Leben mit Myasthenia Gravis: Alltag, Herausforderungen und Bewältigungsstrategien

Myasthenia gravis (MG) ist eine seltene Autoimmunerkrankung, die durch Muskelschwäche gekennzeichnet ist. In Deutschland sind schätzungsweise 8.000 bis 12.000 Menschen betroffen. Die Erkrankung kann in jedem Alter auftreten, manifestiert sich aber meist erst nach dem 50. Lebensjahr. Typisch für MG ist, dass die Muskeln bei Belastung schnell ermüden und erschlaffen, was zu erheblichen Einschränkungen im Alltag führt. Die Symptome können unterschiedlich ausgeprägt sein und im Tagesverlauf variieren.

Was ist Myasthenia Gravis?

Myasthenia gravis ist eine chronische Autoimmunerkrankung, die die willkürliche Muskulatur betrifft. Bei MG greift das Immunsystem fälschlicherweise die Verbindungsstellen zwischen Nerven und Muskeln an, die sogenannten motorischen Endplatten. An diesen Endplatten wird der Botenstoff Acetylcholin freigesetzt, der für die Muskelkontraktion notwendig ist. Bei MG werden die Acetylcholin-Rezeptoren durch Antikörper blockiert oder zerstört, was die Signalübertragung stört und zu Muskelschwäche führt.

Symptome von Myasthenia Gravis

Die Symptome von Myasthenia gravis können vielfältig sein und variieren von Person zu Person. Häufige Symptome sind:

  • Augenmuskelschwäche: Hängende Augenlider (Ptosis) und Doppelbilder (Diplopie) sind oft die ersten Anzeichen der Erkrankung.
  • Gesichtsmuskelschwäche: Schwierigkeiten beim Kauen, Schlucken (Dysphagie) und Sprechen (Dysarthrie) können auftreten.
  • Schwäche der Extremitäten: Arme und Beine können sich schwach und kraftlos anfühlen, was die Mobilität einschränkt.
  • Atembeschwerden: In schweren Fällen können die Atemmuskeln betroffen sein, was zu Atemnot und im schlimmsten Fall zu einem Atemstillstand führen kann (myasthene Krise).
  • Nackenschmerzen: Manche Betroffene haben Schwierigkeiten, den Kopf zu halten, was unangenehme Nackenschmerzen auslösen kann.
  • Fatigue: Viele Betroffene leiden unter einem permanenten Erschöpfungsgefühl.

Die Symptome verstärken sich typischerweise bei Anstrengung und lassen in Ruhe nach. Sie können im Tagesverlauf schwanken und durch Faktoren wie Stress, Infektionen oder bestimmte Medikamente beeinflusst werden.

Diagnose von Myasthenia Gravis

Die Diagnose von Myasthenia gravis basiert auf verschiedenen Untersuchungen:

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  • Klinische Untersuchung: Der Arzt untersucht die Muskelfunktion und testet auf Ermüdbarkeit der Muskeln. Dabei werden standardisierte Tests angewendet.
  • Blutuntersuchung: Im Blut werden Antikörper gegen Acetylcholin-Rezeptoren oder andere Strukturen der motorischen Endplatte nachgewiesen. Allerdings sind bei 50 % der Betroffenen mit ausschließlich Augensymptomen und bei 15 % der Betroffenen mit einer generalisierten Myasthenie-Symptomatik keine AChR-Antikörper nachweisbar.
  • Elektrophysiologische Untersuchung: Die elektrische Aktivität der Muskeln und Nerven wird gemessen, um die Reizübertragung zu überprüfen.
  • Bildgebung: Eine Computertomografie (CT) des Brustkorbs kann eine Vergrößerung des Thymus aufzeigen.

Therapie von Myasthenia Gravis

Myasthenia gravis ist nicht heilbar, aber die Symptome können in den meisten Fällen gut kontrolliert werden. Es gibt verschiedene Therapieansätze:

  • Acetylcholinesterase-Hemmer: Diese Medikamente erhöhen die Konzentration von Acetylcholin im synaptischen Spalt und verbessern die Reizübertragung vom Nerv zum Muskel.
  • Immunsuppressiva: Kortikosteroide (z. B. Prednisolon) und andere Immunmodulatoren unterdrücken die Aktivität des Immunsystems und reduzieren die Bildung von Antikörpern.
  • Thymektomie: Bei einigen Patienten ist der Thymus gutartig vergrößert. In diesen Fällen kann die operative Entfernung des Thymus (Thymektomie) den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen. Patienten zwischen 18 und 65 Jahren mit Acetylcholinrezeptor-Antikörpern zeigen besonders positive Ergebnisse.
  • Immuntherapie: Bei einer myasthenen Krise oder schweren Verläufen können Immunglobuline oder eine Plasmapherese eingesetzt werden, um die Antikörper aus dem Blut zu entfernen.
  • Neue Therapieansätze: In den letzten Jahren wurden neue Medikamente wie Komplementinhibitoren (Eculizumab, Ravulizumab) und FcRn-Modulatoren (Efgartigimod, Zilucoplan, Rozanolixizumab) entwickelt, die bei schweren Krankheitsverläufen eingesetzt werden können.

Die Therapie wird individuell auf den Patienten abgestimmt und regelmäßig angepasst. Ziel ist es, die Symptome zu lindern und die Lebensqualität zu verbessern.

Leben mit Myasthenia Gravis im Alltag

Myasthenia gravis kann den Alltag der Betroffenen erheblich beeinträchtigen. Eine gute Planung und Anpassung des Tagesablaufs sind daher entscheidend.

  • Energiemanagement: Wichtige Aktivitäten sollten in energiereichen Tageszeiten, etwa eine Stunde nach der Medikamenteneinnahme, stattfinden. Regelmäßige Ruhepausen helfen, die Muskelschwäche zu reduzieren. Die Belastbarkeit ist am Morgen oft größer als am Abend.
  • Hilfsmittel: Bei Bedarf können Hilfsmittel wie Gehstöcke, Rollatoren oder spezielle Essbestecke den Alltag erleichtern.
  • Ernährung: Es gibt keine speziellen Ernährungsempfehlungen für Menschen mit Myasthenia gravis. Eine ausgewogene Ernährung ist jedoch wichtig, um den Körper mit ausreichend Energie und Nährstoffen zu versorgen. Bei Schluckbeschwerden kann eine Anpassung der Konsistenz der Nahrung hilfreich sein.
  • Vermeidung von Auslösern: Bestimmte Faktoren können die Symptome verschlimmern. Dazu gehören Stress, Infektionen, extreme Temperaturen und bestimmte Medikamente. Es ist wichtig, diese Auslöser zu erkennen und zu vermeiden.
  • Notfallplanung: Im Notfall ist es wichtig, gut vorbereitet zu sein. Ein Notfallausweis mit Informationen über die Erkrankung, Medikamente und Allergien sollte immer mitgeführt werden. Angehörige und Freunde sollten über die Erkrankung und die notwendigen Maßnahmen im Notfall informiert sein. Die Anschaffung eines Hausnotrufgeräts oder eines Notfallarmbands kann zusätzliche Sicherheit bieten.
  • Soziale Unterstützung: Ein verlässliches soziales Netz ist für die Krankheitsbewältigung von großer Bedeutung. Der Austausch mit anderen Betroffenen in Selbsthilfegruppen kann hilfreich sein.

Herausforderungen und Belastungen

Myasthenia gravis betrifft nicht nur die Patienten selbst, sondern auch ihr engstes Umfeld. Pflegende Angehörige sind oft stark belastet. Eine aktuelle Untersuchung hat gezeigt, dass Pflegende von Menschen mit MG eine zentrale Säule der Versorgung darstellen, aber gleichzeitig selbst eine Risikogruppe für Überlastung sind. Zudem leiden viele Betroffene unter einer verspäteten Diagnose, bürokratischen Herausforderungen und finanziellen Folgen.

Forschung und Ausblick

Die Forschung im Bereich Myasthenia gravis schreitet stetig voran. Neue Therapieansätze und Medikamente werden entwickelt, um die Symptome besser zu kontrollieren und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Die Früherkennung spielt eine entscheidende Rolle, um die Behandlung frühzeitig einzuleiten und den Krankheitsverlauf positiv zu beeinflussen.

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