Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS), die durch Entmarkungsherde und diffuse neuronale Zerstörung gekennzeichnet ist. Die Erkrankung manifestiert sich meist im jungen Erwachsenenalter, kann aber in jedem Alter auftreten. Die genaue Ursache ist unbekannt, jedoch spielen genetische Faktoren und Umwelteinflüsse eine Rolle.
Symptome der Erstmanifestation
Die ersten MS-Symptome sind vielfältig und können Sehstörungen, Gefühlsstörungen, Muskelschwäche sowie Blasen- oder Mastdarmstörungen umfassen. Diese Vielfalt erklärt sich dadurch, dass nahezu überall im ZNS eine entzündliche MS-Läsion entstehen kann. Die daraus resultierenden Vernarbungen (Sklerosierungen) an verschiedenen Stellen des ZNS gaben der Erkrankung ihren Namen.
Oftmals halten erste Beschwerden nur wenige Tage an, weshalb viele Patient*innen erst nach wiederholtem Auftreten neurologischer Ausfälle ärztliche Hilfe suchen.
Ursachen und Risikofaktoren
Die genaue Ursache der MS ist weiterhin unbekannt. Es wird eine autoimmune Entstehung vermutet, bei der Entzündungszellen (weiße Blutkörperchen und Immunzellen aus dem Gehirn) die Markscheiden (Isoliermembranen um die Nervenzellfortsätze) angreifen und zerstören. Die entzündliche Schwellung kann zu einem vorübergehenden Funktionsverlust der betroffenen Nervenzellen und ihrer Fortsätze (Axone) führen.
Besteht die Entzündung über längere Zeit, kann dies zum Untergang der Nervenzelle und damit zu einem irreversiblen Funktionsverlust führen. Verschiedene Risikofaktoren werden als Auslöser der MS angesehen, darunter:
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- Genetische Disposition: Familiäre Häufung deutet auf eine genetische Komponente hin.
- Virusinfektionen: Insbesondere das Epstein-Barr-Virus (EBV) wird diskutiert.
- Übergewicht: Adipositas, besonders im Jugendalter, könnte das Risiko erhöhen.
- Rauchen: Nikotinkonsum scheint ein Risikofaktor zu sein.
- Unzureichende Sonnenlichtexposition: Verbunden mit Vitamin-D-Mangel, der eine immunmodulierende Wirkung hat.
Diagnose der Multiplen Sklerose
Die MS ist eine Ausschlussdiagnose, d.h., andere mögliche Ursachen für die Symptome müssen ausgeschlossen werden. Die diagnostischen Säulen sind:
- Krankengeschichte und klinischer Befund: Erhebung der Symptome und neurologische Untersuchung.
- Magnetresonanztomographie (MRT): Bildgebung zur Darstellung von Entzündungsherden im Gehirn und Rückenmark.
- Elektrophysiologische Untersuchungen: Messung der Reizweiterleitung, z.B. im Sehnerv.
- Untersuchung des Nervenwassers (Liquor): Nachweis von Antikörpern zur Bestätigung des autoimmun-entzündlichen Charakters.
Die MRT spielt eine entscheidende Rolle bei der frühzeitigen Diagnose der MS. Sie ermöglicht den Nachweis sowohl der räumlichen als auch der zeitlichen Dissemination von Läsionen bereits nach einem ersten klinischen Ereignis. Die MRT-Befunde sind jedoch nicht immer spezifisch für die MS, was zu falsch-positiven Diagnosen führen kann. Daher ist die genaue Beachtung der Diagnosekriterien und der gezielte Einsatz der MRT-Bildgebung wichtig.
MRT-Protokolle und -Sequenzen
Für eine bessere Interpretation und Vergleichbarkeit der Befunde wurde eine Standardisierung der MRT-Protokolle für Gehirn und Rückenmark eingeführt. Besonders hervorgehoben wird die Bedeutung der 3-D-FLAIR-Sequenz für die zerebrale Diagnostik.
McDonald-Kriterien
Die Diagnose wird üblicherweise nach den international anerkannten McDonald-Kriterien gestellt. Diese Kriterien fordern den Nachweis einer zeitlichen (DIT) und räumlichen Dissemination (DIS) von Läsionen im zentralen Nervensystem.
Differenzialdiagnostik
Es ist wichtig, andere Ursachen für die Symptome auszuschließen, wie z.B. erregerbedingte Entzündungen (Neuroborreliose) oder Gefäßentzündungen. Auch nicht-entzündliche Ursachen von Marklagerläsionen, die z. B. ischämisch bedingt sein können, müssen in Betracht gezogen werden.
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Verlaufsformen der MS
Die Multiple Sklerose wird in verschiedene Verlaufsformen unterteilt:
- Schubförmig-remittierende MS (RRMS): Häufigste Form, gekennzeichnet durch Schübe mit anschließender teilweiser oder vollständiger Erholung.
- Sekundär progrediente MS (SPMS): Entwickelt sich aus einer RRMS, mit zunehmender Behinderung auch ohne Schübe.
- Primär progrediente MS (PPMS): Seltener, von Beginn an kontinuierlich fortschreitender Verlauf ohne Schübe.
Seit 2013 werden die Verlaufsformen zusätzlich anhand von Aktivität (Schübe, MRT-Läsionen) und Progression differenziert.
Symptome und Beschwerden
Die Beschwerden bei MS sind vielfältig und reichen von leichten Beeinträchtigungen der Beweglichkeit bis zu schweren neurologischen Funktionseinschränkungen. Viele Betroffene leiden auch an kognitiven Defiziten, Depressionen, Schmerzen, Spastiken und Fatigue.
Typische Symptome
- Optikusneuritis: Sehstörungen, Augenschmerzen.
- Störungen der Okulomotorik: Augenmuskelparesen, Doppelbilder.
- Motorische Störungen: Paresen, Spastik.
- Sensibilitätsstörungen: Parästhesien, Hypästhesien.
- Zerebelläre Symptome: Tremor, Nystagmus, Ataxie.
- Vegetative Symptome: Miktionsstörungen, sexuelle Dysfunktion.
- Kognitive Veränderungen: Konzentrations- und Gedächtnisstörungen.
- Affektive Veränderungen: Depressionen, inadäquates Lachen/Weinen.
- Uhthoff-Phänomen: Wärmeinduzierte Zunahme der Beschwerden.
- Schmerzen: Kopfschmerzen, neuropathische Schmerzen, muskuloskelettale Schmerzen.
- Spastik: Muskeltonuserhöhung, verlangsamte Bewegungen.
- Fatigue: Hochgradige Erschöpfbarkeit, Müdigkeit.
Multiple Sklerose im Alter
MS-Erkrankte erreichen heute oft ein Lebensalter wie Menschen ohne MS. Im Alter stellen sich besondere Herausforderungen:
- Abgrenzung MS-bedingter Beschwerden von altersbedingten Einschränkungen: Dies kann schwierig sein, da sich die Symptome ähneln können.
- Komorbiditäten: Im Alter entwickeln sich oft weitere Erkrankungen, die die Therapie beeinflussen können.
- Wirksamkeit von Medikamenten: MS-Medikamente sind bei älteren Menschen möglicherweise nicht so wirksam wie bei jüngeren.
- Immunseneszenz: Die Aktivität des Immunsystems sinkt im Alter, was sich möglicherweise positiv auf das Fortschreiten der Krankheit auswirken kann.
Es ist wichtig, dass ältere MS-Erkrankte an regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen teilnehmen und ihre Therapie sorgfältig überwachen lassen.
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Therapie der Multiplen Sklerose
Die Behandlung der MS umfasst verschiedene Ansätze:
- Schubtherapie: Akute Schübe werden mit intravenös verabreichtem Cortison behandelt.
- Schubprophylaxe: Medikamente zur Reduktion der Schubfrequenz, z.B. Interferone, Glatirameracetat, Teriflunomid, Dimethylfumarat, Cladribin, S1P-Modulatoren, CD20-Antikörper, Alemtuzumab, Natalizumab.
- Symptomatische Therapie: Behandlung von Symptomen wie Spastik, Schmerzen, Fatigue.
- Nicht-medikamentöse Therapie: Physiotherapie, Ergotherapie, psychologische Betreuung, gesunde Lebensweise.
Medikamentöse Therapie
Die medikamentöse Therapie zielt darauf ab, die Entzündung im ZNS zu reduzieren und das Fortschreiten der Erkrankung zu verlangsamen. Es gibt verschiedene Medikamente, die in unterschiedliche Wirksamkeitskategorien eingeteilt werden. Die Wahl des Medikaments hängt von der individuellen Krankheitsaktivität, den Begleiterkrankungen und den Therapiezielen ab.
Risiken der medikamentösen Therapie
Alle aktuell verfügbaren Medikamente greifen mehr oder weniger stark in die Funktion des Immunsystems ein und können das Risiko für Infektionen und Tumorerkrankungen erhöhen. Daher ist eine sorgfältige Überwachung der Therapie und eine enge Zusammenarbeit zwischen Arzt/Ärztin, MS-Pflege und Patient*innen wichtig.
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