Fehldiagnose Multiple Sklerose: Ursachen, Risiken und Alternativen

Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems, die in Europa weit verbreitet ist. Obwohl MS nicht heilbar ist, ermöglichen Fortschritte in der Medizin eine effektive Behandlung, wobei der Krankheitsverlauf individuell variieren kann. Die ersten Symptome treten oft im jungen Erwachsenenalter zwischen dem 15. und 40. Lebensjahr auf. Trotz verbesserter Diagnosemöglichkeiten besteht weiterhin das Risiko einer Fehldiagnose. Eine aktuelle US-Studie bestätigt nun einen Verdacht und untersucht die Ursachen solcher Fehldiagnosen.

Ursachen für Fehldiagnosen bei Multipler Sklerose

Eine multizentrische Studie hat sich mit den Gründen für Fehldiagnosen bei MS auseinandergesetzt, ohne jedoch Daten zur Häufigkeit zu erheben. Die Forscher konzentrierten sich darauf, welche Faktoren zu einer falschen Diagnose führen und welche Erkrankungen stattdessen vorliegen. Ziel ist es, diese Faktoren zu minimieren und Risikogruppen besser zu identifizieren.

Übergewichtung von MRT-Ergebnissen

Ein zentrales Ergebnis der Studie ist, dass eine zu starke Gewichtung und Fehlinterpretation von MRT-Bildern (Magnetresonanztomographie) häufig zu Fehldiagnosen führt. In einigen Fällen lagen keine Liquorbefunde vor, oder die neurologischen Symptome waren nicht eindeutig MS zuzuordnen bzw. wurden nicht objektiviert. Subjektive Erinnerungen der Patienten können die Symptomdarstellung und deren Dauer verfälschen. Auch bei atypischen MS-Symptomen wurde mitunter vorschnell eine Diagnose gestellt.

Fehlende Biomarker und Ausschlussverfahren

Es gibt keinen spezifischen Biomarker, der MS eindeutig nachweisen kann. Die Diagnose erfolgt weitgehend über ein Ausschlussverfahren. Oftmals ist erst nach einem zweiten Schub eine sichere Diagnose möglich. Dennoch ist es wichtig, die Diagnosekriterien genau einzuhalten. Eine frühe Therapie ist zwar wünschenswert, um das Zeitfenster für eine effektive Behandlung zu nutzen und die Lebensqualität der Betroffenen langfristig zu verbessern, jedoch sollte dies nicht auf Kosten einer sorgfältigen Diagnosestellung gehen.

Die Folgen von Fehldiagnosen

Jede Fehldiagnose ist eine zu viel, da sie psychische, gesellschaftliche und körperliche Folgen haben kann. Patienten leiden unter Umständen unter den Nebenwirkungen von MS-Therapien, die sie gar nicht benötigen. Studien zeigen, dass ein erheblicher Teil der falsch diagnostizierten Patienten über Jahre hinweg unnötige Therapien erhalten hat, teilweise sogar an MS-Studien teilgenommen hat. Da viele dieser Patienten teure Immuntherapien erhalten, entstehen zudem unnötige Kosten.

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Alternative Diagnosen bei Fehldiagnose MS

Wenn Patienten fälschlicherweise als MS-Patienten diagnostiziert werden, stellt sich die Frage nach der tatsächlichen Ursache ihrer Beschwerden. In zwei Drittel der Fälle liegt eine von fünf alternativen Erkrankungen vor.

Häufige Alternativdiagnosen

  • Migräne: Mit 22 % ist Migräne die häufigste Fehldiagnose bei MS.
  • Fibromyalgie: 15 % der fehldiagnostizierten Patienten leiden an Fibromyalgie.
  • Nicht-spezifische neurologische Erkrankungen: In 12 % der Fälle wird eine nicht-spezifische neurologische Erkrankung mit untypischem MRT diagnostiziert, was jedoch keine eigentliche Diagnose darstellt.
  • Psychische Probleme: 11 % der Patienten haben psychische Probleme.
  • Neuromyelitis Optica (NMO): 6 % der Patienten leiden an NMO.

Es ist wichtig zu beachten, dass einige der weniger häufigen Diagnosen sich im Verlauf als MS herausstellen können, insbesondere beim Klinisch Isolierten Syndrom (CIS).

Seltene Erkrankungen als Ursache für Fehldiagnosen

Neben den häufigen Alternativdiagnosen gibt es auch seltene Erkrankungen, die fälschlicherweise als MS diagnostiziert werden können.

Morbus Fabry

Der Morbus Fabry ist eine seltene, genetisch bedingte Stoffwechselerkrankung, die durch einen Mangel an α-Galaktosidase A verursacht wird. Dieser Mangel führt zur Ansammlung von Globotriaosylceramid in verschiedenen Organen und Geweben. Die Symptome können denen einer MS ähneln, insbesondere wenn neurologische Beschwerden wie Visusstörungen, Sensibilitätsstörungen und Hemiparesen auftreten. MRT-Befunde können die Diagnose zusätzlich erschweren.

Typische Anzeichen für Morbus Fabry:

  • Vertebrobasiläre Symptome wie Schwindel, Ataxie und Doppelbilder
  • Fehlende intrathekale IgG-Synthese
  • Ektasie vertebrobasilärer Arterien
  • Asymmetrische, konfluierende White Matter Lesions (WML) mit geringer Balkenbeteiligung
  • Proteinurie
  • Ungeklärte linksventrikuläre Hypertrophie
  • Familienanamnese mit frühen Todesfällen infolge unspezifischer renaler, kardialer oder zerebrovaskulärer Erkrankungen
  • Wiederholte Schmerzattacken und Hypohidrose bereits in der Kindheit

Eine frühzeitige Diagnose ist entscheidend, um eine adäquate Therapie einzuleiten und Folgeschäden zu vermeiden.

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Susac-Syndrom

Das Susac-Syndrom ist eine sehr seltene Autoimmunerkrankung der kleinsten Blutgefäße des Gehirns, der Netzhaut im Auge und des Innenohres. Die Symptome treten meist akut auf und können zentrale Nervensystem-Symptome mit Sehstörungen kombinieren, was häufig zur Fehldiagnose MS führt. Im Gegensatz zur MS sind jedoch Hörstörungen typisch für das Susac-Syndrom.

Diagnose und Therapie:

Die Diagnose erfolgt mittels Magnetresonanztomografie und retinaler Fluoreszenzangiografie. Die Behandlung umfasst in der Regel die Gabe von Cortison, in einigen Fällen auch Immunsuppressiva. Eine frühzeitige Diagnose und Behandlung können viele Symptome zurückbilden und ein Fortschreiten der Erkrankung verhindern.

Frühe Anzeichen und die Bedeutung der Anamnese

Patienten spüren oft schon Jahre, bevor die Diagnose MS gestellt wird, dass etwas nicht stimmt. Sie suchen häufiger einen Arzt auf, was eine aktuelle Studie zeigt. Diese frühen Anzeichen können unspezifisch sein, wie Schlafstörungen, Albträume, Halluzinationen, Antriebslosigkeit oder schnelle Ermüdung. Die Analyse der Gesundheitsdaten von MS-Patienten zeigt, dass die Anzahl der Arztbesuche und Klinikeinweisungen in den Jahren vor der Diagnose deutlich ansteigt.

Eine sorgfältige Anamnese, die auch die Familienanamnese berücksichtigt, ist entscheidend für die Diagnosestellung. Hinweise auf andere Erkrankungen, wie beispielsweise Nierenerkrankungen in der Familie, können auf einen Morbus Fabry hindeuten.

Präzisionsmedizin bei MS: Ein Blick in die Zukunft

Eine bahnbrechende Studie der Universität Münster hat gezeigt, dass es auf Zellebene drei Subtypen der MS gibt, die durch spezifische Profile von Immunzellen im Blut gekennzeichnet sind. Diese Erkenntnisse sind ein entscheidender Schritt in Richtung Präzisionsmedizin bei MS.

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Die drei Subtypen der MS:

  • Entzündliche MS
  • Degenerative MS
  • Ein dritter, noch nicht im Detail beschriebener Subtyp

Die Unterscheidung dieser Subtypen ermöglicht eine personalisierte Behandlung, die effektiver ist und weniger Nebenwirkungen hat. Mit Hilfe von Immunzellprofilen lässt sich zudem besser einschätzen, ob schwere Nebenwirkungen auftreten.

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