Schlaf ist ein grundlegendes menschliches Bedürfnis, das weit mehr als nur Ruhe und Erholung bietet. Er ist ein komplexer Prozess, der essenziell für die körperliche und geistige Gesundheit ist. Aktuelle Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass Schlaf, insbesondere Tiefschlafphasen und der REM-Schlaf, eine Schlüsselrolle bei der Vorbeugung von Krankheiten wie Alzheimer spielen könnte.
Die Bedeutung des Schlafs für Körper und Geist
Welche Funktionen der Schlaf für Körper und Geist erfüllt, hat die Wissenschaft bislang noch nicht endgültig ergründet. Man weiß aber, dass während der verschiedenen Schlafphasen ganz unterschiedliche Prozesse ablaufen. So ist der REM- oder sogenannte Traumschlaf unter anderem für die Verfestigung von Gedächtnisinhalten wichtig, während der Tiefschlaf beispielsweise der körperlichen Regeneration dient.
Tiefschlaf als "Waschgang" für das Gehirn
Eine Untersuchung des Forschungszentrums Jülich unter der Leitung von Dr. Merle Hönig ergab, dass Tiefschlafphasen eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung von Alzheimer spielen könnten. Während des Tiefschlafs finden im Gehirn Reinigungsprozesse statt, bei denen schädliche Substanzen wie Amyloid-beta und Tau-Proteine abtransportiert werden. Die Forschenden zufolge fungiert Tiefschlaf als eine Art Waschgang im Oberstübchen.
Bei Menschen mit Alzheimer könnte dieser Reinigungsprozess gestört sein, was zur Anhäufung dieser Proteine und schließlich zum Absterben von Nervenzellen führen könnte. Verkürzte Tiefschlafphasen über einen längeren Zeitraum hinweg gelten somit als Risikofaktor für Alzheimer.
Studienergebnisse zu Tiefschlaf und Alzheimer
Mithilfe elektronischer Stirnbänder zeichnete das Team um Hönig die Dauer der Tiefschlafphasen von Menschen im Frühstadium von Alzheimer auf und verglichen sie mit der einer gesunden Kontrollgruppe. Tatsächlich hatten die an Alzheimer erkrankten Probandinnen und Probanden kürzere Tiefschlafphasen und wachten nachts häufiger auf. Der Vergleich von Bildern aus dem Positronen-Emissions-Tomographen (PET) bestätigte außerdem, dass kürzere Tiefschlafphasen mit einer verstärkten Ablagerung der krankhaften Proteine Amyloid-beta und Tau einhergehen. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass kürzere Tiefschlafphasen die problematische Ansammlung der Alzheimer-typischen Proteine im Gehirn beschleunigt.
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Das glymphatische System: Ein Abwassernetzwerk für das Gehirn
Im Jahr 2012 beschrieben Wissenschaftler um Maiken Nedergaard vom University of Rochester Medical Center erstmals eine Art Kanalnetz im Gehirn, welches zelluläre Abfallstoffe vorwiegend während des Schlafs aus dem Hirngewebe auswäscht. Wegen der Ähnlichkeit zum Lymphsystem des Körpers tauften die Fachleute ihre Entdeckung »glymphatisches System« - zusammengesetzt aus »Glia« und »Lymphe«. »Es ist, als würde man vor dem Schlafengehen den Geschirrspüler einschalten und mit einem sauberen Gehirn aufwachen«, sagt Nedergaard in einer Pressemitteilung. Ist das glymphatische System beeinträchtigt, kann das vermutlich neurodegenerative Krankheiten begünstigen.
Die Rolle von Noradrenalin
Während des Tiefschlafs schüttet der Hirnstamm rhythmisch Noradrenalin aus. Der Botenstoff verengt unter anderem die Blutgefäße im Gehirn. Als die Fachleute nun den dafür zuständigen Bereich im Hirnstamm (den Locus caeruleus) mittels optogenetischer Methoden stimulierten, führte das zu korrespondierenden Veränderungen im Blutfluss: Je mehr von dem Botenstoff zirkulierte, desto stärker zogen sich die zerebralen Gefäße zusammen. Und nicht nur das, auch das Volumen der Hirnflüssigkeit schwankte im Rhythmus der Noradrenalin-Wellen. Dieser Zusammenhang war im Tiefschlaf besonders stark. Die Autoren vergleichen die Blutgefäße mit Pumpen, die die umgebende Hirnflüssigkeit antreiben, um Abfallstoffe auszuspülen.
Auswirkungen von Schlafmitteln
Verabreichte das Team den Mäusen das Schlafmittel Zolpidem, so sank der Noradrenalin-Spiegel im Tiefschlaf um 50 Prozent. Zwar schliefen die so behandelten Nager schneller ein, allerdings ging der Flüssigkeitstransport im Gehirn um zirka 30 Prozent zurück. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass das Präparat die durch Noradrenalin gesteuerte Abfallbeseitigung stört. Bei Zolpidem handelt es sich um eines der am meisten verschriebenen Schlafmittel in Deutschland. »Immer mehr Menschen nehmen Schlafmittel ein, und es ist wirklich wichtig zu wissen, ob das ein gesunder Schlaf ist«, sagt die Hauptautorin Natalie Hauglund von der Universität Kopenhagen und der University of Oxford.
REM-Schlaf und Gehirnreinigung
Während des REM-Schlafs (von »rapid eye movement« = schnelle Augenbewegung) träumen wir vermehrt. Diese Phase macht rund 25 Prozent der Nachtruhe Erwachsener aus; doch wozu genau sie dient, ist unklar. Vermutlich sind Lernprozesse eng an den REM-Schlaf gekoppelt. Zumindest bei Mäusen wird dann aber zudem das Gehirn gereinigt, wie Forscher der University of Tsukuba in Japan nachwiesen. Chia-Jung Tsai und ihren Kollegen gelang es mit einer speziellen Mikroskopietechnik, den Fluss roter Blutkörperchen durch die Hirnkapillaren der Nager sichtbar zu machen. Der Blutstrom versorgt die Neurone nicht nur mit Sauerstoff, sondern entsorgt auch Müll und Stoffwechselprodukte. An der Hirnaktivität der Labormäuse ließ sich ablesen, ob und in welcher Schlafphase sich die Tiere befanden. Während des REM-Schlafs kam es zu einem massiven Anstieg des Blutstroms durch die Kapillaren in verschiedenen Hirnregionen. Die Forscherinnen und Forscher entdeckten ferner, dass ein bestimmter Rezeptortyp (Adenosin A2a) für die Zunahme des Blutflusses verantwortlich ist, indem er die Gefäßweite reguliert. Für Mediziner ist das vor allem deshalb interessant, weil ein gestörter REM-Schlaf zu vermehrter Ansammlung von Stoffwechselprodukten im Gehirn führen kann und das Alzheimerrisiko erhöht.
Schlafstörungen und ihre Folgen
Schlafprobleme sollten nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Schon frühere Untersuchungen haben gezeigt, dass Schlafstörungen unter anderem die Entstehung von Übergewicht, Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen begünstigen. Wer längere Zeit unter Schlafstörungen leidet, sollte daher ärztlichen Rat einholen.
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Schlaf und Kopfschmerzen
Schlaf und Kopfschmerz stehen in einem engen Zusammenhang. Laut Erhebung einer Arbeitsgruppe aus Madrid klagt etwa die Hälfte der Patient:innen mit Spannungskopfschmerz oder Migräne zugleich über starke Schlafstörungen, in der Forschung werden gemeinsame Entstehungsursachen von Kopfschmerz und Schlafproblemen diskutiert. Im Vorfeld einer Attacke, besonders bei Migräne mit Aura, kommt es zur Ausbreitung einer Nerven-Erregungswelle im Gehirn der Patient:innen. Man hat festgestellt, dass es während dieses Zustands zu einem mehrminütigen Verschluss der perivaskulären Räume kommen kann. Das könnte dazu führen, dass die Bewegung der Hirnflüssigkeit, die für den Abfluss von Schadstoffen sorgen soll, zum Erliegen kommt. Eine aktuelle Studie von 2024 aus Taiwan hat sich aufwändiger bildgebender Verfahren bedient, um die Bedeutung des glymphatischen Systems für Migräne und Medikamentenübergebrauchskopfschmerz besser zu verstehen.
Die Rolle der Schlafposition
Eine neue Studie, veröffentlicht im Journal of Neuroscience, legt nahe, dass die Schlafposition einen Einfluss darauf hat, wie effektiv die nächtliche Reinigung des Gehirns funktioniert. In der Studie wurden Nagetiere betäubt und in verschiedene Schlafpositionen gebracht (auf den Bauch, Rücken oder die Seite gedreht). Mithilfe von Magnetresonanztomografen (MRT) wurde sodann untersucht, wie effektiv das Abtransportieren der Giftstoffe funktioniert. Dabei zeigte sich, dass bei seitlicher Schlafposition die meisten Giftstoffe abtransportiert werden.
Tipps für einen erholsamen Schlaf
Neben der Schlafposition gibt es natürlich noch weitere praktische Tipps, wie die Schlafqualität verbessert werden kann:
- Finger weg vom Smartphone im Bett: Eine Studie konnte zeigen, dass Menschen, die nachts im Bett auf ihren Tablets Inhalte lesen, eine geringere Schlafqualität aufweisen. Dabei scheint tatsächlich das Licht des Tablets das Problem zu sein; eine Kontrollgruppe, die ein normales Buch las, wies keine Schlafstörungen auf.
- Kein Alkohol zu später Stunde: Ein Schlummertrunk hilft zwar beim Einschlafen, reduziert jedoch die Schlafqualität. Der Grund dafür ist, dass beim Zerlegen von Alkohol Abbauprodukte entstehen, unter denen die Schlafqualität leidet.
- Auf die Schlafhygiene achten: Darunter ist zu verstehen, dass der Schlafplatz auch nur als solcher verwendet werden sollte und beispielsweise darauf geachtet werden sollte, nicht im Bett zu essen. Bei mangelnder Schlafhygiene besteht die Gefahr, dass irgendwann das Bett nicht mehr als Ort des Schlafens wahrgenommen wird, sondern als erweitertes Wohnzimmer.
Schlussfolgerung
Die Forschung der letzten Jahre hat gezeigt, dass Schlaf eine aktive und essenzielle Rolle bei der Aufrechterhaltung der Gesundheit unseres Gehirns spielt. Insbesondere die Reinigungsprozesse, die während des Schlafs ablaufen, sind entscheidend für die Entfernung von Abfallprodukten und potenziell schädlichen Proteinen. Schlafstörungen können diese Prozesse beeinträchtigen und das Risiko für neurodegenerative Erkrankungen erhöhen. Es ist daher wichtig, auf eine gute Schlafhygiene zu achten und bei anhaltenden Schlafproblemen ärztlichen Rat einzuholen. Die Erkenntnisse über das glymphatische System und die Bedeutung von Schlaf für die Hirngesundheit eröffnen neue Perspektiven für die Prävention und Behandlung von Erkrankungen wie Alzheimer und Migräne.
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