Gehirn GIF Animation: Eine Erklärung des hörbaren, aber stummen Phänomens

Im Internet kursiert ein animiertes GIF, das bei vielen Menschen den Eindruck erweckt, ein Geräusch zu hören, obwohl es keinen Ton enthält. Dieses Phänomen hat zu zahlreichen Diskussionen und Erklärungsversuchen geführt. In diesem Artikel werden wir dieses faszinierende Phänomen genauer untersuchen und mögliche Erklärungen liefern.

Was ist ein GIF?

Ein GIF (Graphics Interchange Format) ist ein kurzes, animiertes Bild, das in einer Endlosschleife abgespielt wird. Jan Hofer von der Tagesschau bezeichnet GIFs als "Internetkurzvideos mit Wiederholungsschleife, mit denen Emotionen ausgedrückt werden können". GIFs sind grundsätzlich geräuschlos. Sobald ein Video Ton enthält, auch wenn es kurz ist oder sich wiederholt, handelt es sich nicht mehr um ein GIF.

Das "hörbare" GIF: Ein Fall für die Wissenschaft

Das fragliche GIF zeigt drei Strommasten, die Seilspringen spielen. Zwei Masten schwingen ihre Leitungsseile, während der mittlere Mast rhythmisch auf und ab springt. Obwohl das GIF keinen Ton enthält, berichten viele Menschen, beim Betrachten des GIFs ein dumpfes Geräusch, ein Krachen oder ein Knattern zu hören.

Eine Umfrage ergab, dass fast 70 Prozent der Teilnehmer beim Anblick des GIFs ein "dumpfes Geräusch" wahrnahmen, während 20 Prozent "nichts" hörten und 3 Prozent "irgendetwas anderes". Dieses Ergebnis deutet darauf hin, dass es sich nicht um eine Einbildung handelt, sondern um ein reales Phänomen, das bei vielen Menschen auftritt.

Mögliche Erklärungen für das Phänomen

Es gibt verschiedene Erklärungsansätze für das Phänomen des "hörbaren" GIFs:

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1. Der Mittelohrreflex

Eine Theorie besagt, dass das GIF durch eine sichtbare Vibration den so genannten Mittelohrreflex auslösen könnte. Dieser Reflex reagiert normalerweise auf hohe Lärmpegel und laute Geräusche und schützt das Innenohr, indem ein Teil des Schalls auf das Trommelfell abgeleitet wird. Beim Anblick der Erschütterung könnte sich das Ohr bereits zusammenziehen, da das Gehirn sich darauf einstellt, diese visuelle Vibration auch als Schallwelle zu empfangen.

2. Synästhesie

Eine andere Erklärung ist die Synästhesie, eine Verknüpfung unterschiedlicher Sinnesebenen im Gehirn. Synästhesie bedeutet "Vermischung der Sinne". Das Gehirn vermischt einen oder mehrere physisch getrennte Bereiche der Wahrnehmung und überreagiert. Wird ein bestimmtes Sinnesorgan gereizt, kann das Gehirn andere Sinnesorgane miterregen, obwohl sie selbst gar keinen Reiz erfahren haben. Das kann mit Farben und Temperaturen passieren, wenn jemand beispielsweise beim Sehen der Farbe Blau zu frieren beginnt oder bei Gelb ein Gefühl der Wärme empfindet. Oder es kann mit Ton, Musik und Räumlichkeit passieren.

In diesem Fall könnte das Gehirn die visuelle Information des springenden Strommastes mit dem erwarteten Geräusch eines Aufpralls verknüpfen. Diese Erwartungshaltung kann so stark sein, dass manche Menschen diesen Ton auch dann hören, wenn er ausbleibt. Laut Christopher Fassnidge, Psychologie-Doktorand an der City University of London, hat etwa jede*r Fünfte ein sogenanntes vEAR (visually-evoked auditory response).

3. Der McGurk-Effekt

Eine weitere Erklärung für das Phänomen könnte der McGurk-Effekt sein. Dieser Effekt zeigt, dass unsere optische Wahrnehmung unser Gehör beeinflussen kann. Wenn wir ein Video sehen, in dem ein Mund die Silben "ga ga" sagt, aber die Tonspur zu "ba ba" geändert wird, hören die Testpersonen auf einmal "da da", weil die Bewegungen des Mundes dazu besser passen. In ähnlicher Weise könnte die visuelle Information des springenden Strommastes unser Gehirn dazu verleiten, ein Geräusch zu "hören", das eigentlich nicht vorhanden ist.

4. Ergänzung fehlender Elemente

Unser Gehirn ergänzt auch auf rein visueller Ebene nicht vorhandene Elemente in Bildern oder Text, die es an bestimmten Stellen erfahrungsgemäß erwartet. Durch diese Fähigkeit können optische Täuschungen oder Halluzinationen überhaupt erst entstehen. Diese selbstständige Ergänzungsarbeit ist keineswegs ein Zeichen für eine psychische Störung, sondern Kennzeichen eines gut funktionierenden Gehirns. Wie bei Text, in dem die Buchstaben verdreht sind oder komplett fehlen, kommt es hier auf den Kontext an: Unser Gehirn ist bereits durch viele Lesewiederholungen darauf trainiert, das Durcheinander problemlos verarbeiten und ergänzen zu können und als bekannte Worte zu interpretieren. Möglicherweise funktioniert das auch auf visuell-auditiver Ebene, wenn das Gehirn zu der sichtbaren Erschütterung des Bodens das entsprechende Geräusch ergänzt.

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Die Rolle der Erwartungshaltung

Das Phänomen hat eine Menge mit unserer Erwartungshaltung zu tun. Wenn wir einen Basketball auf den Boden hüpfen sehen, erwarten wir, dass er ein typisches Aufprallgeräusch macht. Das lernen wir und gewöhnen uns schon in der Kindheit daran. Das Geräusch macht verbunden mit der Aktion des Balls einfach Sinn. Diese Erwartung kann so stark sein, dass manche Menschen diesen Ton auch dann hören, wenn er ausbleibt.

Fazit

Das "hörbare" GIF ist ein faszinierendes Beispiel dafür, wie unsere Sinne und unser Gehirn zusammenarbeiten, um unsere Wahrnehmung der Welt zu formen. Obwohl das GIF keinen Ton enthält, können viele Menschen beim Betrachten des GIFs ein Geräusch hören. Dieses Phänomen lässt sich möglicherweise durch den Mittelohrreflex, Synästhesie, den McGurk-Effekt oder die Ergänzung fehlender Elemente erklären. Letztendlich zeigt das "hörbare" GIF, wie komplex und vielschichtig unsere Wahrnehmung ist und wie unser Gehirn ständig versucht, die Welt um uns herum zu interpretieren und zu verstehen.

Das GIF der springenden Strommasten ist nicht das einzige, das manchen Menschen Geräusche in den Kopf pflanzt.

Barrierefreiheit von GIFs

GIFs sind nicht per se barrierefrei. Auf Webseiten, Social-Media-Kanälen und überall da, wo Kommunikation mit Bildern stattfindet, müssen im Regelfall Alt-Texte, also Beschreibungstexte, eingefügt werden (auf Webseiten hilft das auch der SEO-Optimierung). Die Alt-Texte lassen sich aktuell noch nicht auf allen möglichen Plattformen und in jedem Kontext zum GIF hinzufügen, sondern müssen in Messenger-Diensten beispielsweise getrennt beschrieben und als ergänzender Text dazu geschrieben werden. Der große Nachteil eines manuell ergänzenden Textes liegt darin, dass die Zuordnung zwischen GIF und Alternative nicht automatisch erfolgt. Assistive Technologie weiß, dass sie bei einem Alt-Attribut den Alt-Text lesen soll, wenn Nutzer*innen das GIF erreichen.

GIFs werden in den meisten Fällen in Dauerschleife abgespielt. Das lenkt viele Nutzer*innen ab und wird zu einem Problem, wenn das GIF länger als 5 Sekunden läuft. Dann muss es pausierbar sein.

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Mit der Auswahl der zahlreichen GIFs besteht die Gefahr, Mimiken, Gestiken, Situationen und Ausschnitte nach Klischees auszusuchen. Das ergänzt Probleme mit der Barrierefreiheit um Diskriminierungsstrukturen, wie das digitale Blackfacing.

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