Das Zusammenspiel von Gehirn, Gefühlen und Emotionen

Emotionen und Gefühle sind ein integraler Bestandteil des menschlichen Erlebens. Sie beeinflussen unser Verhalten, unsere Entscheidungen und unsere soziale Interaktion. Die Neurowissenschaften haben in den letzten Jahrzehnten erhebliche Fortschritte bei der Erforschung der neuronalen Grundlagen von Emotionen und Gefühlen erzielt. Dieser Artikel beleuchtet die komplexen Zusammenhänge zwischen Gehirn, Emotionen und Gefühlen und gibt einen Einblick in die neuesten Erkenntnisse der Forschung.

Emotionen und Gefühle: Eine Definition

In den Neurowissenschaften wird oft zwischen Emotionen und Gefühlen unterschieden. Emotionen werden als körperliche Reaktionen auf äußere Reize definiert, die im limbischen System generiert werden und nicht dem Bewusstsein unterliegen. Gefühle hingegen entstehen, wenn das Gehirn die körperlichen Reaktionen verarbeitet und bewusst wahrnimmt. Nur Emotionen, die in die Hirnrinde gelangen, werden als bewusste Gefühle wahrgenommen.

Eine eindeutige und allgemeingültige Definition von Emotionen gibt es bisher nicht. Die Wissenschaft stützt sich bis heute nur auf Arbeitsdefinitionen - eher vergleichbar mit einer Phänomenbeschreibung, als mit einer Definition im eigentlichen Sinne. Für die einen sind Emotionen reine Reizreaktionsmuster, die durch Umweltgegebenheiten ausgelöst werden. Andere sehen darin eine neurophysiologische Reaktion, die nur im Gehirn stattfindet und die wir nicht beeinflussen können. Wieder andere vertreten die Auffassung, Emotionen stellten eine soziale Konstruktion dar.

Das limbische System: Der Ursprung der Emotionen

Das limbische System ist ein stammesgeschichtlich alter Teil des Gehirns, der für die Entstehung von Emotionen verantwortlich ist. Es besteht aus verschiedenen Strukturen, darunter die Amygdala, der Hippocampus, der Thalamus, der Hypothalamus und der Gyrus cinguli.

Die Amygdala: Das Angstzentrum

Die Amygdala, auch Mandelkern genannt, spielt eine zentrale Rolle bei der Verarbeitung von Emotionen, insbesondere Angst. Sie analysiert blitzschnell Informationen aus den Sinnessystemen und beurteilt, ob ein Reiz schädlich oder nützlich ist. Bei Gefahr aktiviert die Amygdala über Hypothalamus und Hirnstamm die körperliche Defensivreaktion: Das Herz beginnt schneller zu schlagen, der Blutdruck steigt, der Schweiß bricht aus.

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Der Hippocampus: Das Gedächtniszentrum

Der Hippocampus ist für die Speicherung von emotionalen Erlebnissen und Gedächtnisinhalten zuständig. Er vergleicht die gegenwärtige Situation mit früheren Erlebnissen und trägt so zur Bewertung der Situation bei.

Der Thalamus: Das Tor zum Bewusstsein

Der Thalamus fungiert als Umschaltstelle für sensorische Informationen und leitet diese an die Hirnrinde weiter. Er spielt auch eine Rolle bei der Regulation von Aufmerksamkeit und Bewusstsein.

Der Hypothalamus: Das Kontrollzentrum

Der Hypothalamus steuert wichtige Körperfunktionen wie Herzfrequenz, Blutdruck, Atmung und Körpertemperatur. Er ist auch an der Regulation von Hunger, Durst und Sexualtrieb beteiligt.

Der Gyrus cinguli: Das Integrationszentrum

Der Gyrus cinguli ist an der Verarbeitung von Emotionen, Schmerz und sozialem Verhalten beteiligt. Er integriert Informationen aus verschiedenen Hirnarealen und trägt so zur emotionalen Bewertung von Situationen bei.

Die Hirnrinde: Bewusste Wahrnehmung von Gefühlen

Erst wenn die Signale des limbischen Systems in die entwicklungsgeschichtlich jüngere Hirnrinde gelangen, werden Emotionen bewusst wahrgenommen. Eine bedeutende Rolle spielt dabei der präfrontale Cortex (PFC), der Emotionen verarbeitet, indem er sie in das Gesamtbild integriert und daraus Schlüsse für die beste Handlung zieht. Der PFC ist auch die Hirnregion, in der emotionale Reize aus dem limbischen System in bewusste Gefühle umgewandelt werden.

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Wie wichtig der PFC für die Persönlichkeit und das Gefühlsleben eines Menschen ist, zeigt der Fall des Arbeiters Phineas Gage, der bei einem Unfall diesen Teil der Hirnrinde verlor. Im Gegensatz zu früher war er jetzt respektlos, ungeduldig, unzuverlässig und wurde leicht wütend.

Die Rolle von Neurotransmittern und Hormonen

Bei der Entstehung von Emotionen und Gefühlen spielen verschiedene Neurotransmitter und Hormone eine wichtige Rolle. Dazu gehören:

  • Dopamin: Dopamin wird vom Hypothalamus ausgeschüttet und wirkt vor allem im limbischen System. Es spielt eine große Rolle bei Belohnung, Euphorie und Motivation.
  • Serotonin: Serotonin ist an der Regulation von Stimmung, Schlaf, Appetit und Schmerzempfinden beteiligt.
  • Noradrenalin: Noradrenalin ist ein Stresshormon, das die Aufmerksamkeit und Konzentration steigert.
  • Oxytocin: Oxytocin wird im Hypothalamus produziert und in der Hirnanhangsdrüse gespeichert. Es beruhigt, reduziert Ängste und Aggressionen und fördert das Gefühl von Nähe und Vertrauen.
  • Cortisol: Cortisol ist ein weiteres Stresshormon, das bei der Trauer freigesetzt wird.

Die Bedeutung von Emotionen für das menschliche Verhalten

Emotionen bewirken bestimmte Verhaltensmuster. Angst zum Beispiel bereitet den Körper darauf vor, zu fliehen oder zu kämpfen: Herzfrequenz und Blutdruck steigen, die Muskeln werden mit Energie versorgt, die Aufmerksamkeit konzentriert sich auf die Bedrohung. Das kann sehr sinnvoll sein oder auch völlig nutzlos - je nach Situation. Die eigenen Gefühle, Erfahrungen und das Verhalten der anderen müssen miteinander verrechnet werden, um angemessen reagieren zu können. Dabei spielt die Inselrinde, ein Teil der Großhirnrinde, eine bedeutende Rolle.

Emotionen helfen, damit wir uns im Alltag orientieren können. Viele Entscheidungen treffen wir "aus dem Bauch" heraus. Wir erleben das ständig, auch wenn uns das gar nicht bewusst ist. Selbst wenn wir rational abwägen und die Vernunft entscheiden lassen wollen, ist es häufig dieser erste Impuls, der uns zu der einen oder anderen Entscheidung leitet.

Die Individualität der Emotionen

Die individuelle Emotionalität ist ein wichtiger Teil unserer Persönlichkeit. Was ein Mensch fühlt - und wie er oder sie das einer anderen Person gegenüber zeigt bzw. zeigen darf - ist nicht nur Ausdruck eines inneren Zustands, sondern wird auch erlernt und durch die Gesellschaft mitbestimmt. Haben also Gefühle eine Geschichte? Schreiben Gefühle gar Geschichte? Diesen Fragen gehen Ute Frevert und ihr Team am Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung nach. Denn auch politisch und gesellschaftlich haben Gefühle wie Angst, Wut oder Hoffnung einen großen Einfluss. So untersuchen die Forscher*innen zum Beispiel die Bedeutung von Scham, Schande und öffentlicher Demütigung in verschiedenen Kulturen und Zeiten. Diese Gefühle spielen auch heute noch eine große Rolle: Im Internet entstehen fast jeden Tag neue Shaming-Plattformen. Cyber-Mobbing betrifft besonders Kinder und Jugendliche.

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Die Beeinflussbarkeit von Emotionen

Obwohl Emotionen oft als unkontrollierbar wahrgenommen werden, lassen sie sich bis zu einem gewissen Grad beeinflussen. Durch die Aktivierung der Hirnrinde können Emotionen zum einen bewusst wahrgenommen werden, mit der Folge, dass wir besser verstehen, was mit uns geschieht. Zum anderen lässt sich das emotionale Erleben auch durch Gedanken beeinflussen.

Erstaunlicherweise lassen sich Gefühle alleine schon durch die Blickrichtung verändern: Der US-amerikanische Forscher Roger Drake berichtete im Jahr 1987 erstmals, dass Männern, die ihren Blick nach rechts wenden mussten, um ein Foto zu betrachten, das Bild generell besser gefiel als Männern, die dafür nach links zu schauen hatten. Zwei Jahre später entdeckten niederländische Wissenschaftler das Phänomen auch bei Frauen. Als Erklärung gilt die Theorie, dass ein Proband beim Blicken nach rechts die linke Hirnhälfte aktiviert, die mehr in positive Gefühle involviert ist, während die rechte Gehirnhälfte eher negative Gefühle generiert.

Auch Reize, die so kurz sind, dass wir sie gar nicht bewusst wahrnehmen, nehmen Einfluss auf unsere Gefühle und Stimmungen. Forscher von der niederländischen Tilburg University zeigten einer Gruppe von Versuchspersonen furchterregende Bilder - etwa von tollwütigen Hunden -, einer zweiten Gruppe ekelerregende Szenen wie eine verdreckte Toilette. Die Kontrollgruppe bekam nur neutrale Bilder zu sehen, beispielsweise Stühle. Dabei wurden die Bilder jeweils nur so kurz eingeblendet, dass sich ihr Inhalt der bewussten Wahrnehmung der Probanden entzog. Und trotzdem Wirkung hinterließ. So lehnten die Betrachter von ekelerregenden Bildern hinterher einen Essenstest ab; denjenigen, die angsteinflößende Szenen gesehen hatten, wenn auch nicht bewusst, war wiederum nicht nach einem Horrorfilm zumute.

Forschungsmethoden zur Erforschung von Emotionen

Die Neurowissenschaften nutzen verschiedene Methoden, um die neuronalen Grundlagen von Emotionen und Gefühlen zu erforschen. Dazu gehören:

  • Funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT): Die fMRT ist ein bildgebendes Verfahren, das Hirnaktivitäten sichtbar macht. Sie ermöglicht es, zu beobachten, welche Regionen des Gehirns bei welchen emotionalen Prozessen aktiviert sind.
  • Elektroenzephalografie (EEG): Das EEG misst die elektrische Aktivität des Gehirns über Elektroden, die auf der Kopfhaut befestigt werden. Es ermöglicht es, Veränderungen in der Hirnaktivität in Echtzeit zu erfassen.
  • Läsionsstudien: Läsionsstudien untersuchen die Auswirkungen von Hirnschäden auf das emotionale Verhalten. Sie ermöglichen es, Rückschlüsse auf die Funktion bestimmter Hirnregionen bei der Verarbeitung von Emotionen zu ziehen.
  • Tierversuche: Tierversuche, insbesondere mit Mäusen, werden eingesetzt, um die neuronalen Grundlagen von Emotionen genauer zu untersuchen. Dabei können beispielsweise gezielt Gene ausgeschaltet oder Hirnregionen stimuliert werden, um die Auswirkungen auf das emotionale Verhalten zu beobachten.

Klinische Bedeutung der Emotionsforschung

Die Erforschung der neuronalen Grundlagen von Emotionen und Gefühlen hat auch eine wichtige klinische Bedeutung. Sie trägt zum Verständnis von psychischen Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen, Schizophrenie und Demenz bei.

Depressionen

Bei Depressionen sind häufig bestimmte Hirnregionen, die an der Emotionsverarbeitung beteiligt sind, weniger aktiv oder verändert. Dazu gehören der präfrontale Cortex, die Amygdala und der Hippocampus. Auch der Stoffwechsel bestimmter Neurotransmitter, insbesondere Serotonin, Noradrenalin und Dopamin, ist bei Depressionen gestört.

Angststörungen

Bei Angststörungen ist die Amygdala häufig überaktiv, was zu einer erhöhten Angstreaktion führt. Auch der präfrontale Cortex, der die Amygdala normalerweise kontrolliert, kann bei Angststörungen weniger aktiv sein.

Schizophrenie

Bei Schizophrenie sind verschiedene Hirnregionen, die an der Emotionsverarbeitung beteiligt sind, verändert. Dazu gehören der präfrontale Cortex, die Amygdala, der Hippocampus und der Thalamus. Auch der Stoffwechsel bestimmter Neurotransmitter, insbesondere Dopamin, ist bei Schizophrenie gestört.

Demenz

Demenz ist die Krankheit des Vergessens: Zunächst vergessen Patienten Dinge, die im Kurzzeitgedächtnis gespeichert werden, später ist auch das Langzeitgedächtnis betroffen. Demenzkranke können sich schlechter konzentrieren, sie können Bewegungsabläufe nicht mehr koordinieren, sie werden zunehmend orientierungslos.

Die Ergebnisse der Emotionsforschung tragen dazu bei, neue Therapieansätze für diese Erkrankungen zu entwickeln.

Das Human Affectome Project

Das Human Affectome Project ist ein internationales Forschungsprojekt, das sich zum Ziel gesetzt hat, ein umfassendes und integriertes Modell für Emotionen und Gefühle zu entwickeln. Mittels eines computerlinguistischen Ansatzes wurden zuerst Daten aus mehr als 4,5 Millionen Büchern durchsucht, um mehr als 3600 Wörter in der englischen Sprache zu identifizieren, die Empfindungen, Emotionen und Stimmungen beschreiben. Anschließend überprüften zwölf Forscherteams aus neurowissenschaftlicher Sicht einen Großteil dessen, was derzeit über Gefühle, Emotionen und Stimmungen bekannt ist. Sie checkten gleichzeitig die sprachlichen Begriffe, die üblicherweise zur Beschreibung dieser Erfahrungen verwendet werden und entwickelten ein Modell, das diese Erfahrungen in einen einzigen einheitlichen Rahmen einbettet.

Das Projekt trage nicht nur zur Grundlagenforschung bei, so der Leiter der Forschungsgruppe „Kognitive Neuropsychiatrie“ am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften. „Neben der genauen Charakterisierung von Gefühlen, Emotionen und Stimmungen und deren Hirnregionen, haben die Ergebnisse weitreichende Konsequenzen. Sie tragen zum Verständnis dessen bei, was uns als Menschen ausmacht.“ so Schroeter. „Diese Ergebnisse legen auch die Grundlage dafür, dass wir Krankheiten wie Schizophrenie, Angststörungen, Depression oder Demenz besser verstehen und behandeln können.“

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