Fahrtüchtigkeit und provozierte epileptische Anfälle: Was Sie wissen müssen

Epileptische Anfälle im Straßenverkehr stellen eine erhebliche Gefahr dar. Daher gelten für Menschen mit Epilepsie besondere Regeln, insbesondere wenn sie ein Kraftfahrzeug führen möchten. Wer unter anhaltenden epileptischen Anfällen leidet, darf grundsätzlich kein Auto fahren. Die Dauer der Anfallsfreiheit ist hierbei ein entscheidender Faktor. Für das Führen großer Fahrzeuge und für die Personenbeförderung gelten noch strengere Vorgaben.

Die Risiken epileptischer Anfälle im Straßenverkehr

Im Straßenverkehr entscheiden oft Sekundenbruchteile über Wohl und Wehe. Ein epileptischer Anfall kann dazu führen, dass die betroffene Person vorübergehend das Bewusstsein und die Kontrolle über ihren Körper verliert. Dies birgt ein erhebliches Risiko - sowohl für die Person selbst als auch für andere Verkehrsteilnehmer. Aus diesem Grund müssen Menschen mit Epilepsie in der Regel über einen längeren Zeitraum anfallsfrei sein, bevor sie wieder ein Kraftfahrzeug führen dürfen.

Beurteilung der Fahreignung bei Epilepsie

Wenn eine Person aufgrund eines epileptischen Anfalls medizinischen Rat einholt, beurteilt der behandelnde Arzt die Fahreignung des Betroffenen. In den meisten Fällen wird aufgrund der Unvorhersehbarkeit von Bewusstlosigkeit davon ausgegangen, dass die notwendigen Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht erfüllt sind. In solchen Fällen wird ein ärztliches Fahrverbot ausgesprochen.

Es ist wichtig zu betonen, dass ein "ärztliches Fahrverbot" bindend ist. Verkehrsteilnehmer müssen sich an die von Ärzten attestierte, zeitweise Fahruntauglichkeit aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen halten. Dieses Fahrverbot ist jedoch nicht mit einem von einem Gericht oder einer Fahrerlaubnisbehörde verhängten Fahrverbot gleichzusetzen. Wer sich über ein ärztliches Fahrverbot hinwegsetzt, begeht eine Ordnungswidrigkeit und macht sich strafbar, wenn andere Personen dadurch gefährdet werden. Bei einem Unfall drohen Geld- und sogar Freiheitsstrafen, insbesondere wenn jemand verletzt oder getötet wird. Darüber hinaus kann die Kfz-Haftpflichtversicherung bereits an Unfallgeschädigte ausgezahltes Geld zurückfordern, und Kaskoversicherungen können Leistungen kürzen oder verweigern.

Für eine fundierte Einschätzung der Fahreignung ist immer eine medizinische Einzelfallprüfung erforderlich. Dieser Prüfung liegen die Begutachtungsleitlinien der Bundesanstalt für Straßenwesen zugrunde, die zwischen verschiedenen Fahrerlaubnisklassen und zwei Gruppen unterscheiden.

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Fahrerlaubnisklassen und ihre spezifischen Regelungen

Die Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung vom Juni 2022 definieren klare Kriterien für die Beurteilung der Fahreignung bei Epilepsie. Grundsätzlich gilt, dass Personen, die an epileptischen Anfällen leiden, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht gerecht werden können, solange ein wesentliches Risiko für Anfallsrezidive besteht. Dies gilt auch für andere anfallsartig auftretende Störungen mit akuter Beeinträchtigung des Bewusstseins, der Motorik oder anderer handlungsrelevanter Funktionen, wie z.B. Synkopen oder psychogene Anfälle. Assoziierte körperliche oder psychische Störungen müssen berücksichtigt werden. Eine bestehende antiepileptische Medikation darf die Fahrtüchtigkeit nicht herabsetzen. Bei Inhabern von Fahrerlaubnissen beider Gruppen sind fachneurologische Untersuchungen sowie fachneurologische Kontrolluntersuchungen in zunächst jährlichen Abständen erforderlich. Im Verlauf der Erkrankung, etwa bei langjähriger Anfallsfreiheit, kann das Intervall zwischen den Untersuchungen verlängert werden.

Gruppe 1: Motorräder und PKW (Klassen A, A1, A2, B, BE, AM, L und T)

  • Erstanfall ohne erkennbaren Auslöser: Nach einer anfallsfreien Zeit von mindestens sechs Monaten und nach einer fachneurologischen Abklärung (inkl. EEG und Bildgebung), die keine Hinweise auf ein erhöhtes Anfallsrisiko im Sinne einer beginnenden Epilepsie ergeben hat, kann die Fahrerlaubnis wieder erteilt werden.
  • Provozierter oder akuter symptomatischer Anfall: Wenn der Anfall auf eine plausible auslösende Bedingung zurückzuführen ist (z.B. ausgeprägter Schlafentzug, akute Erkrankungen, anfallsauslösende Medikamente, akute Erkrankungen des Gehirns oder Stoffwechselstörungen) und diese Bedingungen nicht mehr gegeben sind, kann die Fahrerlaubnis nach einer anfallsfreien Zeit von mindestens drei Monaten wieder erteilt werden. Die minimal dreimonatige Anfallsfreiheit gilt auch bei epileptischen Anfällen, die in der ersten Woche nach einem Schädelhirntrauma oder einem neurochirurgischen Eingriff ohne Hinweis auf eine strukturelle Hirnschädigung aufgetreten sind. Bei provozierten Anfällen im Rahmen eines schädlichen Gebrauchs oder einer Abhängigkeit von psychotropen Substanzen ist eine zusätzliche Begutachtung durch die Psychiatrie erforderlich.
  • Epilepsie (wiederholte Anfälle): Nach der Diagnose einer Epilepsie ist eine mindestens einjährige Anfallsfreiheit Voraussetzung für die Wiedererlangung der Fahrerlaubnis. Das EEG muss dabei nicht zwangsläufig frei von Epilepsie-typischen Potenzialen sein. Nach einem epilepsiechirurgischen Eingriff sind mögliche operationsbedingte, fahrrelevante Funktionsstörungen zu beachten.
  • Ausschliesslich an den Schlaf gebundene Anfälle: Eine Fahreignung ist gegeben, wenn ausschließlich an den Schlaf gebundene Anfälle auftreten. Hierfür ist eine mindestens dreijährige Beobachtungszeit erforderlich.
  • Ausschliesslich einfach-fokale Anfälle: Die Fahreignung ist auch gegeben, wenn ausschließlich einfach-fokale Anfälle ohne Bewusstseinsstörung und ohne motorische, sensorische oder kognitive Beeinträchtigung auftreten. Hierzu ist eine mindestens einjährige Beobachtungszeit notwendig. Die Angaben müssen durch Fremdbeobachtung gesichert sein und dürfen sich nicht allein auf die Angaben des Patienten stützen.
  • Anfallswiederkehr bei bestehender Fahreignung: Nach langjähriger Anfallsfreiheit kann die Kraftfahreignung nach einem "sporadischen" Anfall (oder mehreren Anfällen innerhalb von 24 Stunden) nach einer Fahrpause von sechs Monaten wieder bejaht werden, sofern eine fachneurologische Abklärung keine Aspekte ergibt, die ein erhöhtes Rezidivrisiko bedingen würden. Lassen sich relevante Provokationsfaktoren eruieren, die in Zukunft vermieden werden können, so kann die Fahrpause auf drei Monate verkürzt werden.
  • Beendigung der antiepileptischen Therapie: Bei schrittweiser Beendigung einer antiepileptischen Therapie ist die Fahreignung für die Dauer der Reduzierung des letzten Medikamentes sowie für die ersten drei Monate ohne medikamentöse Therapie nicht gegeben. Ausnahmen sind in gut begründeten Fällen möglich (z.B. insgesamt weniger Anfälle, Epilepsie-Syndrom mit niedrigem Rezidivrisiko, erfolgreiche epilepsiechirurgische Behandlung).

Gruppe 2: LKW und Fahrgastbeförderung (Klassen C, C1, CE, C1E, D, D1, DE, D1E und FzF)

Für Inhaber eines LKW- und Bus-Führerscheins oder einer Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung gelten noch strengere Regeln. Generell darf die Fahreignung nur dann erteilt werden, wenn die Betroffenen keine Medikamente gegen Epilepsie (anfallssuppressive Medikamente) einnehmen.

  • Erstanfall ohne erkennbaren Auslöser: Nach einem unprovozierten Erstanfall kann die Fahreignung nach einer anfallsfreien Zeit von zwei Jahren wieder bejaht werden, wenn die fachneurologische Abklärung keine Hinweise auf ein erhöhtes Anfallsrisiko ergibt.
  • Provozierter oder akuter symptomatischer Anfall: Wenn der Anfall auf eine plausible Anfalls-auslösende Bedingung zurückzuführen ist und keine Hinweise auf ein gesteigertes Risiko eines Rückfalls vorliegen, kann die Fahreignung nach einer anfallsfreien Zeit von sechs Monaten wieder erteilt werden.
  • Epilepsie (wiederholte Anfälle): Bei wiederholten epileptischen Anfällen bleibt die Kraftfahreignung für die Gruppe 2 in der Regel langfristig ausgeschlossen. Eine Ausnahme bildet eine fünfjährige Anfallsfreiheit ohne antiepileptische Behandlung, die durch eine fachneurologische Untersuchung beurteilt werden muss.

Was versteht man unter Fahreignung, Fahrsicherheit und Fahrbefähigung?

Es ist wichtig, die Begriffe Fahreignung, Fahrsicherheit und Fahrbefähigung zu unterscheiden:

  • Fahreignung: Eine zeitlich überdauernde Eigenschaft, die beispielsweise durch eine dauerhafte Medikamenteneinnahme beeinträchtigt werden kann.
  • Fahrsicherheit: Ein konkreter und aktueller, zeitlich beschränkter Zustand. Bei hohem Fieber kann die Fahrsicherheit beispielsweise nicht gegeben sein.
  • Fahrbefähigung: Die in der Fahrschule und durch praktische Erfahrung erworbene Fertigkeit zum Lenken eines Fahrzeugs.

Alle drei Begriffe zusammen beschreiben die umfassende Fahrkompetenz oder allgemein die Verkehrstüchtigkeit.

Strafen bei fehlender Fahreignung

Wer trotz fehlender Fahreignung ein Kraftfahrzeug führt, begeht eine Ordnungswidrigkeit. Laut Fahrerlaubnisverordnung darf am Verkehr nur teilnehmen, wer ausreichend Sorge dafür getragen hat, dass andere Verkehrsteilnehmer nicht gefährdet werden. Kommt es zu einem Unfall und wird bekannt, dass aufgrund einer epileptischen Erkrankung keine Fahreignung bestand, werden Strafverfahren gegen den Fahrer eingeleitet. Je nach Unfallart kann es zu Anklagen wegen Straßenverkehrsgefährdung, Körperverletzung oder sogar eines Tötungsdelikts kommen. Das Führen eines Fahrzeugs unter dem bekannten Risiko eines epileptischen Anfalls gilt als grob fahrlässig. Das Strafmaß kann bis zu mehreren Jahren Freiheitsstrafe reichen.

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Es ist ratsam, sich im Falle einer Ordnungswidrigkeit oder eines Strafverfahrens juristisch beraten zu lassen, insbesondere wenn Führerscheinmaßnahmen drohen.

Die Rolle des behandelnden Arztes

Der behandelnde Arzt spielt eine entscheidende Rolle bei der Beurteilung der Fahreignung und der Aufklärung des Patienten. Er ist verpflichtet, seine Patienten über ein eventuelles Fahrverbot ausdrücklich und ausführlich aufzuklären und dies in der Akte zu dokumentieren. Ist die Fahrtauglichkeit nicht gegeben, muss er dies dem Patienten in klarer und eindeutiger Weise mitteilen. Eine Patientenunterschrift über die erfolgte Aufklärung ist nicht notwendig. Grundsätzlich besteht ärztliche Schweigepflicht, aber es besteht ein Melderecht, wenn ein höheres Rechtsgut bedroht wird, beispielsweise wenn ein Busfahrer oder LKW-Fahrer trotz mehrerer Anfälle weiterhin seiner Arbeit nachgeht.

Neuerwerb des Führerscheins

Bei der Beantragung eines Führerscheins sollte die Frage nach dem Vorliegen einer Epilepsie oder einer anders gearteten chronischen Krankheit auf dem Antragsformular der Straßenverkehrsbehörde bejaht werden. Zu früheren Zeitpunkten stattgehabte provozierte Anfälle brauchen nicht angegeben werden. Möglicherweise genügt ein Attest des zuvor behandelnden Neurologen. Die Straßenverkehrsbehörde entscheidet darüber, ob ein Fahrtauglichkeitsgutachten notwendig ist.

Seit dem 1. Januar 1999 werden Fahrtauglichkeitsgutachten durch entsprechend vorgebildete Ärzte angefertigt, insbesondere Ärzte mit verkehrsmedizinischer Qualifikation, Ärzte des Gesundheitsamtes, Ärzte der öffentlichen Verwaltung oder Ärzte mit der Gebietsbezeichnung „Arbeitsmedizin“.

Hohes Maß an Eigenverantwortung erforderlich

Anonyme Befragungen haben gezeigt, dass ein erheblicher Teil der Epilepsie-Patienten ein Fahrzeug führt, obwohl sie auf die nicht vorhandene Fahrerlaubnis hingewiesen wurden. Da der behandelnde Arzt die Anfallshäufigkeit und -form nicht kontrollieren kann, ist er auf die Verlässlichkeit und Eigenverantwortung des Patienten angewiesen.

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