Geistige Behinderung: Ursachen im Gehirn und ihre Auswirkungen

Eine geistige Behinderung ist ein komplexes Thema, das viele verschiedene Ursachen haben kann. Die Auswirkungen auf die Betroffenen können sehr unterschiedlich sein. Dieser Artikel beleuchtet die Ursachen geistiger Behinderungen, insbesondere im Zusammenhang mit dem Gehirn. Dabei wird auf genetische Faktoren, Hirnschädigungen und andere mögliche Auslöser eingegangen.

Definition und Diagnose

Der Begriff "geistige Behinderung" wird von verschiedenen Institutionen unterschiedlich definiert. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) beschreibt in ihrer Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-10) eine Intelligenzminderung als einen "Zustand von verzögerter oder unvollständiger Entwicklung der geistigen Fähigkeiten". Dabei werden besonders Fertigkeiten hervorgehoben, die sich während der Entwicklungsperiode ausbilden und zum Intelligenzniveau beitragen, wie Kognition, Sprache, motorische und soziale Fähigkeiten.

Die ICD-10 unterscheidet verschiedene Schweregrade der Intelligenzminderung anhand des Intelligenzquotienten (IQ), der durch einen Intelligenztest ermittelt wird. Allerdings sollte ein Intelligenztest nie isoliert betrachtet werden, da er nur spezifische kognitive Fähigkeiten erfasst und keine umfassende Aussagekraft besitzt. Daher wird zusätzlich das anpassungsfähige Verhalten des Betroffenen in seiner jeweiligen Umgebung berücksichtigt. Der Grad der sozialen Anpassung kann mithilfe von Skalen eingeschätzt und zur Diagnose herangezogen werden. Es ist wichtig zu betonen, dass sich intellektuelle Fähigkeiten und soziale Anpassung durch Übung und Rehabilitation verbessern können. Die Diagnose und Behandlung sollten sich daher am aktuellen Funktionsniveau orientieren.

Ursachen geistiger Behinderungen

Alles, was die Entwicklung des Gehirns beeinflussen kann, kann als Ursache einer geistigen Behinderung angesehen werden. Der Zeitpunkt der Schädigung kann vor, während oder nach der Geburt liegen. Zu den möglichen Ursachen gehören:

  • Genetische Ursachen: Ein Gendefekt kann spontan durch eine Mutation auftreten und eine geistige Behinderung auslösen. Vergleichsweise selten wird eine Behinderung von Eltern auf ihre Kinder vererbt. Mehrere hundert Gene werden mit Autismus-Spektrum-Störungen in Verbindung gebracht. Einige Patientinnen sind nur leicht betroffen, während andere schwere Behinderungen aufweisen. Zusätzlich zu den charakteristischen Symptomen wie Schwierigkeiten bei der sozialen Interaktion und der Kommunikation mit anderen Menschen sowie repetitiv-stereotypen Verhaltensweisen, haben Patientinnen mit Mutationen des Gens CHD8 häufig auch geistige Behinderungen und Makrozephalie - ein ungewöhnlich großes Gehirn. CHD8-Mutationen beeinträchtigen das Gehirn in einem sehr frühen Stadium seiner Entwicklung.
  • Schädigungen während der Schwangerschaft: Alkoholkonsum während der Schwangerschaft, Infektionen oder Vergiftungen können die Entwicklung des Gehirns des Kindes beeinträchtigen.
  • Komplikationen während der Geburt: Sauerstoffmangel während der Geburt kann zu Hirnschäden führen.
  • Hirnschädigungen oder Hirnfunktionsstörungen: Diese können durch Unfälle, Hirnhautentzündungen oder andere Erkrankungen verursacht werden.

Es gibt zwei Gruppen von Ursachen für geistige Behinderungen: angeborene (chromosomal verursachte) Formen der Behinderung sowie erworbene Behinderungen (durch Vergiftungen in der vorgeburtlichen Entwicklung oder durch sonstige Schädigungen). Häufig bleibt die Ursache einer geistigen Behinderung jedoch unklar.

Lesen Sie auch: Schlaganfall und Verwirrtheit: Was Sie wissen sollten

Auswirkungen auf das Gehirn

Eine geistige Behinderung kann sich auf verschiedene Bereiche des Gehirns auswirken. Dies kann zu Lernschwierigkeiten, einem geringeren Auffassungsvermögen und Problemen mit der Sprachentwicklung führen. Kinder mit geistigen Behinderungen haben oft Schwierigkeiten, abstrakte Konzepte zu verstehen und sich an neue Situationen anzupassen.

Forschung zu den Ursachen geistiger Behinderung

Die Forschung zur Aufklärung der Ursachen geistiger Behinderung ist ein wichtiges Anliegen der medizinischen Genetik. Trotz Fortschritten sind die Ursachen kognitiver Störungen noch großenteils unbekannt. Es wird vermutet, dass leichte kognitive Störungen (IQ 50-70) auf das Zusammenwirken einer Vielzahl von Genen und Umweltfaktoren zurückgehen und das untere Ende der normalen Intelligenzverteilung in der Bevölkerung darstellen. Schwere Formen der geistigen Behinderung scheinen dagegen überwiegend auf definierte Chromosomenveränderungen und Defekte einzelner Gene zurückzugehen. Es wird geschätzt, dass Defekte von weit mehr als 1.000 Genen Störungen der Hirnfunktion zur Folge haben können.

Um die molekularen Ursachen von Erbkrankheiten aufzuklären, werden neue Möglichkeiten der Genomforschung genutzt. Dabei werden Gendefekte durch die Untersuchung von Patienten mit balancierten Chromosomenaberrationen identifiziert. Durch die Analyse der veränderten Chromosomenstruktur können Gene im Bereich der beteiligten Chromosomenbruchpunkte identifiziert werden, die für die geistige Behinderung verantwortlich sind.

Eine weitere Strategie zur Feinkartierung von Gendefekten ist die Suche nach Mikrodeletionen oder -duplikationen, also submikroskopisch kleinen Veränderungen, die durch den Verlust oder Zugewinn von Chromosomenmaterial charakterisiert sind.

Genetische Beratung und Diagnostik

Eine genetische Beratung ist für jede Familie mit einem Kind oder Erwachsenen mit auffälliger geistiger Entwicklung indiziert. Durch moderne Methoden gelingt die Ursachenklärung für etwa 50% der Familien. Die wichtigsten Vorteile einer genauen Diagnosestellung sind:

Lesen Sie auch: Behandlungsansätze bei Epilepsie und geistiger Behinderung

  • Genaue Planung der diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen
  • Genaue Aussage bezüglich des Wiederholungsrisikos
  • Gezielte genetische Analyse für weitere Familienangehörige
  • Vorbeugung nicht indizierter diagnostischer Untersuchungen
  • Teilnahme an klinischen Studien

Bei der genetischen Beratung werden die vorliegenden ärztlichen Unterlagen und Befunde, Ergebnisse der erfolgten Entwicklungsdiagnostik oder Intelligenztestung sowie die Krankheitsgeschichte der Familie berücksichtigt. In einigen Fällen werden standardisierte Laboruntersuchungen veranlasst, wie z.B. eine Molekulare Karyotypisierung, eine Testung auf das Fragile-X-Syndrom sowie eine Exom-Sequenzierung mit Auswertung eines individuell angepassten Gen-Panels.

Behandlung und Unterstützung

Es gibt keine Heilung für geistige Behinderung, aber es gibt viele Möglichkeiten, Menschen mit geistiger Behinderung zu unterstützen. Dazu gehören:

  • Frühförderung: Frühförderung kann Kindern mit geistiger Behinderung helfen, ihre Fähigkeiten zu entwickeln und ihre Lebensqualität zu verbessern.
  • Therapie: Verschiedene Therapien, wie z.B. Sprachtherapie, Ergotherapie und Physiotherapie, können Menschen mit geistiger Behinderung helfen, ihre Fähigkeiten zu verbessern und ihre Selbstständigkeit zu fördern.
  • Unterstützung im Alltag: Menschen mit geistiger Behinderung benötigen oft Unterstützung im Alltag, z.B. bei der Körperpflege, der Haushaltsführung oder der Freizeitgestaltung.
  • Inklusion: Es ist wichtig, dass Menschen mit geistiger Behinderung in die Gesellschaft integriert werden und die gleichen Chancen haben wie andere Menschen.

Fazit

Geistige Behinderung ist ein komplexes Thema mit vielfältigen Ursachen und Auswirkungen. Die Forschung zur Aufklärung der Ursachen geistiger Behinderung ist wichtig, um neue Behandlungs- und Unterstützungsmöglichkeiten zu entwickeln. Es ist wichtig, Menschen mit geistiger Behinderung zu unterstützen und ihnen die gleichen Chancen zu ermöglichen wie anderen Menschen.

Glossar

  • Adaptives Verhalten: Lebenskompetenzen, also Fähigkeiten, die zur Bewältigung alltäglicher Aufgaben und für das Miteinander benötigt werden.
  • Chromosomenaberrationen: Veränderungen in der Struktur oder Anzahl der Chromosomen.
  • Exom-Sequenzierung: Eine Methode zur Bestimmung der Abfolge der DNA-Bausteine in den Exons, den kodierenden Bereichen der Gene.
  • Fluoreszenz-In-situ-Hybridisierung (FISH): Eine Methode zur Visualisierung spezifischer DNA-Sequenzen auf Chromosomen.
  • Genomforschung: Die Erforschung des gesamten Erbguts eines Organismus.
  • Intelligenzquotient (IQ): Ein Maß für die intellektuellen Fähigkeiten eines Menschen.
  • Karyotypanalyse: Eine Untersuchung der Chromosomen eines Menschen.
  • Molekulare Karyotypisierung: Eine Methode zur Identifizierung von Chromosomenaberrationen auf molekularer Ebene.
  • Mutation: Eine Veränderung im Erbgut.
  • Pränataldiagnostik: Untersuchungen während der Schwangerschaft zur Erkennung von Fehlbildungen und Erkrankungen des Kindes.
  • Trisomie 21 (Down-Syndrom): Eine genetische Erkrankung, die durch ein zusätzliches Chromosom 21 verursacht wird.

Lesen Sie auch: Überblick über kognitive Probleme bei MS

tags: #geistige #behinderung #ursachen #gehirn