Kinder und Jugendliche mit Epilepsie benötigen eine umfassende Unterstützung durch Familie, Freunde und die Schule. Während leichtere Formen der Epilepsie das Leben kaum beeinträchtigen, können häufige Anfälle eine erhebliche Belastung darstellen. Dieser Artikel bietet Informationen zum Umgang mit Epilepsie in der Schule, zu Unterstützungsmöglichkeiten und zur Förderung der Teilhabe am Schulalltag.
Epilepsie im Alltag: Was ist wichtig zu wissen?
Epileptische Anfälle sind meistens schnell vorüber, doch die Angst vor ihnen kann ständiger Begleiter sein. Fragen tauchen auf: Kann das Kind weiterhin Sport treiben? Wie soll die Schule mit der Erkrankung umgehen? Die ersten Anfälle sind oft beängstigend, besonders wenn es sich um einen großen Anfall handelt, bei dem der Körper krampft. Glücklicherweise sind solche Anfälle bei Kindern seltener. Eltern und Betreuer sind verunsichert, wie sie reagieren sollen. Hier sind einige grundlegende Verhaltensregeln:
- Ruhe bewahren.
- Auf die Uhr schauen: Die Dauer des Anfalls notieren.
- Schutz vor Verletzungen: Das Kind vor Verletzungen schützen.
- Nicht festhalten: Das Kind nicht festhalten und nichts in den Mund stecken.
- Nicht allein lassen: Das Kind nicht allein lassen und nach dem Anfall beistehen.
- Hilfe holen: Bei Bedarf die 112 wählen.
Die meisten Anfälle sind nach wenigen Minuten vorbei und ungefährlich. Ein Epilepsie-Notfallausweis ist sinnvoll. Er enthält wichtige Informationen wie Notfallkontakte, Medikamente und den behandelnden Arzt. Bei den ersten Anfällen ist eine genaue Beobachtung wichtig, um den Anfall später dem Arzt beschreiben zu können.
Aktivitäten und Einschränkungen
Was Kinder und Jugendliche mit Epilepsie unternehmen können, ist individuell verschieden. Die Einschränkungen halten sich meist in Grenzen. Generell gilt: Kinder und Jugendliche sollten so viel wie möglich tun können. Einschränkungen sind nur bei hohem Verletzungsrisiko unvermeidlich. Übervorsicht kann das Selbstwertgefühl schwächen und die Entwicklung beeinträchtigen. Eine ärztliche Beratung ist ratsam, um geeignete Aktivitäten zu bestimmen. Die meisten Sportarten sind möglich, wenn das Kind ansonsten gesund ist. Schwimmen und Klettern sind wegen der Unfallgefahr weniger geeignet. Beim Schwimmen ist Aufsicht und eventuell Schwimmhilfe wichtig. Tauchsport ist erst nach jahrelanger Anfallsfreiheit möglich. Bei regelmäßigen Anfällen ist ein Schutz vor Kopfverletzungen wichtig, z.B. durch einen Helm.
Epilepsie in Kindergarten und Schule
Es ist wichtig, dass Erzieher und Lehrer über die Epilepsie informiert sind und wissen, was bei einem Anfall zu tun ist. Je besser sie informiert sind, desto gelassener können sie mit dem Kind umgehen. Dies gilt auch für weniger auffällige Anfälle (Absencen), die sonst als „Träumerei“ missinterpretiert werden könnten. Häufige Anfälle oder Medikamente können die Leistungsfähigkeit beeinträchtigen und zu Unkonzentriertheit, Müdigkeit oder Nervosität führen. Manche Kinder haben Schwierigkeiten im Umgang mit anderen Kindern oder Lehrern. Eine gute Unterstützung und Begleitung in der Schule ist wichtig, um Ausgrenzung zu vermeiden. Die meisten Kinder mit Epilepsie können eine Regelschule besuchen und haben keinen besonderen Förderbedarf. Andere benötigen Unterstützung, z.B. beim Lernen. Neben persönlicher Betreuung in der Regelschule gibt es Förderschulen für Kinder mit besonderen Beeinträchtigungen. Eine schriftliche Vereinbarung in Schule oder Kindergarten ist sinnvoll, abhängig von der Situation. Bei gut behandelter Epilepsie ohne erwartete Anfälle in der Schule ist es nicht nötig, Mitschüler zu informieren. Wenn sich das Kind schämt oder Vorurteile befürchtet, kann es die Krankheit für sich behalten oder nur engen Freunden erzählen. Bei regelmäßigen Anfällen ist es besser, die anderen Kinder aufzuklären.
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Vereinbarungen und Anweisungen für den Notfall
Einige Kinder benötigen im Falle eines Anfalls ein Notfallmedikament, was bei Erziehern und Lehrern zu Unsicherheiten hinsichtlich Haftung und Versicherung führen kann. Daher ist es wichtig, eine schriftliche Vereinbarung zwischen den Erziehungsberechtigten und der Einrichtung zu treffen, die genaue Anweisungen zu den notwendigen Maßnahmen enthält. Die Handlungsanweisung sollte klare Angaben zu Zeitpunkt und Anlass der Medikamentengabe sowie die Namen aller Personen enthalten, die zur Gabe berechtigt sind. Eine Vorlage für eine solche Vereinbarung ist online verfügbar. Zusätzlich ist ein fachärztliches Gutachten von einem Neuropädiater/Neurologen mit ärztlichen Anweisungen erforderlich, wann welches Medikament gegeben werden soll - idealerweise nicht älter als 6-12 Monate. Notfallmedikamente sollten mit genauer Dosier- und Gebrauchsanweisung verpackt und mit einem Gummiband befestigt werden, so dass der Ersthelfer diese erst lesen muss, bevor er an das Medikament gelangt. Dies vermeidet Fehler und gibt dem Ersthelfer zusätzliche Sicherheit. Andere Kinder können in die Versorgung des betroffenen Kindes einbezogen werden, indem sie z.B. eine weiche Unterlage für den Kopf organisieren, alles aus dem Weg räumen (Verletzungsgefahr) oder eine andere Erzieherin/Lehrerin informieren. In einigen Fällen ist es sinnvoll, einen Integrationshelfer für das Kind zu beantragen, der es im Kindergarten oder in der Schule begleitet. Je nachdem, welche Einschränkungen das Kind hat, ist entweder das Jugendamt oder das Sozialamt für die Bewilligung zuständig.
Nachteilsausgleich in der Schule
Informationen zum Nachteilsausgleich für chronisch kranke oder behinderte Schüler können in den einzelnen Bundesländern an verschiedenen Stellen gefunden werden: meist in der Zeugnisverordnung, aber auch in Verwaltungsvorschriften, Rundschreiben, speziellen Handreichungen und Prüfungsordnungen. Es handelt sich dabei um allgemein formulierte Richtlinien - welcher Nachteilsausgleich für den einzelnen Schüler gewährt wird, ist immer Verhandlungssache.
Berufswahl und Studium mit Epilepsie
Es gibt nur wenige Berufe, die Menschen mit Epilepsie grundsätzlich nicht ausüben können, wie z.B. Pilot oder Bus- und Zugfahrer. Berufe, bei denen eine Gefährdung für sich selbst oder andere besteht, sollten vermieden werden. Informationen hierzu sind in den Richtlinien der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung zu finden. Bei längerer Anfallsfreiheit sind die meisten Berufe möglich, oft auch mit Medikamenteneinnahme. Auch wenn Anfälle nur im Schlaf auftreten oder so leicht sind, dass sie die Tätigkeit nicht beeinflussen, sind die meisten Berufe möglich. Zuckungen im Gesicht oder Arm sind meist kein Hindernis, anders als Anfälle mit Bewusstlosigkeit oder Stürzen. Es ist wichtig, sich rechtzeitig vor dem Schulabschluss mit der Berufswahl auseinanderzusetzen und sich ärztlich oder bei einer Epilepsie-Beratungsstelle beraten zu lassen. Die Bundesagentur für Arbeit bietet ebenfalls Beratung und Unterstützung an. Viele Menschen mit Epilepsie studieren. Sie können Unterstützungsmöglichkeiten wie Härtefallanträge für Studienplätze und Nachteilsausgleiche während des Studiums in Anspruch nehmen.
Offenlegung der Epilepsie im Arbeitsleben
Eine Information des Arbeitgebers ist nur nötig, wenn bestimmte Tätigkeiten wegen der Erkrankung nicht ausgeübt werden können. Ansonsten hat der Arbeitgeber kein Recht auf diese Information. Es besteht die Möglichkeit, mit dem betriebsärztlichen Dienst zu sprechen, der der Schweigepflicht unterliegt. Es wird empfohlen, die Epilepsie nicht in Bewerbungsunterlagen zu erwähnen, sondern dies im persönlichen Gespräch zu erklären. Bei Unsicherheit kann man sich vor der Bewerbung beraten lassen.
Führerschein und Epilepsie
Ob man mit Epilepsie den Führerschein machen kann, muss ein Arzt beurteilen. Eine Fahrerlaubnis kann nur erhalten, wer über längere Zeit anfallsfrei geblieben ist und voraussichtlich keinen Anfall während des Autofahrens bekommt. Die Wartezeit hängt von der Epilepsieform und der Krankheitsentwicklung ab. Oft genügt ein Jahr Anfallsfreiheit.
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Unterstützungsmöglichkeiten für Kinder und Familien
Neben der medizinischen Behandlung ist Unterstützung in der Schule und zu Hause wichtig. Manche Kinder mit Epilepsie benötigen gezielte Förderung, z.B. durch Hilfen in der Schule. Es gibt verschiedene Anlaufstellen:
- Frühförderstellen: Unterstützen Familien medizinisch, psychologisch, bei der Erziehung und im Alltag. Sie bieten Therapien an oder vermitteln Hilfen für den Familienalltag und die Schule.
- Sozialpädiatrische Zentren (SPZ): Bieten Unterstützung bei chronischen Erkrankungen, Verhaltensauffälligkeiten und Entwicklungsstörungen von Kindern.
- Selbsthilfegruppen: Bieten Austausch mit anderen Betroffenen und Informationen über den Umgang mit der Erkrankung.
- Epilepsie-Beratungsstellen: Beraten, informieren und unterstützen Betroffene und ihre Familien.
- Pflegedienste: Bieten je nach Hilfebedarf dauerhafte oder kurzfristige pflegerische Unterstützung. Ein Antrag auf Pflegeleistungen wird bei der Pflegekasse gestellt.
- Familienentlastende Dienste (FED): Betreuen und begleiten erkrankte und hilfebedürftige Kinder im Alltag und entlasten so Eltern und Geschwister.
- Integrationshilfe: Besonders beeinträchtigte Kinder können eine Integrationshilfe erhalten, die sie im Kindergarten oder in der Schule begleitet und unterstützt. Ein Antrag muss beim Sozialamt gestellt werden. Bei sehr häufigen Anfällen kann eine medizinische Fachkraft das Kind begleiten, deren Kosten die Krankenkasse trägt.
- Lerntherapie: Bei Lernschwierigkeiten ist eine Lerntherapie möglich.
- Schwerbehinderung: Unter Umständen kann ein Antrag auf Schwerbehinderung gestellt werden, um zusätzliche Unterstützungsleistungen zu erhalten.
Zusätzliche Tipps für den Alltag
- Medikamentenmanagement: Eine Wochendosette hilft, die Medikamente für die ganze Woche zu sortieren und zu überprüfen, ob sie eingenommen wurden. Erinnerungsstützen wie Handyalarme oder Aufkleber können hilfreich sein.
- Sicherheit im Badezimmer: Solange die Gefahr besteht, dass das Kind im Anfall in der Badewanne unter Wasser rutscht, sollte es besser duschen. Türen von Bad und Gästetoilette sollten nach außen aufgehen. Statt eines Schlosses mit Schlüssel ist eine WC-Garnitur sinnvoll.
- Anfallserkennung: Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Anfälle zu registrieren, auch wenn das Kind im eigenen Bett schläft:
- Klingelarmband: Geeignet für Anfälle mit Zuckungen.
- Alarmgerät fürs Bett: Reagiert auf rhythmische Bewegungen.
- Alarmgerät fürs Handgelenk: Registriert Herzfrequenz und Bewegungen im Schlaf.
- Pulsoxymeter: Misst die Sauerstoffsättigung im Blut während des Anfalls.
- Babyfon mit/ohne Kamera: Meldet Geräusche oder zeigt Bilder.
Sport und Freizeitaktivitäten
Regelmäßige sportliche Betätigung ist für alle Menschen gesund, auch für Kinder und Jugendliche mit Epilepsie. Körperliche Aktivität führt nicht zu Anfallshäufungen! Die Teilnahme am Sportunterricht ist auch aus sozialen Gesichtspunkten unerlässlich. Wenn seit längerer Zeit Anfallsfreiheit (1 bis 2 Jahre) besteht, gibt es keinen Grund für Einschränkungen. Bei häufig auftretenden Anfällen muss die Sportart und das Ausmaß des Trainings von der Anfallsart, der Anfallshäufigkeit und den individuellen Auslösefaktoren abhängig gemacht werden. Eine generelle Sportbefreiung ist in der Regel nicht notwendig.
Spezifische Sportarten und Vorsichtsmaßnahmen
- Schwimmen: Notwendig ist in der Regel eine eigene Aufsichtsperson (möglichst mit Rettungsschwimmer-Ausbildung), da bei bestimmten Anfallsformen ein lautloses Ertrinken möglich ist. Im Bedarfsfall kann im Rahmen der Eingliederungshilfe ein Integrationshelfer beim zuständigen Sozialamt beantragt werden. Zusätzliche Sicherungsmaßnahmen können Schwimmhilfen sein, die den Kopf über Wasser halten, sowie eine auffallende Badekappe und grellfarbene Badekleidung.
- Klettern: Klettern am Seil oder der Stange ohne Absicherung über die Höhe der Hilfestellung hinaus sollte vermieden werden; Klettern mit Sicherungsmaßnahmen in einer Kletterhalle oder im Freien ist möglich. Auch Geräteturnen mit Hilfestellung und einer dicken Matte stellt in der Regel kein Problem dar.
- Kopfbälle: Kopfbälle sind generell im Kindesalter ungünstig, da es zu Gehirnerschütterungen kommen kann.
Urlaub mit Epilepsie
Auch Familien mit epilepsiekranken Kindern brauchen manchmal einen Tapetenwechsel und möchten in Urlaub fahren. Eine gut bestückte Reiseapotheke mit ausreichend Medikamenten, auch Notfallmedikamenten, deren Inhalt mit dem Arzt abgesprochen ist, trägt viel zu einem entspannten Urlaub bei. Hilfreich ist ein Notfallausweis oder die nötigsten Daten wie Diagnose, Medikation und Telefonnummern der Eltern als Hintergrundbild auf dem Smartphone des Kindes zu speichern. Im Ausland sollte auch eine Übersetzung der Informationen in die Landessprache oder Englisch/Französisch/Spanisch dabei sein. Bei Flugreisen erkundigen Sie sich bitte vor der Buchung bei der Fluggesellschaft, ob Sie eine ärztliche Reisetauglichkeitsbescheinigung benötigen. Bei längeren Flügen ist ein Gespräch mit dem Arzt ratsam, ob medikamentöse Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden können, damit während des Fluges kein Anfall auftritt. Bei Zeitverschiebung muss die Medikamenteneinnahme auf jeden Fall mit dem Arzt vorher abgesprochen werden, da Schlafentzug und/oder zeitlich verschobene Medikamenteneinnahme anfallsfördernd sind.
Inklusion und Teilhabe
Ziel der umfassenden Epilepsiebehandlung ist es, dass sich Kinder und Jugendliche mit Epilepsie entsprechend ihrer Möglichkeiten altersgerecht entwickeln können. Inklusion in Kita, Schule, Ausbildung, Studium, Freizeit und Berufsleben ermöglicht gleichberechtigte Teilhabe in allen Lebensbereichen. Dafür gibt es verschiedene Hilfen wie z.B. die Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen, die bei Bedarf Inklusionsassistenz in der Kita und/oder Schulbegleitung finanziert. Manche Träger der Eingliederungshilfe schicken Ihren Antrag auf Inklusionsassistenz und/oder Schulbegleitung an die Krankenkasse oder bei einem Pflegegrad an die Pflegekasse weiter, wenn es um Medikamente, eine ketogene Diät und/oder Hilfe bei Anfällen geht. Gegen eine solche Ablehnung können Sie kostenlos Widerspruch bei der Krankenkasse oder Pflegekasse und ggf. kostenlos Klage beim Sozialgericht einreichen.
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