Die Polyneuropathie (PNP) ist eine Erkrankung des peripheren Nervensystems, die durch Schädigung der Nerven außerhalb des Gehirns und des Rückenmarks gekennzeichnet ist. Diese Schädigung beeinträchtigt die Reizweiterleitung und kann zu vielfältigen Symptomen führen.
Was ist Polyneuropathie?
Polyneuropathien sind eine Gruppe von Erkrankungen des peripheren Nervensystems. Dabei nehmen Nerven, die sich außerhalb des Gehirns und des Rückenmarks befinden (sogenannte periphere Nerven), Schaden. Dies beeinträchtigt die Reizweiterleitung in den Nervenbahnen, was in Missempfindungen, Sensibilitätsstörungen oder auch Schmerzen mündet. Die Polyneuropathie (PNP) ist eine Erkrankung peripherer Nerven. Das können zum Beispiel Nerven in den Armen und Beinen sein oder solche, die innere Organe versorgen.
Die Krankheitshäufigkeit der Polyneuropathien beträgt ca. 5-8 % in der erwachsenen bzw. älteren Bevölkerung. Man schätzt, dass eine Person von 2.000 Einwohnern von Polyneuropathien betroffen sein könnte. Die Häufigkeit steigt mit zunehmendem Alter an.
Schädigung der Nervenzellen
Jede Nervenzelle setzt sich aus einem Zellkörper und einem Nervenfortsatz (Axon) zusammen. Axone kann man sich wie elektrisch leitende Kabel vorstellen. Der Körper muss sie für die optimale elektrische Reiz- oder Signalweiterleitung mit einer Isolierschicht ummanteln. Diese wird Myelinschicht oder Markscheide genannt.
Bei einer Polyneuropathie können unterschiedliche Teile dieser Nervenfortsätze geschädigt sein. Man unterscheidet:
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- Demyelinisierende Polyneuropathie: Bei dieser Neuropathieform zerfällt die schützende Myelinschicht. Die elektrische Reizweiterleitung wird gestört. Je nach Ursache kann sich eine demyelinisierende Neuropathie (zumindest) teilweise auch wieder bessern.
- Axonale Polyneuropathie: Dabei ist das Axon selbst betroffen. Meist geht eine axonale Degeneration der Nerven mit schwerwiegenderen Beschwerden einher und weist eine deutlich schlechtere Prognose auf.
In bestimmten Fällen treten auch beide Formen kombiniert auf, sodass Myelinschicht und Axone gleichermaßen geschädigt sind.
Formen der Polyneuropathie
Je nach Ausprägung und Körperstelle, an dem die Nervenschäden auftreten, unterscheiden Ärzte:
- Symmetrische Polyneuropathien: Die Nervenschädigungen betreffen beide Körperhälften.
- Asymmetrische Polyneuropathien: Die Nervenschädigungen betreffen nur eine Körperseite.
- Distale Polyneuropathien: Die Schäden an den Nervenbahnen betreffen hauptsächlich Körperregionen, die vom Rumpf bzw. der Körpermitte entfernt liegen (bspw. Hände, Beine, Füße).
- Proximale Polyneuropathie: Eine seltene Form der Neuropathie, bei der sich die Erkrankung auf die rumpfnahen Körperteile beschränkt.
ICD-Codes
ICD-Codes sind international gültige Verschlüsselungen für medizinische Diagnosen. Sie finden sich z.B. in Arztbriefen oder auf Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. G63 G61 G62
Ursachen und Risikofaktoren
Oftmals entwickeln sich Polyneuropathien als Folge einer zugrundeliegenden Vorerkrankung. Insgesamt sind mehr als 200 Auslöser für Erkrankungen aus dem neuropathischen Formenkreis bekannt. Die erworbene Polyneuropathie ist mit Abstand die häufigere Form der Erkrankung - sie entwickelt sich als Folge einer anderen Erkrankung oder durch einen externen Auslöser. Angeborene Polyneuropathien sind dagegen relativ selten.
Zu den häufigsten Ursachen und Risikofaktoren zählen:
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- Diabetes mellitus: Mehr als 50 Prozent der Diabetiker entwickeln innerhalb von 10 Jahren nach Erstmanifestation eine PNP. Diabetiker sind besonders gefährdet, an einer erworbenen Polyneuropathie zu erkranken, da es zu Schädigungen der kleinsten Gefäße kommt, die die peripheren Nerven versorgen. Diese sogenannte diabetische Polyneuropathie beginnt oft in den Zehen und Füßen und ist durch und ein herabgesetztes Schmerz- und Temperaturgefühl gekennzeichnet.
- Alkoholismus: Durch die neurotoxischen (nervenschädigenden) Wirkungen chronischen Alkoholkonsums kommt es zu funktionellen Beeinträchtigungen der peripheren Nerven.
- Toxische Einflüsse: Gifte wie Blei, Arsen oder Thallium sowie bestimmte Medikamente (z.B. Chemotherapeutika, Amiodaron) können Polyneuropathien verursachen.
- Vitaminmangel: Ein Mangel an Vitamin B12, Vitamin B1 oder Folsäure kann zu Nervenschäden führen.
- Infektionen: Borreliose, HIV, Hepatitis oder andere Infektionskrankheiten können eine Polyneuropathie auslösen.
- Autoimmunerkrankungen: In einigen Fällen greift das Immunsystem die Nerven des peripheren Nervensystems an (z. B. bei chronisch-entzündlicher demyelinisierender Polyneuropathie (CIDP)).
- Nierenerkrankungen: Eine schwere Nierenerkrankung kann ebenfalls als Verursacher einer Polyneuropathie in Frage kommen.
- Critical-illness-Polyneuropathie: Eine weitere wichtige Sonderform der Polyneuropathie ist eine Schädigung durch das eigene Immunsystem (autoimmune Ursache) z. B. bei langwierigen intensivmedizinischen Behandlungen.
- Hereditäre Polyneuropathien (HMSN): Angeborene Polyneuropathien sind relativ selten. Ihnen liegen vererbbare Krankheiten wie Enzymdefekte, veränderte Proteine oder eine eingeschränkte Nervenleitgeschwindigkeit zugrunde.
Symptome
Die Symptome einer Polyneuropathie können vielfältig sein und hängen davon ab, welche Nervenarten (sensorische, motorische oder autonome Nerven) betroffen sind. Die Beschwerden der Polyneuropathie beginnen meistens in den Beinen und Armen.
Häufige Symptome sind:
- Sensibilitätsstörungen: Kribbeln, Taubheitsgefühle, Brennen, Stechen oder ein Gefühl, auf Watte zu laufen. Oft werden diese Symptome von Schmerzen oder Krämpfen begleitet. Man kann eine Polyneuropathie vermuten, wenn sich das Gefühl in den Füßen beim Sockenanziehen verringert.
- Schmerzen: Brennende, stechende oder bohrende Schmerzen, die sich oft nachts verstärken. Etwa 50 % aller Polyneuropathien gehen mit Schmerzen einher.
- Muskelschwäche: Schwierigkeiten beim Gehen, Stolpern, Schwäche in den Beinen oder Armen.
- Muskelkrämpfe: Häufig nachts in Ruhe.
- Gangunsicherheit: Unsicherer Gang, Schwindelgefühl beim Laufen, Zunahme der Gangunsicherheit im Dunkeln.
- Autonome Störungen: Kreislaufprobleme, Verdauungsbeschwerden, Blasenentleerungsstörungen, Erektionsstörungen, übermäßiges Schwitzen oder trockene Haut.
- Eingeschränkte Sensibilität: Verringertes Gefühl in den Füßen beim Sockenanziehen, Gefühl auf Watte zu laufen.
- Schwindelgefühl: Schwindelgefühl beim Laufen, unsicheres Gangbild.
- Verstärktes Auftreten in Ruhe oder nachts
- Zunahme der Gangunsicherheit im Dunkeln
- Muskelatrophie: Atropien der Muskulatur (M. extensor digitorum brevis häufig betroffen)
- Gelegentlich Schwerpunktsneuropathien mit besonderer Affektion einzelner Nerven.
Diagnose
Wenn Sie mögliche Polyneuropathie-Symptome an sich bemerken, sollten Sie umgehend einen Arzt aufsuchen. Werden die Nervenschäden frühzeitig erkannt und ihre Ursache behandelt, wirkt sich das positiv auf den Polyneuropathie-Verlauf aus. Die Diagnostik der Krankheit erfordert einige Erfahrung.
Die Diagnose einer Polyneuropathie umfasst in der Regel die folgenden Schritte:
- Anamnese (Arzt-Patient-Gespräch): Der Arzt wird sich zuerst ausführlich mit Ihnen unterhalten, um Ihre Krankengeschichte zu erheben. Er lässt sich die Beschwerden genau schildern und fragt, wie lange sie schon bestehen. Außerdem erkundigt er sich nach eventuellen Vor- oder Grunderkrankungen (wie Diabetes, Nierenerkrankungen, Unterfunktion der Schilddrüse etc.). Wichtig ist, dass Sie Ihrer behandelnden Ärztin oder Ihrem behandelnden Arzt in einem solchen Gespräch alle Medikamente, die sie einnehmen, nennen. Auch ob Sie möglicherweise mit Giftstoffen in Berührung gekommen sind - beispielsweise am Arbeitsplatz. Zur Abklärung einer Polyneuropathie sind zudem Angaben zu Drogen- und Alkoholkonsum wichtig. Auf entsprechende Fragen sollten Sie Ihren Ärzten daher offen und ehrlich antworten. Nur so können sie die richtige Ursache für die Nervenstörungen herausfinden.
- Seit wann bestehen die Nervenschmerzen
- Seit wann bestehen die Empfindungsstörungen?
- Treten die Beschwerden gleichzeitig auf?
- Leiden Sie an Vorerkrankungen?
- Welche Medikamente haben Sie zuletzt zu sich genommen?
- Sind Sie mit giftigen Substanzen in Kontakt gekommen?
- Traten bei anderen Familienmitgliedern ähnliche Beschwerden auf?
- Haben sich das Kribbeln, die Missempfindungen oder Schmerzen in letzter Zeit verschlechtert?
- Körperliche Untersuchung: Im Anschluss an das Gespräch wird Sie der Arzt körperlich untersuchen. Dabei testet er zum Beispiel Ihre Reflexe (wie den Achillessehnenreflex, der als erster schwächer wird). Er prüft auch, ob Ihre Pupillen richtig auf einfallendes Licht reagieren. Auch auf mögliche Fehlbildungen des Skeletts (Deformitäten) achtet der Arzt. Beispielsweise können Krallenzehen und Hohlfuß ein Hinweis sein, dass die Polyneuropathie erblich bedingt ist.
- Neurologische Untersuchung: Differenzierte Sensibilitätsprüfung inklusive Lageempfinden, Prüfung der Muskelfunktion (insbesondere Paresen der Fuß- und Zehenextension und -flexion, auch Prüfung proximaler Muskelgruppen!), Inspektion auf Muskelatrophien, Muskelumfangsmessung, Beurteilung von Fußdeformitäten, Prüfung der Muskeleigenreflexe.
- Elektrophysiologische Untersuchungen:
- Elektroneurografie (ENG): Bei der Elektroneurografie (ENG) wird die Nervenleitgeschwindigkeit gemessen. Der Arzt setzt dafür einen kleinen elektronischen Impuls an mindestens zwei verschiedenen Stellen eines Nervs. Dann misst er die Zeit bis zur Reaktion (Kontraktion) des dazugehörigen Muskels. Bei der Polyneuropathie ist diese Nervenleitgeschwindigkeit meist herabgesetzt. Nervenleitungsgeschwindigkeitsmessung - NLG Nervus peronaeus und Nervus tibialis mit F--Wellen Nervus suralis.
- Elektromyografie (EMG): Bei der Elektromyografie (EMG) wird die elektrische Muskelaktivität geprüft. Bei motorischen Störungen wie Muskelschwäche oder Muskellähmung lässt sich so herausfinden, ob das Problem beim Muskel selbst oder aber bei den ihn versorgenden Nerven liegt. Ergibt die EMG, dass die Nervenfunktion gestört ist, spricht das für eine Polyneuropathie.
- Quantitative sensorische Testung (QST): Bei der quantitativen sensorischen Untersuchung prüft der Arzt, wie ein Nerv auf bestimmte Reize wie Druck oder Temperatur reagiert. So lässt sich feststellen, ob die Empfindlichkeit des Nervs beeinträchtigt ist - wie bei einer Polyneuropathie. Auf diese Weise lässt sich eine Nervenschädigung also gut nachweisen. Die Untersuchung ist allerdings sehr zeitaufwändig. Zudem muss sich der Patient dabei gut konzentrieren und mitarbeiten. Deshalb wird die Methode nicht routinemäßig zur Abklärung einer Polyneuropathie angewendet. Insbesondere bei Verdacht auf Small-fibre Polyneuropathie.
- Weitere Untersuchungen:
- Eine Elektrokardiografie (EKG) kann Auskunft darüber geben, ob die autonomen Nervenfasern des Herzens geschädigt sind.
- Mittels Ultraschall-Untersuchung der Harnblase kann der Arzt feststellen, ob sich nach dem Wasserlassen noch Restharn in der Blase befindet. Wenn ja, ist wahrscheinlich die Blasenentleerung gestört. Das passiert bei einer autonomen Polyneuropathie sehr oft.
- Bei einer Nervenbiopsie wird über einen kleinen Hautschnitt eine winzige Probe des Nervengewebes entnommen. Die Gewebeprobe wird anschließend unter dem Mikroskop begutachtet. Diese Untersuchung wird aber nur in ganz bestimmten Fällen durchgeführt. Sie kann zum Beispiel bei Diabetikern notwendig sein, bei denen nur Nerven auf einer Körperseite geschädigt sind (asymmetrische diabetische Polyneuropathie). Auch wenn der Arzt Lepra als Ursache der Nervenschädigung vermutet, kann er eine Nervenbiopsie durchführen.
- Ebenfalls nur in ausgewählten Fällen wird eine Hautbiopsie durchgeführt. Dabei wird ein winziges Stück Haut ausgestanzt (etwa am Unterschenkel) und genau untersucht.
- Laboruntersuchungen: Blutuntersuchungen dienen vor allem dazu, häufige und behandelbare Ursachen der Nervenschädigung zu erkennen. Polyneuropathie ist nicht direkt im Blut nachweisbar.
- Erhöhte Entzündungswerte (wie CRP, weiße Blutkörperchen etc.) können auf eine entzündliche Ursache der Nervenschäden hindeuten.
- Ein oraler Glukosetoleranztest (oGTT) zeigt an, wie gut der Körper Zucker verarbeiten kann. Auch der Nüchternblutzucker ist hierbei sehr aussagekräftig. Bei bekannter Zuckerkrankheit ist vor allem der HbA1c-Wert ("Langzeitblutzucker") wichtig: Er zeigt an, wie gut der Diabetes in den letzten Monaten eingestellt war.
- Der Vitamin-B12-Status wird gemessen, um zu prüfen, ob eventuell ein Mangel besteht.
- Liegen die Leber- oder Nierenwerte außerhalb der Norm, wird die Polyneuropathie möglicherweise durch eine Leber- oder Nierenerkrankung verursacht. Dabei können Leberschäden auch durch Alkoholmissbrauch verursacht sein.
- Besteht der Verdacht, dass eine bestimmte Infektionskrankheit die Polyneuropathie verursacht, sind spezielle Blutuntersuchungen sinnvoll. Beispielsweise lässt sich eine vermutete Borreliose abklären, indem man im Blut des Patienten nach Antikörpern gegen die auslösenden Bakterien (Borrelien) fahndet.
- Eine genetische Untersuchung ist angezeigt, wenn es in einer Familie mehrere Fälle von Polyneuropathie gibt. Dann liegt der Verdacht nahe, dass es sich um eine erblich bedingte Nervenschädigung handelt. Das Gleiche gilt, wenn der Patient bestimmte Fehlstellungen des Fußes (Krallenzehen, Hohlfuß) oder andere Fehlbildungen des Skeletts (wie Skoliose) aufweist. Sie sind typisch für eine erblich bedingte Polyneuropathie. Der Arzt kann dann das Erbgut des Patienten auf entsprechende Veränderungen (Mutationen) untersuchen lassen.
Therapie
Die Therapie der Polyneuropathie richtet sich nach der festgestellten Ursache und nach dem Beschwerdebild. Bei einer erworbenen Form richtet sich die Behandlung nach Ursache und Ausmaß der Beschwerden. Die Polyneuropathie selbst wird nach aktuellen Standards nicht therapiert, sondern die vorherrschende Grunderkrankung.
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Kausale Therapie
Zur Polyneuropathie-Therapie gehört, deren Ursache zu beseitigen oder zu behandeln - sofern möglich. Das nennt man eine kausale oder ursächliche Therapie. Einige Beispiele für die ursächliche (kausale) Behandlung von Polyneuropathie (PNP) sind:
- Diabetische Polyneuropathie: Bei einer Nervenschädigung infolge eines Diabetes mellitus ist vor allem eine gute Blutzuckereinstellung entscheidend für die Therapie. Diese verhindert ein rasches Fortschreiten der Erkrankung. Regelmäßige Bewegung und eine ausgewogene Ernährung tragen ebenfalls zu guten Blutzuckerwerten bei. In speziellen Diabetes-Schulungen können Betroffene lernen, ihre Werte langfristig zu stabilisieren.Darüber hinaus kann Alpha-Liponsäure Schmerzen und Sensibilitätsstörungen bei Menschen mit Diabetes lindern.
- Alkoholische Polyneuropathie: Ist die Polyneuropathie durch hohen Alkoholkonsum entstanden, ist ein völliger Verzicht auf Alkohol beziehungsweise ein Entzug die dringlichste Maßnahme. Eine bessere Ernährung und B-Vitamine können die Regeneration der geschädigten Nerven bei Alkoholkranken fördern und Schmerzen verringern.
- Toxische Polyneuropathie: Sind Giftstoffe oder Medikamente der Auslöser der Polyneuropathie, müssen sie möglichst gemieden werden. Gefahrenstoffe im beruflichen und privaten Umfeld, die für die Nervenkrankheit verantwortlich sein könnten, sollten Betroffene meiden. Kommt es zu einer Polyneuropathie durch die Einnahme von Arzneimitteln, sollten Betroffene mit demder ArztÄrztin besprechen, ob das Medikament abgesetzt oder auf ein anderes Präparat gewechselt werden kann. Nach Absetzen des Medikaments können sich die Beschwerden nach einiger Zeit zurückbilden. Im Fall einer Blei- oder Arsenvergiftung können Bindemittel wie Penicillamin helfen.
- Vitamin-B12-Mangel: Wurde ein Vitamin-B12-Mangel festgestellt, sollte man sich ausgewogener ernähren und den Mangel durch ein Vitaminpräparat ausgleichen. Bei einem nachweislichen Nährstoffmangel (wie z. B. Vitamin B12, Vitamin B1 oder Folsäure) sollte der Mangel ausgeglichen werden. Das kann über Nahrungsergänzungsmittel oder Injektionen erfolgen.
- Infektiöse Polyneuropathie: Eine bakterielle Infektionskrankheit wie zum Beispiel Borreliose oder Diphtherie lässt sich mit Antibiotika behandeln.
- Immunvermittelte Neuropathie: Bei Patienten mit einer bestimmten Untergruppe von Polyneuropathien (chronisch inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie) wurden Antikörper entdeckt, die die Erregungsleitung entlang myelinisierter Fasern blockieren. Bei diesen Patienten und jenen mit einer immunvermittelten Neuropathie sprechen Standardtherapien schlecht an. Dafür hat aber eine Behandlung mit Rituximab - einem künstlich hergestellten Antikörper, der in der Krebsimmuntherapie und bei Autoimmunerkrankungen eingesetzt wird - gute Erfolgsaussichten.
Symptomatische Therapie
Zudem lassen sich die Beschwerden gezielt behandeln (symptomatische Therapie).
- Schmerztherapie: Bei vielen Polyneuropathie-Patienten verursachen die Nervenschäden brennende Schmerzen. Diese lassen sich mit einer symptomatischen Therapie lindern. Gegen die Schmerzsymptomatik werden Pregabalin oder Gabapentin sowie alternativ Duloxetin oder Amitriptylin eingesetzt. Diese Medikamente modifizieren die Schmerzwahrnehmung auf unterschiedlichen Wegen und haben sich als effektiver gegenüber klassischen Schmerztabletten erwiesen. Oft empfiehlt der Arzt Schmerzmittel wie ASS (Acetylsalicylsäure) oder Paracetamol. Dabei wird er für jeden Patienten eine individuell passende Dosierung für die Schmerztherapie auswählen. Bei sehr schweren Nervenschmerzen kann er unter Umständen auch sogenannte Opioide verschreiben - dies jedoch nur im Ausnahmefall. Das sind sehr stark wirksame Schmerzmittel, die aber zwei Nachteile haben: Zum einen kann ihre Wirkung mit der Zeit nachlassen - um die Schmerzen zu lindern, sind dann immer höhere Dosierungen nötig. Zum anderen können Opioide abhängig machen. Ihre Anwendung muss deshalb sorgfältig vom Arzt überwacht werden. Bei sehr hartnäckigen Polyneuropathie-Schmerzen kann es sinnvoll sein, dass sich der Patient von einem Schmerztherapeuten behandeln lässt. Dieser ist spezialisiert auf die Therapie von chronischen Schmerzen. Schmerzen im Rahmen einer Polyneuropathie lassen sich durch bestimmte Medikamente lindern, die jedoch täglich eingenommen werden müssen. Als wirksam haben sich vor allem Wirkstoffe aus der Gruppe der trizyklischen Antidepressiva erwiesen (z. B. Amitriptylin, Duloxetin). Aber auch Wirkstoffe, die normalerweise zur Behandlung von Krampfanfällen genutzt werden (Antiepileptika), können helfen (etwa Pregabalin, Gabapentin, ggf. Carbamazepin). Die schmerzlindernde Wirkung dieser Medikamente tritt allerdings nicht sofort ein, sondern meist erst nach etwa 2 bis 4 Wochen regelmäßiger Einnahme. Gängige Schmerzmittel wie Ibuprofen oder Paracetamol helfen dagegen oft kaum gegen die Nervenschmerzen und sind zudem nicht für eine dauerhafte Einnahme zu empfehlen. Opiodhaltige Schmerzmittel (wie Tramadol) kommen nur in Ausnahmefällen zum Einsatz.
- Krampflösende Medikamente: Bei Nervenschmerzen können auch krampflösende Mittel helfen, beispielsweise Gabapentin oder Pregabalin. Sie sorgen dafür, dass die Nervenzellen weniger erregbar sind. Die Nervenschmerzen lassen dadurch nach. Die Therapie mit Krampflösern wird "eingeschlichen", das heißt: Man startet mit einer niedrigen Dosis, die dann langsam bis zur gewünschten Wirkung gesteigert wird. Das beugt Nebenwirkungen vor. Zudem wird der Arzt während der Behandlung regelmäßig das Blut des Patienten untersuchen. Antiepileptika können nämlich bestimmte Blutwerte verändern.
- Antidepressiva: Im Rahmen der Schmerztherapie kommen oft auch stimmungsaufhellende Mittel (Antidepressiva) wie Amitriptylin zum Einsatz. Sie hemmen die Weiterleitung von Schmerzsignalen im Rückenmark. Die Schmerzen werden dem Patienten dadurch zwar nicht genommen, aber sie werden erträglicher. Wie bei den krampflösenden Mitteln wird auch bei Antidepressiva ein "Einschleichen" der Therapie empfohlen (anfangs niedrige Dosis, dann schrittweise Dosiserhöhung). Das senkt das Risiko für Nebenwirkungen wie Blutdruckabfall, Herzrhythmusstörungen oder Probleme beim Wasserlassen.
- Physikalische Therapie: Unterstützend hilft ein gesundes Maß an Bewegung: Radfahren oder auch Schwimmen ist gut geeignet bei Polyneuropathie, da es die persönliche Fitness verbessert. Manche Polyneuropathie-Patienten mit Nervenschmerzen profitieren von der sogenannten TENS (Transkutane elektrische Nervenstimulation), auch Reizstromtherapie genannt. Dabei wird auf die schmerzhafte Hautregion eine Elektrode gesetzt. Sie ist mit einem kleinen tragbaren Gerät verbunden. Bei Bedarf kann der Patient auf Knopfdruck sanfte elektrische Impulse über die Elektrode in das Hautareal abgeben. Das kann die Schmerzen dämpfen. Wie das möglich ist, ist nicht geklärt. Es gibt aber verschiedene Hypothesen. Zum Beispiel vermuten manche Experten, dass die elektrischen Impulse körpereigene schmerzlindernde Botenstoffe (Endorphine) freisetzen könnten. Vor allem bei sensiblen und motorischen Störungen einer Polyneuropathie können generell physikalische Therapien helfen. Dazu gehören zum Beispiel Physiotherapie, Wechselbäder, Elektrobehandlung gelähmter Muskeln sowie warme und kalte Wickel. Diese Verfahren können unter anderem die Durchblutung steigern und geschwächte Muskeln stärken. Außerdem trägt die physikalische Therapie dazu bei, dass Polyneuropathie-Patienten trotz Schmerzen und anderen einschränkenden Beschwerden mobil bleiben. Um die Symptome einer Polyneuropathie zu lindern, ist regelmäßige Bewegung sehr wichtig. Damit die Auswirkungen der Polyneuropathie möglichst gering bleiben, ist es in vielen Fällen hilfreich durch Ergotherapie und Physiotherapie den Körper zu mobilisieren.
- Weitere Maßnahmen: Je nach Art und Ausmaß der Beschwerden kommen noch weitere Therapiemaßnahmen in Frage.
- Bei häufigen Wadenkrämpfen können Polyneuropathie-Patienten versuchsweise ein Magnesium-Präparat einnehmen.
- Haben Polyneuropathie-Patienten große Probleme beim Gehen, sind orthopädische Hilfsmittel sinnvoll. Wenn zum Beispiel der sogenannte Peroneus-Nerv im Bein geschädigt ist, können Betroffene den Fuß kaum oder gar nicht mehr anheben. Dann hilft eine spezielle Schiene oder ein spezieller Schuh/Stiefel.
- Werden Patienten aufgrund der Polyneuropathie von Völlegefühlen, Übelkeit und/oder Erbrechen geplagt, ist eine Umstellung der Essgewohnheiten ratsam: Besser als wenige große Mahlzeiten sind dann mehrere kleine Speisen, die über den Tag verteilt verzehrt werden. Zusätzlich lassen sich Übelkeit und Erbrechen mit rezeptpflichtigen Medikamenten (Metoclopramid oder Domperidon) lindern. Bei Verstopfung sollten Patienten viel trinken, sich ballaststoffreich ernähren und regelmäßig bewegen. Gegen akuten Durchfall bei Polyneuropathie kann der Arzt ein Medikament (wie Loperamid) verschreiben.
- Autonome Störungen bei Polyneuropathien sind zum Beispiel Kreislaufprobleme beim Aufstehen aus dem Liegen oder Sitzen (orthostatische Hypotonie): Den Betroffenen wird durch einen plötzlichen Blutdruckabfall schwindelig oder sie fallen sogar in Ohnmacht. Zur Vorbeugung sollten Patienten immer nur langsam aufstehen. Zudem können Stützstrümpfe helfen: Sie verhindern, dass das Blut beim Aufstehen in die Beine absackt und so die Kreislaufprobleme auslöst. Ein regelmäßiges Muskeltraining ist ebenfalls sinnvoll. Bei Bedarf kann der Arzt zudem Medikamente gegen zu niedrigen Blutdruck verschreiben.
- Wenn Polyneuropathien eine Blasenschwäche verursachen, sollten Patienten regelmäßig zur Toilette gehen (zum Beispiel alle drei Stunden) - auch wenn gerade kein Harndrang besteht. Dann kann sich nicht zu viel Restharn in der Blase sammeln. Das begünstigt nämlich eine Blaseninfektion.
- Eine Impotenz (Erektile Dysfunktion) kann sowohl durch die Polyneuropathie selbst als auch durch Medikamente wie Antidepressiva entstehen. Im zweiten Fall sollten Patienten mit dem Arzt besprechen, ob die Medikamente eventuell abgesetzt oder durch andere ersetzt werden können. Wenn das nicht möglich ist oder die Impotenz auch danach noch besteht, können betroffene Männer sich mit einer Vakuumpumpe behelfen. Eventuell kann der Arzt auch ein Potenzmittel (Sildenafil etc.) verschreiben.
Verlauf und Prognose
Der Verlauf einer Polyneuropathie hängt stark von der zugrunde liegenden Ursache ab. Die Prognose einer Polyneuropathie ist stark abhängig von der Ursache und der Möglichkeit der Behandlung. Die Frage, ob eine Heilung der Polyneuropathie möglich ist, lässt sich leider nicht eindeutig beantworten. Sie hängt unter anderem vom Zeitpunkt der Diagnose, der zugrundeliegenden Erkrankung und dem Ausmaß der bereits bestehenden Nervenschädigung ab.
Polyneuropathien beeinflussen für gewöhnlich die Lebenserwartung nicht direkt, jedoch kann die Lebensqualität durch Symptome wie Schmerzen, verminderte Mobilität und die damit verbundene erhöhte Sturzgefahr eingeschränkt sein.
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