Frontotemporale Demenz: Eine tödliche neurologische Erkrankung

Die frontotemporale Demenz (FTD), früher auch als Morbus Pick bekannt, ist eine Form der Demenz, die durch den Abbau von Nervenzellen in den vorderen Bereichen des Gehirns, insbesondere im Stirn- und Schläfenlappen, gekennzeichnet ist. Diese Bereiche sind für wichtige Funktionen wie Sozialverhalten, Persönlichkeit, Sprachverständnis und Bewegung zuständig. Die FTD betrifft oft Menschen im jüngeren Lebensalter, typischerweise zwischen dem 45. und 65. Lebensjahr, kann aber auch in einem breiteren Altersspektrum von 20 bis 85 Jahren auftreten.

Was ist Frontotemporale Demenz?

Die FTD ist eine relativ seltene Demenzform, die etwa 3 bis 9 Prozent aller Demenzerkrankungen ausmacht. Im Vergleich dazu ist die Alzheimer-Krankheit mit etwa 70 Prozent die häufigste Form. Bei der FTD kommt es zu einem fortschreitenden Verlust von Nervenzellen im Stirn- und Schläfenlappen des Gehirns, was zu einer Schrumpfung dieser Bereiche führt. Dieser Abbau von Hirngewebe wird als frontotemporale Atrophie bezeichnet und kann mithilfe bildgebender Verfahren wie Magnetresonanztomographie (MRT) und Computertomographie (CT) sichtbar gemacht werden.

Der tschechische Psychiater und Neurologe Arnold Pick beschrieb die FTD erstmals im Jahr 1892 und grenzte sie von der Alzheimer-Demenz ab. Er entdeckte, dass bei Menschen mit schweren Sprach- und Verhaltensstörungen das Stirn- und Schläfenhirn geschädigt war. Die Erkrankung wurde zunächst als Morbus Pick bezeichnet, eine Bezeichnung, die heute nicht mehr gebräuchlich ist.

Ursachen und Risikofaktoren

Die genauen Ursachen der FTD sind noch nicht vollständig geklärt. Es handelt sich um eine neurodegenerative Erkrankung, bei der Nervenzellen im Frontal- und Temporallappen des Gehirns absterben. In einigen Fällen, etwa 10 Prozent, wird das gehäufte Auftreten von FTD innerhalb einer Familie mit bestimmten Genen in Verbindung gebracht. Diese genetischen Veränderungen können vererbt werden, wobei ein Kind eines betroffenen Elternteils ein 50-prozentiges Risiko hat, ebenfalls an FTD zu erkranken. Zu den Genen, die mit FTD in Verbindung gebracht werden, gehören C9orf72, GRN und MAPT.

Obwohl die FTD in einigen Fällen erblich bedingt ist, tritt sie in den meisten Fällen (etwa 60 Prozent) ohne erkennbare familiäre Vorbelastung auf. Diese Fälle werden als sporadische FTD bezeichnet. Es gibt auch fließende Übergänge zwischen FTD und anderen neurologischen Erkrankungen wie der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS), was darauf hindeutet, dass es gemeinsame pathophysiologische Mechanismen geben könnte.

Lesen Sie auch: Der Zusammenhang zwischen Alkoholkonsum und frontotemporaler Demenz

Ein weiterer möglicher Risikofaktor für die Entstehung einer frühen Demenz, insbesondere bei Personen unter 65 Jahren, ist übermäßiger Alkoholkonsum. Da Alkohol ein Nervengift ist, kann er bei längerem und zu hohem Konsum dazu führen, dass Nervenzellen im Gehirn absterben.

Symptome

Die Symptome der FTD sind vielfältig und hängen davon ab, welche Bereiche des Gehirns betroffen sind. Im Allgemeinen lassen sich zwei Hauptvarianten der FTD unterscheiden: die Verhaltensvariante (bvFTD) und die Sprachvariante (PPA).

Verhaltensvariante (bvFTD)

Bei der Verhaltensvariante der FTD stehen Veränderungen im Verhalten und in der Persönlichkeit im Vordergrund. Zu den häufigsten Symptomen gehören:

  • Enthemmung: Unpassende Bemerkungen, unangemessenes sexuelles Verhalten, Ladendiebstahl oder Berührungen von Fremden.
  • Apathie: Rückzug aus sozialen und beruflichen Aktivitäten, Verlust von Interesse an Beziehungen oder Hobbys.
  • Emotionale Abstumpfung / Empathieverlust: Gleichgültigkeit gegenüber den Gefühlen nahestehender Personen, fehlende Anteilnahme oder Einfühlungsvermögen.
  • Zwanghaftes oder ritualisiertes Verhalten: Wiederholte Handlungen wie das ständige Wiederholen bestimmter Handlungen oder Worte.
  • Verändertes Essverhalten: Zwanghaftes Essen bestimmter Lebensmittel oder übermäßiger Konsum von Wasser oder Alkohol.
  • Fehlende Einsicht: Betroffene erkennen oft nicht, dass ihr Verhalten ungewöhnlich ist und weisen mangelnde Krankheitseinsicht auf.

Sprachvariante (PPA)

Bei der Sprachvariante der FTD stehen Sprachstörungen im Vordergrund. Es gibt drei verschiedene Formen der PPA, je nachdem, welche sprachlichen Fähigkeiten am stärksten eingeschränkt sind:

  • Semantischer Typ: Verlust des Verständnisses für Wörter und die Fähigkeit, Objekte zu benennen oder Bilder zu beschreiben.
  • Unflüssiger/agrammatischer Typ: Schwierigkeiten beim Sprechen, langsames und angestrengtes Sprechen, grammatikalische Fehler.
  • Logopenischer Typ: Schwierigkeiten beim Finden der richtigen Wörter, langsames und zögerliches Sprechen, Umschreibungen von Begriffen.

Es ist wichtig zu beachten, dass der logopenische Typ der PPA nicht zur FTD gehört, sondern zur Alzheimer-Krankheit.

Lesen Sie auch: Fortgeschrittene Demenz: Ein umfassender Überblick

Weitere Symptome

Neben den Verhaltens- und Sprachstörungen können bei FTD auch weitere Symptome auftreten, wie z.B.:

  • Neurologische Symptome: Veränderungen der Körperhaltung, Gangstörungen, Muskelsteifheit (Rigor), Sprechapraxie (Beeinträchtigung der Koordination von Lippen, Zunge und Kiefer beim Sprechen).
  • Schlafstörungen: Schlafprobleme und Müdigkeit.
  • Inkontinenz: Verlust der Kontrolle über Blase und/oder Darm.
  • Schluckstörungen: Schwierigkeiten beim Schlucken, was zu einem erhöhten Risiko für Lungenentzündungen führen kann.

Diagnose

Die Diagnose der FTD kann schwierig sein, da die Symptome oft unspezifisch sind und anderen Erkrankungen ähneln können. Es gibt kein einzelnes Verfahren, das FTD eindeutig nachweisen kann. Die Diagnose erfolgt in der Regel in mehreren Schritten:

  1. Anamnese: Erhebung der Krankengeschichte und Prüfung grundlegender kognitiver Fähigkeiten.
  2. Befragung der Angehörigen: Einschätzungen aus dem Umfeld sind entscheidend, da Betroffene oft keine Einsicht in ihre Verhaltensänderungen zeigen.
  3. Neuropsychologische Tests: Erfassung spezifischer Beeinträchtigungen in Planung, Urteilsvermögen, Sprache oder sozialem Verhalten.
  4. Bildgebende Verfahren: MRT, CT oder FDG-PET können Veränderungen in den Stirn- und Schläfenlappen sichtbar machen.
  5. Genetische Untersuchungen: Bei familiärer Häufung von FTD kann ein Gentest helfen, eine vererbbare Form festzustellen.
  6. Liquoruntersuchung: Zum Ausschluss anderer möglicher Ursachen für die Symptome.

Es ist wichtig, andere mögliche Ursachen für die Symptome auszuschließen, wie z.B. psychische Erkrankungen (Depression, Manie, Schizophrenie), Burn-out-Syndrom oder andere neurologische Erkrankungen. In einigen Fällen kann eine sichere Diagnose erst nach dem Tod durch die Untersuchung des Hirngewebes gestellt werden.

Verlauf und Lebenserwartung

Die FTD ist eine fortschreitende Erkrankung, d.h. die Symptome verschlimmern sich im Laufe der Zeit. Der Verlauf kann von Person zu Person unterschiedlich sein, aber im Allgemeinen lässt sich die FTD in drei Stadien einteilen:

  1. Frühes Stadium: Symptome sind oft subtil und können leicht übersehen oder missverstanden werden.
  2. Mittleres Stadium: Symptome werden deutlicher und beeinträchtigen den Alltag zunehmend. Betroffene sind auf Hilfe angewiesen.
  3. Spätes Stadium: Symptome ähneln oft denen der Alzheimer-Krankheit. Sprache und Verhalten sind stark beeinträchtigt, und es treten Gedächtnisprobleme auf. Betroffene sind rund um die Uhr auf Unterstützung angewiesen und häufig bettlägerig.

Die durchschnittliche Lebenserwartung nach der Diagnose beträgt etwa 8 Jahre, kann aber auch kürzer oder länger sein. Häufige Todesursachen sind Lungenentzündungen (insbesondere Aspirationspneumonien aufgrund von Schluckstörungen), Infektionen und andere Komplikationen im Zusammenhang mit der fortschreitenden Erkrankung.

Lesen Sie auch: Wechselwirkungen zwischen Schmerzmitteln und Demenz

Behandlung

Es gibt derzeit keine Heilung für die FTD. Die Behandlung konzentriert sich auf die Linderung der Symptome und die Verbesserung der Lebensqualität der Betroffenen und ihrer Angehörigen.

Medikamentöse Behandlung

Es gibt keine Medikamente, die den Krankheitsverlauf der FTD aufhalten oder verlangsamen können. Allerdings können bestimmte Medikamente helfen, einige der Symptome zu lindern, wie z.B.:

  • Antidepressiva: Zur Behandlung von Depressionen, Angstzuständen und Reizbarkeit.
  • Antipsychotika: Zur Behandlung von Aggressionen, Unruhe und Verhaltensauffälligkeiten.
  • Beruhigungsmittel: Zur Beruhigung bei starker Unruhe und Angst.

Es ist wichtig zu beachten, dass diese Medikamente auch Nebenwirkungen haben können, wie z.B. Muskelsteifheit oder Müdigkeit.

Nicht-medikamentöse Behandlung

Neben der medikamentösen Behandlung gibt es eine Reihe von nicht-medikamentösen Maßnahmen, die helfen können, die Symptome der FTD zu lindern und die Lebensqualität zu verbessern:

  • Ergotherapie: Zur Verbesserung der Selbstständigkeit im Alltag und zur Förderung der motorischen Fähigkeiten.
  • Logopädie: Zur Verbesserung der Sprach- und Kommunikationsfähigkeiten.
  • Physiotherapie: Zur Erhaltung der Mobilität und zur Vorbeugung von Stürzen.
  • Musiktherapie: Zur Förderung der Entspannung und zur Verbesserung der Stimmung.
  • Kognitives Training: Zur Anregung des Gehirns und zur Verbesserung der geistigen Fitness.
  • Anpassung des Lebensstils: Schaffung von Routinen im Alltag, Anpassung der Kommunikation, Schaffung eines demenzgerechten Zuhauses.

Unterstützung für Angehörige

Die Pflege und Betreuung von Menschen mit FTD ist eine große Herausforderung für die Angehörigen. Es ist wichtig, dass Angehörige Unterstützung und Hilfe erhalten, um mit den Belastungen der Pflege umzugehen. Es gibt verschiedene Möglichkeiten der Unterstützung, wie z.B.:

  • Beratung und Information: Informationen über die Erkrankung, den Krankheitsverlauf und die Behandlungsmöglichkeiten.
  • Selbsthilfegruppen: Austausch mit anderen Angehörigen, die ähnliche Erfahrungen machen.
  • Psychotherapie: Unterstützung bei der Bewältigung von emotionalen Belastungen und Stress.
  • Entlastungsangebote: Unterstützung bei der Pflege und Betreuung, z.B. durch ambulante Pflegedienste, Tagespflege oder Kurzzeitpflege.

Umgang mit der Diagnose

Die Diagnose FTD ist für die Betroffenen und ihre Angehörigen oft ein Schock. Es ist wichtig, sich Zeit zu nehmen, um die Diagnose zu verarbeiten und sich über die Erkrankung zu informieren. Eine frühzeitige Diagnose kann für Angehörige entlastend sein, da sie das veränderte Verhalten besser einordnen können. Es ist auch wichtig, frühzeitig rechtliche Vorkehrungen zu treffen, wie z.B. die Erstellung von Vollmachten und Verfügungen.

Forschung

Die Forschung zur FTD ist intensiv und zielt darauf ab, die Ursachen der Erkrankung besser zu verstehen, neue Behandlungsmöglichkeiten zu entwickeln und die Lebensqualität der Betroffenen und ihrer Angehörigen zu verbessern. Schwerpunkte der Forschung sind:

  • Molekularbiologische Ursachen: Untersuchung der molekularbiologischen Ursachen für den Nervenzelltod bei FTD.
  • Genetische Faktoren: Identifizierung von Genen, die mit FTD in Verbindung stehen.
  • Diagnostische Verfahren: Entwicklung von Parametern, die Diagnose und Vorhersage des Krankheitsverlaufs ermöglichen.
  • Therapeutische Maßnahmen: Entwicklung von psychosozialen Interventionen für die Pflege und Betreuung von Menschen mit FTD.

Das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e. V. (DZNE) führt eine Langzeitstudie zum Krankheitsverlauf der FTD durch, an der Patienten mit einer diagnostizierten FTD teilnehmen können.

tags: #frontotemporale #Demenz #Todesursache