Gehirn frisst sich selbst: Ursachen und Auswirkungen auf das Gehirn

Schlafentzug, Diäten und neurodegenerative Erkrankungen können dazu führen, dass sich das Gehirn selbst frisst. Dieser Prozess, bekannt als Autophagie, kann sowohl positive als auch negative Auswirkungen auf das Gehirn haben. Einerseits hilft die Autophagie, beschädigte Zellen und Proteine zu entfernen, andererseits kann sie bei übermäßiger Aktivität zu neuronalen Schäden führen.

Schlafentzug und seine Auswirkungen auf das Gehirn

Schlaf ist für die Erhaltung der körperlichen und geistigen Gesundheit unerlässlich. Schlaf und Gehirn beeinflussen sich gegenseitig. Altersbedingte Veränderungen verschiedener Schlafmerkmale deuten darauf hin, dass eine verminderte Schlafqualität ein häufiges Merkmal des Alterns ist. Umgekehrt kann eine Schlafstörung den Alterungsprozess des Gehirns beschleunigen.

Eine Studie des Forschungszentrums Jülich hat gezeigt, dass bereits eine einzige Nacht ohne Schlaf ausreicht, um das menschliche Gehirn älter erscheinen zu lassen. Bei den 134 jungen, gesunden Teilnehmern zeigten Aufnahmen des Gehirns Veränderungen, die typischerweise erst bei ein bis zwei Jahre älteren Menschen auftreten. Die gute Nachricht ist, dass ein anschließender Erholungsschlaf die Veränderungen rückgängig macht. Die Studie zeigt auch, dass es nach nur teilweisem Schlafentzug keine signifikante Veränderung des Hirnalters gibt.

Mithilfe von Algorithmen des maschinellen Lernens, deren Trainingsgrundlage strukturelle Aufnahmen mit dem Magnetresonanztomographen (MRT) sind, lässt sich das „biologische“ Alter des Gehirns einer Person zuverlässig schätzen. Dieses kann sich jedoch vom „kalendarischen“ Alter der Person unterscheiden, z. B. wenn Demenz-Erkrankungen das Gehirn vorzeitig altern lassen.

Die Wissenschaftler beobachteten, dass vollständiger Schlafentzug das biologische Hirnalter um ein bis zwei Jahre erhöhte. „Interessanterweise unterschied sich das Hirnalter aber nach einer Nacht mit Erholungsschlaf nicht mehr vom Ausgangswert. Quasi ,verjüngte‘ sich das Gehirn wieder“, erläutert David Elmenhorst. Im Gegensatz dazu wurde das Hirnalter weder durch akuten noch durch chronischen teilweisen Schlafentzug signifikant verändert.

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Insgesamt deuten die übereinstimmenden Ergebnisse darauf hin, dass nur totaler Schlafverlust die Hirnmorphologie bei jungen Teilnehmern in einer altersähnlichen Richtung verändert. Diese Veränderungen werden aber durch Erholungsschlaf rückgängig gemacht. Wer zu wenig schläft, riskiert weit mehr als Müdigkeit, denn nur im Ruhezustand kann das Gehirn beschädigte DNA wiederherstellen. Eine Studie der Bar-Ilan University aus Israel verdeutlichte, dass der Schlaf den Körper dabei unterstützt, beschädigte DNA zu reparieren. Schlafen kann der Neurodegeneration entgegenwirken, also dem Abbau von Nervenzellen im Gehirn, die sich in Krankheiten wie Alzheimer und Parkinson äußert.

Diäten und der Kannibalismus der Gehirnzellen

Diäten sind oft schwer einzuhalten, und US-Forscher präsentieren nun eine ungewöhnliche Erklärung dafür, warum das eigentlich so ist: Wenn Menschen aufs Essen verzichten, beginnen demnach bestimmte Gehirnzellen damit, Teile ihrer selbst zu verdauen. Das löst nach Angaben der Wissenschaftler ein Hungersignal aus, und dieses wiederum drängt uns zum Essen.

Für ihre Studie hatten die Wissenschaftler Zellkulturen studiert und die Vorgänge in Gehirnen von Mäusen untersucht, nachdem diese zwölf Stunden gehungert hatten. Einige Zellen des Hypothalamus - des Kontrollzentrums für unwillkürliche Körperprozesse - reagierten auf die Hungerkur mit einer Selbstverdauung. Dieser als Autophagozytose bezeichnete Prozess findet zu einem gewissen Grad ständig im Körper statt: Zellen bauen auf diese Weise alte Bestandteile ab. Zusätzlich kann der Körper den Mechanismus in Hungersituationen anwerfen. Dann verwertet die Zelle eigene Strukturen, um Energie zu gewinnen. Dies ist unter anderem von Muskelzellen bekannt. Nun wurde der Prozess auch bei bestimmten Nervenzellen im Hypothalamus von Mäusen nachgewiesen.

Dieser Prozess finde vermutlich in ähnlicher Form auch beim Menschen statt, vermuten die Wissenschaftler um Susmita Kaushik vom Albert Einstein College of Medicine in New York City. Nach Ansicht der Forscher eröffnet dies möglicherweise einen Ansatz hartnäckiges Übergewicht zu bekämpfen. In ihren Versuchen hatten Mäuse, bei denen die Autophagozytose blockiert wurde, weniger Hunger und nahmen deutlich ab.

Der Auslöser für die Selbstverdauung der Gehirnzellen sind der Studie zufolge freie Fettsäuren. Diese gelangen in den Blutkreislauf, wenn der Körper die Fettreserven angreift. Doch auch nach dem Essen fettreicher Nahrung reichern sie sich im Blut an. In einem Zellkultur-Experiment belegten die Forscher, dass Nervenzellen des Hypothalamus solche freien Fettsäuren in ihr Inneres aufnehmen. Dort angekommen, lösen die Fettsäuren den Abbau einiger Zellbestandteile aus - eben die Autophagozytose. Dadurch wiederum produzieren die Nervenzellen größere Mengen eines Botenstoffs, der das Hungergefühl fördert. Wenn ein Mensch ständig sehr fettes Essen zu sich nimmt, könnte dieser Mechanismus einen wahren Teufelskreis von Überessen und verändertem Energiehaushalt in Gang setzen, schreiben die Wissenschaftler.

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In einem weiteren Versuch blockierten die Forscher die Selbstverdauung der Hypothalamuszellen. Dies unterband auch die vermehrte Produktion des Hungerbotenstoffs. Dafür stieg die Konzentration eines anderen Hormons.

Neurodegenerative Erkrankungen und die Rolle der Autophagie

Bei neurodegenerativen Erkrankungen ist die Autophagie, ein Recyclingprozess in Zellen, gestört. Wenn es an der Energieversorgung hapert oder diese schwankt, können Nervenzellen zu einem Trick greifen: zur Autophagie. Bei diesem Vorgang frisst sich die Zelle quasi selbst, zumindest partiell. Sie löst Teile von sich selbst in Einzelbausteine auf, um so Material für neue Synthesen zur Verfügung zu haben. Auf diese Weise entsorgt die Zelle unter anderem fehlerhafte Proteine und reagiert auf eine schwankende Energieversorgung, um sich daran anzupassen.

In der Zelle werden dabei kleine Vesikel wie Müllbeutel mit den fehlerhaften Proteinen und Zellbestandteile gepackt. Die Müllbeutel fusionieren mit anderen Vesikeln. Diese enthalten wiederum Enzyme, die die Zellsubstanzen zerstören. Der Müll wird quasi abgeholt und recycelt. Letztlich handelt es also sich um nichts anderes als ein effektives Recyclingsystem. Der Recyclingprozess reguliert dabei auch die ATP-Freisetzung. „Eine gestörte Autophagie führt zu einer verminderten ATP-Versorgung der Zelle“, sagt Köster.

Die Zelle nutzt die Autophagie, um fehlerhafte Mitochondrien zu entsorgen. „Klappt nun diese Entsorgung der fehlerhaften Mitochondrien nicht mehr richtig, verbrauchen diese geschädigten Mitochondrien weiterhin Glukose“, so Köster. Und das ohne dabei ATP zu produzieren. Gleichzeitig setzen sie aber Moleküle frei, die für einen erhöhten Stress in der Zelle sorgen. So kommen allmählich Energieverlust und zellulärer Stress zusammen. „Das könnte auch einer der Gründe sein, die zum Zelltod bei neurodegenerativen Erkrankungen führen."

Weitere Faktoren, die das Gehirn beeinflussen können

Neben Schlafentzug, Diäten und neurodegenerativen Erkrankungen gibt es noch weitere Faktoren, die das Gehirn beeinflussen können. Dazu gehören:

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  • Stress: Ein Übermaß an Stress kann für Nebel im Gehirn sorgen.
  • Hormonelle Veränderungen: Veränderungen infolge von Schwangerschaft oder Wechseljahren können den Zustand begünstigen.
  • Krankheiten: „Brain Fog“ kann ein Symptom diverser Krankheiten sein, z. B. Diabetes, ADHS, Long Covid und das Posturale Tachykardiesyndrom. Auch psychische Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen können mit „Brain Fog“ einhergehen.
  • Medikamente: „Brain Fog“ kann als Nebenwirkung von Chemotherapien gegen Krebs und anderen medikamentösen Therapien auftreten.

Was kann man gegen „Brain Fog“ tun?

Die gezielte Behandlung von „Brain Fog“ als Folge von Krankheiten oder medizinischen Therapien ist in vielen Fällen problematisch, weil die Wissenschaft noch nicht die genauen Mechanismen verstanden hat, die für die Probleme im Gehirn sorgen. Neben Long Covid gilt das auch für „Brain Fog“ in Folge von Chemotherapien, der bei manchen Menschen noch Monate oder Jahre nach der Behandlung anhalten kann.

Punktgenaue Behandlungen gegen „Brain Fog“ existieren in solchen Fällen leider nicht, hilfreich kann es aber schon sein, gesünder zu schlafen, sich mehr zu bewegen oder Stress abzubauen. Auch eine gute Ernährung sorgt dafür, dass das Gehirn optimal mit Nährstoffen versorgt wird. Achten sollte man hier auf Kohlenhydrate aus Vollkorn, mehrfach ungesättigte Fettsäuren (etwa aus Nüssen, Avocados oder Lachs), Eiweiß (vor allem aus mageren Milchprodukten, Eiern, Fisch, Hülsenfrüchten und Nüssen), Gemüse und Obst sowie mindestens anderthalb Liter Wasser oder ungesüßten Tee pro Tag.

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