Der Furcht-Lähmungs-Reflex (FLR) ist ein frühkindlicher Reflex, der bereits im Mutterleib entsteht und eine wichtige Schutzfunktion erfüllt. Bleibt er jedoch aktiv, kann er sich negativ auf die Entwicklung und das Verhalten von Kindern und Erwachsenen auswirken. Dieser Artikel beleuchtet die Hintergründe des FLR, seine Auswirkungen und verschiedene Übungen und Therapieansätze zur Integration dieses Reflexes.
Was ist der Furcht-Lähmungs-Reflex?
Der Furcht-Lähmungs-Reflex entwickelt sich etwa ab der 5. bis 7. Schwangerschaftswoche und dient dem Ungeborenen als Schutzmechanismus. Wenn die Mutter Stress oder einen Schreck erlebt, komprimiert sich das Fruchtwasser, wodurch Druck auf das Baby entsteht. Um zu verhindern, dass sich das Baby reflexartig in der Nabelschnur verwickelt, aktiviert sich der FLR und versetzt das Kind in einen "Freeze-Zustand". Es kugelt sich zusammen und erstarrt.
Während einer normalen vaginalen Geburt spielt der FLR eine wichtige Rolle bei der Sicherstellung der Sauerstoffversorgung des Gehirns. Er reduziert die Aktivität der inneren Körperfunktionen, was beim Austritt aus dem Geburtskanal aufgrund von Sauerstoffmangel entscheidend ist. Idealerweise wird der FLR bis zur 12. Woche nach der Geburt gehemmt und in den Moro-Reflex integriert.
Auswirkungen eines persistierenden FLR
Wenn sich der FLR nicht wie vorgesehen schließt, kann er im Alltag durch verschiedene Reize ausgelöst werden, wie z.B. Augenkontakt, laute Geräusche oder unerwartete Berührungen. Dies kann dazu führen, dass Kinder erstarren und handlungsunfähig werden. Oftmals sind sie auch hypersensibel gegenüber Gerüchen, Geräuschen, Menschenmengen, Licht oder Berührungen. Trennungsängste, Bauchschmerzen und die Weigerung, in die Schule oder den Kindergarten zu gehen, können ebenfalls Begleiterscheinungen eines aktiven FLR sein.
Kinder mit einem persistierenden FLR erleben im Alltag häufig Stresssituationen, die zur Freisetzung von Adrenalin führen. Dies kann wiederum die Akkommodation blockieren, also das Scharfstellen eines Bildes auf der Netzhaut. In Prüfungssituationen kann dies dazu führen, dass Buchstaben verschwimmen oder "hüpfen". Diese Problematik kann auch im Erwachsenenalter bestehen bleiben.
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Erwachsene entwickeln oft unbewusst Strategien, um schwierige Situationen zu umgehen oder zu kompensieren. Der ständig erhöhte Adrenalinspiegel kann im Gehirn programmiert werden, was zu einer Vergrößerung der Amygdala führt, dem "Wächter bei Gefahr". Dadurch reagiert die Amygdala schneller und heftiger.
Ein persistierender FLR kann sich vielfältig äußern:
- Emotional: Ängstlichkeit, Unsicherheit, geringes Selbstvertrauen, Trennungsängste, soziale Ängste, Depressionen, Gefühl der Schutzlosigkeit, Schwierigkeiten im Umgang mit Stress, erhöhte Reizbarkeit, emotionale Überflutung, Tics.
- Körperlich: Hypersensibilität gegenüber Sinnesreizen (Licht, Geräusche, Berührungen, Gerüche, Geschmack), Verspannungen, Bauchschmerzen, geschwächtes Immunsystem, Müdigkeit, Koordinationsprobleme, Gleichgewichtsstörungen, Probleme mit der Körperhaltung, Atembeschwerden, Bettnässen.
- Kognitiv: Konzentrationsschwierigkeiten, Lernschwierigkeiten (z.B. Lese-Rechtschreib-Schwäche, Dyskalkulie), Probleme beim Abschreiben von der Tafel, Schwierigkeiten mit der visuellen Wahrnehmung (z.B. verschwommene Buchstaben), eingeschränktes Denkvermögen, Handlungsschwierigkeiten.
- Verhalten: Vermeidungsverhalten, Rückzug, Aggression, Kontrollbedürfnis, Manipulationsverhalten, Ungeschicklichkeit, Langsamkeit, Ruhelosigkeit, Impulsivität, Schwierigkeiten bei Veränderungen und Spontanität.
Möglichkeiten zur Integration des FLR
Glücklicherweise gibt es verschiedene Möglichkeiten, einen persistierenden FLR zu hemmen und zu integrieren, um neuronales Nachreifen zu ermöglichen. Dazu gehören:
- Reflexintegrationstraining: Ein spezialisiertes Trainingsprogramm, das darauf abzielt, nicht integrierte frühkindliche Reflexe zu adressieren.
- Arbeit am Tonfeld: Eine körperorientierte Therapieform, die die Basissinne anspricht.
- ENWAKO®: Eine neurophysiologische Entwicklungsförderung, die durch ein ganzheitliches Training die Vernetzung im Gehirn verbessert.
- RiMe (Reflexintegrations-Methode): Ein Trainingsprogramm, das spezifische Bewegungsübungen und Techniken einsetzt, um die natürliche Entwicklung zu unterstützen und persistierende Reflexe zu integrieren.
Reflexintegrationstraining: Ein strukturierter Ansatz
Ein Reflexintegrationstraining folgt einem strukturierten Ablauf:
- Erstgespräch und Anamnese: Erfassung der individuellen Situation, Bedürfnisse und der medizinischen Geschichte des Klienten.
- Testung der Reflexe: Detaillierte Untersuchung, um festzustellen, welche Reflexe noch aktiv sind und wie sie sich auswirken.
- Aufklärung: Information über die Bedeutung frühkindlicher Reflexe und deren Einfluss auf das tägliche Leben.
- Individueller Trainingsplan: Entwicklung eines spezifischen Übungsprogramms zur Integration der aktiven Reflexe.
- Durchführung der Übungen: Regelmäßige Sitzungen unter Anleitung eines ausgebildeten Trainers.
- Überwachung und Anpassung: Kontinuierliche Beobachtung der Fortschritte und Anpassung des Trainingsplans bei Bedarf.
Die Übungen sind oft spielerisch gestaltet, um die Motivation, insbesondere bei Kindern, zu fördern. Ein täglicher Zeitaufwand von etwa 5 Minuten für die Übungen zu Hause ist in der Regel ausreichend.
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Übungen zur Unterstützung der Reflexintegration
Es gibt verschiedene Übungen, die Eltern zu Hause durchführen können, um die Reflexintegration zu unterstützen:
- Rhythmische Schaukelbewegungen: Diese Bewegungen helfen, das Nervensystem zu beruhigen und die Integration der Reflexe zu fördern.
- Körperliche Übungen: Spezifische Übungen, die auf die aktiven Reflexe des Kindes abgestimmt sind. Diese Übungen können Drehbewegungen, Krabbelübungen oder Gleichgewichtsübungen umfassen.
- Sensorische Integration: Aktivitäten, die die Sinne ansprechen, wie z.B. Spielen mit verschiedenen Texturen, Hören von beruhigender Musik oder Riechen von ätherischen Ölen.
Es ist wichtig, die Übungen regelmäßig und korrekt durchzuführen und den Fortschritt des Kindes zu beobachten. Bei Fragen oder Unsicherheiten sollte man sich an einen qualifizierten Reflexintegrationstrainer wenden.
Die Rolle der Eltern
Eltern spielen eine entscheidende Rolle bei der Unterstützung der Reflexintegration ihrer Kinder. Es ist wichtig, dass sie:
- Die Grundlagen verstehen: Sich über Reflexintegration und die betroffenen frühkindlichen Reflexe informieren.
- Regelmäßige Übungen durchführen: Die empfohlenen Übungen in die tägliche Routine integrieren.
- Mit Fachleuten kommunizieren: Regelmäßigen Kontakt zum Reflexintegrationstrainer halten und über Fortschritte und Herausforderungen berichten.
- Eine unterstützende Umgebung schaffen: Einen ruhigen und komfortablen Raum für die Übungen bereitstellen.
- Motivation und positive Verstärkung: Das Kind durch Lob und positive Verstärkung motivieren.
Kosten und Krankenkassen
Die Kosten für ein Reflexintegrationstraining können variieren, liegen aber in der Regel zwischen 60 und 120 Euro pro Stunde. Ein typisches Training umfasst etwa 8 bis 12 Sitzungen, verteilt über mehrere Monate. Fahrtkosten können ebenfalls anfallen.
Derzeit werden die Kosten für Reflexintegrationstraining in Deutschland und vielen anderen Ländern nicht von den Krankenkassen übernommen, da es nicht als medizinische Therapieform anerkannt ist. Es wird hauptsächlich als pädagogisches oder therapeutisches Unterstützungsverfahren angesehen.
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Wann ist Reflexintegration nicht geeignet?
Es gibt bestimmte Ausschlusskriterien für die Reflexintegration:
- Akute Erkrankungen: Bei entzündlichen oder infektiösen Zuständen sollte von der Reflexintegration abgesehen werden.
- Epilepsie: Bestimmte Bewegungsübungen und sensorische Stimulationen können potenziell Anfälle auslösen.
- Geistige Behinderung: Die Fähigkeit, Anweisungen zu verstehen und Übungen selbstständig durchzuführen, kann eingeschränkt sein.
- KiSS-Syndrom: Die spezifischen Manöver und Übungen könnten die empfindlichen Nacken- und Kopfgelenke zusätzlich belasten.
- Schwindelmigräne: Das Training könnte eine Schwindelmigräne auslösen.
Wissenschaftliche Evidenz und Ressourcen
Die wissenschaftliche Evidenz für die Wirksamkeit der Reflexintegration ist noch begrenzt und teilweise diskutiert. Es gibt jedoch Studien in Fachzeitschriften, die sich mit Neurologie, Pädiatrie, Ergotherapie und verwandten Gebieten befassen. Diese Studien untersuchen oft die Wirksamkeit von Reflexintegrationsprogrammen bei bestimmten Patientengruppen.
Weitere Informationen und wissenschaftliche Belege finden sich in Fachbüchern, Monographien, auf Fachkonferenzen und in wissenschaftlichen Datenbanken wie PubMed, Scopus oder Google Scholar.