Epilepsie ist eine neurologische Erkrankung, die durch wiederholte Krampfanfälle gekennzeichnet ist, die durch Funktionsstörungen im Gehirn verursacht werden. Die Erkrankung kann sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen auftreten und verschiedene Ursachen haben. Glücklicherweise können Patienten und Patientinnen mit Epilepsie heute mehr denn je auf eine gute medizinische Versorgung zurückgreifen. Die Behandlungsmöglichkeiten mit Anfallssuppressiva, die bei Epilepsie infrage kommen, sind vielseitig und ermöglichen eine individuelle Abstimmung auf das Krankheitsbild. Ungefähr zwei Drittel aller Patientinnen und Patienten können durch die medikamentöse Behandlung anfallsfrei werden, wobei die Prognose je nach Form der Epilepsie variiert. Auch die Lebenserwartung ist häufig kaum kürzer als die von Menschen ohne Epilepsie.
Was ist Epilepsie?
Der Begriff Epilepsie (altgriechisch: epilepsis = Überfall, Angriff) steht für eine Gruppe von funktionellen Störungen im Gehirn und ist in der Internationalen diagnostischen Klassifikation der Krankheiten (ICD) mit dem ICD-Code G40 beziffert. Etwa 0,5% bis 1% der Deutschen sind betroffen (bis zu 800.000 Menschen). Als Neurologe würde ich sagen, dass Epilepsien - sprechen wir im Plural - eine der häufigsten chronischen neurologischen Erkrankungen sind. Sie haben das Symptom des epileptischen Anfalls, welcher unterschiedlich sein kann. Epilepsien gehören, wie bereits gesagt, zu den häufigsten neurologischen Erkrankungen - etwa zehn Prozent der Menschen haben einmal in ihrem Leben einen epileptischen Anfall; etwa 5% davon erleiden dann die Erkrankung Epilepsie. Es käme in diesem Fall immer wieder zu Anfällen, wenn die Erkrankung nicht richtig behandelt werden würde.
Epilepsie umfasst eine Vielzahl von chronischen Erkrankungen des zentralen Nervensystems, die aufgrund einer Überaktivität der Nervenzellen im Gehirn auftreten. Wenn Nervenzellen übermäßig aktiv sind, können sie anfallsartige Funktionsstörungen auslösen. Diese reichen von kaum merklichen geistigen Abwesenheiten (z. B. Absencen bei Kindern oder kognitive Anfälle bei Erwachsenen) über Wahrnehmungsstörungen bis hin zu schweren Krampfanfällen mit Bewusstseinsverlust.
Ein einzelner Anfall, der im Kontext einer anderen akuten Erkrankung in Erscheinung tritt, wird als akut symptomatischer Anfall (früher auch provozierter oder Gelegenheitsanfall) bezeichnet. Hierzu zählen beispielsweise sog. Fieberkrämpfe bei kleinen Kinder. Von der Erkrankung einer Epilepsie spricht man definitionsgemäß erst dann, wenn es wiederholt zu epileptischen Anfällen ohne spezifischen und vermeidbaren Auslöser kommt. Nicht jeder einmalige epileptische Anfall führt unweigerlich zu einer Epilepsie. Nur jeder 2. bis 3.
Die Inzidenz für einen erstmaligen unprovozierten epileptischen Anfall in Deutschland liegt etwa bei 61 pro 100.000 Personenjahre. Die Inzidenz für die Erstdiagnose einer Epilepsie bei etwa 44 pro 100.000 Personenjahre. Die Inzidenz ist abhängig vom Alter. Es besteht eine U-förmige Inzidenzkurve mit Erstmanifestation überwiegend im Kindes und Jugendalter sowie im höheren Alter mit nahezu exponentiellem Anstieg ab dem 70. Lebensjahr. Die Prävalenz in Deutschland beträgt etwa 0,5 - 1 % der Bevölkerung. Somit leiden in Deutschland etwa 800.000 Menschen an einer behandlungspflichtigen Epilepsie.
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Ursachen der Epilepsie
Die Entstehung einer epileptischen Erkrankung ist vielfältig. Die Herausforderung besteht darin, eine möglichst eindeutige Ursache oder Auslöser zu identifizieren. Bei etwa 80 % gelingt durch entsprechende qualifizierte und manchmal aufwändige Untersuchungen eine Zuordnung zu einem spezifisch definierten Epilepsiesyndrom, einem fokalen Epilepsiesyndrom oder einem generalisierten (genetisch bedingten) Epilepsiesyndrom. In manchen Familien tritt Epilepsie gehäuft auf.
Ein epileptischer Anfall ist ein Zusammenspiel verschiedener neurologischer Vorgänge im Gehirn. Eine eindeutige und allgemeine Ursache gibt es nicht, jedoch verschiedene bekannte Auslöser, nach denen Epilepsien in die Kategorien strukturell, immunologisch, infektiös, genetisch und metabolisch eingeteilt werden.
- Genetische Epilepsie: Wurde früher auch als idiopathische Epilepsie bezeichnet. Hier wird eine genetische Ursache als Auslöser der Erkrankung vermutet. Bei genetisch bedingten (generalisierten) Epilepsiesyndromen ist das gesamte Gehirn in das Anfallsgeschehen involviert.
- Strukturelle Epilepsie: Wurde ursprünglich mal als symptomatische Epilepsie bezeichnet. Die Erkrankung ist in diesem Fall als Folge einer bekannten Ursache, wie einem Schlaganfall oder einer Kopfverletzung bzw.
- Infektiöse Epilepsie: wurde früher zu den strukturellen Epilepsien gezählt. Wird durch eine infektiöse Erkrankung des Gehirns (hervorgerufen durch Viren oder Bakterien) verursacht, wie z.B.
- Metabolische Epilepsie: Wurde ebenfalls lange zu den strukturellen Epilepsien gezählt. Sie geht aus Veränderungen im Stoffwechsel (Metabolismus) hervor, z.B.
- Immunologische Epilepsie: Wurde bis vor Kurzem ebenfalls zu den strukturellen Epilepsien gezählt. Heute erkennt man die immunologischen Epilepsien an einer chronischen Entzündung des Gehirns.
- Epilepsie mit unbekannter Ursache: Wurde früher auch als kryptogene Epilepsie bezeichnet.
Symptome und Anfallsformen
Die Symptome einer Epilepsie sind ebenso vielseitig wie die verschiedenen Anfallsformen. Insgesamt gibt es mehr als 30 bekannte Formen der Epilepsie. Jede/r Betroffene hat in der Regel nur eine Epilepsieform mit ein bis drei verschiedenen Anfallsformen. Alle epileptischen Anfälle haben gemeinsam, dass sie von Zeit zu Zeit auftreten, meist ohne erkennbaren Anlass.
Epileptische Anfälle sind relativ kurz andauernde, plötzliche Änderungen des Bewusstseins, Denkens, Verhaltens, Gedächtnisses, Fühlens, Empfindens oder der Anspannung der Muskulatur. Grund dafür ist eine vorübergehende Funktionsstörung von Nervenzellen im Gehirn in Form vermehrter und einander gegenseitig aufschaukelnder elektrischer Entladungen. Die Ursachen dafür sind jedoch sehr unterschiedlich.
Grundsätzlich kann man zwischen fokalen und generalisierten epileptischen Anfällen unterscheiden. Diese können wenige Sekunden bis mehrere Minuten andauern. Hält ein epileptischer Anfall länger als 5 Minuten an, spricht man von einem „Status epilepticus“. In der Regel haben Menschen mit Epilepsie zwischen den Anfällen keine körperlichen Beschwerden.
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- Aura: Manche Patienten berichten vor dem sichtbaren Anfall über eine sogenannte Aura, einem „Vorgefühl“ vor dem Anfall. Das können z. B. ein bestimmtes Gefühl, ein Geruch, Geschmack oder auch Lichtblitze sein.
- Fokale Anfälle: Diese entstehen in einem bestimmten Bereich des Gehirns. Je nachdem, wofür der Hirnbereich zuständig ist, kommt es zum Beispiel zum Zucken eines Arms (motorischer Anfall), einer Gefühlsstörung (sensorischer Anfall) oder einer Veränderung des Sehens (visueller Anfall). Fokale Anfälle können mit Zuckungen oder Krämpfen einhergehen und sich in einigen Fällen auf das gesamte Hirn ausbreiten. Dann wird der zunächst fokale Anfall zu einem generalisierten Anfall. Manchmal können fokale Anfälle das Bewusstsein einschränken.
- Generalisierte Anfälle: Diese Anfälle erfassen beide Gehirnhälften. Sie sind nicht unbedingt schwerer als fokale Anfälle, es kommt jedoch häufiger zu Bewusstlosigkeit und Krämpfen im ganzen Körper. Zu den motorischen generalisierten Anfällen zählen u. a.:
- Tonisch-klonische Anfälle (Grand-Mal-Anfälle): Zunächst meist Sturz zu Boden, evtl. mit einem Schrei und Bewusstlosigkeit, danach oft tonische Phase mit steif gestreckten Gliedmaßen, Atemstillstand (Patient wird blau) und weiten, lichtstarren Pupillen, anschließend klonische Phase mit Zuckungen am ganzen Körper, evtl. Zungen- oder Wangenbiss (Schaum vor dem Mund) und Urin- oder Stuhlabgang. Aufhören der Zuckungen in aller Regel nach wenigen Minuten, nach dem Anfall Schlaf- und Orientierungsphase, später oft Amnesie (Patient erinnert sich nicht).
- Klonische Anfälle: Rhythmische Muskelzuckungen, oft langsamer werdend.
- Tonische Anfälle: Muskelverkrampfungen (Streckung der Extremitäten), teilweise über Minuten.
- Atonische Anfälle: Sturz durch Tonusverlust der Muskulatur.
- Absencen: Diese generalisierten Anfälle sind charakterisiert durch eine Bewusstseinspause, meist ein kurzes Innehalten.
- Status epilepticus: Selten hält ein epileptischer Anfall lange an. Wenn er länger als 5 Minuten dauert oder eine Serie von Anfällen auftritt, spricht man von einem „Status epilepticus“. Dies ist ein lebensbedrohlicher Notfall, der schnell mit Medikamenten behandelt werden muss.
Diagnose
Nach einem erstmaligen epileptischen Anfall sollte grundsätzlich eine ausführliche diagnostische Abklärung von erfahrenen Ärzt:innen (Neurolog:innen, Epileptolog:innen) erfolgen. Die Fachärztin oder der Facharzt erhebt zunächst Ihre Krankheitsgeschichte (Anamnese) und Sie sollten ausführlich und möglichst genau den Verlauf des Anfallsereignis, mögliche Auslöser und auch Grunderkrankungen schildern. Verpflichtend hinzu gehört eine zeitnahe Bildgebung des Gehirns, im Notfall mittels eines Computertomogramms (CCT) und im Verlauf mit einem MRT (Magnetresonanztomografie). Epilepsie kann mit Hilfe von Blutuntersuchungen, CT, MRT und Elektroenzephalografie (EEG) diagnostiziert werden.
Um die Diagnose Epilepsie zu stellen, ist vor allem die Krankengeschichte wichtig: Wann und unter welchen Umständen ist der Anfall aufgetreten? Wie hat er sich geäußert? Hier ist es hilfreich, dass eine Person mit zum Arzttermin kommt, die den Anfall miterlebt hat und ihn beschreiben kann. Auch wird bei einem Epilepsie-Verdacht eine körperliche und neurologische Untersuchung durchgeführt und ein Elektroenzephalogramm (EEG) gemacht, das auf eine erhöhte Anfallsneigung hindeuten kann. Ein EEG allein reicht aber für die Diagnose Epilepsie nicht aus. Daher gehört eine Magnetresonanztomografie (MRT) grundsätzlich zur Absicherung einer Epilepsie-Diagnose. Dabei können Veränderungen im Gehirn entdeckt werden, die die Anfälle auslösen könnten.
Behandlung
Welche Behandlung sinnvoll ist, hängt von der Form der Epilepsie und dem Krankheitsverlauf ab. Meist wird eine Epilepsie mit Medikamenten behandelt, sogenannten Antiepileptika. Es stehen unterschiedliche Medikamente aus verschiedenen Wirkstoffgruppen zur Verfügung. Wenn ein Medikament in einer niedrigen Dosierung nicht wirkt, kann zunächst die Dosis erhöht werden. Zeigt sich kein Erfolg, probiert man ein Medikament aus einer anderen Wirkstoffgruppe oder kombiniert mehrere Wirkstoffe.
Bei einem einzelnen Anfall mit bekanntem Auslöser (akut symptomatischer Anfall) ist keine Behandlung erforderlich. Bei dieser Konstellation kommt es auf die sachgerechte Behandlung und zukünftige Vermeidung der anfallsauslösenden Störung bzw. Bei gesicherter Diagnose einer Epilepsie kommen in der Regel Medikamente zum Einsatz, sogenannte Antiepileptika. Sie haben die Aufgabe, die überschießende Nervenzellenaktivität im Gehirn zu hemmen. Ihre Einnahme erfolgt meist über viele Jahre und bedarf in Abhängigkeit der Kontrolle der Anfallsereignisse gelegentlich entsprechender Anpassungen.
Oberstes Ziel der medikamentösen Behandlung ist eine dauerhafte Anfallsfreiheit, die bei ca. 60-70 %, in Abhängigkeit des Epilepsiesyndroms, auch gelingt. Weitere 10-20 % werden mit einer Kombinationstherapie anfallsfrei. Je nach Art der Epilepsie können verschiedene Wirkstoffe zum Einsatz kommen. Alle zur Behandlung einer Epilepsie zugelassenen Medikamente sind wirksam. Sie unterscheiden sich in erster Linie hinsichtlich ihrer möglichen Nebenwirkungen. Die Auswahl der Medikamente erfolgt individualisiert auf den Patienten bzw. die Patientin bezogen unter Berücksichtigung des Epilepsiesyndroms und potenzieller Nebenwirkungen.
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Wer sich für eine Behandlung mit Medikamenten entscheidet, nimmt diese meist über mehrere Jahre ein. Wenn in dieser Zeit keine Anfälle aufgetreten sind, können manche Menschen versuchsweise auf Medikamente verzichten. Andere benötigen ihr Leben lang Medikamente.
Können die Medikamente Anfälle nicht verhindern, ist ein Eingriff eine Alternative.
- Operation: Wenn sich bei fokalen Anfällen feststellen lässt, welcher Bereich des Gehirns die Anfälle auslöst, kann er entfernt werden. Das ist aber nicht immer möglich.
- Vagusnerv-Stimulation: Dabei wird ein Schrittmacher unter die Haut im Brustbereich implantiert, der elektrische Impulse abgibt. Er ist über Kontakte am Halsbereich mit dem Vagusnerv verbunden und soll die Überaktivität der Nervenzellen hemmen. Der Vagusnerv ist ein wichtiger Nerv des vegetativen Nervensystems und an der Regulierung der inneren Organe beteiligt.
Für Menschen, die an einer sogenannten pharmakoresistenten fokalen Epilepsie leiden (nach 2 Jahren keine Anfallsfreiheit trotz mindestens 2 Medikamenten in ausreichend hoher Dosierung), sollte möglichst rasch geprüft werden, ob gegebenenfalls durch eine operative Behandlung die Heilung bzw. eine Verbesserung der Anfallssituation möglich ist. Bei operativen Therapieverfahren wird versucht, das anfallsauslösende Hirnareal zunächst klar zu definieren, um es dann, wenn keine schweren Folgeschäden zu erwarten sind, neurochirurgisch (Resektion) zu entfernen. Neben der rein chirurgischen Therapie gibt es noch weitere Behandlungsformen wie die Implantation eines sogenannten Vagus Nerv Stimmulators. Dabei wird ein schrittmacherähnliches Aggregat unter die Haut im Brustbereich implantiert. Es ist über einen Draht mit dem Vagusnerv (am Hals), dem wichtigsten Nerv des vegetativen Nervensystems, verbunden und gibt elektrische Impulse ab, die retrograd (rückläufig) zum Hirn geleitet werden. Dadurch soll die Überaktivität des Nervensystems gehemmt werden. Die Wirksamkeit ist begrenzt. Hierdurch gelingt in aller Regel allenfalls eine Reduktion der Anfallshäufigkeit. Zu den neuesten Behandlungsmethoden gehören sogenannte Tiefenhirnstimulationsohren, welche durch das Einbringen einer oder mehrerer hauchdünner Sonden in bestimmte Hirnareale im Gehirn gekennzeichnet ist. Dabei wird versucht die übererregbaren Zentren zu hemmen.
Die Behandlung wird von einer Neurologin oder einem Neurologen begleitet. Kinder und Jugendliche werden von Kinder- und Jugendneurologinnen und -neurologen betreut. Meist findet ein Teil der Untersuchung und Behandlung im Krankenhaus statt. Manche ambulanten Einrichtungen und Kliniken haben sich auf die Behandlung von Menschen mit Epilepsie spezialisiert: Epilepsie-Zentren, Epilepsie-Ambulanzen und Schwerpunktpraxen. Diese eignen sich besonders bei speziellen Problemen, einer unklaren Diagnose oder wenn es trotz Behandlung weiter zu Anfällen kommt.
Ergänzend kann eine Psychotherapie hilfreich sein. Sie kann dabei unterstützen, mit den Folgen der Erkrankung umzugehen und die Lebensqualität zu verbessern.
Erste Hilfe bei einem epileptischen Anfall
Bei einem epileptischen Anfall ist es am wichtigsten, dass Helferinnen und Helfer Ruhe bewahren und Betroffene vor Verletzungen schützen. Es ist wichtig, einen Menschen während eines Anfalls zu schützen, etwa durch das Entfernen von Gegenständen in der Nähe, um Verletzungen zu verhindern. Dies betrifft vor allem Verlaufsformen mit großer motorischer Unruhe. Auch das Schützen des Kopfes ist hilfreich. Wenn der Anfall mit starken Muskelkontraktionen und einer Bewusstlosigkeit einhergeht, sollte der/die Betroffene nicht festgehalten werden.
Dauert der Anfall länger als fünf Minuten an oder treten mehrere Anfälle kurz hintereinander auf, sollte der Rettungsdienst (Notruf 112) informiert werden. Bei einem schweren Anfall kann ein Krankenhausaufenthalt notwendig sein. Endet ein Anfall nicht von selbst innerhalb weniger Minuten (Status epilepticus) oder zeigt der/die Betroffene Anzeichen von Atemnot, so ist ein Notarzt zu informieren. Die Gabe eines Notfallmedikamentes ist meistens nicht sinnvoll, da der Anfall nach 1-2 Minuten selbstlimitierend ist. Nur dann, wenn bereits bekannt ist, dass häufig nach einem Anfall weitere Anfälle in kurzer Zeit folgen, ist die Gabe eines Notfallmedikaments (Diazepam Rektiole oder Buccolam® (Lösung unter die Zunge)) sinnvoll.
Während eines Krampfanfalls gilt es, den Betroffenen vor weiteren Gefahren zu schützen. Das umfasst:
- Atemwege sichern
- Gegenstände aus dem Weg räumen
- Betroffene zur Sturzprävention auf den Boden gleiten lassen
- Den Kopf abpolstern, um ihn vor Verletzungen zu schützen
Keinesfalls sollten die Betroffenen festgehalten werden oder ihnen ein Beißkeil in den Mund geschoben werden, weil dadurch Lippen, Zähne und Gaumen verletzt werden können. Auch sollten ihnen wegen der Aspirationsgefahr keine Flüssigkeiten oder Arzneimittel oral eingeflößt werden.
Pflegekräfte sollten während des Krampfanfalls unbedingt die Ruhe bewahren und beruhigend auf den Patienten einwirken. Sie sollten ihn nicht allein lassen und bei unklarer Diagnose sofort einen Arzt benachrichtigen. Auch sollten sie den Betroffenen gut beobachten, damit sie die Dauer, Uhrzeit, den Ablauf und die Besonderheiten des Krampfanfalls später genau dokumentieren können.
Nach dem Anfall sollten die Pflegenden die Betroffenen in die stabile Seitenlage bringen, bis sie ihr Bewusstsein vollständig wiedererlangt haben (Aspirationsprophylaxe) und ggf. Erbrochenes entfernen. Bei Bedarf: Mund- und Körperpflege durchführen, Wäsche nach unkontrolliertem Urinabgang wechseln, Mundraum auf Zungen- oder Wangenbiss kontrollieren, für Ruhe sorgen sowie Bewusstsein und Vitalzeichen engmaschig überwachen.
Epilepsie bei Kindern: Formen und Besonderheiten
Die Sorge ist bei Betroffenen und Angehörigen groß, zum Beispiel weil die Epilepsie besonders häufig im Kindesalter auftritt, was für Eltern und Kinder angsteinflößend sein kann. Jedes fünfte Kind erlebt mindestens einmal im Leben einen solchen Anfall, was aber noch nicht gleichbedeutend mit der Diagnose Epilepsie ist.
Es gibt verschiedene Formen von Epilepsie, die speziell bei Kindern auftreten:
- Absence-Epilepsie des Schulkindalters: Eine der häufigsten generalisierten Formen von Epilepsie bei Kindern. Sie ist genetisch bedingt und zeigt sich meist im Alter von fünf bis acht Jahren. Dabei sind Mädchen häufiger betroffen.
- Juvenile Absence-Epilepsie: Eine Absence-Epilepsie bei Kindern zwischen dem neunten und 15. Lebensjahr. Beide Geschlechter sind etwa gleich häufig betroffen.
- Rolando-Epilepsie: Zählt zu den häufigsten Formen von Kinderepilepsie. Sie zeigt sich durch oft nächtliche Anfälle, die meist nur sporadisch auftreten.
- Primäre Lese-Epilepsie: Meist im Alter von 17 bis 18 Jahren beginnt die primäre Lese-Epilepsie. Bei Kindern vor der Pubertät ist sie aber ebenfalls möglich.
- West-Syndrom (BNS-Epilepsie): Eine seltene, ernst zu nehmende Epilepsie bei Babys. Sie beginnt meist im Alter von zwei bis acht Monaten. Jungen sind dabei häufiger betroffen.
- Lennox-Gastaut-Syndrom: Eine weitere seltene Form von Epilepsie bei Kindern. Es tritt meist zwischen dem dritten und fünften Lebensjahr erstmals in Erscheinung. Jungen sind dabei häufiger betroffen als Mädchen.
- Juvenile myoklonische Epilepsie: Typischerweise tritt die juvenile myoklonische Epilepsie bei Kindern/Jugendlichen im Alter von zwölf bis 18 Jahren zum ersten Mal auf.
- Dravet-Syndrom: Eine sehr seltene und schwere Form der Epilepsie bei Kindern. Es wird auch myoklonische Frühenzephalopathie oder frühe infantile epileptische Enzephalopathie genannt. Meist erkranken Kinder zwischen dem dritten und zwölften Lebensmonat daran, selten später. Jungen sind häufiger betroffen als Mädchen.
Prognose und Lebenserwartung
Zunächst sei gesagt, dass die Prognose von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich ist und bei vielen Betroffenen die Anfallsfreiheit erreicht werden kann (siehe Prognose). Die Diagnose Epilepsie bedeutet also nicht automatisch, dass Betroffene kein selbstbestimmtes und zufriedenes Leben führen können.
Die Epilepsie ist zwar nicht heilbar, jedoch kann sie gut kontrolliert werden. Die Auswirkungen auf den Alltag sind meist wesentlich geringer als man auf den ersten Blick denken mag. Gefährlich sind epileptische Anfälle aber nur selten. Es droht meistens keine direkte Gefahr für Hirnschädigungen. Phänomene wie SUDEP sind ebenfalls selten und können durch eine ausreichende Aufklärung und Vorbeugung meistens auch verhindert werden.
Statistisch gesehen ist die Lebenserwartung von Patienten und Patientinnen mit Epilepsie etwas geringer als die der nicht an Epilepsie erkrankten Menschen. Eine Epilepsie kann die Lebenserwartung verkürzen, muss es aber nicht. Das hängt stark von der Ursache und der Grunderkrankung ab. Hat die Epilepsie z. B. eine genetische Ursache haben die Betroffenen eine ähnliche Lebenserwartung wie Menschen ohne Epilepsie. Die Epilepsie selbst kann jedoch zum Tod führen, wenn jemand aufgrund eines Anfalls einen Unfall hat und sich lebensgefährlich verletzt oder es beim Status epilepticus zu Herz- und Lungenversagen kommt. Extrem selten ist es, dass Menschen mit Epilepsie plötzlich und unerwartet sterben. Dieses Phänomen wird als „sudden unexpected death in epilepsy“ (kurz SUDEP) bezeichnet.
Leben mit Epilepsie
Menschen, die an einer Epilepsie erkrankt sind, können ein weitgehend normales Leben führen, wenn die Erkrankung gut behandelt und kontrolliert wird. Dennoch gibt es einige Aspekte, die im Alltag berücksichtigt werden sollten:
- Regelmäßiger Tagesablauf: Betroffene sollten einen regelmäßigen Tagesablauf einhalten und anfallsauslösende Faktoren meiden, z. B. Schlafentzug, Flackerlicht (Diskothek, Videospiele) oder Alkohol in größeren Mengen.
- Anfallskalender: Wird ein regelmäßiger Anfallskalender geführt, ist es möglich, Auslöser und Medikamentenwirkungen nachvollziehen zu können.
- Notfallausweis: Betroffene sollten immer einen Notfallausweis mit Erste-Hilfe-Maßnahmen mitführen und Kollegen bzw. Lehrer informieren.
- Medikamente: Wichtig ist auch, die Betroffenen im Umgang mit Antiepileptika zu schulen: Diese dürfen nicht eigenmächtig umgestellt oder abgesetzt werden. Oft gibt es Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten, z. B. gegen Schmerzen oder Fieber. Hier sollte der behandelnde Arzt gefragt werden, welche zusätzlichen Medikamente eingenommen werden können. Auch sollten die Betroffenen Kenntnis über mögliche Nebenwirkungen haben. Alle behandelnden Ärzte sollten über die Epilepsie informiert sein.
- Beruf und Freizeit: Dennoch sollten die Betroffenen:
- sich mit Alkohol zurückhalten,
- keinen Beruf mit erhöhter Selbst- oder Fremdgefährdung (z. B. Kraftfahrer) oder unregelmäßiger Lebensführung (Schichtarbeit) wählen,
- keinen Sport mit erhöhter Selbst- oder Fremdgefährdung treiben.
- Fahrtüchtigkeit: Das Führen eines (Privat-)Fahrzeugs ist nur erlaubt, wenn Anfallsfreiheit von wenigen Monaten bis 2 Jahren (je nach Erkrankungsform) und ein unauffälliges EEG vorliegen.
- Schwangerschaft: Schwangerschaften sind in aller Regel möglich. Frauen sollten vorher Rücksprache mit dem Arzt halten, um ggf. Die Medikamente anzupassen.
Rehabilitation
Aufgrund der Notwendigkeit einer dauerhaften Behandlung ist selbst bei Anfallsfreiheit die Epilepsie als eine chronische Erkrankung zu verstehen. Menschen, die an einer Epilepsie erkrankt sind, können daher auch motorisch-funktionelle oder psychomentale Defizite unterschiedlicher Ausprägung aufweisen, die mit entsprechenden Einschränkungen hinsichtlich Aktivität und Teilhabe verbunden sein können.
Besonderes Augenmerk ist auf Epilepsiepatient:innen im Erwerbsleben zu richten. Aufgrund individueller Risiken und Gefährdungslagen können sowohl hinsichtlich einer Eigen-, als auch Fremdgefährdung nachhaltige Einschränkungen im Erwerbsleben auftreten oder bestehen. Vor diesem Hintergrund besteht im Vergleich zu anderen chronischen Erkrankungen ein deutlich höheres Risiko für frühzeitige Erwerbsminderung oder Arbeitslosigkeit.
Die Lebensqualität von epilepsieerkrankten Menschen ist aufgrund negativer Stigmatisierung und noch weitverbreitetem Unverständnis in der Bevölkerung bei dem Thema Epilepsie häufig vermindert. Das Krankheitsverständnis, die Akzeptanz und der Umgang mit der Erkrankung ist bei den Betroffenen und dem persönlichen Umfeld in vielen Fällen unzureichend.
Ziel rehabilitativer Maßnahmen müssen daher, neben der Behandlung motorisch-funktioneller oder neurokognitiver Einschränkungen, in besonderem Maße auch die Erarbeitung vom Umgang mit der Erkrankung bzw. Hierzu bedarf es einer hohen indikationsspezifischen sozialmedizinischen Kompetenz insbesondere zur Beurteilung von individuellen Gefährdungslagen, sowohl beruflich als auch hinsichtlich des privaten Umfeldes (Hobby, Sport etc.). Dabei sind die Erkrankungsschwere, die Prognose und der Verlauf zu berücksichtigen.
Wenn körperliche oder mentale Einschränkungen bestehen, Probleme beim Umgang mit der Erkrankung oder gar die Erwerbsfähigkeit gefährdet ist, sollten Sie mit Ihrem behandelnden ärztlichen Fachpersonal über die Möglichkeit einer neurologischen Rehabilitation mit Schwerpunkt Epilepsie sprechen.
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