Die Diagnose Multiple Sklerose (MS) stellt das Leben vieler Betroffener auf den Kopf. Umso wichtiger ist es, Veränderungen im Krankheitsverlauf frühzeitig zu erkennen und mit einer effektiven Behandlung zu beginnen, um die MS zu verlangsamen. Die Bestimmung von Biomarkern spielt dabei eine entscheidende Rolle, insbesondere die Serum-Neurofilament-Leichtketten (sNfL). Dieser Echtzeit-Biomarker kann akute Schädigungen der Nervenzellen im zentralen Nervensystem (ZNS) aufzeigen und möglicherweise sogar Schübe vorhersagen.
Was sind Neurofilament-Leichtketten (NfL)?
Neurofilamente sind Proteine, die natürlicherweise in unseren Nervenzellen vorkommen. Werden Nervenzellen im ZNS beschädigt oder zerstört, wie beispielsweise bei einem MS-Schub, setzt der Körper vermehrt Neurofilamente frei, darunter die Neurofilament-Leichtketten (NfL). Diese NfL können im Liquor (Nervenwasser) und im Blut nachgewiesen werden. Die Messung der sNfL-Werte im Blut ermöglicht die Feststellung akuter Schädigungen der Nervenzellen im ZNS.
Der sNfL-Bluttest: Messung und Vorteile
Der sNfL-Wert kann einfach und schnell durch einen Bluttest in der Arztpraxis bestimmt werden. Dank moderner Messmethoden sind bereits kleine Probenmengen ausreichend. Der Vorteil dieser Blutuntersuchung liegt in ihrer Schnelligkeit und der Möglichkeit, sie im Rahmen von Kontrolluntersuchungen durchzuführen. Regelmäßige Bluttests ermöglichen es, die entzündliche Aktivität bei MS im Therapieverlauf abzuschätzen. Besonders relevant ist der sNfL-Bluttest für Patienten mit schubförmig-remittierender MS (RRMS) im Alter von 18 bis 55 Jahren. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass die sNfL-Messung noch relativ neu ist und daher nicht überall zum Praxisalltag gehört.
Subklinische Krankheitsaktivität erkennen
Eine MS kann auch aktiv sein, ohne dass offensichtliche Anzeichen dafür vorliegen. Dies wird als subklinische Krankheitsaktivität bezeichnet. Dabei laufen im Körper bereits Krankheitsprozesse ab, die jedoch keine oder nur sehr geringe klinische Symptome verursachen. Diese Symptome treten bei MS oft erst auf, wenn bereits Schäden entstanden sind. Um rechtzeitig handeln und bleibende Schäden vermeiden zu können, ist es wichtig, subklinische Krankheitsaktivität frühzeitig zu erkennen. Bisher konnten Ärzte die Krankheitsaktivität nur mithilfe von MRT-Aufnahmen, der Beobachtung klassischer MS-Symptome und der Veränderung körperlicher Fähigkeiten einschätzen. Der neue sNfL-Test schließt hier eine wichtige Lücke. Die Messung von sNfL im Blut kann Aufschluss über die Krankheitsaktivität geben, auch wenn nach außen hin alles stabil wirkt.
sNfL als Echtzeit-Biomarker
sNfL sind ein wichtiger Frühindikator für die Krankheitsaktivität bei MS, noch bevor bleibende Schäden entstehen. Sie gelten als neue Echtzeit-Biomarker für das Ausmaß der neuronalen Schädigung im Gehirn. sNfL ist ein leicht zu ermittelnder Biomarker, der bei der Aufdeckung von (subklinischer) Krankheitsaktivität unterstützen kann. Mithilfe von sNfL-Messungen kann Krankheitsaktivität verfolgt und aufgezeigt werden, selbst wenn Symptome oder MRT-Aufnahmen auf eine stabile MS hindeuten. sNfL-Bluttests geben Aufschluss darüber, wie gut die Therapie anspricht, und unterstützen Ärzte bei der Steuerung der MS-Therapie. Regelmäßige sNfL-Messungen ermöglichen die Beobachtung von Veränderungen im Verlauf und somit ein rechtzeitiges Handeln auch bei subklinischer Krankheitsaktivität.
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Mehr Wissen für mehr Kontrolle
Die Diagnose MS kann zunächst verunsichern. Viele Betroffene fühlen sich jedoch besser, wenn sie ihre Krankheit im Detail verstehen. Mehr Wissen bedeutet mehr Kontrolle über die MS. Wer sich aktiv informiert und nach der Diagnose MS einen persönlichen Plan entwickelt, kann eine selbstbestimmte Rolle in der Behandlung einnehmen. Neurofilament-Leichtketten können das Ausmaß an Schädigungen von Nervenzellen schnell und einfach anzeigen.
Biomarker im Vergleich: NfL vs. OCT
In den letzten Jahren hat die MS-Forschung bedeutende Fortschritte bei der Identifizierung und Validierung von Biomarkern erzielt. Zwei stehen dabei besonders im Fokus: Neurofilament-Leichtketten (NfL) und optische Kohärenztomographie (OCT). OCT ist eine nicht-invasive Bildgebungstechnik, die Veränderungen in der Dicke der retinalen Nervenfaserschicht erfasst. Diese Veränderungen können Aufschluss über neurodegenerative Prozesse bei MS geben. In der wissenschaftlichen Community wird diskutiert, welcher Biomarker die präzisere und zuverlässigere Information über den Krankheitsverlauf liefert.
Dr. Pawlitzki betonte das Potenzial von NfL für die Diagnose und Detektion von Krankheitsaktivität, insbesondere bei subklinischer MS, wo die Messung eines erhöhten NfL-Spiegels Aktivität feststellen kann. OCT liefert ebenfalls Möglichkeiten, MS-Aktivitäten zu prognostizieren, beispielsweise anhand der Dicke der Ganglienzellschicht und der peripapillären retinalen Nervenfaserschicht (RNFL).
KI-Analyse revolutioniert das Verständnis von MS
Eine große internationale Studie hat mithilfe von KI-gestützten Analysen über 8.000 Patientendaten mit mehr als 118.000 Visiten sowie mehr als 35.000 MRT-Aufnahmen ausgewertet. Das Ergebnis: MS ist kein starres System mit festen „MS-Typen“, sondern ein kontinuierlicher Krankheitsprozess, der sich in verschiedene Zustände einteilen lässt. Dieses neue Modell beschreibt MS als Abfolge von Zuständen mit spezifischen Übergangswahrscheinlichkeiten. Frühere, milde Zustände gehen meist über entzündliche Zwischenphasen in fortgeschrittene, irreversible Krankheitsstadien über. Stille, symptomfreie Entzündungen oder klinische Schübe sind zentrale Treiber der Verschlechterung. Patienten mit aktiver, aber klinisch stummer Entzündungsaktivität benötigen frühzeitige Therapieentscheidungen.
Immunologische Veränderungen bei subklinischer MS
Forscher haben eineiige Zwillingspaare untersucht, bei denen ein Zwilling an MS erkrankt ist und der andere keine klinischen Symptome zeigt. Dabei wurden spezifische Veränderungen in CD8-T-Zellen nachgewiesen. Diese Zellen wiesen eine erhöhte Wanderungsfähigkeit auf, waren entzündungsfördernd und stark aktiviert. Bemerkenswert ist, dass dieselben CD8-T-Zellen nicht nur bei Menschen mit bereits diagnostizierter MS auftraten, sondern auch bei Personen, die noch keine eindeutigen klinischen Symptome zeigen, bei denen es aber Anzeichen für eine subklinische Neuroinflammation gibt. Dies deutet darauf hin, dass diese Zellen bereits in den frühesten Phasen der Erkrankung eine Rolle spielen könnten.
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