Epilepsie ist eine neurologische Erkrankung, die durch wiederholte Krampfanfälle gekennzeichnet ist. Diese Anfälle entstehen durch vorübergehende Funktionsstörungen des Gehirns, bei denen sich Nervenzellen plötzlich und gleichzeitig entladen. Als Angehöriger eines Menschen mit Epilepsie ist es wichtig, sich über die Erkrankung zu informieren und zu wissen, wie man in verschiedenen Situationen helfen kann. Dieser Artikel bietet umfassende Informationen und praktische Tipps, um Angehörigen von Epilepsie-Patienten im Alltag und im Notfall zur Seite zu stehen.
Was ist Epilepsie?
Epilepsie ist keine einzelne Krankheit, sondern ein Sammelbegriff für verschiedene Erkrankungen, die durch wiederholte epileptische Anfälle gekennzeichnet sind. Diese Anfälle sind das Ergebnis von Hirnveränderungen, die die elektrische Erregbarkeit erhöhen. Die Ursachen für diese Hirnveränderungen sind vielfältig und oft nicht eindeutig.
Merkmale eines epileptischen Anfalls:
- Plötzliches Hinfallen
- Zuckende Bewegungen oder Verkrampfungen
- Bewusstlosigkeit
Es ist wichtig zu beachten, dass nicht jeder Anfall gleich ist. Die Erscheinungsformen einer Epilepsie variieren je nach Ursprungsort im Gehirn. Sie reichen von kurzen Aussetzern (Absencen) über Zuckungen einzelner Gliedmaßen bis hin zu komplexen Bewegungs- und Bewusstseinseinschränkungen.
Erste Hilfe bei einem epileptischen Anfall
Laien sind oft unsicher, wenn sie einen epileptischen Anfall miterleben. Daher ist es wichtig zu wissen, wie man sich richtig verhält. Grundsätzlich gilt: Ruhe bewahren und die betroffene Person nicht allein lassen. Die meisten Anfälle sind nicht gefährlich und dauern nur wenige Minuten.
Was tun während eines Anfalls?
- Schutz vor Verletzungen: Achten Sie besonders auf den Kopf. Legen Sie eine Jacke oder ein Kissen unter den Kopf, nehmen Sie die Brille ab und entfernen Sie gefährliche Gegenstände aus dem Umfeld. Die krampfenden Arme und Beine nicht festhalten. Auf keinen Fall sollte die oder der Betroffene während des Anfalls festgehalten oder zu Boden gedrückt werden. Dem Anfall sollte man soweit es geht seinen Lauf lassen.
- Atemwege freihalten: Lockern Sie enge Kleidung am Hals. Es kann passieren, dass sich der Betroffene auf die Zunge beißt. Dennoch sollte man während des Anfalls nicht den Mund öffnen oder einen Gegenstand zwischen die Zähne schieben. Nach dem Anfall ist es wichtig zu kontrollieren, ob die Atemwege frei sind.
- Auf die Uhr schauen: Notieren Sie die Dauer des Anfalls für den behandelnden Arzt. Die meisten Anfälle dauern 1 bis 2 Minuten.
Wann muss der Notarzt gerufen werden?
- Der Anfall dauert länger als fünf Minuten.
- Es kommt zu mehreren Anfällen hintereinander.
- Es gibt Atemprobleme.
- Es kam zu Verletzungen.
- Man weiß, dass es der erste Anfall war.
- Die Person kommt nicht wieder zu sich.
Was tun nach dem Anfall?
- Dableiben und helfen: Eine Person, die einen Anfall hinter sich hat, kann einige Zeit benötigen, um wieder zu sich zu kommen. Vielleicht hat sie einen Wunsch oder braucht Orientierung. Manche Menschen sind sehr müde und möchten sofort schlafen. Sie werden am besten in die stabile Seitenlage gebracht.
- Schamgefühle beachten: Vermeiden Sie, dass sich bei einem Anfall in der Öffentlichkeit viele Menschen ansammeln. Es kann auch passieren, dass während eines Anfalls ungewollt Urin abgeht.
Einige Betroffene haben einen Epilepsie-Notfallausweis dabei, der Informationen über die Erkrankung, benötigte Medikamente und Kontaktpersonen enthält. Manche Menschen mit Epilepsie tragen ständig ein Notfallmedikament bei sich, damit Personen, die einen Anfall miterleben, es einsetzen können. Dauert ein Anfall länger an, kann das Medikament als Tablette in die Wangentasche gelegt oder als Creme über eine kleine Tube in den After gespritzt werden, um den Anfall zu beenden. Die Notärztin oder der Notarzt kann Medikamente in die Vene spritzen.
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Es kann hilfreich sein, sich zu merken, wie genau der Anfall abgelaufen ist. Genaue Beobachtungen können Ärztinnen und Ärzten später bei der Diagnose helfen.
Alltagstipps für Angehörige
Der Alltag mit einem Menschen mit Epilepsie kann manchmal herausfordernd sein. Hier sind einige Tipps, die Angehörigen helfen können, den Alltag besser zu gestalten:
- Medikamenteneinnahme: Kaufen Sie eine Wochendosette, um die Medikamente für die ganze Woche vorzusortieren. Dies erleichtert die Kontrolle, ob die Medikamente eingenommen wurden. Erinnerungsstützen wie Handyalarme oder Aufkleber können ebenfalls hilfreich sein.
- Sicherheit im Badezimmer: Solange die Gefahr besteht, dass Ihr Kind im Anfall in die Badewanne unter Wasser rutscht, sollte es besser Duschen. Praktisch ist es auch, wenn die Türen von Bad und Gästetoilette nach außen aufgehen. So kommen Sie besser ins Bad, wenn Ihr Kind dort auf den Boden stürzt. Statt eines Schloss mit Schlüssel ist eine sog. WC-Garnitur sinnvoll.
- Kindergarten und Schule: Informieren Sie Erzieher und Lehrer über die Epilepsie Ihres Kindes und treffen Sie schriftliche Vereinbarungen über notwendige Maßnahmen im Falle eines Anfalls. Dazu gehört ein fachärztliches Gutachten mit Anweisungen, wann welches Medikament gegeben werden soll. Andere Kinder können in die Versorgung des betroffenen Kindes mit einbezogen werden, in dem sie z. B. eine weiche Unterlage für den Kopf organisieren, alles aus dem Weg räumen (Verletzungsgefahr), eine andere ErzieherIn informieren. In einigen Fällen ist es sinnvoll einen Integrationshelfer für das Kind zu beantragen.
- Berufswahl: Berufsziele sollten mit dem behandelnden Arzt / der behandelnden Ärztin besprochen werden. Auch die Sozialdienste an Epilepsiezentren können hier unterstützen. Jugendliche, die stärker durch ihre Erkrankung eingeschränkt sind, können sich auch bei der Bundesagentur für Arbeit informieren.
- Studium: Eine Epilepsie ist kein Grund, nicht zu studieren. Grundsätzlich können Sie jeden Studiengang wählen, der Sie interessiert. Keine Universität darf Sie wegen Ihrer Krankheit benachteiligen oder ausschließen. Die Uni ist verpflichtet, Ihnen (über den Nachteilsausgleich) die Teilnahme an allen studienrelevanten Kursen und Prüfungen zu ermöglichen.
Sport und Freizeit
Regelmäßige sportliche Betätigung ist für alle Menschen gesund, auch für Kinder und Jugendliche mit Epilepsie. Körperliche Aktivität führt nicht zu Anfallshäufungen. Wenn seit längerer Zeit Anfallsfreiheit (1 bis 2 Jahre) besteht, gibt es keinen Grund für Einschränkungen. Bei häufig auftretenden Anfällen muss die Sportart und das Ausmaß des Trainings von der Anfallsart, der Anfallshäufigkeit und den individuellen Auslösefaktoren abhängig gemacht werden.
Worauf sollte man achten?
- Schwimmen: Notwendig ist in der Regel eine eigene Aufsichtsperson (möglichst mit Rettungsschwimmer-Ausbildung), da bei bestimmten Anfallsformen ein lautloses Ertrinken möglich ist. Im Bedarfsfall kann im Rahmen der Eingliederungshilfe ein Integrationshelfer beim zuständigen Sozialamt beantragt werden. Dies soll gewährleisten, dass das Kind bei einem Anfall sofort aus dem Wasser geholt wird.
- Absturzgefahr: Klettern am Seil oder der Stange ohne Absicherung über die Höhe der Hilfestellung hinaus sollte vermieden werden; Klettern mit Sicherungsmaßnahmen in einer Kletterhalle oder im Freien ist möglich.
- Erschütterungen des Kopfes: Kopfbälle sind generell im Kindesalter ungünstig, da es zu Gehirnerschütterungen kommen kann.
Reisen mit Epilepsie
Auch Familien mit epilepsiekranken Kindern brauchen manchmal einen Tapetenwechsel und möchten in Urlaub fahren. Eine gut bestückte Reiseapotheke mit ausreichend Medikamenten, auch Notfallmedikamenten, deren Inhalt mit dem Arzt abgesprochen ist, trägt viel zu einem entspannten Urlaub bei. Hilfreich ist ein Notfallausweis oder, wenn das Kind schon im Handyalter ist und sogar mal alleine loszieht, die nötigsten Daten wie z.B. Diagnose, Medikation und vor allem Telefonnummern der Eltern als Hintergrundbild auf dem Smartphone des Kindes zu speichern, Helfer brauchen dann kein Passwort, um das Handy zu entsperren und die ICE-Kontakte (ICE: In Case of Emergency = Im Notfall) zu finden. Im Ausland sollte auch eine Übersetzung der Informationen in die Landessprache oder Englisch/Französisch/Spanisch dabei sein.
Worauf sollte man bei Reisen achten?
- Flugreisen: Erkundigen Sie sich bitte vor der Buchung bei der Fluggesellschaft, ob Sie eine ärztliche Reisetauglichkeitsbescheinigung benötigen. Bei längeren Flügen ist ein Gespräch mit dem Arzt ratsam, ob medikamentöse Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden können, damit während des Fluges kein Anfall auftritt.
- Zeitverschiebung: Bei Zeitverschiebung muss die Medikamenteneinnahme auf jeden Fall mit dem Arzt vorher abgesprochen werden, da Schlafentzug und/oder zeitlich verschobene Medikamenteneinnahme anfallsfördernd sind.
Medikamente und Generika
Von fast allen Medikamenten gibt es sogenannte Generika. Allerdings hat eine aktuelle Studie bei Epilepsie-Patienten gezeigt, dass ein häufiger Wechsel, sowohl von Original zu Generikum als auch von Generikum zu Generikum, mit einem höheren Wiederauftreten von Anfällen verbunden ist. Daher sollte das Medikament, egal ob Original oder Generikum, auf das ein Patient gut eingestellt ist, nicht ausgetauscht werden. In der Regel weiß Ihr Arzt darüber Bescheid und kreuzt auf Ihrem Rezept das so genannte „aut idem“-Feld an bzw. ergänzt den Vermerk "Kein Austausch" und schließt so den Austausch aus.
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Schwangerschaft und Epilepsie
Schwangerschaft und Epilepsie schließen einander nicht aus. Bei Kinderwunsch sollte eine Schwangerschaft sorgfältig geplant werden, um mögliche Risiken von vornherein zu vermeiden. Einige Medikamente bergen höhere Risiken als andere. Sollten Sie Valproat einnehmen und einen Kinderwunsch haben, bzw. schwanger sein, bitten wir Sie, sich unverzüglich von Ihrem Arzt beraten zu lassen.
Impfungen bei Epilepsie
Menschen mit Epilepsie sollen daher grundsätzlich den gleichen Impfschutz erhalten wie Menschen ohne Epilepsie. Es gibt nur wenige Berufe, die Epilepsie-Patienten nicht erlernen oder nicht mehr ausüben können. Dazu gehören Berufe wie Pilot/in, Dachdecker/in, Polizist/in oder Berufsfahrer/in.
Alkohol und Epilepsie
Größere Mengen Alkohol erhöhen die Gefahr für einen epileptischen Anfall, und die Wirkung und einige Nebenwirkungen von Medikamenten können durch Alkohol verstärkt werden. Umgekehrt kann regelmäßiger Alkoholkonsum dazu führen, dass Medikamente in der Leber schneller abgebaut werden und diese so an Wirksamkeit verlieren. Keinesfalls sollten Sie Ihre Medikamente nicht einnehmen, oder die Einnahme verschieben, wenn sie z. B. auf eine Feier eingeladen sind und vorhaben, Alkohol zu trinken.
Autofahren mit Epilepsie
Solange mit Anfällen zu rechnen ist, dürfen Betroffene i. d. R. kein Kraftfahrzeug lenken. Allerdings müssen nicht alle an Epilepsie-Erkrankten dauerhaft auf das Fahrzeug verzichten. Unter bestimmten Voraussetzungen kann der Führerschein erteilt bzw. wieder erteilt werden. Ganz entscheidend ist dabei der Nachweis einer anfallsfreien Zeit.
Die verschiedenen Anfallsformen
Die verschiedenen Formen von epileptischen Anfällen kann man grob unterteilen in sogenannte fokale Anfälle, die nur Teile des Gehirns betreffen, und generalisierte Anfälle, die das gesamte Gehirn betreffen. Die Symptome bei einem fokalen Anfall hängen davon ab, in welchem Teil des Gehirns die Nervenzellen übermäßig stark feuern. Die häufigste Form des generalisierten epileptischen Anfalls ist der sogenannte große Krampfanfall, auch „Grand Mal“ genannt.
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