Epileptische Anfälle und Alkoholentzug: Ursachen, Diagnose und Behandlung

Epileptische Anfälle im Erwachsenenalter können vielfältige Ursachen haben. Ein oft unterschätzter Faktor ist der Alkoholkonsum bzw. die Alkoholabhängigkeit. Dieser Artikel beleuchtet die Zusammenhänge zwischen Alkohol, Alkoholentzug und epileptischen Anfällen, geht auf Diagnose- und Therapieansätze ein und gibt Betroffenen wichtige Informationen an die Hand.

Alkohol als Ursache epileptischer Anfälle

Alkoholabhängigkeit ist in Deutschland weit verbreitet. Schätzungen zufolge leiden zwischen 5 und 35 Prozent der Alkoholiker an fast ausschließlich generalisierten Anfällen, überwiegend, aber nicht ausschließlich im Kontext des Alkoholentzugssyndroms. Hochgerechnet auf die geschätzte Zahl von Millionen Alkoholkranken in Deutschland, bedeutet dies, dass Hunderttausende von Patienten aufgrund ihrer Alkoholsucht epileptische Krampfanfälle erleiden.

Es ist wichtig zu betonen, dass sich die Diagnostik und Therapie alkoholassoziierter epileptischer Anfälle erheblich von der epileptischer Anfälle anderer Ursachen unterscheidet.

Alkoholentzug und Krampfanfälle

Krampfanfälle treten häufig bei plötzlichem Alkoholentzug auf (bei 20-30 % der Abhängigen), entweder isoliert oder als Begleiterscheinung des Delirs. Es gibt auch "nasse Krämpfe" während der Trinkphasen. Tritt einmal ein Krampfanfall auf, bleibt die Neigung dazu chronisch. Jeder epileptische Anfall führt zu einem Absterben von Gehirnzellen.

Bei Alkoholabhängigkeit besteht bei Entzugsanfällen keine zwingende Behandlungsindikation für eine Dauertherapie, sondern lediglich eine Anfallsprophylaxe im Rahmen der Entzugsbehandlung.

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Anfall nach Provokation

Alkohol ist ein bekannter Auslöser für epileptische Anfälle. Weitere Ursachen für provozierte Anfälle sind Flickerlicht, Drogen, Fieber, Eklampsie, Medikamenten- oder Drogenentzug und bestimmte Medikamente.

Die Vermeidung der Anfallsauslöser und die Behandlung der Grunderkrankung sind entscheidend. Bei Nachweis epilepsietypischer Potentiale nur unter Provokation besteht keine zwingende Behandlungsindikation, sondern ein individuelles Abwägen. Auch ein provozierter Anfall kann der Beginn einer Epilepsie sein!

Alkoholbedingte Psychosen und ihre Folgen

Akute Alkoholvergiftungen können verschiedene Psychosen auslösen. Im Zusammenhang mit chronischem Alkoholismus sind folgende Begriffe von Bedeutung:

Alkoholdelir (Delirium tremens)

Bei plötzlichem Absetzen des Alkohols (z.B. nach einem Unfall) kann es nach 1 - 3 Tagen zu einer dramatischen Fehlschaltung im Gehirn kommen. Das Delirium tremens ist eine besonders schwere Form von Entzugserscheinungen. Merkmale sind:

  • Halluzinationen (z.B. "weiße Mäuse", Stimmen hören)
  • Unruhe, Aufgeregtheit
  • Orientierungslosigkeit
  • "Nestelnde Bewegungen"
  • Gefahr von Kreislaufkollaps

Etwa 20 % der Delirien verlaufen tödlich. Das Delir wird auch als Einbruch von Traumphasen in den Wachzustand interpretiert. Es dauert gewöhnlich 2-5 Tage und klingt spontan ab. Manche Patienten zeigen vor dem eigentlichen Delir Prodomalerscheinungen (Schreckhaftigkeit, Angst, Zittern). Dieses Bild wird Prädelir genannt. Ein Delir kann in ein Korsakow-Syndrom, eine alkoholische Demenz oder Encephalophatie Wernicke übergehen. Das Delirium tremens kann nur auf einer Intensivstation behandelt werden.

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Korsakow-Syndrom

Damit bezeichnet man die schwerste Form der Gehirnschädigung durch Alkohol. Durch das Absterben bestimmter Gehirnregionen erleidet der Betroffene einen weitgehenden Gedächtnis- und Orientierungsverlust. Im Extremfall gibt es kein "gestern" und kein "morgen" mehr. Der Betroffene weiß nicht mehr, wer oder wo er ist und kann manchmal auch engste Bezugspersonen nicht wieder erkennen. Dieser Zustand ist in der Regel durch Abstinenz kaum noch heilbar. Die meisten Korsakow-Patienten werden für immer auf geschlossenen Psychiatriestationen untergebracht.

Halluzinosen

Bei dieser seltenen Psychose bestimmen vorwiegend akustische Wahnvorstellungen das Krankheitsbild. Das Bewusstsein ist klar. Der ängstlich-gequälte Alkoholiker hört meist Stimmen mehrerer nicht anwesender Personen, die in seiner Einbildung über „ihn zu diskutieren und zu schimpfen“ scheinen. Manche Kranke versuchen, den „Stimmen“ zu entfliehen. Die Alkoholhalluzinose tritt meist im mittleren Lebensalter auf, oft nach einer Periode von Trinkexzessen. Wird der Alkohol abgesetzt, so klingt die Halluzinose in den meisten Fällen innerhalb weniger Tage ab. Trinken die Kranken wieder, so kommt es leicht zu einer Wiederholung. Bei einem Fünftel der Fälle wird die Alkoholhalluzinose chronisch. In seltenen Fällen ist der Endzustand eine Demenz.

Eifersuchtswahn

Eifersuchtsvorstellungen sind bei Alkoholikern häufig. Bei einem kleinen Teil verdichten sie sich zur Entwicklung eines Eifersuchtswahns. Faktoren der Wahnentwicklung sind die begreifliche Abkehr des Partners wegen des Trinkens, das gestörte Verhältnis zur Umwelt und die oft alkoholbedingte Impotenz bei vorübergehend gesteigerten sexuellen Wünschen. Die Schuld am eigenen Versagen wird abgewehrt und auf den Partner übertragen. Die Verdächtigungen nehmen oft groteske Formen an. Der Eifersuchtswahn kann chronisch werden und auch bei späterer Abstinenz fortbestehen.

Wernicke-Krankheit (Wernicke-Enzephalopathie)

Die Wernicke-Enzephalopathie ist eine schwere alkoholbedingte Psychose. Das Krankheitsbild kann akut oder subakut nach dem Delir auftreten. Kennzeichen sind:

  • Schläfrigkeit (Somnolenz)
  • Augenmuskellähmung
  • Störung im Ablauf der Muskelbewegungen (Ataxie)

Gelegentlich finden sich Pupillenträgheit und Krampfanfälle. Die Übergänge zum Korsakow-Syndrom sind fließend, die Prognose ist schlecht.

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Diagnose epileptischer Anfälle

Ein Krampfanfall wird auch als epileptischer Anfall bezeichnet. Betroffene verlieren vorübergehend die Kontrolle über ihren Körper und/oder ihr Bewusstsein. Zum Beispiel kann die Person plötzlich zu Boden sinken, zucken und krampfen. Ein epileptischer Anfall entsteht, wenn sich Nervenzellen im Gehirn unkontrolliert und plötzlich elektrisch entladen.

Für die Diagnose wird die Patientin oder der Patient ausführlich befragt und körperlich untersucht. Folgende Untersuchungen können durchgeführt werden:

  • Elektroenzephalogramm (EEG): Misst die Hirnströme und zeigt, ob eine Neigung zu epileptischen Anfällen besteht. Provokationsmechanismen wie Photostimulation, Hyperventilation oder Schlafentzug bzw. ein Schlaf-EEG können eingesetzt werden. Ein Video-EEG kann bei entsprechendem Verdacht durchgeführt werden.
  • Bildgebende Verfahren (CT, MRT): Stellen neurologische Veränderungen im Gehirn dar. Eine Kernspintomographie des Kopfes sollte nach einem Epilepsieprotokoll durchgeführt werden.
  • Blutuntersuchung: Hilft, mögliche Ursachen für einen Krampfanfall oder eine Epilepsieerkrankung aufzuspüren.
  • Labordiagnostik: Prolaktin- und Kreatinkinase-Bestimmungen können hilfreich sein. Die Prolaktin-Bestimmung sollte möglichst innerhalb von 20 Minuten erfolgen, um höchste Aussagekraft zu haben.
  • Genetische Testung: Wird manchmal veranlasst.

Wichtige Aspekte bei der Anamnese sind:

  • Exakte Anfallsbeschreibung durch Dritte
  • Frage der Anfallssemiologie als Hinweis eines fokalen Ursprungs (dann erhöhtes Rezidivrisiko)
  • Bisher nicht als epileptisch gewertete Myoklonien
  • Aurasymptomatik
  • Nicht diagnostizierte Absencen im Kindesalter? (Verträumtheit/ADHS-Diagnose)
  • Hinweise für vorausgehende bisher nicht diagnostizierte Grand mal Anfälle (unklare Bewusstseinsstörungen?)

Differenzierung zwischen fokalen und generalisierten Anfällen

Grundsätzlich wird zwischen fokalen und generalisierten Anfällen unterschieden.

  • Fokaler Anfall: Die Störung befindet sich in einem kleinen Bereich in einer der beiden Hirnhälften. Wenn der Anfall nur einmalig auftritt, muss sich daraus keine Epilepsie entwickeln. Beispiele für Symptome sind nicht zielgerichtete Verhaltensweisen (Schmatzen, Lippenlecken, Nesteln), Muskelzuckungen, verkrampfte Gliedmaßen, Muskelschwäche, Kribbeln, Taubheitsgefühle, Lichtblitze, ungewöhnliche Geräusche oder Gerüche, plötzliche Angst oder kurze Aussetzer in Sprache oder Gedächtnis. Weitere Symptome können Herzrasen, Schweißausbrüche, Speichelfluss und Übelkeit sein.
  • Generalisierter Anfall: Kann im Erscheinungsbild sehr unterschiedlich sein. Teilweise handelt es sich um kurze „Aussetzer“ (sogenannte Absencen oder Bewusstseinsstörungen). Die betroffene Person kann auch länger ohnmächtig werden und stürzen. Es folgt eine Verkrampfung am ganzen Körper mit Zuckungen der Arme und der Beine. Am häufigsten ist ein tonisch-klonischer Anfall. Durch die Anspannung aller Muskeln wird der Körper plötzlich steif (tonische Phase). Es folgt ein Bewusstseinsverlust - und danach kommt die klonische Phase. Dabei zucken die Muskeln krampfartig durch abwechselndes An- und Entspannen. Beim tonisch-klonischen epileptischen Anfall kommt es manchmal zu Zungen- oder Wangenbiss und Einnässen.

Behandlung von Epilepsie und alkoholassoziierten Anfällen

Die Ziele der Behandlung von Epilepsie sind die Kontrolle von Anfällen, die Minimierung von Nebenwirkungen und die Ermöglichung der Teilnahme am sozialen Leben.

Akutbehandlung

In der Akutbehandlung geht es darum, den epileptischen Anfall so schnell wie möglich zu beenden und die Sicherheit der Patient:innen zu gewährleisten. Dazu werden Notfallmedikamente aus der Gruppe der Benzodiazepine eingesetzt, die oral, intravenös oder bukkal verabreicht werden. Diese Medikamente dämpfen die übermäßige elektrische Aktivität im Gehirn.

Anfallssupprimierende Medikamente (Antiepileptika)

Anfallssupprimierende Medikamente sind die Grundpfeiler der Epilepsiebehandlung. Sie reduzieren die Häufigkeit und Schwere der Anfälle, indem sie die neuronale Aktivität im Gehirn stabilisieren. In Deutschland stehen etwa 20 verschiedene anfallssupprimierende Medikamente zur Verfügung. Bei der Auswahl berücksichtigen Fachärzt:innen die Art der Epilepsie, Alter und Geschlecht der betroffenen Person und ob Begleiterkrankungen vorliegen. Um die bestmögliche Anfallskontrolle bei minimalen Nebenwirkungen zu erreichen, wird die Therapie ambulant überwacht und bei Bedarf angepasst. Etwa zwei Drittel der Epilepsiepatient:innen werden mit Hilfe der medikamentösen Therapie (Monotherapie oder Kombinationstherapie verschiedener Präparate) anfallsfrei.

Epilepsiechirurgie

Für Patient:innen, deren Epilepsie medikamentös nicht gut kontrolliert werden kann, gibt es spezialisierte Epilepsiezentren, die prüfen, ob gegebenenfalls ein epilepsiechirurgischer Eingriff möglich ist.

Verhaltensempfehlungen und Aufklärung

Neben der medikamentösen Behandlung ist es notwendig, dass Patient:innen und ihre Angehörigen über Verhaltensregeln bei Epilepsie informiert werden. Es ist wichtig, die auslösenden Faktoren für Anfälle zu kennen und zu wissen, wie diese vermieden werden können. Dazu gehören etwa Schlafmangel und Stress. Zudem informieren Fachkräfte über nötige Einschränkungen in der Lebensführung. So sollten Menschen mit Epilepsie bestimmte Tätigkeiten unterlassen, etwa auf Gerüsten zu arbeiten oder in offenen Gewässern zu schwimmen. Ein Fahrzeug dürfen die Betroffenen nur unter bestimmten Voraussetzungen führen, die in entsprechenden Begutachtungsleitlinien festgeschrieben sind.

Familienplanung

Die Epilepsie ist keine typische Erbkrankheit. Bei Kinderwunsch sollten Sie allerdings auf die Einnahme bestimmter anfallssupprimierender Medikamente verzichten (zum Beispiel Valproat und Topiramat), da sie das Missbildungsrisiko des Kindes erhöhen können.

Kriterien für einen Therapiebeginn

Die Entscheidung für einen Therapiebeginn hängt von verschiedenen Faktoren ab:

  • Rezidivrisiko erneuter Anfälle
  • Berufliche Situation (Führerschein, Arbeiten mit Verletzungsgefahr bei Anfall…)
  • Private Situation

Besonderheiten bei alkoholassoziierten Anfällen

Bei Entzugsanfällen besteht keine zwingende Behandlungsindikation für eine Dauertherapie, sondern lediglich eine Anfallsprophylaxe im Rahmen der Entzugsbehandlung. Vorbeugend werden Krampfanfälle bei den dazu neigenden Patienten (falls bekannt) mit Tegretal behandelt.

Alkohol und Epilepsie: Was ist erlaubt?

In der Regel ist ein sozialverträglicher Konsum von Alkohol auch bei Menschen mit Epilepsie problemlos möglich. Eine Trinkmenge von zwei großen Bieren oder Getränken mit vergleichbarem Alkoholgehalt ist in der Regel unbedenklich. Häufiger Alkoholkonsum (dazu zählt auch der tägliche Verzehr kleinerer Mengen) kann schnell zu einer Abhängigkeit führen und sicherlich können Probleme mit Alkohol nicht gelöst werden.

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