Ulnarisrinnen-Syndrom: Ursachen, Symptome und Behandlungen

Das Ulnarisrinnen-Syndrom, auch bekannt als Kubitaltunnelsyndrom oder Ulnarisrinnensyndrom, ist eine häufige Nervenkompressionserkrankung, die den Nervus ulnaris (Ellennerv) betrifft. Dieser Nerv ist für die sensorische Wahrnehmung des Klein- und ellenseitigen Ringfingers, des ellenseitigen Handrückens sowie für die Funktion einiger Unterarm- und Handmuskeln verantwortlich. Die Kompression des Nervs kann zu einer Reihe von Beschwerden führen, die die Lebensqualität der Betroffenen erheblich beeinträchtigen können.

Anatomie und Funktion des Nervus ulnaris

Der Nervus ulnaris entspringt aus den Rückenmarkssegmenten C8 und Th1 und verläuft entlang der Innenseite des Arms. In Höhe des Ellenbogens tritt er in eine Knochenrinne ein, den Sulcus nervi ulnaris, über den ein straffes Band gespannt ist. Diese Rinne stellt eine natürliche Engstelle für den Nerv dar, was ihn anfällig für Kompressionen macht. Von dort aus setzt sich der Nerv in den Unterarm fort und innerviert verschiedene Muskeln, die für die Feinmotorik der Hand wichtig sind, darunter Muskeln des Daumenballens (Thenar), Kleinfingerballens (Hypothenar) und der Mittelhand. Der Nervus ulnaris ermöglicht unter anderem das Spreizen und Schließen der Finger.

Ursachen des Ulnarisrinnen-Syndroms

Das Ulnarisrinnen-Syndrom kann verschiedene Ursachen haben. In vielen Fällen ist es eine Kombination aus mechanischen Reizen und anatomischen Engstellen. Zu den häufigsten Ursachen und Risikofaktoren gehören:

  • Anatomische Engstellen: Die Knochenrinne am Ellenbogen ist eine natürliche Engstelle, die anlagebedingt zur Einklemmung des Nervs führen kann. Zusätzliche Einengungen können durch bindegewebige Stränge am Unterarm oder knapp oberhalb der Ulnarisrinne entstehen.
  • Äußere Druckeinwirkung: Langanhaltendes Aufstützen des Ellenbogens, beispielsweise am Schreibtisch oder beim Telefonieren, kann den Nerv komprimieren. Auch das häufige Anstoßen des Ellenbogens, bekannt als "Musikantenknochen", kann zu einer Reizung des Nervs führen.
  • Wiederholte Bewegungen: Tätigkeiten, die mit häufigem Beugen und Strecken des Arms verbunden sind, können den Nervus ulnaris belasten und zur Entstehung des Syndroms beitragen. Dies betrifft oft Menschen, die handwerklichen Tätigkeiten nachgehen oder Sportarten ausüben, die den Ellenbogen stark beanspruchen.
  • Verletzungen: Frühere Verletzungen wie Frakturen oder Verrenkungen im Ellenbogengelenk können zu Veränderungen führen, die den Nerv einengen. Auch Narbengewebe nach Verletzungen kann den Nerv komprimieren.
  • Erkrankungen: Bestimmte Erkrankungen wie Arthrose, Rheuma, Diabetes mellitus sowie Raumforderungen wie Zysten oder Tumoren können das Risiko für ein Ulnarisrinnen-Syndrom erhöhen.

Symptome des Ulnarisrinnen-Syndroms

Die Symptome des Ulnarisrinnen-Syndroms entwickeln sich oft schleichend und können je nach Schweregrad der Nervenkompression variieren. Zu den typischen Symptomen gehören:

  • Sensorische Störungen:
    • Taubheitsgefühl und Kribbeln: Diese Symptome treten häufig im Klein- und Ringfinger sowie im ellenseitigen Handrücken auf. Das Einschlafen der Finger kann besonders nachts oder bei längerem Beugen des Arms auftreten.
    • Missempfindungen: Betroffene berichten oft von einem pelzigen Gefühl oder einer veränderten Wahrnehmung von Berührungen in den betroffenen Fingern.
    • Schmerzen: Schmerzen können im Bereich des Ellenbogens, des Unterarms und der Hand auftreten. Sie können dumpf, stechend oder brennend sein und sich bis in die Schulter ausbreiten.
  • Motorische Störungen:
    • Kraftverlust: Die Kompression des Nervs kann zu einem Kraftverlust in der Hand führen, insbesondere beim Greifen und Zupacken.
    • Muskelschwund: Bei länger bestehender Kompression kann es zu einem Muskelschwund (Atrophie) der Handmuskulatur kommen, insbesondere des Muskels zwischen Daumen und Zeigefinger sowie des Kleinfingerballens. Dies führt zu einer Schwäche beim Spreizen der Finger und einer verminderten Druckkraft zwischen Daumen und Zeigefinger.
    • Ungeschicklichkeit: Betroffene können Schwierigkeiten bei feinmotorischen Aufgaben wie Schreiben, Knöpfen oder dem Drehen eines Schlüssels haben.
    • Krallenhand: In schweren Fällen kann sich eine Krallenhand entwickeln, bei der die Finger aufgrund der Muskelschwäche eine charakteristische Krallenform annehmen.

Diagnose des Ulnarisrinnen-Syndroms

Die Diagnose des Ulnarisrinnen-Syndroms basiert auf einer Kombination aus Anamnese, klinischer Untersuchung und apparativen Tests.

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  • Anamnese: Der Arzt erfragt die genauen Beschwerden, deren Verlauf und mögliche auslösende Faktoren.
  • Klinische Untersuchung:
    • Provokationstests: Das Einschlafen der Finger kann häufig durch starkes Beugen im Ellenbogen provoziert werden.
    • Muskeltests: Die Muskelschwäche lässt sich durch einfache Untersuchungen feststellen, beispielsweise durch Überprüfung der Kraft beim Spreizen der Finger.
    • Hoffmann-Tinel-Zeichen: Durch Beklopfen des Nervus ulnaris im Sulcus ulnaris kann ein Kribbeln oder Elektrisieren in den Fingern ausgelöst werden, was auf eine Nervenirritation hindeutet.
  • Apparative Diagnostik:
    • Elektrophysiologische Untersuchungen (EMG/NLG): Eine neurologische Messung der Nervenleitgeschwindigkeit und der Muskelaktivität kann das Ausmaß der Nervenschädigung beurteilen und die Diagnose bestätigen.
    • Bildgebende Verfahren:
      • Röntgenaufnahme: Bei Verdacht auf eine knöcherne Mitursache der Beschwerden wird ein Röntgenbild des Ellenbogens angefertigt, um knöcherne Veränderungen oder Fehlstellungen auszuschließen.
      • Magnetresonanztomografie (MRT) oder Ultraschall: In seltenen Fällen kann eine MRT oder ein Ultraschall des Nervs durchgeführt werden, um die Ursache der Kompression genauer zu beurteilen.

Differentialdiagnose

Es ist wichtig, andere Erkrankungen auszuschließen, die ähnliche Symptome verursachen können. Dazu gehören:

  • Karpaltunnelsyndrom: Dieses Syndrom betrifft den Nervus medianus im Handgelenk und kann ebenfalls zu Taubheitsgefühl und Schmerzen in den Fingern führen. Allerdings sind beim Karpaltunnelsyndrom meist Daumen, Zeige- und Mittelfinger betroffen.
  • Zervikale Radikulopathie: Nervenwurzelkompressionen im Bereich der Halswirbelsäule können ebenfalls zu Schmerzen und neurologischen Ausfällen im Arm und in der Hand führen.
  • Thoracic-outlet-Syndrom: Dieses Syndrom betrifft die Nerven und Blutgefäße im Bereich des Schultergürtels und kann ähnliche Symptome wie das Ulnarisrinnen-Syndrom verursachen.

Behandlung des Ulnarisrinnen-Syndroms

Die Behandlung des Ulnarisrinnen-Syndroms richtet sich nach dem Schweregrad der Erkrankung und den individuellen Bedürfnissen des Patienten.

Konservative Therapie

Bei leichten Symptomen oder nur seltenem Auftreten der Beschwerden wird zunächst eine konservative Therapie angestrebt. Diese umfasst:

  • Verhaltensanpassung: Aktivitäten, die den Nerv reizen - etwa ständiges Aufstützen des Ellenbogens oder langes Beugen des Arms - sollten konsequent vermieden werden.
  • Schienenlagerung: Das Tragen einer Handgelenksschiene, insbesondere nachts, kann den Ellenbogen in einer neutralen Position halten und den Nerv entlasten.
  • Polsterung: Der Ellenbogen kann durch eine Polsterung geschützt werden, um Druck auf den Nerv zu vermeiden.
  • Medikamentöse Therapie: Entzündungshemmende Medikamente wie Ibuprofen oder Diclofenac können zur Schmerzlinderung eingesetzt werden. In einigen Fällen können auch lokale Infiltrationen mit Kortison in die Nähe des Nervs erfolgen, um die Entzündung zu reduzieren.
  • Physiotherapie: Gezielte krankengymnastische Übungen können helfen, die Beweglichkeit des Ellenbogens zu verbessern, die Muskulatur zu stärken und den Nerv zu mobilisieren.
  • Weitere konservative Maßnahmen: Stoßwellentherapie, Lasertherapie und neuroreflektorische Cryotherapie (Eistherapie) können ebenfalls zur Schmerzlinderung und Verbesserung der Nervenfunktion eingesetzt werden.

Operative Therapie

Wenn die konservative Therapie nicht ausreichend wirksam ist oder bereits motorische Ausfälle mit Kraftverlust und Muskelatrophie vorliegen, ist eine operative Dekompression des Nervs die Therapie der Wahl. Dabei wird das den Nerv einengende Gewebe entlastet. Es gibt verschiedene operative Verfahren:

  • Offene Dekompression: Bei dieser Methode wird ein normal großer Hautschnitt entlang der Innenseite des Ellenbogens durchgeführt, um den Nerv freizulegen und die Hauptengstelle über der Ulnarisrinne zu durchtrennen.
  • Endoskopische Dekompression: Dieses minimalinvasive Verfahren wird mithilfe eines Endoskops (einer kleinen Kamera) durchgeführt, das über kleine Hautschnitte eingeführt wird. Der Nerv wird unter Sicht entlastet. Die endoskopische Methode ist jedoch nicht für alle Patienten geeignet, insbesondere nicht bei Rezidiven.
  • Nervus ulnaris Verlagerung: In seltenen Fällen, insbesondere wenn der Nerv dazu neigt, aus der Rinne herauszurutschen (Luxation), kann eine Vorverlagerung des Nervus ulnaris in eine geschütztere Lage vor dem Epikondylus humeri ulnaris (ein Knochenvorsprung am Ellenbogen) erforderlich sein.

Nach der Operation wird der Ellenbogen in der Regel für einige Tage gepolstert, um den freigelegten Nerven vor Druck zu schützen. Eine Schienenruhigstellung ist meist nicht erforderlich, so dass frühzeitig mit der Beugung des Ellenbogens begonnen werden kann.

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Nachbehandlung

Nach der Operation ist eine konsequente Nachbehandlung wichtig, um den Heilungsprozess zu unterstützen und dieFunktion des Arms wiederherzustellen. Diese umfasst:

  • Ruhigstellung: Nach einer offenen Operation wird der Arm in der Regel für 14 Tage in einer Orthese mit Gelenk ruhiggestellt. In der ersten Woche ist die Orthese in einer leichten Beugeposition fixiert, in der zweiten Woche ist sie beweglich, wobei eine vollständige Streckung und Beugung vermieden werden sollte.
  • Physiotherapie: Nach der Ruhigstellung beginnt die krankengymnastische Übungsbehandlung, um die Beweglichkeit des Ellenbogens zu verbessern, die Muskulatur zu stärken und die Nervenfunktion zu fördern.
  • Vermeidung von Belastungen: Körperlich anstrengende Tätigkeiten mit den Armen sollten für etwa zwei bis vier Wochen vermieden werden.

Prognose

In den meisten Fällen kommt es nach der Operation zu einer deutlichen Beschwerdebesserung bis hin zur Beschwerdefreiheit. Ob es jedoch zur vollständigen Wiederkehr des Gefühls bei Taubheit der Finger kommt, kann nicht sicher vorausgesagt werden. Die vollständige Erholung des Nerven kann je nach Ausprägungsgrad des Kubitaltunnelsyndroms bis zu einem Jahr dauern. In ausgeprägten Stadien mit chronifiziertem Krankheitsverlauf und bereits eingetretener Muskelatrophie kann es trotz erfolgreicher Operation zu bleibenden Einschränkungen kommen.

Vorbeugung

Es gibt verschiedene Maßnahmen, die helfen können, einem Ulnarisrinnen-Syndrom vorzubeugen:

  • Vermeidung von Druck auf den Ellenbogen: Vermeiden Sie es, den Ellenbogen über längere Zeit auf harten Oberflächen abzustützen. Verwenden Sie bei Bedarf eine Polsterung.
  • Ergonomische Arbeitsplatzgestaltung: Achten Sie auf eine ergonomische Gestaltung Ihres Arbeitsplatzes, um Fehlhaltungen und Überlastungen zu vermeiden. Verwenden Sie eine ergonomische Tastatur und Maus, die flüssig zu bewegen ist.
  • Regelmäßige Pausen: Machen Sie regelmäßig Pausen bei Tätigkeiten, die den Ellenbogen belasten.
  • Dehnübungen: Führen Sie regelmäßig Dehnübungen für Arme und Hände durch, um die Muskulatur zu lockern und die Beweglichkeit zu erhalten.
  • Behandlung von Grunderkrankungen: Lassen Sie Grunderkrankungen wie Diabetes mellitus oder Rheuma frühzeitig behandeln, um das Risiko für Nervenkompressionssyndrome zu reduzieren.

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