Die ketogene Ernährung ist eine spezielle Ernährungsform, die sich durch einen hohen Fettanteil, eine moderate Eiweißzufuhr und eine sehr geringe Kohlenhydratzufuhr auszeichnet. Sie wird seit Jahrzehnten als Therapieoption, insbesondere bei Kindern mit medikamentenresistenter Epilepsie, eingesetzt. Das Ziel dieser Diät ist es, den Körper in einen Zustand der Ketose zu versetzen, in dem er anstelle von Glukose Ketonkörper zur Energiegewinnung nutzt.
Grundlagen der ketogenen Ernährung
Ketose und Ketonkörperbildung
Im normalen Stoffwechsel dienen Kohlenhydrate als Hauptenergielieferant für den Körper. Werden jedoch nur sehr wenige Kohlenhydrate aufgenommen, stellt der Körper auf die Verbrennung von Fetten um. Dabei entstehen in der Leber Ketonkörper (Aceton, Acetoacetat und Beta-Hydroxybuttersäure), die als alternative Energiequelle, insbesondere für das Gehirn, dienen. Dieser Stoffwechselzustand wird als Ketose bezeichnet.
Zusammensetzung der ketogenen Ernährung
Die klassische ketogene Diät besteht typischerweise aus etwa 90 % Fett sowie 10 % Eiweiß und Kohlenhydraten. Das Verhältnis von Fett zu Kohlenhydraten plus Proteinen liegt meist bei 4:1 oder 3:1. Um dieses Verhältnis zu erreichen, sind bestimmte Lebensmittel erlaubt, während andere vermieden werden müssen.
Erlaubte Lebensmittel:
- Stärkearme Gemüsesorten (z. B. Kohl, Blattgemüse, Gurke, Tomaten, Avocado, Zucchini, Salat, Spargel, Oliven)
- Fleisch, Fisch und Eier
- Fettreiche Milchprodukte
- Nüsse
- Pflanzliche Fette (z. B. Olivenöl, Kokosöl)
- Dunkle Beerenfrüchte in kleinen Mengen
Nicht erlaubte Lebensmittel:
- Zuckerhaltige Getränke und Speisen
- Stärkereiche Gemüsesorten (z. B. Kartoffeln, Hülsenfrüchte, Wurzelgemüse)
- Süße Obstsorten
- Getreideprodukte
Varianten der ketogenen Ernährung
Neben der klassischen ketogenen Diät gibt es auch abgewandelte Formen, die weniger streng sind und sich leichter in den Alltag integrieren lassen:
- Modifizierte Atkins-Diät (MAD): Hierbei wird die Kohlenhydratmenge berechnet, während die Protein- und Fettzufuhr flexibler gestaltet werden kann.
- MCT-Diät: Bei dieser Variante werden vermehrt mittelkettige Triglyceride (MCT) eingesetzt, die leichter in Ketonkörper umgewandelt werden können.
- Niedrig-glykämische Index-Therapie (LGIT): Diese Form legt den Fokus auf Lebensmittel mit einem niedrigen glykämischen Index, um den Blutzuckerspiegel stabil zu halten.
Ketogene Ernährung bei Epilepsie
Wirkungsweise bei Epilepsie
Die genaue Wirkungsweise der Ketose bei Epilepsie ist noch nicht vollständig geklärt. Es wird vermutet, dass die Ketonkörper im Gehirn antikonvulsiv wirken und die Erregbarkeit der Nervenzellen reduzieren können. Zudem könnten sie die Energieversorgung des Gehirns verbessern und dadurch die Anfallshäufigkeit verringern.
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Anwendung bei medikamentenresistenter Epilepsie
Die ketogene Ernährung wird vor allem bei Kindern mit medikamentenresistenter Epilepsie eingesetzt, bei denen Medikamente nicht ausreichend wirken. Studien haben gezeigt, dass die Diät die Anfallshäufigkeit bei vielen Kindern deutlich reduzieren kann. In einigen Fällen kann sogar eine Anfallsfreiheit erreicht werden. Auch bei erwachsenen Epilepsiepatienten kann die ketogene Ernährung eine Reduktion der Anfallshäufigkeit bewirken, auch wenn eine vollständige Anfallsfreiheit seltener erreicht wird.
Studienlage zur ketogenen Ernährung bei Epilepsie
Zahlreiche Studien haben die Wirksamkeit der ketogenen Ernährung bei Epilepsie untersucht. Ein Review in der Zeitschrift Neurology analysierte zehn Studien und fand heraus, dass 32 % der Patienten, die sich ketogen ernährten, und 29 % der Patienten, die eine modifizierte Atkins-Diät einhielten, die Anzahl ihrer Anfälle halbierten. Ein Cochrane-Review aus dem Jahr 2020 kam zu ähnlichen Ergebnissen und zeigte, dass die Wahrscheinlichkeit, anfallsfrei zu werden, bei Kindern, die sich strikt ketogen ernährten, bis zu dreimal höher war als bei Kindern, die sich nicht ketogen ernährten.
Eine Meta-Analyse von Beobachtungsstudien bei Erwachsenen zeigte, dass die ketogene Diät auch in dieser Altersgruppe die Anfallshäufigkeit reduzieren kann.
Indikationen für eine ketogene Ernährungstherapie
Die ketogene Ernährungstherapie (KET) kann bei verschiedenen Formen von Epilepsie und Stoffwechselstörungen in Erwägung gezogen werden. Zu den Indikationen gehören:
- Pharmakoresistente Epilepsie
- Bestimmte Epilepsiesyndrome (z. B. Dravet-Syndrom, Doose-Syndrom, West-Syndrom)
- Stoffwechselstörungen (z. B. Glukosetransporter-1-Defekt, Pyruvatdehydrogenase-Mangel)
- Angelman-Syndrom
- Komplex-I-Mitochondriopathie
- Fieberinduziertes Epilepsiesyndrom (FIRES)
- Super-refraktärer Status epilepticus
- Tuberöse Sklerose
Durchführung der ketogenen Ernährung
Die ketogene Ernährung sollte immer unter ärztlicher Aufsicht und in Zusammenarbeit mit speziell ausgebildeten Ernährungsfachleuten durchgeführt werden. Insbesondere bei Kindern wird die Diät meist stationär in einer Klinik eingeleitet, um mögliche Komplikationen frühzeitig zu erkennen und zu behandeln.
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Vor Beginn der Diät ist eine gründliche Anamnese und Untersuchung erforderlich, um die Ausgangssituation zu erfassen und den Diätplan individuell anzupassen. Während der Diät müssen regelmäßig Blutuntersuchungen durchgeführt werden, um die Ketonwerte, den Blutzuckerspiegel und andere wichtige Parameter zu überwachen.
Herausforderungen und soziale Aspekte
Eine der größten Herausforderungen bei der ketogenen Ernährung ist die strikte Einhaltung der Diät. Die kulinarischen und sozialen Einschränkungen können für viele Patienten eine Belastung darstellen und dazu führen, dass sie die Diät vorzeitig abbrechen. Es ist daher wichtig, die Patienten und ihre Familien umfassend zu schulen und zu unterstützen, um die Diät erfolgreich in den Alltag zu integrieren.
Entwicklung neuer Lebensmittel zur Unterstützung der Ketose
Aktuelle Forschungsarbeiten konzentrieren sich auf die Entwicklung neuer Lebensmittel, die die Ketonkörperbildung unterstützen und die Einhaltung der ketogenen Diät erleichtern sollen. Studien untersuchen, ob spezifische Lebensmittel einen Einfluss auf die humane Ketonkörperbildung haben. Dabei werden neu entwickelte Produkte an Probanden in randomisierten, kontrollierten Cross-over-Studien getestet. Ziel ist es, schmackhafte Lebensmittel zu finden, die die Ketose fördern und die Lebensqualität der Patienten verbessern.
Bedeutung der Dokumentation von Anfällen
Eine sorgfältige und lückenlose Dokumentation der epileptischen Anfälle im Vorfeld der ketogenen Ernährung ist essenziell, um die Wirksamkeit der Therapie richtig beurteilen und den Diätplan optimal anpassen zu können. Erfasst werden sollten Häufigkeit, Dauer, Ablauf und betroffene Körperregionen der Anfälle sowie tageszeitliche Muster und weitere Begleiterscheinungen. Auch während der Diät ist eine kontinuierliche Dokumentation wichtig, um Veränderungen zu erkennen und den Diätplan gegebenenfalls anzupassen.
Mögliche Nebenwirkungen und Risiken
Kurzzeitige Nebenwirkungen
Zu Beginn der ketogenen Ernährung können verschiedene Nebenwirkungen auftreten, die jedoch meist vorübergehend sind:
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- Verstopfung
- Übelkeit
- Erbrechen
- Durchfall
- Unterzuckerung (Hypoglykämie)
- Azidose (Übersäuerung des Blutes)
Langzeitige Nebenwirkungen
Bei längerer Durchführung der ketogenen Ernährung können folgende Nebenwirkungen auftreten:
- Nierensteine
- Fettstoffwechselstörungen (Hyperlipidämie)
- Wachstumsbeeinträchtigung bei Kindern (möglicherweise)
Gegenanzeigen
In bestimmten Fällen ist die ketogene Ernährung nicht geeignet. Zu den Gegenanzeigen gehören:
- Bestimmte Stoffwechselerkrankungen
- Schwere Leber- oder Nierenerkrankungen
- Akute Infektionen
Wichtige Hinweise
Bei gleichzeitiger Einnahme von bestimmten Medikamenten gegen Epilepsie (z. B. Barbiturate, Valproat, Topiramat, Sultiam, Zonisamid) ist besondere Vorsicht geboten, da es zu Wechselwirkungen kommen kann.
Fazit
Die ketogene Ernährung ist eine wirksame Therapieoption für Patienten mit medikamentenresistenter Epilepsie, insbesondere bei Kindern. Sie kann die Anfallshäufigkeit deutlich reduzieren und die Lebensqualität verbessern. Die Diät erfordert jedoch eine sorgfältige Planung, Durchführung und Überwachung durch ein erfahrenes Behandlungsteam. Zudem ist die strikte Einhaltung der Diät eine Herausforderung, die eine umfassende Schulung und Unterstützung der Patienten und ihrer Familien erfordert. Aktuelle Forschungsarbeiten konzentrieren sich auf die Entwicklung neuer Lebensmittel, die die Ketonkörperbildung unterstützen und die Einhaltung der ketogenen Diät erleichtern sollen.