Epilepsie ist eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen, von der in Deutschland etwa 400.000 bis 800.000 Menschen betroffen sind. Sie kann in jedem Lebensalter beginnen und wird diagnostiziert, wenn mindestens zwei epileptische Anfälle aufgetreten sind oder nach einem ersten unprovozierten Anfall ein deutlich erhöhtes Risiko für weitere Anfälle besteht. Die Epilepsie ist ein sehr vielfältiges Krankheitsbild, bei dem einige Patientinnen und Patienten starke Anfälle erleiden, bei denen sie das Bewusstsein verlieren, zu Boden stürzen und sich der gesamte Körper zusammenkrampft und zuckt.
Die Vielfalt der Epilepsie und ihrer Anfälle
Die Epilepsie lässt sich am ehesten als eine Art Funktionsstörung des Gehirns bezeichnen. Aus bisher teils unerklärlichen Gründen zeigt das Gehirn eine plötzliche und unerwartete Überreaktion und entsendet vollkommen unkontrolliert Impulse. Es gibt zahlreiche Epilepsie-Arten: Von einem einfachen Muskelzucken über eine zeitlich begrenzte geistige Abwesenheit bis hin zu schweren körperlichen Krämpfen wie dem Grand-Mal-Anfall oder dem gefährlichen Status Epilepticus.
Die Unterteilung der verschiedenen Anfälle richtet sich dabei nach der Größe des Gehirnareals, das während des Anfalls betroffen ist.
Fokale Epilepsie
Wenn nur ein Teil des Gehirns betroffen ist, spricht man von fokaler Epilepsie. Die Krämpfe entstehen hier nur in vereinzelten Arealen des Gehirns. Fokale Epilepsien können ohne oder mit Bewusstseinsstörung auftreten. Der epileptische Anfall mit Bewusstseinsstörung nennt sich auch komplex-fokaler Krampfanfall. Oft geht einem fokalen Anfall zudem eine Aura voraus.
Es gibt verschiedene fokale Epilepsie-Syndrome, die alle verschiedenste Symptome und Eigenarten aufweisen:
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- Temporallappen-Epilepsie
- Frontallappen-Epilepsie
- Parietallappen-Epilepsie
- Okzipitallappen-Epilepsie
- Rolando-Epilepsie
- Epilepsie des Kindesalters mit okzipitalen Paroxysmen
- Primäre Lese-Epilepsie
Generalisierte Epilepsie
Bei der generalisierten Epilepsie ist während eines Krampfanfalls immer das ganze Gehirn betroffen. Aufgrunddessen ist diese Form der Epilepsie auch deutlich häufiger von Bewusstseinsstörungen begleitet. Die wohl bekannteste Form des generalisierten Anfalls ist der sogenannte Grand-Mal-Anfall.
Ein anderes Beispiel für einen generalisierten Anfall ist die sogenannte Absence - eine kurze Periode der geistigen Abwesenheit. Sie gilt als die leichteste Form des generalisierten Anfalls und kommt ohne Muskelkontraktionen aus.
Ursachen und Symptome der Epilepsie
Die Ursachen der Epilepsie sind vielfältiger Natur. So können zum einen unfallbedingte Verletzungen des Gehirns zu epileptischen Symptomen führen, aber auch Verletzungen, die aus anderen Krankheiten entstehen. Des Weiteren gibt es seelische Ursachen wie zum Beispiel vermehrten Stress. Grelles Stroboskoplicht kann ebenfalls epileptische Anfälle auslösen.
Die Epilepsie-Symptome sind so zahlreich wie die unterschiedlichen Arten der Epilepsie. Sie reichen von geistiger Abwesenheit wie bei der Absence bis hin zu starken körperlichen Zuckungen und Verkrampfungen.
Hier ein Überblick der möglichen Symptome:
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- Geistige Abwesenheit
- Auren (merkwürdig empfundene Sinneswahrnehmungen)
- Schwindel
- Angstgefühle
- Vermehrter Speichelfluss
- Muskelzuckungen (bei klonischen Anfällen)
- Muskelversteifungen (bei tonischen Anfällen)
- Muskelzuckungen und -versteifungen in Kombination (bei tonisch-klonischen Anfällen)
- Tiefer Schlaf (meist im Anschluss an einen starken epileptischen Anfall)
- Missempfindungen
- Automatisierte Handlungen
Viele dieser Symptome können bei einem Krampfanfall auftreten. Meist jedoch nicht gleichzeitig, sondern nacheinander.
Diagnose und Therapie: Ein Überblick
Die genaue Krankheitsbestimmung (Differentialdiagnostik) schafft die Voraussetzung für eine erfolgreiche Epilepsiebehandlung. Ist die Epilepsieform ermittelt, wird in der Regel mit einer Behandlung durch anfallsunterdrückende Medikamente begonnen. Führt diese nicht zum Erfolg, stehen weitere Behandlungsmethoden zur Verfügung.
Medikamentöse Therapie
Die - mit Abstand - wichtigste Behandlungsmethode besteht in der Gabe von Medikamenten, welche die abnorme Reizbarkeit der Nervenzellen, die zu epileptischen Anfällen führen, herabsetzen und so ihre Anfallsbereitschaft vermindern. Nur Ärztinnen und Ärzte können entscheiden, welche Medikamente und welche Dosis angebracht sind. Allerdings gibt es auch Situationen, in denen die Gabe von Medikamenten nicht sinnvoll bzw. sofort empfehlenswert ist. So kann es nämlich auch durchaus zu einmaligen Anfällen kommen, die keine sofortige Behandlung erforderlich machen.
Das Ziel der Behandlung ist völlige Ausheilung der Epilepsie. Es ist dann erreicht, wenn auch ohne Medikamente keine Anfälle mehr auftreten. Die Patientinnen und Patienten, die weitere Anfälle erleiden, werden häufig mit einer Kombination aus verschiedenen Wirkstoffen behandelt (Kombinationstherapie). Bei der medikamentösen Behandlung der Epilepsie ist es besonders wichtig, dass die Anfallssuppressiva regelmäßig und zu festen Zeiten eingenommen werden.
In den letzten Jahren ist unser Wissen über epileptische Anfälle und Epilepsien deutlich angewachsen, so sind auch neue Medikamente gefunden bzw. gezielt entwickelt worden. Es ist davon auszugehen, dass es auch in den nächsten Jahren gelingen wird, unsere Erkenntnisse über die Epilepsien zu erweitern.
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Zur Behandlung steht eine Vielzahl von Wirkstoffen zur Verfügung, jedoch wirken nicht alle Medikamente bei allen Epilepsie-Formen. Es gibt Präparate, die nur bei fokalen Anfällen wirksam sind und andere, die insbesondere bei generalisierten Anfällen wirken. Wieder andere wirken bei beiden Anfallsformen oder nur bei ganz bestimmten Epilepsie-Syndromen. Um das wirksamste und verträglichste Anfallssuppressivum für Betroffene zu finden, müssen bei der Wahl des Präparats weitere Faktoren, wie z. B. Alter, Gewicht, Kontraindikationen, Allergien, Geschlecht und Ausprägung des Anfallsgeschehens berücksichtigt werden.
Gängige Substanzen bei Epilepsie sind z.B. Carbamazepin, Lamotrigin, Levetiracetam, Topiramat und Valproinsäure. Die verwendeten Anfallssuppressiva und Medikamente werden immer in enger Abstimmung mit Arzt oder Ärztin gewählt. Mittel wie Valproat werden jedoch häufiger als andere für die Behandlung idiopathischer generalisierter Epilepsiesyndrome verschrieben, während z. B. Ethosuximid vor allem bei Absencen im Schulkindalter verwendet wird, da es besser verträglich ist.
Neben den bereits genannten Faktoren wie Alter, Vor- und Begleiterkrankungen und EEG-Befunden der Patientinnen und Patienten spielt vor allem die konkrete Anfallsform eine entscheidende Rolle bei der Auswahl der Anfallssuppressiva. Das „Gewitter im Gehirn“ betrifft entweder Teilbereiche des Gehirns (fokale Epilepsie) oder das gesamte Gehirn (generalisierte Epilepsie).
Gemäß den Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) und zusätzlichen Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Epileptologie (DGfE) werden zwei Medikamente, Lamotrigin und Levetiracetam, für die Ersttherapie bei neu diagnostizierter fokaler Epilepsie empfohlen. Andere Medikamente haben individuelle Nachteile, etwa bestimmte Wechselwirkungen, Kontraindikationen oder vermehrte bzw. spezielle Nebenwirkungen wie Müdigkeit, Konzentrationsprobleme, Schwindel, Sprachstörungen, Gewichtszunahme, Zittern oder Haarausfall, können aber in bestimmten Fällen als erste Wahl in Betracht gezogen werden. Das gilt zum Beispiel für Carbamazepin, Gabapentin, Oxcarbazepin, Topiramat, Valproat und Zonisamid.
Ein zentraler Aspekt ist, ob die Epilepsie mit einem oder mehreren Medikamenten behandelt werden sollte. In der Regel wird mit einer Monotherapie begonnen. Wenn diese nicht erfolgreich ist, kann eine zweite Monotherapie oder auch bereits eine Kombinationstherapie in Erwägung gezogen werden. Die Monotherapie, bei der nur ein Antikonvulsivum eingesetzt wird, ist in der Regel der erste Schritt in der Behandlung von Epilepsie. Der Vorteil dieser Methode liegt in ihrer Einfachheit: Es gibt eine klare Übersicht über Wirksamkeit und Nebenwirkungen, und die Medikamenten-Compliance der Patientinnen und Patienten ist am höchsten.
Die Kombinationstherapie kommt ins Spiel, wenn die Monotherapie nicht den gewünschten Erfolg bringt. Hier werden zwei oder mehr Antikonvulsiva kombiniert, um verschiedene, sich ergänzende Wirkmechanismen zu nutzen. Dies kann die Wirksamkeit der Behandlung erhöhen.
Oberstes Ziel einer jeden antiepileptischen Therapie muss Anfallsfreiheit oder doch wenigstens Anfallskontrolle sein und zwar mit möglichst geringen Nebenwirkungen. Es gibt beträchtliche Unterschiede in Bezug auf das Risiko für Nebenwirkungen. Einige Anfallssuppressiva, wie z. B. Lamotrigin und Levetiracetam, zeichnen sich durch deutlich seltener auftretende kognitive Nebenwirkungen aus. Das Risiko steigt auch mit der Anzahl der Medikamente, die eine Therapie …
Epilepsiechirurgie
Wenn Medikamente nicht ausreichen, kann oftmals ein operativer Eingriff zur Anfallsfreiheit oder zumindest zu deutlicher Reduktion der Anfälle führen. Die Entscheidung über die Anwendung epilepsiechirurgischer Therapieverfahren wird in der interdisziplinären Konferenz zwischen Neurologen, Neuropsychologen, Neurochirurgen, Nuklearmedizinern, Neuroradiologen und Neuropathologen sorgfältig abgewogen.
Kommt es zu einer positiven OP-Entscheidung, wird jeder Eingriff mit Hilfe modernster Technologie gemeinsam geplant und durchgeführt. Die Epilepsiechirurgie umfaßt mehrere Methoden. Welche davon beim einzelnen Patienten zur Anwendung gelangt, muß in Abhängigkeit von den diagnostischen Befunden entschieden werden.
Die Epilepsiechirurgie umfasst folgende Methoden:
- Resektionsverfahren
- Diskonnektionsverfahren
- Vagusstimulation
- Bestrahlungstherapie
Resektionsverfahren
Bei diesem Verfahren wird epileptogenes Gewebe aus dem Hirn entfernt. Angestrebt wird dadurch eine gänzliche Anfallsfreiheit. Um eine epileptische Erkrankung mittels einer Resektion therapieren zu können, muß der epileptische Herd genau eingrenzbar sein. Es darf sich nur um einen einzigen Herd handeln (Unifokalität) und dieser darf nicht in funktionell bedeutsamen Hirnarealen (also in Bereichen, die z. B. für die Sprache oder die Motorik zuständig sind) liegen. Der Fokus muß für den Neurochirurgen erreichbar sein. Um bei möglichst geringen Gewebsentfernungen bestmöglichen therapeutischen Nutzen zu erreichen, hat man sog. Tailored Resections (maßgeschneiderte Resektionen) entwickelt. Bei dieser Operationstechnik wird während der Operation das Ausmaß der Gewebsentfernung durch EEG-Ableitungen am offenen Gehirn (Elektrocorticographie, ECOG) festgelegt. Zur Planung einer funktionserhaltenden Epilepsiechirurgie ist die Neuronavigation einschließlich MEG und intraoperativem MRT eingerichtet.
Diskonnektionsverfahren
Die Unterbrechungsverfahren werden eingesetzt, wenn eine Resektion nicht möglich ist. Ihre Wirkung beruht darauf, daß die Ausbreitung der epileptischen Erregung im Gehirn durch eine gezielte Durchtrennung von Nervenbahnen unterbrochen wird.
Bei der Multiplen Subpialen Transsektion (MST) durchtrennt man direkt unter der Hirnhaut liegende nervale Leitungsbahnen. Sie kommt z. B. bei Herden im Bereich funktionell wichtiger Hirnzentren zum Einsatz.
Eine Callosotomie (Balkendurchtrennung) stellt eine tiefer im Hirn gelegene Durchtrennung von Nervenfasern dar.
Vagusnervstimulation
Dieses elektrische Gerät von der Größe einer Streichholzschachtel wird bei einem ambulanten Eingriff in eine Hautfalte unterhalb des Schlüsselbeins gelegt. Der Stimulator sendet nun über einen feinen Draht elektrische Impulse an den Hirnnerv Nervus vagus, der sie ans Gehirn weiterleitet. Wenn Sie vor einem Anfall Warnzeichen spüren, können Sie mittels eines Magneten das Gerät gezielt anstellen. Manche Anfälle können auf diese Weise unterbrochen werden. Durch die Vagusnerv-Stimulation ist eine deutliche Anfallsreduktion möglich. Die Therapie mit Medikamenten wird nach wie vor beibehalten.
Weitere Therapieansätze
Neben der medikamentösen Therapie und der Epilepsiechirurgie gibt es noch weitere Therapieansätze, die bei der Behandlung von Epilepsie eingesetzt werden können:
- Ketogene Diät: Dabei wird die Ernährung auf fettreichere, kohlenhydratreduzierte Produkte umgestellt. Es werden vorwiegend gesunde Fette verwendet. So kann nicht nur die Anzahl epileptischer Anfälle verringert, sondern auch Ihr Ernährungszustand verbessert werden.
- Verhaltensorientierte Strategien: Nach und nach lernen Sie, Ihre Krankheit besser zu verarbeiten, zu akzeptieren und mit ihr umzugehen. Durch die psychische Entlastung kann es zu einer deutlichen Verbesserung der Anfallssituation kommen, besonders dadurch, dass die Angst vor der Krankheit gemildert wird.
- Anfallsunterbrechung: Wenn der Anfall mit einer Aura beginnt, gibt es eine weitere Möglichkeit der Anfallsabwehr: die Unterbrechung der Aura. Die Grundregel für ein wirksames „Gegenmittel“ lautet, dass das „Gegenteil“ der Anfallssymptome versucht werden sollte.
Ziele der Epilepsiebehandlung
Die Behandlung von Epilepsie zielt nicht nur auf die Kontrolle epileptischer Anfälle ab, sondern berücksichtigt den gesamten Menschen in seiner individuellen Lebenssituation. Es geht darum, die Lebensqualität der Patientinnen und Patienten zu verbessern und ihnen trotz der Erkrankung ein erfülltes Leben zu ermöglichen. Dabei stehen nicht nur medizinische Aspekte im Vordergrund, sondern auch psychologische, soziale und emotionale Faktoren. Die Epilepsie wird als Systemerkrankung betrachtet, die nicht nur Anfälle verursacht, sondern auch andere Bereiche des Lebens beeinflussen kann. Daher ist ein ganzheitlicher, interdisziplinärer Ansatz in der Behandlung essentiell.
Das Hauptziel der Therapie ist es, die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Anfallsfreiheit ist oft ein Schlüssel dazu, aber nicht das einzige Ziel.
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