkung auf Epilepsie und epileptische Anfälle erklären. Es sei jedoch noch zu früh, diese Blutdrucksenker zur Epilepsieprävention zu empfehlen, sagt der Kardiologe Lüdde. „Bevor die Richtlinien für die Bluthochdrucktherapie angepasst werden können, sind weitere Studien erforderlich.

Weitere Faktoren

Enzyminduzierende Antikonvulsiva steigern auf lange Sicht das kardiovaskuläre Risiko von Epileptikern. Diese Gefahr sollte man im Hinterkopf haben. Epilepsiepatienten, die enzyminduzierende Antikonvulsiva einnehmen, entwickeln vermehrt kardiovaskuläre Erkrankungen. Ein klinisch bedeutsamer Risikoanstieg scheint aber erst nach etwa zehn Jahren Therapie zu bestehen. Zu diesem Schluss kommt ein internationales Forscherteam aufgrund einer großen populationsbasierten Kohortenstudie. Eingeschlossen wurden mehr als 30.000 Patienten des britischen Gesundheitssystems, bei denen in den Jahren ab 1990 eine Epilepsie des Erwachsenenalters diagnostiziert wurde. Der mittlere Beobachtungszeitraum lag bei neun Jahren (maximal 25 Jahre).

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