Die Frage, wie wir sicheres Wissen über die Welt erlangen können, beschäftigt die Philosophie seit ihren Anfängen. Ein bekanntes Gedankenexperiment, das diese Frage in den Fokus rückt, ist das des "Gehirns im Tank". Dieses Szenario, eine modernisierte Version von René Descartes' "bösem Dämon", stellt die grundlegende Frage nach der Natur unserer Wahrnehmung und der Realität selbst.
Das Gehirn im Tank: Eine Simulation der Realität
Stellen Sie sich vor, Sie wären bloß ein Gehirn, das in einer Nährstofflösung in einem Tank schwimmt und dem über Elektroden Impulse eingespeist werden. Auf diese Weise wird Ihnen eine Wirklichkeit nur vorgegaukelt: Alles was Sie erleben ist eigentlich eine Simulation. Aber alles erscheint Ihnen ganz genau so, wie einem gewöhnlichen Menschen aus Fleisch und Blut die echte Welt. Können Sie wissen, dass Sie nicht tatsächlich ein solches Gehirn im Tank sind?
In diesem Gedankenexperiment wird das Gehirn einer Person aus dem Körper entfernt und in einem Tank mit lebenserhaltender Flüssigkeit aufbewahrt. Neuronen des Gehirns sind über Drähte mit einem Supercomputer verbunden, der es mit elektrischen Impulsen versorgt, die denen entsprechen, die ein Gehirn normalerweise empfängt. Der Computer simuliert eine komplette Realität, einschließlich angemessener Reaktionen auf die eigene Leistung des Gehirns. Das "körperlose" Gehirn macht weiterhin ganz normale bewusste Erfahrungen, wie die einer Person mit einem verkörperten Gehirn, ohne dass diese mit Objekten oder Ereignissen in der realen Welt in Verbindung stünden.
Dieses Szenario ähnelt Konzepten, die in Science-Fiction-Filmen wie "Matrix", "eXistenZ" oder "The 13th Floor" dargestellt werden. Diese Filme werfen Fragen nach der Unterscheidung zwischen Realität und Simulation auf und regen dazu an, über die Natur unserer eigenen Existenz nachzudenken.
Philosophische Positionen zur Wahrnehmung
Die Philosophie unterscheidet grob zwei Typen von Wahrnehmung. Zum einen die wahrheitsgemäße Wahrnehmung: Person A nimmt einen roten Ball wahr, und der Grund dafür ist, dass sie tatsächlich einen roten Ball sieht. Andererseits die Halluzination: Person B nimmt einen roten Ball wahr, der existiert allerdings nicht. Eine Frage, die sich die Philosophie stellt, ist, ob die subjektiven Wahrnehmungen von Person A und Person B trotzdem identisch sind. Und falls es keinen Unterschied gibt, kann man weiterfragen: Lassen sich überhaupt zuverlässige Aussagen über die Welt treffen?
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Eine Extremposition, die der "Idealisten", verneint, dass es eine Außenwelt gibt, die unabhängig von unserer Wahrnehmung existiert. Aus Sicht der Realisten gibt es durchaus eine Welt unabhängig von unserer Wahrnehmung, sie ist von uns "entkoppelt". Eine Schule unter den Realisten, die Macpherson besonders interessiert, meint, dass daher auch die Natur von Halluzination und wahrheitsgemäßer Wahrnehmung nicht identisch seien - schließlich ist ihre Ursache jeweils eine andere. Einmal gibt es den roten Ball, einmal nicht.
Neurowissenschaftliche Perspektiven auf Halluzinationen
Auch die Neurowissenschaft stellt sich die Frage, ob in den Köpfen von Menschen, die halluzinieren, das Gleiche geschieht, wie in den Köpfen von Menschen, die tatsächlich etwas sehen. Der Psychiater Dominic Ffytche etwa blickt in Macphersons Sammelband zurück auf die Forschung zum Charles-Bonnet-Syndrom, das sind Halluzinationen, die etwa Menschen haben, die erblinden. Ffytche und andere haben untersucht, ob diese Bilder eher in Hirnregionen entstehen, die für visuelle Erinnerungen zuständig sind oder in Hirnregionen, die aktuelle visuelle Wahrnehmungen verarbeiten. Vieles deutet darauf hin, dass tatsächlich diejenigen Regionen aktiv sind, die auch für das reguläre Sehen zuständig sind. Aus philosophischer Sicht stärkt das die Position, die dem Menschen einen unmittelbaren Zugang zur Welt abspricht.
Bei manchen akustischen Halluzinationen allerdings zeigt sich ein anderes Bild, wie Richard Bentall und Filippo Varese in „Hallucination“ zeigen. Ihrer Beobachtung nach liegt der „Defekt“ bei Halluzinierenden häufig nicht darin, dass derselbe neuronale Zustand entsteht, sondern dass manche Personen nicht zwischen unterschiedlichen neuronalen Zuständen unterscheiden können, zum Beispiel nicht, ob Stimmen von außen oder von innen kommen. Als eine Maschine, deren Aufgabe es ist, die Linse, durch die wir auf die Welt blicken, zu justieren. Funktioniert das Gehirn auf die „richtige“ Weise, öffnet es „ein Fenster auf die Welt“. Ist die Anpassung der Linse nicht korrekt, halluziniert der Betrachter.
Putnam und die Widerlegung des Gehirn-im-Tank-Szenarios
Hilary Putnam argumentierte, dass der Gedanke, ein „Gehirn im Tank“ zu sein, entweder falsch oder sinnlos ist. Er stellte die Frage, ob wir uns einen Menschen vorstellen können, der sich so massiv täuscht, dass alle (oder fast alle) seine Meinungen falsch sind. Wer für die Möglichkeit des massiven Irrtums plädieren will, muss sich eine Vorgeschichte ausdenken, die in sich stimmig ist und den Irrtum erklärt.
Olaf L. Müller setzte sich intensiv mit diesem Gedankenexperiment auseinander und untersuchte verschiedene Szenarien eines möglichen Totalirrtums, von Attrappen über Halluzinationen bis hin zu Träumen. Er stellte sich einen Getäuschten vor, in dessen Bewusstsein sich genau dasselbe abspielt wie bei uns (und der aus exakt denselben Gründen exakt dasselbe glaubt wie wir, Müller nennt ihn den engen Doppelgänger einer Person P). Alle die genannten Szenarien erweisen sich hinsichtlich einer völligen Täuschung als unmöglich.
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Müller argumentiert, dass selbst wenn unser Gehirn im Tank wäre und von einem Computer mit elektrischen Reizen versorgt würde, die unsere Welt vorgaukeln, es immer noch wahre Überzeugungen geben würde. Zum Beispiel die Überzeugung, dass wir ein Gehirn haben. Um auch diese Meinung falsch werden zu lassen, müsste man entweder die Geschichte eines getäuschten Bewusstseins erfinden, das überhaupt nicht an einen materiellen Bewusstseinsträger gebunden ist, oder man placiert das Bewusstsein des Getäuschten in einen materiellen Bewusstseinsträger, der kein Gehirn ist.
Das Gehirn im Tank und die Sprache
Müller zufolge hat aber die Fassung von Wright trotz aller Attraktivität eine gründliche Überholung nötig: Der Beweisgang stimmt hinten und vorne nicht. Wenn unser enger Doppelgänger seit jeher im Tank steckt, dann geht zwar in seinem Bewusstsein qualitativ dasselbe vor wie bei uns. Trotzdem spricht er eine andere Sprache als wir (so der von den Prämissen erzwungenen Zwischenschritt). Unser enger Doppelgänger muss also nicht unser semantischer Doppelgänger sein. Das dürfte sich aber auf die Meinungen des eingetankten engen Doppelgängers auswirken. Was er über „Gehirne“ denkt, hat einen anderen Gegenstand als die wortwörtliche Wiederholung des Gedankens oder Satzes bei uns. Unser enger Doppelgänger ist also auch nicht zwangsläufig unser doxastischer Doppelgänger. Übrigens muss unser enger Doppelgänger nicht unbedingt ein Mensch sein: Gehirne im Tank sind keine Menschen und kommen trotzdem fürs Doppelgängertum in Betracht.
Üblicherweise wird die erste Prämisse nicht hinterfragt. Der Streit dreht sich um die zweite Prämisse, in der substantiellere philosophische Annahmen zu stecken scheinen, nämlich sog. externalistische Annahmen, denen zufolge es beim Bezeichnen auf kausale Verbindungen ankommt. Der ersten Prämisse, so Müller, können wir uns a priori sicher sein, weil sich ihre Wahrheit bereits aus der Bedeutung ihrer Teilausdrücke ergibt: Die Prämisse ist analytisch. Es muss eine Minimalbedingung erfüllt sein, bevor ein Sprecher mit Hilfe eines Wortes irgendwelche Dinge in der Welt bezeichnen kann. Diese Minimalbedingung lautet: Ohne kausalen Kontakt kein erfolgreiches Bezeichnen. Bedeutungen sind das Resultat von etwas handfest Weltlichem, dem (regelgeleiteten) Gebrauch der Ausdrücke durch ihre Verwender. Ist diese Minimalbedingung verletzt, dann ist es ein merkwürdiges Mysterium, wie ein gegebenes Wort ausgerechnet den Gegenstand bezeichnen soll, den es bezeichnet. Wer diese Minimalbedingung ablehnt, läuft Gefahr, fürs Erfassen semantischer Eigenschaften sprachlicher Ausdrücke obskure übernatürliche Fähigkeiten postulieren zu müssen: Sprache wäre kein Teil der Natur. Nun unterhalten eingetauchte Gehirne gar keine Beziehung zu Tigern. Die Prämissen 1 und 2 sind, so Müller, gleichzeitig zu stark und zu schwach, um den Zwischenschritt „Meine Sprache unterscheidet sich von der Sprache eingetankter Gehirne“ logisch zu erzwingen. Zu stark sind sie, insofern in ihnen die Konklusion „Also bin ich kein Gehirn im Tank“ bereits versteckt enthalten ist - der Zwischenschritt ist demnach überflüssiger Ballast. Ohne ihn lässt sich der Beweis viel eleganter führen. Zwiischen der Form (1) In meiner Sprache bezeichnet das Wort „Tiger“ die Tiger (2) In der Sprache eingetankter Gehirne be- zeichnet das Wort „Tiger“ keine Tiger können rein logisch keinen Satz der Form (3) Also unterscheidet sich meine Sprache von der Sprache eingetankter Tiger erzwingen. Es handelt sich hier um einen egotistischen Fehlschluss. Man sieht das anhand des analogen Beispiels (1A) In meiner Sprache bezeichnet das Wort „ich“ mich selbst (2A) In Deiner Sprache bezeichnet das Wort „ich“ nicht mich, sondern Dich (3A) Also unterscheidet sich meine Spr…
Das Gehirn im Tank und das Metaverse
In unserer modernen digitalisierten Welt, in der Virtual Reality (VR) Technologie es uns ermöglicht, in praktisch erschaffene Realitäten einzutauchen, wird die Frage der Differenzierung zwischen Realität und Fiktion immer komplizierter. Wenn wir die “Truman Show” als Metapher für Unwissenheit über die wahre Natur unserer Existenz annehmen, dann zwingt uns das Metaverse möglicherweise dazu, uns mit der Möglichkeit einer von uns konstruierten Realität auseinanderzusetzen. Darüber hinaus erweitert das Konzept des Metaverse unsere Vorstellung von Identität und Selbst. Avatare - unsere digitalen Selbst - bieten uns die Möglichkeit, Aspekte unserer Persönlichkeit zu erforschen und auszudrücken, die in der physischen Realität vielleicht verborgen oder unterdrückt werden. Aber sie stellen auch Fragen nach Authentizität und der Bedeutung von Erfahrungen. Ist eine Erfahrung weniger real, wenn sie digital stattfindet?
Die Diskussion um eine “Truman Show” existiert innerhalb dieser neuen Realitäten weiter. In einer Welt, in der User Aktivitäten, Vorlieben und Interaktionen fortwährend von Algorithmen analysiert und manipuliert werden können, müssen wir uns die Frage stellen, inwiefern wir die Regisseure unserer eigenen Lebenserfahrungen sind. Der zunehmende Einfluss künstlicher Intelligenz (KI) trägt zu diesen Fragen bei. KI-Systeme haben das Potenzial, die Art und Weise, wie wir lernen, arbeiten und spielen, zu revolutionieren, aber auch wie wir uns selbst verstehen. Die ethischen Implikationen einer solchen Verschiebung sind bedeutsam. Überwachung und Datenschutz werden zu kritischen Themen in einer Welt, in der fast jeder Aspekt unseres Lebens digital verfolgt und möglicherweise von Unternehmen oder Regierungen genutzt oder missbraucht werden könnte.
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