Die fortschreitende Demenz stellt eine der größten Herausforderungen unserer Zeit dar. Mit einer alternden Bevölkerung steigt die Zahl der Menschen mit Demenz stetig an, was die Notwendigkeit einer umfassenden und würdevolllen Versorgung am Lebensende in den Fokus rückt. Die Palliativmedizin, deren Ziel es ist, die Lebensqualität zu verbessern und Leiden zu lindern, spielt hierbei eine entscheidende Rolle.
Palliativmedizin bei Demenz: Mehr Leben in den Tagen
Die Palliativmedizin konzentriert sich auf die Linderung von Leiden und körperlichen Beschwerden, insbesondere Schmerzen. Ihr Hauptziel ist es, dem Leben nicht mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben. Studien und praktische Erfahrungen zeigen, dass eine palliative Versorgung die Lebensqualität von Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen deutlich verbessern kann.
Die EPYLOGE-Studie: Einblicke in die Palliativversorgung in Deutschland
Die EPYLOGE-Studie, unter der Leitung von Prof. Dr. Janine Diehl-Schmid, untersuchte die Palliativversorgung von Menschen mit Demenz in Deutschland eingehend. Die Studie ergab, dass sich oft niemand wirklich für die palliative Versorgung in fortgeschrittenen Demenzstadien und am Lebensende zuständig fühlt. Neurologen und Psychiater, die in die Behandlung der Demenz involviert sind, haben oft nicht die palliative Expertise, während Palliativmediziner sich häufig auf Krebserkrankungen oder schwere chronische Erkrankungen von Herz und Lunge spezialisieren. Zudem wird die Palliativversorgung in den deutschen Behandlungsleitlinien für Demenz kaum erwähnt, und Demenz wird in den Leitlinien der Palliativmedizin vernachlässigt.
Zwischen 2017 und 2019 wurden im Rahmen der Studie 192 Menschen mit fortgeschrittener Demenz und ihre Angehörigen in Heimen oder zu Hause besucht, um Symptome, palliative Versorgung und die Umstände der letzten Lebensphase zu erfassen. Zusätzlich wurden ausführliche Interviews mit 100 Angehörigen von bereits verstorbenen Menschen mit Demenz geführt, um spezifische Probleme, Bedürfnisse und Wünsche am Lebensende zu erfahren. EPYLOGE war die erste Studie weltweit, die Menschen mit früh und spät beginnender Demenz verglich und besonderes Augenmerk auf Menschen mit fortgeschrittener Demenz legte, die zu Hause leben.
Ein überraschendes Ergebnis war, dass die Lebensqualität auch bei fortgeschrittener Demenz überwiegend gut bis sehr gut zu sein scheint. Die Mehrheit der pflegenden Angehörigen schätzte ein, dass die Patienten die meiste Zeit des Tages ruhig und zufrieden waren. Auch das Sterben schien meist wenig leidvoll zu sein. Dennoch gibt es Betroffene, denen es am Lebensende und beim Sterben nicht gut geht. Die Studie deutet darauf hin, dass quälende Symptome bei diesen Patienten nicht immer erkannt werden und die medikamentöse und nicht-medikamentöse Therapie somatischer und psychischer Symptome oft unzureichend ist. Es ist daher wichtig, diese Patienten zu identifizieren und besser zu behandeln, wobei Pflegepersonal und Ärzte in der Pflicht stehen. Informationen für Angehörige, bei welchen Symptomen sie Unterstützung einholen sollten, wären hilfreich, um eine Therapienotwendigkeit rechtzeitig zu erkennen.
Lesen Sie auch: Fortgeschrittene Demenz: Ein umfassender Überblick
Ein weiteres Ergebnis war, dass 40 % der Menschen mit Demenz mit Schlaf- und/oder Beruhigungsmitteln, hauptsächlich Antipsychotika, behandelt wurden. Oft wurde über Jahre hinweg großzügig verordnet, ohne zu prüfen, ob die Mittel noch nötig sind. Andererseits wurden Patienten mit quälenden psychischen Symptomen zu niedrig dosiert oder gar nicht medikamentös behandelt, insbesondere in häuslichen Pflegesituationen, wo der Zugang zu ärztlicher Expertise fehlt.
Viele Angehörige wiesen darauf hin, dass es zu wenige Krankenhausstationen mit Erfahrung im Umgang mit dementen Patienten gibt. Ein einheitlicher Wunsch war mehr und besser ausgebildetes Pflegepersonal im Bereich Demenz und Palliativversorgung, sowohl im Heim als auch im Krankenhaus. Die Angehörigen wünschten sich eine bessere häusliche Versorgung durch Fachärzte und intensiveren Kontakt zum behandelnden Arzt im Heim. Ein Fazit der Studie ist, dass die "Sterbequalität" von Menschen mit fortgeschrittener Demenz am höchsten ist, wenn am Lebensende ein erfahrener "Koordinator" involviert ist, der die bedarfsgerechte Betreuung und Behandlung sicherstellt, kompetent und jederzeit erreichbar ist.
Wer leistet Palliativmedizin?
Grundsätzlich darf jeder Arzt und jedes Pflegepersonal in Deutschland palliativmedizinisch tätig sein, wobei eine besondere Expertise wünschenswert ist. Diese Expertise kann in zertifizierten Kursen erworben werden. Je nach Umfang der Weiterbildung können Ärzte an der Allgemeinen Ambulanten Palliativversorgung (AAPV) teilnehmen oder die Zusatzbezeichnung Palliativmedizin erlangen. Auch für Pflegepersonal gibt es palliativspezifische Fortbildungen. Zudem gibt es multidisziplinäre Teams der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV), die in komplexen Fällen die palliative Behandlung zu Hause oder im Heim sicherstellen. Bei palliativmedizinischen Fragestellungen sollte zunächst der Hausarzt hinzugezogen werden, der bei Bedarf AAPV oder SAPV hinzuzieht. Dies gilt sowohl für Menschen mit Demenz, die zu Hause versorgt werden, als auch für solche, die im Heim leben. In manchen Gegenden gibt es auch Hospizdienste, die Sterbebegleitung leisten.
Palliative Versorgung ist eine multidisziplinäre Aufgabe mit dem Ziel, jegliches psychische und körperliche Leiden zu lindern. Am häufigsten treten bei Menschen mit Demenz am Lebensende Schmerzen, Angst, Unruhe bzw. Verwirrtheit und Atemnot auf. Diese Symptome können mit Medikamenten und nicht-medikamentösen Interventionen behandelt werden. Die Anwesenheit von Angehörigen spielt eine besondere Rolle, da sie Angst lindert, ein Gefühl der Sicherheit vermittelt und beruhigt.
Wann ist eine palliative Behandlung sinnvoll?
Es gibt unterschiedliche Ansichten darüber, ab wann eine palliative Behandlung sinnvoll ist. Einige Behandler halten sie bereits in frühen Demenzstadien für angebracht, während andere der Meinung sind, dass Lebensverlängerung in frühen Stadien ein Therapieziel sein sollte. Prof. Dr. Diehl-Schmid vertritt die Ansicht, dass die Palliativversorgung ab dem Stadium der schweren Demenz einsetzen sollte, spätestens jedoch am Lebensende. Es ist wichtig zu beachten, dass nicht alle Menschen mit Demenz zwingend palliative Versorgung benötigen, da viele das schwere Stadium ohne besondere Symptome durchleben und friedlich versterben.
Lesen Sie auch: Umgang mit fortgeschrittener Parkinson-Erkrankung
Entgegen der Erwartung, dass Menschen mit früh beginnender Demenz eine schlechtere Lebensqualität aufweisen, zeigten sich in der EPYLOGE-Studie erstaunlich wenige Unterschiede zwischen Menschen mit früh und spät beginnender Demenz. Ein deutlicher Unterschied zeigte sich jedoch bei den pflegenden Angehörigen: Die Angehörigen von Menschen mit frühem Erkrankungsbeginn waren durch die Pflege viel stärker belastet.
Die Rolle der Angehörigen
Angehörige sind die wichtigste Säule der palliativen Versorgung, wenn Menschen mit Demenz zu Hause leben. Viele Angehörige, die Menschen mit fortgeschrittener Demenz zu Hause versorgen, sind jedoch stark belastet und werden schlecht informiert und unterstützt. Eine aktiv aufsuchende Beratung und Betreuung ist erforderlich, um die individuellen Bedarfe und Probleme zu analysieren und die Angehörigen durch Information und Anpassung von Versorgungsleistungen zu entlasten.
Patientenverfügung und der Wille des Patienten
Jeder Mensch sollte sich schon zu gesunden Zeiten Gedanken darüber machen, wie er einmal sterben möchte. Da Menschen mit Demenz oft nicht mehr entscheidungsfähig sind, sollte man frühzeitig seine Wünsche schriftlich festlegen. Es gibt zahlreiche Vordrucke von Patientenverfügungen, die man ausfüllen kann. Die Broschüre des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege "Vorsorge für Unfall, Krankheit, Alter" ist eine empfehlenswerte Informationsquelle.
Wenn keine Patientenverfügung vorliegt, müssen die behandelnden Ärzte den mutmaßlichen Patientenwillen herausfinden, indem sie die Angehörigen befragen, ob der Patient sich zu lebensverlängernden Maßnahmen geäußert hat.
Symptome am Lebensende und ihre Behandlung
In den letzten Wochen, Tagen und Stunden können belastende Beschwerden für Menschen mit fortgeschrittener Demenz auftreten. Schmerzen, Luftnot oder Angst treten bei ihnen ungefähr genauso häufig auf wie bei Menschen mit anderen Erkrankungen, sind aber schwieriger zu erkennen, da sie sich oft nicht mehr mitteilen können.
Lesen Sie auch: Parkinson-Erfahrungen
Schmerzen
Schmerzen werden bei Menschen mit Demenz seltener erkannt und behandelt als bei Menschen mit Krebserkrankungen. Ursachen können Gelenkschmerzen, Muskelschmerzen, Zahnschmerzen, Harnblasenentzündungen oder Verstopfung sein. Veränderungen des Verhaltens können Hinweise auf Schmerzen sein. Es gibt Schmerzskalen, die von Ärzten und Pflegepersonal genutzt werden, um Schmerzen einzuschätzen.
Zur Behandlung können verschiedene Schmerzmedikamente eingesetzt werden, wobei ein Stufenschema verwendet wird. Vor bewegungsbedingten Phasen können vorbeugend Schmerzmittel gegeben werden. Auch nicht-medikamentöse Maßnahmen wie Ergotherapie oder Physiotherapie können Schmerzen lindern.
Infekte
Das Immunsystem von Menschen mit Demenz ist geschwächt, was zu häufigen Infekten, insbesondere der Lunge, führen kann. Auch Harnwegsinfekte kommen häufig vor und können starke Schmerzen auslösen.
Luftnot
Luftnot kann sehr belastend und ängstigend sein. Ursachen können Lungeninfektionen, Blutarmut oder weitere Erkrankungen sein. Die Behandlung der Ursache ist nicht immer möglich oder zu belastend. Eine Sauerstofftherapie kann bei Sauerstoffmangel verschrieben werden. Ein kühler Luftzug, eine aufrechte Körperposition und die Abstützung der Arme können die Atmung erleichtern. Bei starker Luftnot kann Morphin niedrig dosiert angewendet werden.
Unruhe und Angst
Starke Unruhe kann sich durch körperliche Unruhe mit immer wiederkehrenden Bewegungen zeigen. Sie kann ein Zeichen für Schmerzen sein. Angst kann ebenfalls Unruhe auslösen. Die engmaschige Begleitung durch vertraute Personen, Berührungen, Massagen oder Musik können beruhigend wirken. Medikamente sollten erst eingesetzt werden, wenn nicht-medikamentöse Möglichkeiten ausgeschöpft sind.
Akute Verwirrtheit
Neben der Demenz kann es zu einer akuten Verwirrtheit kommen, die meist plötzlich entsteht und wieder abklingt. Auch hier können Schmerzen die Ursache sein. Wenn körperliche Ursachen ausgeschlossen wurden und eine enge Begleitung nicht zur Linderung führt, können spezielle Medikamente zur Linderung der Unruhe verordnet werden.
Sterbeorte und Todesursachen
Die meisten Menschen mit Demenz werden zu Hause von Angehörigen betreut und wünschen sich, auch dort zu sterben. Dieser Wunsch wird fast der Hälfte der Menschen mit Demenz in Deutschland erfüllt. Mit Fortschreiten der Erkrankung wird häufiger eine Pflegeeinrichtung das neue Zuhause. Über ein Viertel verstirbt in einem Pflegeheim und etwa ein Viertel im Krankenhaus. Nur ein kleiner Teil der Betroffenen stirbt auf einer Palliativstation oder in einem Hospiz.
Menschen mit fortgeschrittener Demenz versterben an unterschiedlichen Ursachen. Sie können an einer Erkrankung versterben, die nicht mit der Demenz in Verbindung steht, oder an den Folgen bzw. Komplikationen der Demenz. Eine der häufigsten Todesursachen ist die Lungenentzündung (Pneumonie).
Letzte Lebensphase und Sterbephase
Es ist sehr schwer, die verbleibende Lebenszeit eines Menschen mit Demenz korrekt einzuschätzen. In den letzten Lebensmonaten kommt es meist zu einer starken Verschlechterung des Zustandes und zunehmenden Einschränkungen. Oft haben die Betroffenen häufige Infekte, die sie weiter schwächen. Sie sind zunehmend abhängig von der Unterstützung anderer. Schwierigkeiten beim Schlucken können zunehmen, das Interesse an Essen und Trinken nimmt ab, und es kann zu einem starken Gewichtsverlust kommen. Die Betroffenen wirken körperlich schwächer und sind weniger mobil. Die Schlafphasen können länger werden und die aktiven Wachphasen abnehmen.
Steht der Tod unmittelbar bevor, können Veränderungen des Bewusstseins, erhöhter Herzschlag, absinkender Blutdruck, blasse Hautfarbe, veränderte Atmung und Rasselatmung auftreten. Das Absaugen des Sekrets bei Rasselatmung ist in den allermeisten Fällen nicht zu empfehlen, da es den sterbenden Menschen sehr belastet.
Nach dem Tod und Trauerphase
Nach dem Tod muss eine Ärztin oder ein Arzt den Tod bestätigen und den Totenschein ausfüllen. Die oder der Verstorbene kann aufgebahrt werden, und die Nahestehenden haben Zeit, sich zu verabschieden. Nach der Verabschiedung wird die oder der Verstorbene an ein Bestattungsinstitut übergeben.
Der Tod eines Nahestehenden ist mit tiefen Emotionen verbunden. Jeder Mensch trauert auf seine eigene Weise und erlebt eine unterschiedlich intensive oder lange Phase der Trauer. Hinterbliebene müssen nicht allein mit ihrer Trauer bleiben, und es gibt zahlreiche Unterstützungsangebote.
tags: #fortgeschrittene #demenz #lebensende #versorgung