Die Verwendung von Gehirn vom Schlachtvieh, insbesondere vom Rind, ist ein Thema, das in den letzten Jahren aufgrund von BSE (Bovine Spongiforme Enzephalopathie) und anderen transmissiblen spongiformen Enzephalopathien (TSE) verstärkt in den Fokus gerückt ist. Dieser Artikel beleuchtet die traditionelle Verwendung von Gehirn in der Lebensmittelproduktion, die Risiken im Zusammenhang mit TSE und die aktuellen Vorschriften und Praktiken in Deutschland.
Traditionelle Verwendung von Gehirn in der Lebensmittelproduktion
Das Gehirn von Schlachttieren, insbesondere vom Schwein, wurde traditionell als essbares Gewebe betrachtet und als Zutat für bestimmte Fleischerzeugnisse verwendet. Aufgrund seines hohen Gehalts an Lecithin und Fett war es besonders interessant für streichfähige Kochwurstsorten. In alten Rezepturen finden sich noch Angaben über die Verwendung von Schweinehirn, in Ausnahmen auch von Kalbshirn. Rinderhirn hingegen wurde aufgrund von Verunreinigungen durch die Bolzenschussbetäubung vor der Schlachtung selten verwendet.
Kalbshirn und Kalbsbries (Thymus) galten als seltene Spezialitäten und waren entsprechend teuer. Sie waren in Metzgereien meist nur auf Vorbestellung erhältlich und wurden in gehobenen Küchen angeboten.
Schweinehirn wurde als preiswerte Zutat in einfachen Kochwurstsorten eingesetzt, um die Streichfähigkeit zu verbessern. Die Verarbeitung in Roh- und Brühwürsten war aus technologischen Gründen nicht sinnvoll.
Bovine Spongiforme Enzephalopathie (BSE)
BSE, auch bekannt als Rinderwahnsinn, ist eine Transmissible Spongiforme Enzephalopathie (TSE), die bei Rindern vorkommt und Wesens-, Bewegungs- und Sensibilitätsstörungen mit fatalem Ausgang hervorruft. Die Ursache dieser Störungen liegt in einer fortschreitenden Degeneration der Zellen des zentralen Nervensystems (ZNS), die durch sogenannte Prionen hervorgerufen wird.
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Der erste BSE-Fall in Deutschland wurde am 24. November 2000 bei einem in Schleswig-Holstein geborenen Rind festgestellt. Bis Juli 2020 wurden insgesamt 415 BSE-Fälle in Deutschland bestätigt. Die meisten betroffenen Tiere stammen aus Bayern.
Die Zahl der BSE-Fälle in Deutschland erreichte im Jahr 2001 mit 125 Fällen ihren Höhepunkt und sank in den folgenden Jahren kontinuierlich. Im Jahr 2009 wurde der letzte bestätigte Fall der klassischen Variante der BSE festgestellt. Anfang 2014 wurden zwei atypische Fälle der Erkrankung bei Rindern festgestellt.
Transmissible Spongiforme Enzephalopathien (TSE)
TSE sind übertragbare degenerative Erkrankungen des zentralen Nervensystems (ZNS), die chronisch progressiv verlaufen und stets tödlich enden. Sie werden auch als Prionenkrankheiten bezeichnet, da sie durch Prionen verursacht werden.
Es gibt verschiedene Formen der TSE, die sich hinsichtlich ihrer Genese unterscheiden. Beim Menschen kennt man hereditär bedingte, iatrogen erworbene und sporadische/spontane Formen mit ungeklärter Ursache. Beim Tier sind dagegen nur TSE bekannt, denen eine infektiöse Genese zugrunde liegt.
Zu den TSE gehören unter anderem:
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- BSE bei Rindern
- Scrapie bei Schafen
- Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJK) beim Menschen
- Neue Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (vCJK) beim Menschen
Prionen: Die Ursache von BSE und TSE
Prionen sind "proteinaceous infectious particles", die im Verdacht stehen, neben der BSE des Rindes auch die neue Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (vCJK) beim Menschen zu verursachen. Sie enthalten keinerlei genetisches Material und verändern in einem posttranslationalen Prozess die räumliche Struktur der zellulären Prionproteine (PrPc).
PrPc sind normale, körpereigene Proteine, deren genaue Funktion noch nicht abschließend geklärt ist. Sie kommen in hoher Konzentration auf der Oberfläche von Nervenzellen vor, sind aber auch auf Zellen des lymphatischen Gewebes sowie auf anderen Zellen nachweisbar.
Durch den Kontakt eines PrPc mit einem PrPres (Prionen) lagern sich diese zu einem Heterodimer zusammen, das sich in ein Homodimer umwandelt. Anschließend dissoziiert das Dimer in zwei PrPres-Monomere, die weitere PrPc transformieren können. Dieser Vorgang setzt sich lawinenartig fort.
Im Kern besitzen PrPc einen hohen Prozentsatz an Alpha-Helices, während bei PrPres die Beta-Faltblattstruktur überwiegt. Diese Konformationsänderung bewirkt den pathogenen Charakter der Prionen.
Die physikalisch-chemischen Eigenschaften der beiden Proteine PrPc und PrPres variieren erheblich. Prionen sind proteaseresistent und wasserunlöslich, was ihren Abbau im Organismus nahezu unmöglich macht. Sie lagern sich sowohl intra- als auch extrazellulär ab und können zu Amyloid-Plaques akkumulieren. Außerdem sind sie sehr stabil und gegen Umwelteinflüsse weitestgehend resistent.
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Wie die Schädigung der Zellen durch die gebildeten infektiösen Prionen letztlich zustande kommt, ist bislang ungeklärt. Prusiner vermutet, dass übervolle Lysosomen die (Nerven)zelle schädigen könnten. Beim Absterben der Nervenzelle würde das in den Lysosomen gespeicherte Material erneut freigesetzt und könnte weitere Nervenzellen in seiner Umgebung schädigen.
BSE-Statistiken und Maßnahmen in Deutschland
Nachdem am 24. November 2000 in Deutschland der erste BSE-Fall bei einem Rind aus Schleswig-Holstein festgestellt worden ist, sind bis Juli 2020 bereits 415 BSE-Fälle von der Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere bestätigt worden.
Um die Ausbreitung von BSE zu verhindern, wurden in Deutschland verschiedene Maßnahmen ergriffen:
- Von Januar 2001 bis Juni 2006 wurden alle Schlachtrinder ab einem Alter von 24 Monaten mittels eines BSE-Schnelltests untersucht.
- Im Juni 2006 wurde das BSE-Testalter von 24 auf 30 Monate heraufgesetzt.
- Ab dem 1. Januar 2009 stand es den EU-Mitgliedsländern frei, das BSE-Testalter auf 48 Monate herauf zu setzen.
- Ab dem 1. Juli 2011 konnten die Mitgliedsstaaten die Grenze für das Testalter dann sogar auf 72 Monate erhöhen.
- Seit dem 1. Januar 2013 ist die EU-weite Pflicht für systematische Tests generell aufgehoben.
Aufgrund der Empfehlungen des Bundesinstituts für Risikobewertung (BFR) und des Friedrich-Loeffler-Instituts (FLI) bleibt in Deutschland die allgemeine Untersuchungspflicht für gesundgeschlachtete Rinder jedoch bestehen. Seit dem 5. August 2014 gilt dies für alle über 96 Monate alten Rinder.
Für Wildwiederkäuer und kleine Wiederkäuer ab einem Alter von 18 Monaten ist die Durchführung von stichprobenartigen TSE-Tests im Rahmen sogenannter Monitoring-Programme seit dem 1. Januar 2002 Pflicht.
Jeder durch einen BSE-Schnelltest ermittelte BSE-Verdacht wird abschließend in der Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere in Tübingen überprüft.
Aktuelle Risikobewertung und Empfehlungen
Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hat im Jahr 2011 eine umfassende Risikobewertung zu TSE durchgeführt. Basierend auf dieser Bewertung hat die Europäische Kommission beschlossen, die Testpflicht für BSE bei Rindern schrittweise zu lockern.
In Deutschland wird die Risikosituation weiterhin kritisch beobachtet. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BFR) empfiehlt, die allgemeine Untersuchungspflicht für gesundgeschlachtete Rinder beizubehalten.
Verbot der Verwendung von spezifiziertem Risikomaterial
Aufgrund der potenziellen Risiken im Zusammenhang mit TSE ist die Verwendung von spezifiziertem Risikomaterial (SRM) in der Lebensmittelproduktion in der EU verboten. SRM umfasst bestimmte Teile von Rindern, Schafen und Ziegen, die ein höheres Risiko für die Übertragung von TSE bergen. Dazu gehören unter anderem:
- Schädel (einschließlich Gehirn und Augen)
- Rückenmark
- Darm (vom Zwölffingerdarm bis zum Mastdarm)
- Milz
- Mandeln
Konsequenzen für die Lebensmittelindustrie
Die BSE-Krise und die damit verbundenen Vorschriften haben zu einem Umdenken in der Lebensmittelindustrie geführt. Die Verwendung von Gehirn vom Schlachtvieh ist stark eingeschränkt oder verboten. Die Hersteller von Fleischerzeugnissen sind angehalten, alternative Zutaten zu verwenden und die Produktionsprozesse zu optimieren, um die Sicherheit der Produkte zu gewährleisten.
Der Bundesverband der Deutschen Fleischwarenindustrie e.V. hat bei der Leitsatzkommission des Deutschen Lebensmittelbuches einen Antrag auf Änderung der Leitsätze für Fleisch und Fleischerzeugnisse gestellt, um die Verarbeitung von Innereien in Fleischerzeugnissen neu zu fassen und die Fehlinterpretation der Üblichkeit der Verarbeitung weiterer Innereien durch die Medien und andere vorzubeugen.
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