Gehirn oder Hirn: Eine vergleichende Betrachtung der Terminologie und Funktionen des menschlichen Gehirns

Einleitung

Das menschliche Gehirn ist ein bemerkenswertes Organ, das als die komplexeste Struktur gilt, die die Natur hervorgebracht hat. Mit seinen etwa 100 Milliarden Nervenzellen und einer noch größeren Anzahl an Kontaktpunkten ermöglicht es uns zu lernen, zu denken, zu fühlen und die Welt um uns herum wahrzunehmen. In diesem Artikel werden wir die Terminologie „Gehirn“ und „Hirn“ untersuchen, die Strukturen und Funktionen des Gehirns beleuchten und die neuesten Erkenntnisse der Neurowissenschaften präsentieren.

Das Gehirn: Eine Definition

Das Gehirn (Encephalon) ist der Teil des zentralen Nervensystems, der sich innerhalb des knöchernen Schädels befindet und diesen ausfüllt. Es besteht aus unzähligen Nervenzellen, die über zuführende und wegführende Nervenbahnen mit dem Organismus verbunden sind und ihn steuern. Das Gehirnvolumen beträgt etwa 20 bis 22 Gramm pro Kilogramm Körpermasse, und sein Gewicht macht mit 1,5 bis zwei Kilogramm ungefähr drei Prozent des Körpergewichts aus.

Gehirn oder Hirn - Gibt es einen Unterschied?

Die Begriffe „Gehirn“ und „Hirn“ werden oft synonym verwendet, obwohl es subtile Unterschiede gibt. „Gehirn“ ist die gebräuchlichere und wissenschaftlichere Bezeichnung für das Organ im Kopf, das für unsere kognitiven Fähigkeiten verantwortlich ist. „Hirn“ hingegen wird eher umgangssprachlich verwendet und kann sich auch auf den Verstand oder die Intelligenz einer Person beziehen.

Etymologisch betrachtet, leitet sich „Hirn“ von dem althochdeutschen Wort „hirni“ ab, das ebenfalls „Gehirn“ bedeutet. „Gehirn“ ist eine Kollektivbildung, die im Mittelhochdeutschen aufkam und sich auf die Gesamtheit der Hirnmasse bezieht.

Die Anatomie des Gehirns

Das menschliche Gehirn lässt sich grob in fünf Hauptabschnitte gliedern:

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  • Großhirn (Telencephalon): Der größte und schwerste Teil des Gehirns, der für höhere geistige Funktionen wie Denken, Lernen, Gedächtnis und Sprache verantwortlich ist. Die Großhirnrinde, die äußere Schicht des Großhirns, ist stark gefaltet, um die Oberfläche zu vergrößern und mehr Nervenzellen aufzunehmen.
  • Zwischenhirn (Diencephalon): Befindet sich zwischen Großhirn und Mittelhirn und umfasst Strukturen wie den Thalamus und den Hypothalamus. Der Thalamus dient als Schaltstelle für sensorische Informationen, während der Hypothalamus wichtige Körperfunktionen wie Hunger, Durst, Schlaf und Körpertemperatur reguliert.
  • Mittelhirn (Mesencephalon): Ein kleiner Abschnitt des Gehirns, der an der Steuerung von Augenbewegungen, auditorischer und visueller Verarbeitung beteiligt ist.
  • Kleinhirn (Cerebellum): Befindet sich unterhalb des Großhirns und ist für die Koordination von Bewegungen, das Gleichgewicht und die Aufrechterhaltung der Körperhaltung verantwortlich.
  • Nachhirn (Myelencephalon, Medulla oblongata): Der unterste Teil des Gehirns, der in das Rückenmark übergeht. Er steuert lebenswichtige Funktionen wie Atmung, Herzfrequenz und Blutdruck.

Die Hirnrinde: Zentrum der höheren Funktionen

Die Großhirnrinde, auch Kortex genannt, ist die äußere Schicht des Großhirns und spielt eine entscheidende Rolle bei vielen höheren geistigen Funktionen. Sie ist in verschiedene Bereiche oder Lappen unterteilt, die jeweils auf bestimmte Aufgaben spezialisiert sind:

  • Stirnlappen (Frontallappen): Verantwortlich für Planung, Entscheidungsfindung, Problemlösung,Persönlichkeit und willkürliche Bewegungen.
  • Scheitellappen (Parietallappen): Verarbeitung sensorischer Informationen wie Berührung, Temperatur, Schmerz und räumliche Wahrnehmung.
  • Schläfenlappen (Temporallappen): Verarbeitung auditorischer Informationen,Sprache, Gedächtnis und Erkennung von Objekten und Gesichtern.
  • Hinterhauptslappen (Okzipitallappen): Verarbeitung visueller Informationen.

Nervenzellen und Synapsen: Die Bausteine des Gehirns

Das Gehirn besteht aus Milliarden von Nervenzellen, auch Neuronen genannt, die über spezielle Verbindungsstellen, die Synapsen, miteinander kommunizieren. Jede Nervenzelle hat einen Zellkörper, der den Zellkern enthält, sowie lange, fadenartige Fortsätze, die Axone und Dendriten genannt werden. Axone übertragen Signale von der Nervenzelle weg, während Dendriten Signale zu ihr hinleiten.

An den Synapsen werden elektrische Signale in chemische Signale umgewandelt, indem Neurotransmitter freigesetzt werden. Diese Neurotransmitter binden an Rezeptoren auf der Empfängerzelle und lösen dort entweder eine Erregung oder eine Hemmung aus. Durch die komplexe Vernetzung von Nervenzellen und Synapsen können Informationen im Gehirn verarbeitet und gespeichert werden.

Gliazellen: Die unterstützenden Zellen des Gehirns

Neben den Nervenzellen gibt es im Gehirn auch eine große Anzahl von Gliazellen. Diese Zellen haben verschiedene unterstützende Funktionen, wie z. B. die Versorgung der Nervenzellen mit Nährstoffen, die Entfernung von Stoffwechselprodukten und die Bildung der Myelinscheide, die die Axone umhüllt und die Signalübertragung beschleunigt.

Hirnhäute: Der Schutz des Gehirns

Das Gehirn ist von drei Hirnhäuten umgeben, die es vor Verletzungen schützen:

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  • Dura mater (harte Hirnhaut): Die äußere,dickste Schicht, die direkt unter dem Schädel liegt.
  • Arachnoidea (Spinnengewebshaut): Eine mittlere, netzartige Schicht, die zwischen der Dura mater und der Pia mater liegt.
  • Pia mater (weiche Hirnhaut): Die innerste, zarte Schicht, die direkt auf dem Gehirn aufliegt und die Blutgefäße enthält, die das Gehirn versorgen.

Zwischen der Arachnoidea und der Pia mater befindet sich der Subarachnoidalraum, der mit Liquor cerebrospinalis (Hirn-Rückenmarksflüssigkeit) gefüllt ist. Der Liquor dient als Stoßdämpfer und schützt das Gehirn vor mechanischen Einwirkungen.

Ventrikelsystem: Die Hohlräume des Gehirns

Das Gehirn enthält ein System von miteinander verbundenen Hohlräumen, die als Ventrikel bezeichnet werden. Diese Ventrikel sind mit Liquor cerebrospinalis gefüllt, der von speziellen Zellen, den Plexus choroidei, produziert wird. Der Liquor zirkuliert durch die Ventrikel und den Subarachnoidalraum und wird schließlich wieder in den Blutkreislauf aufgenommen.

Blut-Hirn-Schranke: Der Schutzwall des Gehirns

Das Gehirn ist durch eine spezielle Barriere, die Blut-Hirn-Schranke, vor schädlichen Substanzen im Blut geschützt. Diese Schranke wird durch die Endothelzellen der Kapillaren im Gehirn gebildet, die besonders dicht miteinander verbunden sind. Dadurch können nur bestimmte Substanzen, wie z. B. Sauerstoff, Glukose und bestimmte Medikamente, die Blut-Hirn-Schranke passieren.

Die Funktionen des Gehirns

Das Gehirn ist für eine Vielzahl von Funktionen verantwortlich, die für unser Überleben und unser Wohlbefinden unerlässlich sind. Dazu gehören:

  • Sensorische Wahrnehmung: Das Gehirn empfängt und verarbeitet Informationen aus unseren Sinnesorganen (Augen, Ohren, Nase, Zunge, Haut) und ermöglicht es uns, die Welt um uns herum wahrzunehmen.
  • Motorische Kontrolle: Das Gehirn steuert unsere Muskeln und ermöglicht es uns, uns zu bewegen, zu sprechen und zu handeln.
  • Kognitive Funktionen: Das Gehirn ist für höhere geistige Funktionen wie Denken, Lernen, Gedächtnis, Sprache, Problemlösung und Entscheidungsfindung verantwortlich.
  • Emotionen: Das Gehirn reguliert unsere Emotionen und beeinflusst unser Verhalten und unsere Interaktionen mit anderen.
  • Homöostase: Das Gehirn trägt zur Aufrechterhaltung der Homöostase bei, indem es wichtige Körperfunktionen wie Atmung, Herzfrequenz, Blutdruck, Körpertemperatur, Hunger, Durst und Schlaf reguliert.

Plastizität des Gehirns: Die Fähigkeit zur Veränderung

Eine der bemerkenswertesten Eigenschaften des Gehirns ist seine Plastizität, d. h. seine Fähigkeit, sich im Laufe der Zeit zu verändern und anzupassen. Diese Plastizität ermöglicht es uns, neue Dinge zu lernen, uns an veränderte Umstände anzupassen und uns von Hirnverletzungen zu erholen.

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Lernen findet an den Synapsen statt, den Orten, an denen die elektrischen Signale von einer Nervenzelle zur nächsten übertragen werden. Neurowissenschaftler haben herausgefunden, dass Synapsen die Effektivität der Übertragung variieren können. Man bezeichnet dieses Phänomen auch als synaptische Plastizität. So kann eine Synapse durch einen Vorgang namens Langzeitpotenzierung (LTP) verstärkt werden, indem sie mehr Botenstoff ausschüttet oder mehr Botenstoffrezeptoren bildet. Die Übertragung von Signalen kann aber nicht nur verstärkt oder abgeschwächt werden, sie kann auch überhaupt erst ermöglicht oder völlig gekappt werden. So wissen Neurowissenschaftler heute, dass Synapsen selbst im erwachsenen Gehirn noch komplett neu gebildet oder abgebaut werden können. An wenigen Stellen wie zum Beispiel im Riechsystem können sogar zeitlebens neue Nervenzellen gebildet werden. Es ist also nicht übertrieben, wenn man sagt: Unser Gehirn gleicht zeitlebens einer Baustelle.

Stärkung und Schwächung, Auf- und Abbau - die Stärke, mit der Signale zwischen Nervenzellen übertragen werden, wird laufend angepasst. Etwas vereinfacht könnte man sich also vorstellen, dass die Signalübertragung verstärkt wird, wenn das Gehirn etwas speichert - und abgeschwächt wird, wenn es vergisst. Ohne die Plastizität würde dem Gehirn folglich etwas Fundamentales fehlen: seine Lernfähigkeit.

Mit dem Lernen verhält es sich wie mit dem Sport: Je mehr eine bestimmte Fähigkeit gefordert wird, desto effektiver wird sie erledigt. Wer beispielsweise Taxi fährt, muss sich gut orientieren und Routen merken können. Durch die tägliche Arbeit wird so das Ortsgedächtnis immer besser. Das hinterlässt auch Spuren im Gehirn, zum Beispiel im Gehirn Londoner Taxifahrer: Forscher haben herausgefunden, dass in ihrem Gehirn der Hippocampus - ein für das Ortsgedächtnis zentrale Region im Gehirn - über die Jahre größer wird. Offenbar braucht ein derart trainiertes Orientierungsvermögen auch mehr Raum! Seine Plastizität hilft dem Gehirn zudem, Schäden zumindest teilweise zu reparieren. Sterben beispielsweise bei einem Schlaganfall Nervenzellen ab, können benachbarte Hirnregionen die Aufgaben des betroffenen Gebiets zum Teil übernehmen. Am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften haben Forscher herausgefunden, dass das Gehirn so die Schäden nach einem Schlaganfall zum Teil kompensieren kann.

Forschungsmethoden in der Neurowissenschaft

Um die komplexen Funktionen des Gehirns zu verstehen, setzen Neurowissenschaftler verschiedene Forschungsmethoden ein, darunter:

  • Elektroenzephalographie (EEG): Eine nicht-invasive Methode, bei der die elektrische Aktivität des Gehirns mithilfe von Elektroden auf der Kopfhaut gemessen wird.
  • Magnetresonanztomographie (MRT): Eine bildgebende Technik, die detaillierte Bilder der Gehirnstruktur und -funktion liefert. Die funktionelle MRT (fMRT) ermöglicht es, die Aktivität verschiedener Gehirnbereiche während bestimmter Aufgaben zu beobachten.
  • Positronenemissionstomographie (PET): Eine bildgebende Technik, die die Stoffwechselaktivität des Gehirns misst.
  • Tiermodelle: Studien an Tieren, insbesondere Mäusen, Zebrafischen und Wirbellosen, ermöglichen es, die grundlegenden Prinzipien der Gehirnfunktion zu untersuchen.

Aktuelle Forschungsschwerpunkte

Die Neurowissenschaften sind ein sich ständig weiterentwickelndes Feld. Zu den aktuellen Forschungsschwerpunkten gehören:

  • Entschlüsselung des Konnektoms: Die Kartierung aller neuronalen Verbindungen im Gehirn, um zu verstehen, wie Informationen verarbeitet und übertragen werden.
  • Untersuchung der Plastizität des Gehirns: Erforschung der Mechanismen, die der Plastizität des Gehirns zugrunde liegen, und Entwicklung von Strategien zur Förderung der Erholung nach Hirnverletzungen.
  • Erforschung der Ursachen und Behandlung von neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen: Untersuchung der Ursachen von Erkrankungen wie Alzheimer, Parkinson, Depression und Schizophrenie und Entwicklung neuer Therapien.
  • Entwicklung von Gehirn-Computer-Schnittstellen: Entwicklung von Technologien, die es ermöglichen, das Gehirn direkt mit Computern zu verbinden, um z. B. gelähmten Menschen die Steuerung von Prothesen zu ermöglichen.
  • Künstliche Intelligenz: Multisensorische vs. Wissenschaftler können die Gehirnaktivität eines Menschen durch EEG-Signale mitlesen. Doch welche Signale gehören zu welchen Denkvorgängen? Bernhard Schölkopf und sein Team wollen diesen Code entschlüsseln und leistungsfähige Gehirn-Computer-Schnittstellen entwickeln.

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