Epilepsie ist beim älteren Menschen die dritthäufigste neurologische Erkrankung und geht mit einer Vielzahl sozioökonomischer Probleme einher. Aufgrund der demografischen Entwicklung ist mit einem weiteren Anstieg von Epilepsien zu rechnen. Darüber hinaus nimmt die Prävalenz der Epilepsie im Alter zu und steigt auf 1-2 % bei über 85-Jährigen.
Definition und Prävalenz von Epilepsie im Alter
Epilepsie ist definiert als das Auftreten von mindestens zwei unprovozierten Anfällen im Abstand von mehr als 24 Stunden oder das Auftreten eines unprovozierten Anfalls und das Vorliegen von Befunden, die die Wahrscheinlichkeit eines weiteren Anfalls auf über 60 % erhöhen. „Altersepilepsie“ wird meist als das Auftreten einer Epilepsie bei Menschen ab 60 Jahren definiert.
Fallbeispiel: Epilepsie als mögliches Erstsymptom einer Demenz
Ein Fall von Priv.-Doz. Dr. Galovic, ein 56-jähriger Epilepsie-Patient mit leichten, stabilen Gedächtnisstörungen, deutet darauf hin, dass Epilepsie und Demenz sehr lange nebeneinander bestehen können - und deutlich häufiger als bisher vermutet. Der Patient zeigte im MRT neuroanatomische Veränderungen mit Volumenverlust, besonders im rechten Hippocampus. Im Liquor fanden sich hohe Amyloid-Konzentrationen und ein erhöhtes Tau. In den folgenden 3-5 Jahren nahm das Hippocampus-Volumen weiter ab, gleichzeitig zeigte der Patient im MMSE eine deutliche Verschlechterung. Die Fallvignette zeigt, dass Epilepsie ein erstes Symptom einer Demenz sein kann.
Bidirektionale Assoziation zwischen Epilepsie und Demenz
Mehrere Studien deuten auf eine bidirektionale Assoziation zwischen Epilepsie und Demenz hin. Die Alzheimer-Pathogenese umfasst einige Prozesse mit potenziell epileptogener Wirkung wie die Blockade des Glutamat-Abbaus mit vermehrter Exzitabilität. Umgekehrt verschlechtert sich die kognitive Leistung bei der Alzheimer-Demenz mit epileptiformer Aktivität signifikant schneller als ohne epileptiforme Aktivität. Risikofaktoren für eine Epilepsie im Alter sind neben Schlaganfall (Hazard Ratio [HR] 3,47) auch Demenzen (HR 2,68) und genetische Risikofaktoren (APOE ℇ 4, 2 Allele bzw. 1 Allel HR 1,93 bzw. 1,22).
Bildgebende Befunde unterstützen die bidirektionale Assoziation
Weitere Hinweise für eine bidirektionale Assoziation gibt die Bildgebung. Im MRT fanden sich bei Patienten mit fokaler Epilepsie eine progressive kortikale Verdünnung in vielen Hirnregionen vor allen an Orten epileptogener Zentren. Dieses Schädigungsmuster findet sich bei der generalisierten Epilepsie nicht. Galovic vertritt die Ansicht, dass es sich hier um eine begrenzte Netzwerkstörung handelt, an denen beide Pathologien beteiligt sind.
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Epilepsie bei Frontotemporaler Demenz (FTD)
Eine finnische Fall-Kontroll-Studie, die im Fachmagazin JAMA Neurology erschienen ist, deutet darauf hin, dass Epilepsie bei Patienten mit Frontotemporaler Demenz (FTD) häufiger auftritt als bei kognitiv gesunden Personen oder bei Menschen mit Alzheimer. Die Arbeitsgruppe analysierte Daten von 245 Personen mit FTD, 1.326 Alzheimer-Erkrankten und 2.416 Kontrollpersonen in denselben geografischen Regionen Finnlands.
Ergebnisse der finnischen Studie
Die Ergebnisse der Studie von Dr. Annemari Kilpeläinen (Universität Ostfinnland, Kuopio) und Kollegen zeigen, dass die Prävalenz der Epilepsie 10 Jahre vor der FTD-Diagnose in der FTD-Gruppe höher war als in der Kontroll-Gruppe (3,3 % versus 0,8 %) und in der AD-Gruppe (3,3 % versus 1,4 %). Im Jahr der FTD-Diagnose betrug die Prävalenz 6,5 % bei Patienten mit FTD, 1,8 % bei den Teilnehmern der Kontroll-Gruppe und 5,0 % bei Patienten mit Alzheimer Demenz. Fünf Jahre nach der Diagnose betrugen die Prävalenz-Werte 11,2 % (FTD), 2,2 % (Kontroll-Gruppe) und 6,9 % (Alzheimer Demenz). Entsprechend der häufigeren Epilepsie-Diagnose bei FTD-Patienten wurde diese Demenz-Kranken auch häufiger mit Antikonvulsiva behandelt.
Bedeutung der Ergebnisse
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass Epilepsie bei FTD-Patienten wesentlich häufiger vorkommt als bei Alzheimer-Patienten oder gesunden Kontrollpersonen“, sagt Annemari Kilpeläinen. Bemerkenswert sei, „dass Epilepsie bei einigen Patienten mit FTD bereits zehn Jahre vor der Demenz-Diagnose auftrat und in allen untersuchten Stadien der Krankheit häufiger war als in früheren internationalen Studien berichtet“, so die Neurologin. Weitere Studien seien nun erforderlich, um eine mögliche Überschneidung der pathophysiologischen Mechanismen von Epilepsie und FTD zu untersuchen.
Frontotemporale Demenz (FTD): Eine Übersicht
Die Frontotemporale Demenz, kurz FTD und früher als Morbus Pick bekannt, betrifft häufig Menschen vor dem 65. Lebensjahr und zählt damit zu den Demenzen im jüngeren Lebensalter. Sie ist wie die Alzheimer-Krankheit (AD) eine progrediente neurodegenerative Erkrankung; bei ihr sterben Nervenzellen im Frontallappen und Temporallappen ab, also in Hirnregionen, die Gefühle, Sozialverhalten und Sprache steuern. Die FTD ist allerdings seltener als die AD; rund 3 bis 9 Prozent aller Menschen mit Demenz haben nach Angaben der ‚Alzheimer Forschung Initiative e.V.‘(AFI) eine FTD. Außerdem trete sie meist früher auf als die Alzheimer Demenz, typischerweise im Alter zwischen 50 und 60 Jahren auf.
Symptome der FTD
Zu den ersten Anzeichen der FTD zählen laut der AFI auffällige Veränderungen im Verhalten oder in der Sprache, während das Gedächtnis meist lange unbeeinträchtigt bleibt. Insbesondere zu Beginn unterscheiden sich die Symptome der Frontotemporalen Demenz von denen anderer Demenz-Erkranken. Während bei der Alzheimer-Krankheit die ersten Anzeichen meist Gedächtnisstörungen seien, zeigten Menschen mit FTD vor allem Persönlichkeitsveränderungen, auffälliges Verhalten oder Sprachprobleme.
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Varianten der FTD
Es gibt laut AFI zwei Hauptformen der FTD:
Die Verhaltensvariante (bvFTD): Diese Variante äußert sich durch tiefgreifende Verhaltens- und Persönlichkeitsveränderungen wie Enthemmung, Apathie oder Verlust der Empathie. Die behaviorale Variante stellt die häufigste klinische Präsentation dar, erklären Privatdozent Dr. Dr. med. Matthias Pawlowski von der Universität Münster und Kollegen. Zu den häufigsten Anzeichen gehören:
- Enthemmung: Unpassende Bemerkungen, unangemessenes sexuelles Verhalten, Ladendiebstahl oder Berührungen von Fremden.
- Apathie: Früher Rückzug aus sozialen und beruflichen Aktivitäten, Verlust von Interesse an Beziehungen oder Hobbys.
- Emotionale Abstumpfung / Empathieverlust: Gleichgültigkeit gegenüber den Gefühlen nahestehender Personen, fehlende Anteilnahme oder Einfühlungsvermögen.
- Zwanghaftes oder ritualisiertes Verhalten: Wiederholte Handlungen, Horten von Gegenständen oder das tägliche Aufsuchen bestimmter Orte.
- Verändertes Essverhalten: Zwanghaftes Essen bestimmter Lebensmittel oder übermäßiger Konsum von Wasser oder Alkohol.
- Fehlende Einsicht: Menschen mit bvFTD sehen häufig nicht ein, dass ihr Verhalten ungewöhnlich ist.
Die Primär-progressive Aphasie (PPA): Hier stehe der fortschreitende Verlust sprachlicher Fähigkeiten im Vordergrund, der sich in verschiedenen Formen äußern könne:
- Semantischer Typ: Menschen mit dieser Form verlieren nach und nach das Verständnis für Wörter. Sie können Dinge oft nicht mehr benennen oder genau beschreiben, selbst wenn sie wissen, was sie sind.
- Unflüssiger/agrammatischer Typ: Das Sprechen wird mit der Zeit immer schwieriger. Die Wörter kommen langsamer über die Lippen und das Sprechen klingt oft angestrengt. Schließlich kann die Sprache ganz versagen, während jedoch andere Fähigkeiten durchaus intakt bleiben.
Verlauf der FTD
Wie die meisten Demenzerkrankungen hat auch die frontotemporale Demenz einen schleichenden Verlauf. Zu Beginn unterscheiden sich Menschen mit Frontotemporaler Demenz sowohl deutlich von Menschen mit anderen Demenzen als auch untereinander, je nach Subtyp. Im späten Stadium gleichen sich die Symptome von FTD und anderen Demenzerkrankungen an. Sprache und Verhalten sind stark beeinträchtigt, und es treten zusätzlich Gedächtnisprobleme auf, die an Alzheimer erinnern. Körperliche Symptome wie Bewegungsstörungen, Muskelsteifheit oder Schwierigkeiten beim Schlucken können hinzukommen. Im Endstadium benötigen die Erkrankten rund um die Uhr Pflege. Die häufigste Todesursache ist eine Lungenentzündung, die durch eine Schwächung des Immunsystems oder Schluckprobleme verursacht werden kann.
Diagnose der FTD
Die Frontotemporale Demenz wird häufig nicht sofort erkannt. Besonders bei der Verhaltensvariante ähneln die Symptome oft einer psychischen Erkrankung, etwa einer Depression, Manie oder Schizophrenie. Da es derzeit kein einzelnes Verfahren gibt, das FTD eindeutig nachweisen kann, erfolgt die Diagnose in mehreren Schritten. Dabei ist es wichtig, andere mögliche Ursachen für die Sympome auszuschließen:
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- Anamnese: Die Ärztin oder der Arzt erhebt die Krankengeschichte und prüft grundlegende kognitive Fähigkeiten, zum Beispiel das Gedächtnis.
- Befragung der Angehörigen: Besonders bei der Verhaltensvariante sind Einschätzungen aus dem Umfeld entscheidend. Denn Erkrankte zeigen oft keine Einsicht in ihre Verhaltensänderungen.
- Bildgebende Verfahren: Mithilfe von MRT, CT oder FDG-PET können Veränderungen in den Stirn- und Schläfenlappen sichtbar gemacht werden.
- Neuropsychologische Tests: Diese erfassen spezifische Beeinträchtigungen in Planung, Urteilsvermögen, Sprache oder sozialem Verhalten, die für FTD typisch sind.
- Genetische Untersuchtungen: Liegen in der Familie weitere Fälle von FTD vor, kann ein Gentest helfen, eine vererbbare Form festzustellen.
Therapie der FTD
Die Frontotemporale Demenz ist bisher nicht heilbar. Auch Medikamente, die den Krankheitsverlauf aufhalten oder verlangsamen gibt es leider nicht. Weltweit wird dazu jedoch intensiv geforscht. Manche Symptome - etwa starke Unruhe, Aggression oder zwanghaftes Verhalten - lassen sich mit bestimmten Medikamenten lindern. Durch nicht-medikamentöse Therapieformen, wie sie auch bei Menschen mit Alzheimer-Demenz angewandt werden können einige Symptome der Patienten und Patientinnen gemildert werden. Eine der größten Herausforderungen im Umgang mit FTD ist jedoch, dass viele Erkrankte keine Einsicht in die eigene Erkrankung haben.
Differenzialdiagnosen der Epilepsie im Alter
Eine der wichtigsten Differenzialdiagnosen epileptischer Anfälle beim alten Menschen stellen Synkopen dar. Diese können meist durch gezielte Eigen- und Fremdanamnese mit speziellem Augenmerk auf Trigger-Faktoren (z. B. langes Stehen, körperliche Anstrengung, Hitze, Miktion etc.), Prodromalsymptomatik (ungerichteter Schwindel, Herzstolpern, Übelkeit etc.) und Dauer von epileptischen Anfällen differenziert werden. Neben Reflexsynkopen, die die häufigste Ursache von Synkopen in jedem Lebensalter darstellen, muss bei alten Menschen aufgrund der häufig bestehenden kardialen Komorbiditäten eine kardiogene (arrhythmogene oder strukturelle) Genese ausgeschlossen werden. Weitere wichtige Differenzialdiagosen epileptischer Anfälle stellen bei alten Menschen, aufgrund der klinischen Präsentationsform (Sprachstörung, Desorientiertheit, Areagibilität ohne motorische Phänomene) sowohl transitorisch ischämische Attacken, eine beginnende Demenz als auch ein Delir unterschiedlicher Ursache dar.
Diagnostische Maßnahmen bei Epilepsie im Alter
Basislaboruntersuchungen mit Bestimmung von Blutzucker, Elektrolyten, Nieren- und Leberfunktionsparametern, einschließlich Ammoniak, bilden die Grundlage der Diagnostik. Eine akute Bildgebung ist in der Diagnostik unklarer Episoden mit Bewusstseinsbeeinträchtigung essenziell, um Pathologien mit fluktuierendem Verlauf wie z. B. Subduralhämatome unter oraler Antikoagulation etc. auszuschließen. Die Elektroenzephalographie stellt in der Diagnostik epileptischer Anfälle, insbesondere innerhalb der ersten 48 h, zur Abgrenzung gegenüber Differenzialdiagnosen ein wichtiges diagnostisches Werkzeug dar. Eine Bildgebung mithilfe der MRT nach Epilepsieprotokoll sollte auch bei älteren Patienten im Falle der Diagnose einer Epilepsie unklarer Ursache erfolgen. Der Ausschluss einer Autoimmunenzephalitis mithilfe der Liquordiagnostik sollte entsprechend klinischer Präsentation und Bildgebungsbefund erwogen werden.
Status epilepticus (SE) im Alter
Bei älteren Menschen manifestieren sich Anfälle häufiger in Form eines SE, der als das Fortbestehen eines epileptischen Anfalls für die Dauer > 5 min beim bilateral tonisch klonischen Anfall (konvulsiver SE) und > 10 min beim fokalen SE mit oder ohne Bewusstseinsbeeinträchtigung (NCSE) definiert ist. Ein Status epilepticus tritt bei älteren Patienten häufiger ohne vorbestehende Epilepsie de novo auf und präsentiert sich oft in Form eines NCSE mit oder ohne Koma. Die Inzidenz des SE beträgt bei Menschen ≥ 60 Jahre 79,9/100.000 Erwachsene pro Jahr, verglichen mit 18,8/100.000 Erwachsene pro Jahr bei < 60-Jährigen.
Medikamentöse Behandlung der Epilepsie im Alter
Die medikamentöse Behandlung der Epilepsie bei alten Patienten stellt den behandelnden Arzt vor eine Reihe von Herausforderungen, wobei folgende Aspekte vor der Einleitung einer Antiepileptikatherapie beim alten Menschen bedacht werden müssen:
- Alte Menschen reagieren meist sensibler auf Medikamente, insbesondere zentral wirksame Substanzen, wobei unspezifische Nebenwirkungen wie Schwindel, Müdigkeit, Gangunsicherheit und Konzentrationsstörungen häufig sind.
- Eingeschränkte Nierenfunktion, reduzierter hepataler Metabolismus und Mangelernährung mit verminderter Eiweißbindung führen zu Veränderungen von Pharmakokinetik und Pharmakodynamik beim alten Patienten.
- Aufgrund von Komorbiditäten nehmen alte Patienten häufig eine Reihe unterschiedlicher Medikamente ein, sodass das Risiko von Medikamenteninteraktionen hoch ist.
- Die Wirkung von Medikamenten auf Lipidstoffwechsel, Reizleitungssystem des Herzens, Knochenstoffwechsel und Kognition etc. ist bei älteren, multimorbiden Patienten von entscheidender Bedeutung.
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