Epilepsie ist eine der häufigsten chronischen neurologischen Erkrankungen. Allein in Deutschland sind etwa 400.000 bis 800.000 Menschen betroffen, und jährlich kommen rund 30.000 Neuerkrankte hinzu. Die Erkrankung kann in jedem Alter beginnen, wobei es Häufigkeitsgipfel im Kindesalter und bei Menschen über 60 Jahren gibt. Viele Menschen denken bei Epilepsie an Anfälle mit Bewusstseinsverlust und Muskelkrämpfen, doch die Symptome sind vielfältig und reichen von kaum merklichen geistigen Abwesenheiten bis hin zu schweren Krampfanfällen.
Was ist Epilepsie?
Epilepsie umfasst eine Vielzahl von chronischen Erkrankungen des zentralen Nervensystems, die durch eine Überaktivität der Nervenzellen im Gehirn verursacht werden. Diese Überaktivität kann anfallsartige Funktionsstörungen auslösen, die sich in unterschiedlicher Weise äußern.
Ein epileptischer Anfall entsteht durch eine kurzzeitige vermehrte Entladung von Nervenzellen im Gehirn. Das Gehirn besteht aus etwa 80 Milliarden Nervenzellen, die miteinander in Kontakt stehen und Signale austauschen. Bei einem epileptischen Anfall gerät die Kommunikation zwischen den Nervenzellen durcheinander, und es kommt zu einer plötzlichen, synchronen Aktivität vieler Nervenzellen. Diese Signalflut kann zu Funktionsstörungen führen, wie z. B. Bewusstseinsstörungen, Wahrnehmungsstörungen oder Störungen der Muskelaktivität.
Formen von Anfällen
Je nachdem, welcher Bereich des Gehirns und in welchem Umfang die Nervenzellen betroffen sind, werden die Anfälle als fokal oder generalisiert bezeichnet.
- Fokale Anfälle: Diese Anfälle beginnen in einem bestimmten Bereich des Gehirns und betreffen zunächst nur eine Hirnhälfte. Die Symptome hängen davon ab, welcher Bereich des Gehirns betroffen ist. Bei einfachen fokalen Anfällen bleibt das Bewusstsein erhalten, während bei komplexen fokalen Anfällen das Bewusstsein beeinträchtigt sein kann. Ein fokaler Anfall kann sich auch auf beide Gehirnhälften ausbreiten und in einen sekundär generalisierten Anfall übergehen.
- Generalisierte Anfälle: Bei diesen Anfällen werden von Anfang an Nervenzellen in beiden Hirnhälften einbezogen. Generalisierte Anfälle gehen immer mit einer Bewusstseinsstörung einher. Es gibt verschiedene Arten von generalisierten Anfällen, wie z. B. Absencen (kurze geistige Abwesenheiten) und tonisch-klonische Anfälle (Krampfanfälle mit Versteifung und Zuckungen des Körpers).
Die Internationale Liga gegen Epilepsie (ILAE) hat ein Klassifikationssystem entwickelt, um die verschiedenen Anfallsformen nach ihren Merkmalen zu ordnen. Dabei werden die Anfälle zunächst danach unterschieden, ob sie fokal oder generalisiert beginnen. Anschließend werden sie nach ihren motorischen (Muskelaktivität) und nicht-motorischen Symptomen (z. B. Bewusstseinsstörungen, Wahrnehmungsstörungen, autonome Reaktionen) klassifiziert.
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Ursachen und Risikofaktoren
Die Ursachen der Epilepsie sind vielfältig und oft nicht vollständig geklärt. In vielen Fällen spielen genetische Faktoren eine Rolle, d. h. es besteht eine erbliche Veranlagung für die Erkrankung. In einigen Fällen können auch Veränderungen im Erbgut (Genmutationen) nachgewiesen werden.
Weitere mögliche Ursachen und Risikofaktoren für Epilepsie sind:
- Hirnschädigungen: Verletzungen des Gehirns (z. B. durch Unfälle oder Gehirnerschütterungen), Schlaganfälle, Tumore oder Entzündungen des Gehirns können zu Epilepsie führen.
- Angeborene Fehlbildungen des Gehirns: Störungen der Hirnreifung während der Schwangerschaft oder Geburtskomplikationen können ebenfalls Epilepsie auslösen.
- Stoffwechselstörungen: Selten können auch Stoffwechselstörungen Epilepsie verursachen.
Bei etwa der Hälfte aller Betroffenen bleibt die Ursache der Epilepsie jedoch unbekannt.
Auslöser (Trigger) von Anfällen
Epileptische Anfälle können ohne erkennbaren Grund auftreten. In vielen Fällen gibt es jedoch bestimmte Auslöser, die einen Anfall provozieren können. Diese Auslöser können von Person zu Person unterschiedlich sein.
Zu den häufigsten Triggern gehören:
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- Schlafmangel und unregelmäßiger Schlaf-Wach-Rhythmus
- Stress und starke seelische Belastung
- Fieber
- Alkohol und Alkoholentzug
- Drogen- oder Schlafmittelentzug
- Flackerndes Licht (selten)
Symptome eines epileptischen Anfalls
Die Symptome eines epileptischen Anfalls sind vielfältig und hängen von der Art des Anfalls und dem betroffenen Gehirnbereich ab. Einem Anfall kann eine sogenannte Aura vorausgehen, die sich durch Wahrnehmungsstörungen, Halluzinationen oder Schwindelgefühle äußern kann.
Allgemeine Symptome bei epileptischen Anfällen können sein:
- Bewusstseinsveränderungen: Bewusstseinsverlust, Benommenheit, Verwirrtheit, geistige Abwesenheit (Absence)
- Wahrnehmungsstörungen: Sehstörungen, Geschmacks- und Geruchshalluzinationen, Schwindelgefühle
- Übelkeit und Unwohlsein
- Kribbeln in den betroffenen Körperteilen
- Ungewöhnliche Muskelaktivität: Muskelzuckungen, Krämpfe, Muskelversteifung
- Unwillkürliche Laute
Zwischen den Anfällen sind die Betroffenen in der Regel beschwerdefrei und weisen keine neurologischen Symptome auf.
Diagnose
Ein erster epileptischer Anfall sollte immer ärztlich abgeklärt werden, um die Ursache des Anfalls zu ermitteln und das Risiko weiterer Anfälle abzuschätzen.
Die Diagnose von Epilepsie umfasst in der Regel folgende Schritte:
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- Anamnese: Der Arzt erfragt die Krankengeschichte des Patienten und erkundigt sich nach den Umständen des Anfalls, möglichen Auslösern und Vorerkrankungen. Auch die Familiengeschichte ist wichtig, da Epilepsie eine genetische Komponente haben kann.
- Klinische Untersuchung: Der Arzt untersucht die Reflexe, die Muskelkraft und die Koordination des Patienten, um neurologische Ausfälle festzustellen.
- Elektroenzephalographie (EEG): Das EEG ist eine wichtige Untersuchung zur Diagnose von Epilepsie. Dabei werden Elektroden auf der Kopfhaut angebracht, um die elektrische Aktivität des Gehirns aufzuzeichnen. Im EEG können epilepsietypische Veränderungen festgestellt werden, die auf eine erhöhte Anfallsbereitschaft hinweisen.
- Bildgebende Verfahren: Eine Magnetresonanztomographie (MRT) des Gehirns kann durchgeführt werden, um strukturelle Veränderungen im Gehirn, wie z. B. Tumore, Narben oder Fehlbildungen, auszuschließen.
- Laboruntersuchungen: Blutuntersuchungen können durchgeführt werden, um Stoffwechselstörungen oder andere Erkrankungen auszuschließen, die Anfälle auslösen können.
Behandlung
Welche Behandlung sinnvoll ist, hängt von der Form der Epilepsie, dem Krankheitsverlauf und den individuellen Bedürfnissen des Patienten ab.
Medikamentöse Therapie
Die meisten Menschen mit Epilepsie werden mit Medikamenten, sogenannten Antiepileptika, behandelt. Es gibt verschiedene Antiepileptika mit unterschiedlichen Wirkstoffen. Ziel der Behandlung ist es, die Anfallshäufigkeit zu reduzieren oder die Anfälle ganz zu verhindern.
Die Behandlung mit Antiepileptika beginnt in der Regel nach einem zweiten Anfall. Bei einem ersten Anfall wird zunächst abgewartet, es sei denn, es besteht ein erhöhtes Risiko für weitere Anfälle, z. B. aufgrund einer Gehirnerkrankung. Es ist wichtig, die persönliche Situation ausführlich mit dem Arzt zu besprechen, um die beste Behandlungsstrategie zu finden.
Wenn ein Antiepileptikum in niedriger Dosierung nicht wirkt, kann die Dosis erhöht werden. Wenn auch das nicht hilft, kann ein anderes Medikament aus einer anderen Wirkstoffgruppe ausprobiert oder mehrere Wirkstoffe miteinander kombiniert werden.
Antiepileptika können Nebenwirkungen wie Müdigkeit oder Schwindel verursachen. Manche Medikamente bergen spezielle Risiken, z. B. während der Schwangerschaft für das ungeborene Kind. Daher ist eine ausführliche ärztliche Beratung besonders wichtig.
Viele Menschen müssen Antiepileptika über mehrere Jahre einnehmen. Wenn in dieser Zeit keine Anfälle aufgetreten sind, kann ein Auslassversuch unternommen werden. Andere Menschen benötigen die Medikamente lebenslang.
Operative Verfahren
Wenn die Medikamente die Anfälle nicht ausreichend kontrollieren können, kann ein operativer Eingriff eine Alternative sein.
- Resektive Chirurgie: Bei fokalen Anfällen kann der Bereich des Gehirns, der die Anfälle auslöst, operativ entfernt werden. Dies ist jedoch nicht immer möglich, da der betroffene Bereich möglicherweise in der Nähe wichtiger Hirnfunktionen liegt.
- Vagusnerv-Stimulation: Dabei wird ein Schrittmacher unter die Haut im Brustbereich implantiert, der elektrische Impulse an den Vagusnerv abgibt. Der Vagusnerv ist ein wichtiger Nerv des vegetativen Nervensystems, der an der Regulierung der inneren Organe beteiligt ist. Die Vagusnerv-Stimulation soll die Überaktivität der Nervenzellen im Gehirn hemmen. Der Nutzen dieser Therapie ist jedoch noch nicht ausreichend belegt, und die Kosten werden von den gesetzlichen Krankenkassen nur in Einzelfällen übernommen.
Verhalten bei einem epileptischen Anfall
Wenn man Zeuge eines epileptischen Anfalls wird, ist es wichtig, ruhig und besonnen zu bleiben. Vor allem sollte man den Betroffenen vor Verletzungen schützen.
Bei leichten Anfällen mit wenigen Symptomen (z. B. kurzen Absencen oder Muskelzuckungen) besteht keine unmittelbare Gefahr. Danach können sich die Betroffenen unsicher fühlen und Unterstützung benötigen.
Bei Anfällen mit eingeschränktem Bewusstsein oder Verhaltensänderungen ist es wichtig, die Person vor Gefahren zu schützen (z. B. im Straßenverkehr). Man sollte ruhig mit der Person umgehen und sie nicht hart anfassen, da Hektik, Zwang oder Gewalt zu starken Gegenreaktionen führen können. Versuchen Sie, dem Betroffenen Halt und Nähe zu vermitteln.
Bei einem großen generalisierten epileptischen Anfall verkrampft der ganze Körper, und die Person verliert das Bewusstsein. In diesen Fällen sollten Sie:
- Den Notruf 112 wählen, da ein epileptischer Anfall verschiedene Ursachen haben und das Symptom eines lebensbedrohlichen Notfalls sein kann.
- Für Sicherheit sorgen, indem Sie z. B. gefährliche Gegenstände beiseite räumen.
- Den Kopf des Betroffenen abpolstern und die Brille abnehmen.
- Enge Kleidung am Hals lockern, um die Atmung zu erleichtern.
- Menschen, die nicht helfen können, bitten weiterzugehen.
- Nach dem Anfall bei der Person bleiben und Ihre Unterstützung anbieten.
- Wenn die Person erschöpft ist und einschläft, sie in die stabile Seitenlage bringen.
Folgendes sollten Sie in keinem Fall tun:
- Den Betroffenen festhalten oder zu Boden drücken.
- Der betroffenen Person etwas in den Mund schieben, auch wenn sie sich in die Zunge beißt.
Psychosoziale Aspekte
Epilepsie kann das Leben der Betroffenen in vielerlei Hinsicht beeinträchtigen. Die Angst vor einem Anfall kann zu sozialer Isolation und psychischen Problemen führen. Es ist wichtig, dass Menschen mit Epilepsie psychosoziale Unterstützung erhalten, um mit den Folgen der Erkrankung umzugehen und ihre Lebensqualität zu verbessern.
Eine Psychotherapie kann dabei helfen, Ängste abzubauen, das Selbstwertgefühl zu stärken und Strategien zur Bewältigung von Stress und Belastungen zu entwickeln. Auch der Austausch mit anderen Betroffenen in Selbsthilfegruppen kann sehr hilfreich sein.
Leben mit Epilepsie
Mit einer guten medizinischen Behandlung und psychosozialen Unterstützung können Menschen mit Epilepsie ein weitgehend normales Leben führen. Es ist wichtig, sich über die Erkrankung zu informieren, dieTrigger zu kennen und Strategien zur Vermeidung von Anfällen zu entwickeln.
Folgende Tipps können helfen, den Alltag mit Epilepsie besser zu bewältigen:
- Regelmäßiger Schlaf-Wach-Rhythmus: Achten Sie auf ausreichend Schlaf und einen regelmäßigen Schlafrhythmus.
- Stressmanagement: Vermeiden Sie Stress und lernen Sie Entspannungstechniken.
- Gesunde Ernährung: Ernähren Sie sich ausgewogen und vermeiden Sie Alkohol und Drogen.
- Regelmäßige Medikamenteneinnahme: Nehmen Sie Ihre Medikamente regelmäßig und gemäß den Anweisungen des Arztes ein.
- Offene Kommunikation: Sprechen Sie mit Familie, Freunden und Kollegen über Ihre Erkrankung.
- Teilnahme am Straßenverkehr: Beachten Sie die gesetzlichen Bestimmungen bezüglich der Fahrtauglichkeit bei Epilepsie.
Verlauf und Prognose
Epilepsien können unterschiedlich verlaufen. Manche Menschen erleiden nur wenige Anfälle in ihrem Leben, während andere trotz Behandlung weiterhin Anfälle haben. Etwa 70 % der Menschen mit Epilepsie können durch Medikamente anfallsfrei werden. Bei den übrigen 30 % spricht man von einer pharmakoresistenten Epilepsie. In diesen Fällen können operative Verfahren oder andere Therapien in Betracht gezogen werden.
Die gute Nachricht ist, dass epileptische Anfälle in der Regel nicht zu bleibenden Schäden im Gehirn führen. Bei einem Status epilepticus (ein Anfall, der länger als 5 Minuten dauert oder mehrere Anfälle kurz hintereinander) kann es jedoch zu bleibenden Schäden kommen.
Menschen mit einer idiopathischen Epilepsie (Epilepsie ohne erkennbare Ursache) haben eine ähnlich hohe Lebenserwartung wie Menschen ohne die Erkrankung. Bei einer symptomatischen Epilepsie (Epilepsie aufgrund einer anderen Erkrankung des Gehirns) hängt die Lebenserwartung von der Grunderkrankung ab.
Forschung
Die Epilepsieforschung hat in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht. Es werden ständig neue Medikamente und Therapieverfahren entwickelt, um die Behandlung von Epilepsie zu verbessern.
Ein vielversprechender Ansatz ist die Erforschung von genetischen Ursachen der Epilepsie. Durch die Identifizierung von Genen, die an der Entstehung von Epilepsie beteiligt sind, können neue Therapien entwickelt werden, die gezielt auf diese Gene wirken.
Auch die Entwicklung von nicht-invasiven Hirnstimulationsverfahren, wie z. B. der transkraniellen Magnetstimulation (TMS), bietet neue Möglichkeiten zur Behandlung von Epilepsie. Mit TMS können bestimmte Bereiche des Gehirns gezielt stimuliert oder gehemmt werden, um die Anfallshäufigkeit zu reduzieren.